Julian Charrière

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Julian Charrière, 2017

Julian Charrière (* 3. Dezember 1987 in Morges, Schweiz[1]) ist ein französisch-schweizerischer Künstler, der in Berlin lebt und arbeitet.[2] Seine künstlerische Praxis verbindet Bereiche der Umweltwissenschaften und Kulturgeschichte und seine Projekte resultieren oft aus Feldforschungen an abgelegenen Orten mit akuter physikalischer Identität wie Vulkanen, Eisfeldern oder radioaktiv verstrahlten Testgeländen.[3]

Charrière wurde in Morges als Sohn eines Schweizer Vaters und einer französischen Mutter geboren. Er studierte Kunst an der École cantonale d'art du Valais in der Schweiz, bevor er nach Berlin zog, um dort seinen Abschluss am Institut für Raumexperimente bei Olafur Eliasson an der Universität der Künste Berlin zu machen.

Charrières forschungsorientiertes Schaffen verbindet Kunst, Wissenschaft und aktuelle Themen der Anthropologie miteinander und beleuchtet die Spannungen, die sich in und aus unserer modernen Welt und ihren Entwicklungen ergeben. Inspiriert von Land-Art-Künstlern wie Robert Smithson, Schriftstellern wie dem Autor J.G. Ballard oder den Philosophen Dehlia Hannah und Timothy Morton, trägt sein Werk zu einer Diskussion über die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Fortschritts bei, der die Gesellschaft bis heute prägt. Diese und ähnliche Ansätze verbindet Charrière in seiner Praxis häufig mit den Ideen der Romantik des 19. Jahrhunderts, in der der Platz des Menschen in der Welt als Reaktion auf die Industrielle Revolution und die Humanistische Philosophie einst unter ganz neuem Licht untersucht und reflektiert wurde.[4] Charrière experimentiert in seinem Werk mit unkonventionellen Materialien und Methoden und bedient sich dabei ihrer symbolischen Bedeutungen. Eines seiner bevorzugten „Materialien“ ist dabei die Zeit selbst; Charrière schafft Kunstwerke, die ihrer eigenen Zeitlichkeit entsprechen, diese reflektieren und dadurch gleichzeitig ihren Platz in der Zeitskala kommentieren, in der wir Menschen denken und uns bewegen.[5]

Charrière inszeniert außerdem „Fossilien als physische Marker der Zeit“ und erhebt sie damit vor einem ganz neuen Bedeutungshintergrund – stets begleitet von der Frage danach, welche Artefakte in Zukunft zurückbleiben und die Interpretationen über diese Epoche künftiger Generationen prägen werden. Dabei entstehen Geo-Archäologien der Zukunft[6]: Geologische Proben werden zu überlieferten und dennoch urzeitlichen Formen der Dokumentation früher Äonen unserer Erde. Charrière arbeitet in einigen seiner Werke mit diesen steinernen Archiven.

In seinem Werk Metamorphism[7] interpretierte der Künstler diese Idee neu, indem er Elektroschrott mit künstlicher Lava verschmolzen und in scheinbar natürlich entstandene Felsen gegossen hat. Die technologischen Geräte kehren so im Wesentlichen zu den Rohstoffen zurück, aus denen sie einst hergestellt wurden.[8] Dieses Projekt ist eine von mehreren skulpturalen Serien, in denen Charrière sowohl natürliche als auch von Menschenhand geschaffene Materialien verwendete, um einen physischen Kommentar zur zunehmend digitalisierten Welt zu schaffen.

Viele seiner Werke sind Ergebnisse verschiedener Expeditionen rund um die Welt, bei denen er sich auf Orte konzentriert, die besonders von der Menschheit und ihrer zerstörerischen Kraft in Mitleidenschaft gezogen wurden oder werden.[9] Zu den von Charrière besuchten Orten gehören beispielsweise das Semipalatinsk-Testgelände, ein ehemaliges Atomtestgelände der USSR und sein amerikanisches Pendant, das Bikini-Atoll auf den Marshallinseln.[10][11] Auf den beiden Reisen entstanden eine Reihe von Fotografien, die die desolaten Überreste der Orte dokumentieren. Einer seiner technischen Ansätze war dabei die fotografische Entwicklung auf analogem Film, der mit nuklearem Material belichtet wurde. Dadurch kam die unsichtbare Kraft der Radioaktivität in den Bildern deutlich zum Vorschein.[11] Im Anschluss an die Reise zum Bikini-Atoll schrieb Julian Charrière zusammen mit dem Kurator und Kunsthistoriker Nadim Samman, der mit ihm reiste, das Buch As We Used to Float, das sich irgendwo zwischen Reisebericht und kritischer Essay verorten lässt. Beschrieben als: "toggling between a personal account of a sea journey, above and below water, and a critical investigation of postcolonial geography, As We Used to Float develops broader reflections on place and subjectivity".[12]

