ADB:Marquardt, Joachim

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Marquardt, Joachim“ von Ernst Wilhelm Förstemann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 413–416, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marquardt,_Joachim&oldid=- (Version vom 4. Mai 2024, 06:26 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Behr, Marquard von
Nächster>>>
Marquard, Johann
Band 20 (1884), S. 413–416 (Quelle).
Karl Joachim Marquardt bei Wikisource
Joachim Marquardt in der Wikipedia
Joachim Marquardt in Wikidata
GND-Nummer 11678931X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|20|413|416|Marquardt, Joachim|Ernst Wilhelm Förstemann|ADB:Marquardt, Joachim}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11678931X}}    

Marquardt: Karl Joachim M., geb. zu Danzig am 19. April 1812, war der Sohn eines Kaufmanns und Commerzienraths und stammte von mütterlicher Seite aus einer alten Gelehrtenfamilie. Seine Vaterstadt, hervorragend durch ihre anmuthige Lage eben so wohl als durch die stolzen Erinnerungen an eine große freireichsstädtische Vergangenheit, durch eine Fülle anziehender Bauwerke eben so sehr wie durch das mannigfach bewegte Leben einer großen Seestadt, bot dem empfänglichen Knaben Anregung nach den verschiedensten Seiten hin, während sein idealer Sinn schon sehr frühe namentlich durch Schiller’s Dramen erweckt wurde. Bis in sein elftes Lebensjahr lediglich durch Privatunterricht vorgebildet, trat M. 1823 in das Gymnasium seiner Vaterstadt ein, welches sechs Jahre vorher durch den großen August Meineke aus dem verkommenen akademischen Gymnasium und aus der lateinischen Schule zu St. Marien neu begründet war. Meineke aber, einer der bedeutendsten Schüler Gottfried Hermann’s, wirkte nicht blos persönlich in seinem hoch idealen Fluge höchst bedeutendes, sondern verstand es auch, sich mit einem Kreise junger ausgezeichneter Lehrer zu umgeben, von denen namentlich Schöler Marquardt’s Kunstsinn, Herbst dessen philologische Gründlichkeit, Pflugk die edle Begeisterung für die antike Welt weckte und nährte. So vorbereitet bezog er Ostern 1830 die in jugendfrischer Blüthe stehende Universität Berlin, wo ihn Hegel immatriculirte, während [414] Boeckh und Schleiermacher seine hauptsächlichen Führer wurden; sein Berliner Studium hat er nur auf ein halbes Jahr durch einen Aufenthalt in Leipzig unterbrochen, um bei Hermann auch die sprachliche Seite der klassischen Philologie neben der realen bei sich zur Geltung kommen zu lassen, obwohl ihm die letztere immer die Hauptsache geblieben ist; dem studentischen Treiben hat er stets fern gestanden. In Folge seines 1833 glänzend bestandenen Staatsexamens erhielt er sofort unter Erlaß des vorgeschriebenen Probejahres eine Lehrerstelle am Friedrich-Wilhelmsgymnasium zu Berlin, dessen Director Spilleke für ihn als erfahrener Schulmann und gewissenhafter Director ein ausgezeichnetes Vorbild war. In dieser Stellung verfaßte M. seine vortresfliche Erstlingsarbeit über Cyzicus, welche von Ottfried Müller als eine der „sorgfältigsten, vollendetsten Arbeiten“ in diesem Fache bezeichnet und nach langen Jahren sogar ins Griechische übertragen wurde. Nach dreijähriger Berliner Thätigkeit berief ihn 1836 seine Vaterstadt Danzig an die Anstalt, der er selbst seine Schulbildung verdankte und wiederum drei Jahre später, als Pflugk, der hochverehrte Kenner hellenischen Lebens, allgemein betrauert dahingeschieden war, erhielt M., erst 27 Jahre alt, den lateinischen Untericht in Prima. In voller geistiger Reife und dabei ungeschwächter Kraft war er zwanzig Jahre lang die Zierde und der Stolz des Danziger Gymnasiums: während er in Hunderte von Schülern unvergängliche Bildungskeime einpflanzte, zog er selbst reiche Nahrung aus dem engen Verkehre mit einer großen Anzahl geistig reger Männer, unter denen ihm keiner näher stand, als sein ausgezeichneter College, der hochverdiente Historiker Theodor Hirsch, der seinem Freunde im Tode kurz voranging. In das Jahr 1840 fällt Marquardt’s Promotion, seine Ernennung zum Professor und seine Verheirathung, durch die er sich eine Häuslichkeit voll des schönsten Familienglückes