„Chirurgische Wundinfektion“ – Versionsunterschied

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Version vom 19. August 2019, 14:25 Uhr

Chirurgische Wundinfektionen (postoperative Wundinfektionen, englisch, surgical site infections, SSI) sind Infektionen, die in Folge eines chirurgischen Eingriffs (Operation) auftreten. Sie gehören neben katheterassoziierten Harnwegsinfektionen, beatmungsassoziierten Pneumonien und katheterassoziierten Blutstrominfektionen zu den häufigsten nosokomialen Infektionen. Für das Jahr 2006 wurden in deutschen Krankenhäusern ca. 255.000 SSI ermittelt.[1][2] Die SSI-Raten hängen wesentlich von der Art des Eingriffes, dem Risikoprofil des Patienten und den hygienischen Bedingungen ab.


Ätiopathogenese

Die patienteneigene Bakterienflora (v.a. im Darm, auf der Haut oder in den Atemwegen) ist die häufigste Quelle für chirurgische Wundinfektionen (endogene Infektion). Die meisten Infektionen ereignen sich intraoperativ (während einer Operation), dies gilt auch für die selteneren exogenen Infektionen (Erreger werden von außen eingebracht, z.B. durch Oberflächen und anschließende Transmission durch das Operationspersonal).  Durch den operativen Eingriff werden die natürlichen Körperbarrieren mechanisch aufgehoben (z.B. Durchtrennung des Dickdarms bei einer Operation wegen Dickdarmkrebs); gleichzeitig wird das Abwehrsystem des Patienten durch den Eingriff geschwächt. Die meisten Erreger chirurgischer Wundinfektionen sind Bakterien. Am häufigsten finden sich  Staphylococcus aureus, koagulasenegative Staphylokokken, Enterobacteraceae, Enterokokken und Anaerobier. Pilze wie z.B. Candida albicans können ebenfalls ursächlich sein. Häufig sind Mischinfektionen.

Folgende Risikofaktoren können auf Patientenseite vorliegen (dispositionelle Risikofaktoren): hohes Alter, Immunsuppression (herabgesetzte körpereigene Abwehr, nachgewiesener Zusammenhang z.B. für HIV-Infektion,  Nierentransplantation oder kolorektales Karzinom), Begleiterkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus, Infektionen oder Besiedlung mit bestimmten Keimen (z.B. Staphylococcus aureus), Adipositas bzw. ein Body mass index (BMI) von über 25 bzw. 30, Rauchen,  Anämie und präoperative Mangelernährung.[1]

Auch operationstechnische Faktoren tragen zum Risiko einer postoperativen Wundinfektion bei. Dazu zählen z.B. die Art der Haarentfernung vor der Operation, der Kontaminationsgrad des operativen Eingriffs, die Hautdesinfektion des Operationsgebietes, die Dauer der Operation und das hygienische Verhalten des Operationspersonals. Auch ein  hoher Blutverlust und/oder eine intraoperative Bluttransfusion können eine Wundinfektion begünstigen.[3]

Sowohl die Inzidenz postoperativer Wundinfektionen als auch das Erregerspektrum hängen von der Art des Eingriffs ab und sind in den verschieden operativen Disziplinen sehr unterschiedlich (in der Bauchchirurgie beispielsweise deutlich höhere Infektionsraten als in der Augenchirurgie).


Klinisches Bild

Bei oberflächlichen Wundinfektionen finden sich an Haut und Unterhaut die Kardinalsymptome der Entzündung: Rötung der Wundränder (rubor), Überwärmung (calor), Druckschmerzhaftigkeit (dolor), Schwellung (tumor), gestörte Wundheilung mit Exsudation (functio laesa). Die Ausbildung eines Abszesses (abgekapselte Entzündung mit Eiterbildung) oder einer Phlegmone (diffuse, das Gewebe durchsetzende Entzündung) sind möglich (purulente oder pyogene Entzündung). Es kann zu einer Wunddehiszenz (Auseinanderklaffen der Wundränder) kommen. In tieferen Schichten können eine Fasziitis oder Abszesse entstehen, im Bereich der großen Körperhöhlen eine eitrige Peritonitis (Abdominalhöhle) oder ein Pleuraempyem (Thorax), an den Knochen und Gelenken kann sich eine Osteoyelitis ausbilden. Bei einliegendem Fremdmaterial (Gelenkprothesen, synthetische Netze u.a.) können Prothesen- oder Netzinfektionen entstehen.