Charrière wurde bereits mit mehreren prestigeträchtigen Preisen ausgezeichnet. Sowohl 2013 als auch 2015 wurde er im Rahmen der Swiss Art Awards mit dem Kiefer-Hablitzel-Preis ausgezeichnet. Im Jahr 2016 erhielt Charrière das Kaiserring-Stipendium für junge Kunst, das mit einer Einzelausstellung im Mönchehaus Museum Goslar in Deutschland verbunden war.,[13] 2018 erhielt der Künstler den Prix Mobilière[14] der junge Künstler auszeichnet, die sich mit besonders gesellschaftsrelevanten Themen auseinandersetzen und mit ihren Positionen neue kollektive Perspektiven schaffen, sowie den GASAG Kunstpreis,[15] der alle zwei Jahre für herausragende künstlerische Positionen an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technik vergeben wird.

Neben seiner Arbeit als Solokünstler hat Charrière auch mit diversen anderen Künstlern zusammengearbeitet; nach seinem Studium war er beispielsweise Mitglied des Berliner Künstlerkollektivs Das Numen, die in ganz Europa ausstellten und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Im Jahr 2012 arbeitete Charrière außerdem mit dem Künstler Julius von Bismarck an der ortsspezifischen Performance Some Pigeons Are More Equal Than Others für die 13. Architekturbiennale in Venedigzusammen.[16] Die beiden haben ihre Kollaboration auch über dieses Projekt hinaus fortgesetzt und mehrere Ausstellungen gemeinsam produziert.

Im März 2017 bekam der Künstler internationale Aufmerksamkeit, als die Berliner Polizei in seinem Atelier erschien, um sein damals neuestes Werk The Purchase of the Southpole zu konfiszieren, das sich mit der friedlichen, wissenschaftlichen Entwicklung und den Gefahren des Klimawandels befasst. Die drei Meter lange Kanone sollte ursprünglich als Teil der ersten Antarktis-Biennale Kokosnüsse vom Bikini-Atoll abschießen. Aufgrund der Beschlagnahmung gelangte das Kunstwerk nie in die Antarktis und befand sich nach seiner Beschlagnahmung lange Zeit in der Obhut der deutschen Behörden.[17]

Im Kontext der Einladung zur Teilnahme an der Antarktis-Biennale 2017 entwickelte der Künstler zudem ein Werk, in dem er sich intensiv mit den Polarregionen und ihrer Repräsentation im kollektiven visuellen Gedächtnis des 21. Jahrhunderts auseinandersetzte.[18] Daraus entstand seine bisher umfangreichste filmische Arbeit Towards No Earthly Pole,[19] die im Mittelpunkt seiner drei gleichnamigen Einzelausstellungen stand (MASI Lugano, 2019,[20] Aargauer Kunsthaus, 2020,[21] Dallas Museum of Art, 2021[22]). Die Ausstellungen inszenierten drei verschiedene Versionen einer Reise durch den aktuellen Kosmos des Künstlers und boten Einblicke in die Lektüre der Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die Natur. Der Filmarbeit Towards No Earthly Pole ist eine Publikation gewidmet, die eine Sammlung ausgewählter Essays von führenden Wissenschaftlern aus den Bereichen Philosophie, Filmwissenschaft und Kunstgeschichte (darunter. Ca Benini aus Frankreich), die in das Werk einführen: [23] Amanda Boetzkes,[24] Katherine Brodbeck, Dehlia Hannah, Scott MacKenzie[25] & Anna Westerstahl Stenport,[26] Shane McCorristine,[27] Nadim Samman[28] und Katrin Weilenmann[29] sowie ein Gespräch zwischen dem Künstler und Dr. Konrad Steffen, Professor für Klima und Kryosphäre an der ETH Zürich und EPFL[30] in einem kunsttheoretischen Kontext.

