Corona-Expertenrat der Bundesregierung

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Bundeskanzler Olaf Scholz ernannte am 10. Dezember 2021 die Mitglieder eines neuen Corona-Expertenrats zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie in Deutschland.[1] Das Gremium trat am 4. April 2023 letztmalig zusammen und wurde nach insgesamt 33 Sitzungen aufgelöst.[2] Fast alle Entscheidungen, die in Deutschland nach dem 14. Dezember 2021 getroffen wurden, gingen auf die Empfehlungen und Vorschläge des Corona-Expertenrates zurück.[3] Im März 2024 trat der Expertenrat Gesundheit und Resilienz die Nachfolge an.

Die Protokolle wurden nach einer Klage im Juni 2023 mit Schwärzungen veröffentlicht, zu ihrer Aufhebung und zur Veröffentlichung aller Protokolle wurde erneut Klage erhoben.

Mitglieder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das wissenschaftliche Expertengremium der Bundesregierung setzte sich aus 19 Mitgliedern zusammen:[4]

Aufgabe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach sollte die Bundesregierung die Pandemiebekämpfung stärker auf wissenschaftliche Expertise stützen. Es sei wichtig, sich von einem möglichst breiten Expertengremium beraten zu lassen. Für Lauterbach sollte nach eigener Aussage die enge Zusammenarbeit mit diesen Wissenschaftlern Grundlage seiner Politik sein. Das Gremium trat erstmals virtuell am 14. Dezember 2021 zusammen und sollte weiter im Wochenabstand tagen.[6] Der Vorsitzende des Expertenrates, Heyo K. Kroemer, brachte im April 2022 ins Spiel, einen Expertenrat in Deutschland dauerhaft zu institutionalisieren und dafür hauptamtlich Tätige einzusetzen. „Es ist besser, solche Werkzeuge parat zu haben, bevor die Notfälle eingetreten sind“, so Kroemer im Spiegel.[7]

Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte anlässlich der Berufung des Expertenrates: „In Gesundheitsnotlagen muss die Politik weitreichende und schnelle Entscheidungen bei in der Regel begrenztem und sich ständig änderndem Wissensstand treffen. Angesichts dessen kommt der Vorbereitung und Begleitung politischer Entscheidungen durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine große Bedeutung zu. Auf diese Weise können die verschiedenen Aspekte – insbesondere aber auch die Folgen – von Entscheidungen besser beleuchtet und in die Abwägung einbezogen werden. Zugleich sorgen wir damit für mehr Akzeptanz und Transparenz“.

Weitere Expertenräte im In- und Ausland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Über ein Jahr zuvor, im November 2020, hatte der gewählte, aber damals noch nicht amtierende US-Präsident Joe Biden in den USA einen Corona-Expertenrat ernannt, der aus zwölf Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten bestand. Der Expertenrat (COVID-19 Advisory Board) bekam eine Dreierspitze aus Vivek Murthy, David A. Kessler und Marcella Nunez-Smith. Murthy war von 2014 bis 2017 oberster Gesundheitsbeamter der US-Regierung, Kessler, Chief Science Officer, leitete früher die Lebens- und Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) und Nunez-Smith ist Professorin an der Yale University, wo sie unter anderem zur Gesundheitsförderung von marginalisierten Bevölkerungsgruppen forscht. Das Gremium wurde nach der Vereidigung Bidens am 20. Januar 2021 aufgelöst[8] und ging in dem White House COVID-19 Response Team auf.