während eines Zeitraums von mehr als vierzig Jahren gründete. Während dieser Danziger Wirksamkeit, die er noch in späten Jahren als die freudenreichste Zeit seines Lebens bezeichnet hat, ließ ihm, da er sich stets einer außerordentlichen Kraft und unerschütterten Gesundheit erfreute, sein segensreich ausgeübtes Lehramt noch reichliche Zeit, sich mit seinen großen wissenschaftlichen Aufgaben zu beschäftigen, welche allein schon genügen, ihm ein unvergängliches Andenken zu sichern. Seinen lange Zeit hindurch mit Eifer verfolgten Plan, eine erschöpfende Geschichte des Augustus zu verfassen, gab er zwar auf, nachdem 1841 das Höcksche Werk über denselben Gegenstand erschienen war, doch fanden die umfänglichen für jenen Plan gemachten Vorarbeiten wenigstens ihre theilweise Verwerthung in seiner Dissertation „Historiae equitum Romanorum libri quatuor“, Berolini 1840. Ohne die fast gleichzeitig erscheinende Arbeit von Zumpt zu kennen, hat M. in diesem Buche zum ersten Male diesen so tief in die verschiedensten Sphären des altrömischen Lebens eingreifenden Gegenstand mit erschöpfender Quellenkenntniß, sicherer Methode und scharf kritischem Blicke behandelt. Und daß er diese Arbeit, gerade durch deren kritische Behandlung veranlaßt, keinem Andern als Lachmann widmete, sollte für ihn die Ursache zur Unternehmung seines eigentlichen Hauptwerkes werden, das ihn bis an das Ende seines Lebens beschäftigt hat. Der hochverdiente Wilhelm Adolf Becker hatte es in Folge des epochemachenden Wirkens von F. A. Wolf und Niebuhr unternommen, das gesammte altrömische Leben in einem umfassenden Werke darzustellen; von diesem Buche erschien 1843 der erste Band (die Quellen, die Topographie der Stadt), 1844 der zweite (Ursprung des römischen Staats, Gliederung der römischen Bevölkerung, bürgerliche Verfassung unter den Königen und der Republik). Da wurde Becker im Jahre 1846 durch einen frühzeitigen Tod dahingerafft; Salomon Hirzel, der Besitzer der Weidmann’schen Buchhandlung in Leipzig, wandte sich an Lachmann mit dem Anliegen, ihm einen Fortsetzer des [415] großen Unternehmens zu empfehlen, und Lachmann wußte keinen besseren zu nennen als M. Und dieser übernahm nicht blos die Aufgabe, sondern hat das grundlegende Werk auch durchgeführt. Zwanzig Jahre bedurfte es, ehe es in seiner ersten Gestalt vollendet war; zuerst gab M. 1849 den Schluß des zweiten, von Becker nicht vollendeten Bandes heraus, der dritte Band (Italien und die Provinzen) erschien 1851, der vierte (der Gottesdienst) 1856, der fünfte (Privatalterthümer) in zwei Abtheilungen 1864 und 1867. Die ungemeine Energie, mit welcher der Verfasser den ungeheueren Stoff in eine systematische Gestalt zu bringen verstand, trug ihre reichen Früchte. Das Buch fand eine glänzende Aufnahme und wenige Jahre nach dem Erscheinen des fünften Bandes war eine völlig neue Bearbeitung nöthig geworden, für welche inzwischen weitere Quellen in ungeahntem Maße erschlossen waren, so daß die neue Arbeit die Kraft eines einzelnen Mannes, auch eines M., entschieden überstieg. So trat denn eine Theilung ein. Während Theodor Mommsen die Bearbeitung des römischen Staatsrechts übernahm, wovon der erste Band 1871, der zweite in zwei Theilen 1874 und 1875 erschien, der dritte aber zunächst noch rückständig blieb, wurden M. die römische Staatsverwaltung und die Privatalterthümer zu Theil. Von jenen kamen in den Jahren 1873, 1876 und 1878 drei Bände als der vierte bis sechste des ganzen Werkes heraus, von diesen (als siebenter Band des Ganzen) die beiden Abtheilungen 1879 und 1882. Und auch auf diesem Standpunkte blieb die Arbeit noch nicht stehen; Mommsen’s Staatsrecht wurde in zweiter Auflage 1876 bis 1877 gedruckt, der erste Theil von Marquardt’s Staatsverwaltung 1881; es durchzieht also diese Thätigkeit volle 35 Jahre von Marquardt’s Leben. Unterdessen war letzterem eine neue Stellung zu Theil geworden; zu Ostern 1856 hatte er seine ihm so lieb gewordene Thätigkeit in Danzig aufgegeben und den ehrenvollen Ruf als Director des Friedrich-Wilhelmsgymnasiums zu Posen angenommen. Auch hier gewann er bald durch seine hervorragenden Eigenschaften eine