Im Sommer 2021 nahm Julian Charrière an der Leister-Expedition um Nordgrönland teil, einer schweizerisch-dänischen Expedition, die unter anderem zum Ziel hatte, die nördlichen Regionen Grönlands zu bereisen und zu dokumentieren, um die Entwicklungen des Klimawandels in der Arktis zu erforschen.[31] Während der Expedition landete das Team auf einer 300 Meter langen Insel aus Schlamm und Erde, von der man annahm, es handele sich um die Insel Oodaaq. Nach ihrer Rückkehr stellte sich heraus, dass sie die nördlichste Insel vor der grönländischen Küste entdeckt hatten. Charrière, der einzige Künstler, der an der Expedition teilnahm, berichtete über diese Entdeckung.[32][33]

Ausstellungen (Auswahl)

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Einzelausstellungen

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Gemeinschaftsausstellungen

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Commons: Julian Charrière – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Charrière, Julian. In: Sikart (Stand: 2020)
  2. Julian Charrière. In: Artnet. Abgerufen am 13. Januar 2022.
  3. Eva Scherly: The wonderful world of Julian Charrière. 14. Januar 2015, abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  4. Julian Charrière. 21. Juli 2014, abgerufen am 13. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  5. Berlin from an artist’s perspective: an interview with Julian Charrière | My Art Guides. Abgerufen am 13. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  6. Julian Charrière - Polygon. In: DAMN° Magazine. Abgerufen am 13. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  7. Julian Charrière. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  8. ELEPHANT.art - Interview: Julian Charrière. 27. April 2016, abgerufen am 13. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  9. Snoeck. Abgerufen am 13. Januar 2022.
  10. Perwana Nazif: Gallery Hopping: Lost ina post-colonial and radioactive Sea. 14. März 2017, abgerufen am 13. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  11. a b Toxic Chemicals From A Nuke Site Ate Through These Haunting Photos. 24. Oktober 2016, abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  12. K. Verlag | Publishing | Berlin As We Used to Float. Abgerufen am 13. Januar 2022.
  13. Julian Charriere - Freeze, Memory - Exhibitions - Sean Kelly Gallery. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  14. Le prix d’encouragement de la Mobilière à un jeune artiste suisse est décerné pour 2018 à Julian Charrière. Abgerufen am 13. Januar 2022 (französisch).
  15. Uwe Marcus Magnus Rykov: Julian Charrière erhält den GASAG Kunstpreis 2018. In: ZEITBLATT Magazin. 1. August 2018, abgerufen am 13. Januar 2022 (deutsch).
  16. Julius von Bismarck and Julian Charrière: Some Pigeons Are More... - Thisispaper Magazine. 6. Oktober 2014, archiviert vom Original am 6. Oktober 2014; abgerufen am 13. Januar 2022.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/thisispaper.com
  17. Isaac Kaplan: Police Raid Artist’s Berlin Studio, Confiscate Artwork. 10. März 2017, abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  18. Nadim Julien Samman / The 1st Antarctic Biennale: Mobilis in Mobile. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  19. Julian Charrière. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  20. Julian Charrière. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  21. Aargauer Kunsthaus | Julian Charrière | Towards No Earthly Pole. Abgerufen am 13. Januar 2022.
  22. In DMA show, Julian Charrière captures the unforgiving power of nature. 21. Juni 2021, abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  23. Homepage. Abgerufen am 13. Januar 2022 (italienisch).
  24. Amanda Boetzkes. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  25. Scott MacKenzie. Abgerufen am 13. Januar 2022 (britisches Englisch).
  26. Anna Westerstahl Stenport. Abgerufen am 13. Januar 2022 (britisches Englisch).
  27. Shane McCorristine. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  28. Nadim Julien Samman / Curator. Abgerufen am 13. Januar 2022 (englisch).
  29. Team | Aargauer Kunsthaus. Abgerufen am 13. Januar 2022.
  30. Aargauer Kunsthaus | Julian Charrière | Towards No Earthly Pole. Abgerufen am 13. Januar 2022.
  31. Kevin McGwin: Swiss-Danish expedition finds the world’s northernmost island. In: ArcticToday. 27. August 2021, abgerufen am 13. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  32. Jacob Gronholt-pedersen: Greenland expedition discover 'world's northernmost island'. In: Reuters. 27. August 2021 (reuters.com [abgerufen am 13. Januar 2022]).
  33. Kevin McGwin: Swiss-Danish expedition finds the world’s northernmost island. In: ArcticToday. 27. August 2021, abgerufen am 13. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  34. Preisträger Prix Mobilière