Am 6. November 2020 setzte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki einen Corona-Beratungsausschuss ein, der aus 17 Teilnehmern bestand. Am 14. Januar 2022 traten 13 Mitglieder dieses Beratungsausschusses, allesamt Hochschullehrer, zurück, weil ihre Empfehlungen in der Corona-Krise von der polnischen Regierung nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Die medizinischen Berater warfen der Regierung vor, zunehmend das Verhalten von Teilen der Gesellschaft zu tolerieren, welche die von Covid-19 ausgehende Bedrohung und die Bedeutung der Impfung zur Bekämpfung der Pandemie leugnen. Auch Regierungsmitglieder und weitere hochrangige Mitarbeiter hätten die Risiken einer Corona-Infektion geleugnet.[9]

Im April 2020 hatte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einen Expertenrat berufen. Dem ehrenamtlich tätigen Gremium gehörten unter anderem der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio, der Markt- und Medienforscher Stephan Grünewald, Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, Claudia Nemat, Vorstandsmitglied der deutschen Telekom sowie der Virologe Hendrik Streeck und die Professorin für Ethik und Theorie der Medizin, Christiane Woopen, an. Nach 15 Monaten Digitalsitzungen wurde das Gremium aufgelöst und traf sich am 24. Juni 2021 zu seiner letzten Sitzung. Dieses 17. Treffen fand erstmals in Präsenz statt.[10]

Protokolle und Schwärzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Christian Haffner klagte im Juni 2022 in Berlin gegen das Bundeskanzleramt und den Expertenrat auf Freigabe der entsprechenden Protokolle;[11] er berief sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz.[12] Nach der Vwerfügung des Gerichts vom 13. März 2023, wurden 25 von 33 Ergebnisprotokollen Anfang Juni 2023 veröffentlicht, waren jedoch teilweise geschwärzt. Die Ablehnung der Veröffentlichung war zunächst damit begründet worden, dass der Rat von der Öffentlichkeit haftbar gemacht werden könnte. Haffner hatte dies als zutreffend charakterisiert: „Die Mitglieder des Corona-Expertenrates müssen für ihre Aussagen gerade stehen.“[13]

Haffner klagte danach weiter, auf Aufhebung der Schwärzungen und vollständige Freigabe aller Protokolle. Kurz vor dem Gerichtstermin am 13. Mai 2024 übersandte das Bundeskanzleramt Haffner ein Exemplar mit weniger Schwärzungen und sämtlichen 33 Protokollen, in der Annahme, damit erübrige sich die Klage. Der „Köder“, so Haffner sei das Angebot gewesen, die Kosten für das Verfahren zu übernehmen. Haffner kommentierte: „Ich bin nicht käuflich. Und ich weiche sicher nicht zurück. Wir wollen Transparenz schaffen. Notfalls gehen wir in die nächste Instanz.“[14] In einem Schreiben des Bundeskanzleramtes an das Berliner Verwaltungsgericht (Geschäftszeichen: 123 – 029 08 – Ju 2023 – NA 001 Berlin, 12. Juni 2023) werden die Schwärzungen ausführlich begründet.[15]

Am Montag, den 13. Mai 2024, dem Tag des Gerichtstermins, berichtet Philippe Debionne in der Schwäbischen Zeitung, die Bundesregierung und ihre Anwälte wollten unter allen Umständen verhindern, dass die Protokolle des Corona-Expertenrates komplett ungeschwärzt veröffentlicht werden. Der Richter habe drei Arten von Schwärzungen unterschieden: aus außenpolitischen Rücksichten hinsichtlich Chinas und der Ukraine, aus Rücksicht auf „Leib und Leben“ von Experten und Gästen und aus Rücksicht auf Pharmahersteller und Bezugsquellen. Letztere Schwärzungen sollen aufgehoben werden, die der Experten nur mit ihrer Zustimmung, die ersteren hielt das Gericht nach erster Einschätzung für vertretbar. Der Anwalt des Klägers habe Kompromissvorschläge für Schwärzungen abgelehnt, so Debionne.[16]

