Pawlatsche

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Innenhof mit Pawlatschengängen, Haus Zum Auge Gottes in Wien-Mariahilf
Graz Sackstraße 22, Pawlatschengänge im Innenhof

Die Pawlatsche ist ein Begriff, der aus der tschechischen Sprache in das österreichische Deutsch aufgenommen wurde. Das tschechische Wort pavlač bezeichnet einen offenen Hauseingang. In Teilen Österreichs (u. a. Wien und Graz) wird der Begriff für die umlaufenden Laubengänge der Innenhöfe benutzt. In den sogenannten Pawlatschenhäusern erfolgt ein Zugang zu den Wohnungen ausschließlich über die Pawlatschen um den Pawlatschenhof.

Der vertikale Zugang der einzelnen Ebenen erfolgt über einen ebenerdigen Zugang im Innenhof. Dahinter windet sich eine oft schmale Steintreppe nach oben, ähnlich einer Wendeltreppe in einem Turm. Von dieser Treppe aus gelangt man auf die einzelnen Pawlatschengänge.

Die Erschließung von Mietshäusern über Pawlatschengänge wurde in Wien nach dem Brand des Ringtheaters 1881 – für Neubauten – untersagt (unzureichende Fluchtmöglichkeiten). Auch in der Verbindung Pawlatschenbühne für eine Freiluft-Hinterhof- oder Bretterbühne findet sich das Wort wieder. Pawlatschen sind auch für die Architektur in Budapest, Prag, Brünn, Graz, Bratislava, Budapest oder Ljubljana bis um 1900 herum charakteristisch.

Der Vorteil liegt in der besseren Nutzung der erschlossenen Wohnungen, da Dielen und Flure innerhalb des Hauses entfallen. Pawlatschen sind kostengünstiger als Stiegenhäuser mit derselben Funktion, platzsparender, da die Grundfläche einer Wand entfällt, bieten dem Wohnungsnutzer einen Balkon zum Auslüften und sommerlich etwas Abschattung, der Hoffassade zusammen mit vorgezogener Dachtraufe Schutz vor Schlagregen und im Hof einen regengeschützten und schneefreien Rundumgang.

Pawlatschenhäuser entwickelten sich in der Manufakturzeit des Absolutismus Mitte 17.–Mitte 19. Jahrhundert, aus den schon zuvor in dedn Städten Böhmens, Mährens, Schlesiens, Österreichs, der Steiermark und Ungarns weit verbreiteten niedrigeren Seitenflügelhäusern, die hier bereits seit dem Mittelalter verbreitet waren. In der Manufakturzeit wuchsen erste Städte zu Großstädten an und große Mietshäuser (österreichisch: „Zinshäuser“) wurden häufig. Um die nicht optimale Platznutzung dieser aus Vorderhaus und L-förmig angebautem Hinterhaus bestehenden Seitenflügelhäuser auszugleichen – viele Hinterhäuser enden in ungenutzten Freiflächen – wurde die Zahl der Stockwerke erhöht und Zugangsbalkone/Laubengänge (tschechisch pavlač=Gang/Zugang) zu den Hinterhäusern in allen Etagen eingeführt.

Erst mit der Modernisierung des Katasterwesens vieler Städte im 19. Jahrhundert zu weniger schmal parzellierten Grundstücken wurden Pawlatschenhäuser schrittweise von oft repräsentativer gestalteten Wohnhöfen (Arbeiter-Hinterhöfe waren in der Architektur Österreich-Ungarns verglichen mit dem Deutschen Kaiserreich selten) mit „Stiegenhäusern“ (d. h. eine Stiege/Treppenhaus pro Zinshaus) zurückgedrängt. Die Stadt Wien verbot den Neubau dieser engen Bebauung ohne Feuertreppen zwischen den Pawlatschen nach dem Brand der Ringstraße 1881, in noch nicht eingemeindeten Vorstädten und anderen Städten wurden sie aber noch etwas länger gebaut.[1]

Die engen, teils bereits als Element sozialen Wohnens konzipierten, im 20. Jahrhundert oft baufälligen Pawlatschenhäuser entwickelten sich zu Wohngebieten unterer Einkommensgruppen und umgangssprachlich wurde „Pawlatsche“ auch zum Synonym eines baufälligen Hauses.[2] Erst mit den postmodernen Stadtsanierungen ab den 1970er Jahren entwickelten sie sich zur beliebten, begrünten Wohnlage und Spielort improvisierter „Pawlatschentheater“ mit dem Publikum auf den Pawlatschen. Schon Egon Erwin Kisch beschrieb im „Marktplatz der Sensationen“ den Scherenschleifer „der blinde Methodius“, der seinem meist weiblichen Pawlatschenpublikum in Prager Hinterhöfen Bänkelgesänge in tschechischer Sprache zu aktuellen Ereignissen und Kriminalfällen vortrug

Siehe auch: Laubengang

Commons: Pawlatschen in Wien – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Sigrid Hanzl: "dencity". Eine Nachverdichtungsstudie an gründerzeitlichen Restflächen. (Diplomarbeit an der TU Wien) 2014, S- 35–36.
  2. Vgl. z. B. Wiktionaly-Eintrag „Pawlatsche“ mit Referenzen.