BLKÖ:Michiel, Justina

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Micheuz, Georg
Band: 18 (1868), ab Seite: 218. (Quelle)
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Michiel, Justina (Schriftstellerin und Künstlerin, geb. zu Venedig 15. October 1755, gest. ebenda 6. April 1832). Eine Tochter Paul Renier’s, eines venetianischen Edelmannes aus alter und berühmter Familie, und der Cäcilia Manin, deren Bruder Ludwig Doge war. Sie erhielt eine vortreffliche Erziehung und heirathete, 20 Jahre alt, den Patrizier Marco Anton Michiel. Mit ihrem Gemal begab sie sich nach Florenz, dann nach Rom, wo ihr Geist und ihre Anmuth bald einen Kreis von Auserlesenen um sie versammelte, unter denen Vicenzo Monti, Hippolyt Pindemonte u. A. sich befanden. Als ihr Vater, der, während sie in Rom lebte, am päpstlichen Hofe die Stelle des Gesandten der Republik bekleidete, diese Stelle niederlegte, begab auch sie sich gleich ihm nach Venedig zurück, wo ihre Neigung für Literatur um so reger wurde, als der Verkehr mit Männern wie Bettinelli [Bd. I, S. 357], Canova [Bd. II, S. 251], Cesarotti [Bd. II, S. 327], Diedo [Bd. III, S. 282], Foscolo [Bd. IV, S. 302], Francesconi [Bd. IV, S. 313], Gamba [Bd. V, S. 80] u. A. dieselbe nährte und förderte. Von dem bloßen Genusse geistiger Schöpfungen war der Schritt zum Selbstschaffen nur ein kleiner, und sie begann mit einer Uebersetzung der Dramen Shakespeare’s, von denen „Othello“, „Macbeth“ und „Coriolan“ bei Constantini in Venedig in den Jahren 1798 und 1802 im Drucke erschienen. Die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt richtete sich aber erst auf sie, als sie die „Lettera al signore di Chateaubriand“ veröffentlichte, welcher Brief bald in mehreren der gelesensten Journale jener Zeit nachgedruckt wurde. Chateaubriand hatte nämlich in einem Briefe an einen Freund, datirt aus Triest, 30. Juli 1806, dessen Begeisterung für Venedig durch ein geringschätzendes Urtheil über die Lagunenstadt, welches in der Phrase: Venice est une ville contre nature gipfelte, zu dämpfen gesucht. Auf diesen Brief, mit dem Angriffe auf ihre Vaterstadt, gab nun Justina dem berühmten Franzosen öffentlich eine Antwort, in welcher unter anderem auch, als Abfertigung der obigen Phrase Chateaubriand’s, die treffende Stelle sich befindet: non, ce n’est pas contre nature, monsieur, c’est au dessus de la nature que Venise c’est elevée (nein, mein Herr, nicht gegen die Natur, sondern über die Natur hinaus hat Venedig sich erhoben). Noch mehr aber steigerte sich ihr literarischer Ruf durch ein bis jetzt unübertroffenes Werk, betitelt: „Origine delle feste Veneziane“, welches, ebenso anziehend durch die Form als den geschichtlichen Inhalt, bald allgemeine Aufmerksamkeit fand. Die erste, jetzt schon ungemein seltene und sehr gesuchte Ausgabe erschien zu Venedig in fünf Bänden (1817–1827, 8°., coi tipi dell’ Alvisopoli) mit der französischen, unter Justina’s Aufsicht bewerkstelligten Uebersetzung zur Seite; eine zweite minder schöne Ausgabe, welcher aber der französische Text fehlt und bei welcher überdieß mehrere Auslassungen zu beklagen sind, erschien in Mailand bei Lampato im Jahre 1829 mit col. Abbildungen; endlich eine dritte wurde in neuerer Zeit, 1855 u. f., von Gaetano Longo in Venedig veröffentlicht. Dieses Hauptwerk der Michiel, womit sie viele Jahre beschäftigt war, sichert der Verfasserin ein bleibendes Andenken und verdient als das Werk einer Frau, welches [219] ein Mann nicht tüchtiger und gründlicher hätte vollenden können, volle Würdigung. Sonst sind von ihr erschienen: „Vita della Sevigné“; – „Descrizione dell’ Isola di S. Lazzaro degli Armeni“; – „Lettera al pittore Demin“, ein Brief, geschrieben anläßlich eines Gemäldes von Demin [Bd. III, S. 237], welches die Hinrichtung Alberich’s da Romano vorstellt. Vieles von ihr befindet sich in Handschrift und wurde bis in die neuere Zeit von ihrer Nichte Andriana Renier Zanini aufbewahrt, es befanden sich darunter, außer ihrem Briefwechsel mit ihrem Vater, ein „Trattato sulla educatione“; – ein „Discorso sul modo di studiare la botanica“, – „Descrizioni di fiori e piante“; – „Narrazione di Giulietta et Romeo“ und noch einiges Andere. Auch sonst war Justina in den schönen Künsten, und zwar in der Musik, vornehmlich aber im Malen und Radiren, sehr geschickt. Von ihren Malereien ist besonders bemerkenswerth eine Folge von Blumenstücken, von ihr mit großer Meisterschaft ausgeführt, welche später in den Besitz von Vincenzo Basetto gelangte, auch mehrere von ihr radirte Blätter sind bekannt. Justina wurde 77 Jahre alt. Ihr Verwandter Paolo Zanini ließ von Luigi Zandomeneghi ihre Büste in Marmor ausführen, und von Mariana Pascoli-Angeli wurde als Zoll der Bewunderung, welche sie für diese Zierde ihres Geschlechtes fühlte, ihr lebensgroßes Bildniß in Oel gemalt. Justina liegt zu San Michele di Murano begraben, und dort verkündet ihr Grabstein in einer Inschrift, deren Verfasser Leopardo Martinengo ist, ihre Verdienste.

Zanini (Paolo), Saggio della vita e degli studi di Giustina R. Michiel [gelesen im Athenäum zu Venedig]. – Omnibus (venetianisches Unterhaltungsblatt, 4°.) 1855, S. 149, 153 u. 189. – Tipaldo (Emilio de), Biografia degli Italiani illustri nelle scienze, lettere ed arti del secolo XVIII e de’ contemporanei (Venezia 1841, tipografia di Alvisopoli, gr. 8°.) Tomo II, p. 358–365. – Dandolo (Girolamo), La Caduta della repubblica di Venezia ed i suoi ultimi cinquant’ anni. Studii storici (Venezia 1858, Naratovich, 8°.) p. 152–158. – Nouvelle Biographie générale ... publiée par MM. Firmin Didot frères, sous la direction de M. le Dr. Hoefer (Paris 1850 et s., 8°.) Tome XXXV, p. 431 [nach dieser gest. 7. April 1832, während alle obigen vorgenannten Quellen im 6. April, als ihrem Todestage, übereinstimmen]. – Denkmal. Erst vor einigen Jahren wurde die Aufstellung ihrer Büste im Ateneo zu Venedig und als Inschrift die folgende, von Luigi Correr entworfene, beantragt:
Giustina Renier Michiel veneziana
Avo Zio Padrino ebbe Dogi
Ingenua d’ animo e di fino intelletto
Principale testimonio degli studi di lei
le Feste Veneziane
insegnano quali esser dobbano
per ogni popolo
e fossero ai Veneziani del miglior tempo
onorate cagioni di publica allegrezza
vissuta anni presso a LXXVIII
lasció la terra nel MDCCCXXXII
famosa e desiderata
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