Kontroversen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Christian Haffner vertrat die Meinung, nach Durchsicht der Protokolle habe es den Anschein, als sei der Expertenrat in erster Linie dazu da gewesen, um die Politik und die Entscheidungen des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach und der Regierung Olaf Scholz zu unterstützen und zu rechtfertigen. „Und nun fürchten sowohl die Rats-Mitglieder als auch viele Politiker, die sich auf den Rat beriefen, einen Machtverlust oder auch den Verlust ihrer Reputation, wenn der Öffentlichkeit klar wird, wie der Rat tatsächlich gearbeitet hat. Und dass er an vielen Stellen falsch lag.“ In der Politik sehe er keinen Willen zur Aufarbeitung. Medien hätten Hofberichterstattung betrieben, ebenso wie die Faktencheckernetzwerke, die vom Poynter Institut koordiniert würden.[17]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Protokolle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

25 Protokolle mit ersten Schwärzungen

Link zum Download der 25 Protokolle mit ersten Schwärzungen

Weiter entschwärzte Version aller 33 Protokolle 15. Mai 2024

Veröffentlichte Stellungnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Scholz ernennt 19-köpfiges „Gremium“: Das sind die Corona-Berater des Bundeskanzlers. Focus, 11. Dezember 2021. Abgerufen am 12. Dezember 2021.
  2. Kim Björn Becker: Corona-Expertenrat wird nach 33 Sitzungen aufgelöst. In: FAZ.NET. 4. April 2023, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 5. April 2023]).
  3. Philippe Debionne: Arzt will alle Corona-Protokolle freiklagen: "Ich bin nicht käuflich". 13. Mai 2024, abgerufen am 14. Mai 2024.
  4. Bundeskanzler Scholz beruft Expertengremium zur wissenschaftlichen Begleitung der Covid-19-Pandemie. Bundesregierung, 14. Dezember 2021, abgerufen am 7. Januar 2022.
  5. Corona-Pandemie: Berliner Impfforscher Sander fordert rasches Boostern und Impfen. Abgerufen am 6. April 2023.
  6. Meldungen zu Corona, Süddeutsche Zeitung, 12. Dezember 2021. Abgerufen am 12. Dezember 2021.
  7. Martin U. Müller, Cornelia Schmergal: (S+) Charité-Chef Heyo Kroemer: »Ein Krankenhaus hat den Charakter einer Feuerwehr«. In: Der Spiegel. 15. April 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 17. April 2022]).
  8. Lev Facher: Biden dissolves Covid-19 panel that advised his transition. In: STAT. 20. Januar 2021, abgerufen am 25. Januar 2021 (englisch).
  9. PAP, polnisch, 14. Januar 2022. Abgerufen am 14. Januar 2022.
  10. Corona-Expertenrat nimmt Abschied und mahnt zur Vorsicht. In: www1.wdr.de. WDR, 24. Juni 2021, archiviert vom Original; abgerufen am 2. Juli 2023.
  11. Bislang wurden 25 aus 33 Ergebnisprotokollen (PDF) offengelegt.
  12. Corona-Expertenrat: Protokolle werden nur geschwärzt herausgegeben. 28. Juni 2023, abgerufen am 14. Mai 2024.
  13. Philippe Debionne: Corona-Expertenrat: Die geheimen Protokolle im Wortlaut. 2. Juli 2023, abgerufen am 14. Mai 2024.
  14. Philippe Debionne: Arzt will alle Corona-Protokolle freiklagen: "Ich bin nicht käuflich". 13. Mai 2024, abgerufen am 14. Mai 2024.
  15. Philippe Debionne: Geheime Corona-Protokolle: Diese Stellen hat das Kanzleramt geschwärzt. 5. Juli 2023, abgerufen am 14. Mai 2024.
  16. Philippe Debionne: Geheime Corona-Protokolle: Die Luft für die Bundesregierung wird immer dünner. 13. Mai 2024, abgerufen am 14. Mai 2024.
  17. Philippe Debionne: Corona-Expertenrat – Arzt zieht erneut vor Gericht. 10. Juli 2023, abgerufen am 14. Mai 2024.