sehr angenehme Stellung und wirkte trotz der kurzen Dauer seines Amtes höchst segensreich. Bemerkenswerth ist, daß er in Posen ständig, später in Gotha zuweilen auch den Religionsunterricht ertheilte, dessen Bedeutung er in Folge seiner streng sittlichen Natur so wie als einstiger Schüler Schleiermacher’s überaus hoch schätzte. Als der geistvolle und gelehrte Philologe Rost in Gotha nach langer Dienstzeit in den Ruhestand getreten war, handelte es sich darum, eine besonders tüchtige Kraft zu gewinnen, nicht blos zur Leitung des Gothaischen Gymnasium illustre, sondern auch zur Verschmelzung dieser Anstalt mit dem dortigen Realgymnasium. Und dazu wurde durch den Herzog M. berufen, der einst selbst Schüler eines aus zwei Schulen vereinigten Gymnasiums gewesen war. So schwierig auch die Aufgabe war, die seiner harrte, so schwer es ihm auch wurde, sein engeres Vaterland zu verlassen, so vermochten ihn doch überwiegende Gründe, unter denen aber finanzielle Rücksichten keine Rolle spielen konnten, zur Annahme des Rufes und er trat 1859 diese Stelle an. In ihr hat er 23 Jahre lang in ungebrochener Kraft und als Meister in der Leitung einer großen Bildungsanstalt, als Vorbild in pädagogischem Wirken, getragen von unverminderter Begeisterung für echt wissenschaftliches Leben sich ein dankbares Andenken für eine lange Zukunft geschaffen. Und als könne seine Leistungsfähigkeit in keiner Weise erschöpft werden, wurde ihm neben der wissenschaftlichen und der schulmännischen Sphäre seines Wirkens noch die oberste Verwaltung aller auf dem Schlosse Friedenstein befindlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft übertragen. Auch auf diesem Gebiete, das ihm nicht fremd war (hatte er doch schon in Danzig einer nicht unbedeutenden Münzsammlung vorgestanden), wirkte er mit Eifer und organisatorischem Talente sehr Ersprießliches. Es genügt, hier an die bedeutende [416] Bibliothek zu erinnern, deren Local erheblich erweitert wurde, deren Ansehen, wie die jährlich durch ihn veröffentlichten Geschenkverzeichnisse zeigen, in weiter Ferne in hohem Maße zunahm, und deren Ruf besonders auch dadurch wuchs, daß zu Marquardt’s Zeit die Kataloge der werthvollen dort aufbewahrten orientalischen Manuscripte durch Pertsch in die Oeffentlichkeit kamen. Auch das muß noch erwähnt werden, daß Marquardt’s schriftstellerische Thätigkeit sich nicht auf die bereits erwähnten Werke beschränkte; außer den Jahresberichten über die von ihm geleiteten Schulanstalten hat er noch etwa ein Dutzend Recensionen und mehr als ein Dutzend kleinerer Abhandlungen veröffentlicht, meistens dem Gebiete der römischen Alterthumskunde angehörig. Seine Privatlectüre umfaßte unendlich weitere Gebiete, wovon zahlreiche, bei Gelegenheiten gehaltene, oft außerordentlich tiefsinnige und stets geschmackvolle Vorlesungen Zeugniß gaben, wie über Aeschylus’ Prometheus, über Dante, Wolfram von Eschenbach, Ariost, Macchiavelli, Tasso, Camoens, W. von Humboldt, die Poesien der Hamâsa, die Novelle und andere Stoffe; bezeichnend ist es für seine zugleich vornehme und bescheidene Art, daß er in die volle Oeffentlichkeit nur auf Gebieten trat, in denen er unbestritten Meister war. Mit ungeschwächtem Geiste und in ungeschwächter Körperkraft, die ihm auch größere Fußtouren noch möglich machte, erreichte er sein siebzigstes Lebensjahr, getragen von der Verehrung Aller, die ihm nahe standen, und ausgezeichnet durch das fortdauernde Wohlwollen seines Landesfürsten, der ihn inzwischen auch zum Geheimen Oberschulrath ernannt hatte. Sein siebzigster Geburtstag, der ihm zahlreiche Beweise von Liebe und Hochachtung aus der Nähe und Ferne brachte, war ein schönes Abendroth seines Lebens. Die Hinfälligkeit des Alters zu erleben war ihm nicht beschieden. Gegen Ende des November 1882 überfiel ihn ein heftiger Brustkrampf und schon am letzten Tage desselben Monats verschied er. Sein Leben ist in liebevoller und treffender Darstellung geschildert worden in der Gedächtnißrede, die R. Ehwald auf ihn gehalten hat und die im Gothaer Programm von 1883 gedruckt ist; ebendaselbst findet man auch das Verzeichniß der von M. erschienenen Schriften.