Einteilung

Von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) wurde 1999 eine inzwischen international anerkannte Klassifikation für chirurgische Wundinfektionen publiziert.[4] Sie unterscheidet drei Grade[5]:

Kategorie A1: postoperative oberflächliche Wundinfektion

Folgende Kriterien müssen erfüllt sein: Infektion an der Hautinzisionsstelle innerhalb von 30 Tagen nach der Operation, die nur Haut oder subkutanes Gewebe mit einbezieht

und eines der folgenden Kriterien:

– eitrige Sekretion aus der oberflächlichen Inzision

– kultureller Nachweis von Erregern aus der Wunde

– eines der folgenden Anzeichen: Schmerz oder Berührungsempfindlichkeit, Schwellung, Rötung oder Überwärmung und bewusst Eröffnet der oberflächlichen Inzision durch den Chirurgen. Dieses Kriterium nicht bei Vorliegen einer negativen mikrobiologischen Kultur der oberflächlichen Inzision.

– Diagnose des behandelnden Arztes

Kategorie A2: postoperative tiefe Wundinfektion

Folgende Kriterien müssen erfüllt sein: Infektion innerhalb von 30 Tagen nach der Operation

und Infektion scheint mit der Operation in Verbindung zu stehen

und erfasst Faszienschicht und Muskelgewebe

und eines der folgenden Kriterien trifft zu:

– eitrige Sekretion aus der Tiefe der Inzision,

– spontan oder vom Chirurgen bewusst eröffnet,

– Abszess oder sonstige Zeichen der Infektion in den tieferen Schichten

Kategorie A3: Infektionen von Organen und Körperhöhlen im Operationsgebiet

Folgende Kriterien müssen erfüllt sein: Infektion innerhalb von 30 Tagen nach der Operation und Infektion scheint mit der Operation in Verbindung zu stehen

und erfasst Organe oder Köperhöhlen, die während der Operation eröffnet wurden oder an denen manipuliert wurde und eines der folgenden Kriterien trifft zu:

– eitrige Sekretion aus einer Drainage, die Zugang zu dem Organ bzw. der Körperhöhle hat

– kultureller Erregernachweis

– Abszess oder sonstige Zeichen einer Infektion des Organs bzw. der Körperhöhle


Therapie

Die Therapie postoperativer Wundinfektionen erfolgt je nach Art, Ausdehnung und Erreger entweder konservativ mittels antibiotischer Behandlung (z.B. bei einer Phlegmone), antiseptischer Auflagen und Kühlung oder chirurgisch (Eröffnung der Wunde, Abszessspaltung bzw. operative Revision mit Spülung, Débridement, Drainageneinlage oder Entfernung von einliegendem Fremdmaterial). Oft muss eine sekundäre Wundheilung abgewartet werden. In bestimmten Fällen ist eine erneute Naht der Wunde nach Konditionierung des Wundgrundes/-ränder mittels einer Vakuum-Schwamm-Therapie möglich. Fremdmaterial darf erst wieder implantiert werden, wenn die Infektion ausgeheilt ist.


Prävention

Ein frühzeitiger oraler bzw. enteraler Kostaufbau vermindert das Risiko einer SSI ebenso wie eine gute Einstellung bei bestehendem Diabetes mellitus. Tabak- und Alkoholkarenz sowie Gewichtsreduktion wirken sich ebenfalls protektiv aus. Vorbestehende Anämien sollten behandelt werden.

Zur Vermeidung und Reduktion des Auftretens chirurgischer Wundinfektionen müssen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes die Empfehlungen der KRINKO beachtet werden (Empfehlung Prävention postoperativer Wundinfektionen[1]). Im Folgenden sind wesentliche Empfehlungen in Auswahl, z.T. gekürzt und modifiziert widergeben:

Prä-/intraoperative Maßnahmen:

Es wird empfohlen:

  • soweit möglich, präoperativ bestehende Infektionen beim Patienten zu erkennen und zu behandeln (Kat. IB).
  • bei bestimmten Operationen Dekolonisation von Staphylovoccus aureus mittels Nasensalbe und Körperwaschung durchzuführen
  • vor kolorektalen Operationen eine mechanische Darmentleerung in Verbindung mit oraler Antibiotikagabe durchzuführen (Kat. II).
  • Haare im Operationsgebiet mittels Kürzen der Haare und nicht durch Rasur zu entfernen (Kat. IA).
  • OP-Personal: gesamte Oberbekleidung einschließlich der Schuhe abzulegen und im reinen Bereich nach hygienischer Händedesinfektion keimarme (im Desinfektions-Waschverfahren aufbereitete) Bereichskleidung (z. B. Hose, Hemd/Kittel, OPSchuhe) anzulegen (Kat. II). Keinen Schmuck, Ringe oder Uhren an Unterarmen und Händen zu tragen (Kat. II) bzw. andere gefahrenträchtige Schmuckstücke sowie keine künstlichen Fingernägel und keinen Nagellack (Kat. IB).
  • Mund-Nasen-Schutz (MNS) und Haarschutz anzulegen (Kat. IB).
  • als Mittel der Wahl für die chirurgische Händedesinfektion arzneilich zugelassene alkoholbasierte Präparate anzuwenden (Kat. IB);
  • sterile Operationskittel, sterile Handschuhe (Kat. IB). Bei Operationen, die erfahrungsgemäß mit einer vermehrten Läsion von Handschuhen einhergehen, zwei Paar Handschuhe zu tragen (Kat. II). Handschuhe unmittelbar vor Implantation einer Gelenkendoprothese zu wechseln (Kat. II).
  • im Operationsraum eine gründliche Antiseptik der Haut des Operationsgebietes mit einem Alkohol-basierten Hautantiseptikum durchzuführen (Kat. IA). Durch Zusatz eines remanent wirkenden Antiseptikums wird eine über die Wirkung von Alkohol hinaus anhaltende Wirkung erreicht (Kat. IB). Während der deklarierten Einwirkzeit das Hautareal satt benetzt und feucht zu halten, bevorzugt durch mehrfaches Aufbringen des Antiseptikums. Dabei auf die längere Einwirkzeit auf talgdrüsenreichen Hautarealen zu achten (Kat. II).
  • nach der Antiseptik des OP-Feldes die Umgebung des Operationsgebietes steril abzudecken (Kat. IB)
  • während der Operation die Anzahl der im Operationsraum Anwesenden, deren Fluktuation und deren Sprechen auf ein Mindestmaß zu begrenzen, die Türen des Operationsraumes, soweit möglich, geschlossen zu halten (Kat. II).
  • die Indikation zu einer systemischen antibiotischen Prophylaxe eingriffsspezifisch zu stellen (Kat. IA). Mehrfachdosierungen während der Operation ausschließlich bei sehr lang dauernden Operationen vorzunehmen (Kat. IA). Auf eine verlängerte Antibiotikagabe nach OP-Ende zu verzichten (Kat. IA).
  • die Anwendung von Hautschutz- und Hautpflegepräparaten im Hautschutzplan festzulegen (Kat. II/IV).


Postoperative Maßnahmen:

Es wird empfohlen,

  • die OP-Wunde am Ende der Operation mit einer sterilen Wundauflage abzudecken. Der erste Verbandwechsel nach etwa 48 Stunden durchzuführen, sofern nicht Hinweise auf eine Komplikation zu einem früheren Verbandwechsel Anlass geben (Kat. IB). Ist danach die Wunde trocken und verschlossen, kann unter hygienischen Aspekten auf eine erneute sterile Wundabdeckung verzichtet werden (Kat. IB). Die regelmäßige ärztliche Inspektion der Wunde ist Teil einer vollständigen und sachgerechten Nachsorge. Drainagen (unter hygienischem Aspekt) möglichst frühzeitig zu entfernen (Kat. II); der Zeitpunkt der Entfernung ist chirurgisch determiniert.
  • dem Patienten zusätzlich zur erforderlichen Aufklärung über die mit der OP verbundenen Risiken Basisinformationen über die Möglichkeiten zu vermitteln, durch hygienebewusstes Handeln und rechtzeitige Information über einen abweichenden Heilungsverlauf einer SSI vorzubeugen (Kat. II).
  • Die Benutzung unterschiedlicher Verbandwagen für aseptische und infizierte Wunden ist nicht erforderlich – entscheidend ist, den Wagen grundsätzlich vor Kontamination zu schützten.


Räumliche-technische Gestaltung der OP-Abteilung:

Es wird empfohlen:

  • falls Instrumentiertische nicht im OP vorbereitet werden, sondern in einem gesonderten Raum (Vorbereitungsraum für Instrumentiertische), dort die gleichen hygienischen Bedingungen (z. B. Lüftungsbedingungen) wie im OP zu gewährleisten.
  • in der Personalumkleide die reine und unreine Seite mindestens funktionell zu trennen.
  • Den Aufwachraum baulich bevorzugt an den Übergang von der OP-Abteilung zum übrigen Krankenhaus zu legen und durch funktionelle und organisatorische Maßnahmen einer Durchbrechung des Prinzips der Personalschleuse entgegenzuwirken.
  • für die Materialversorgung einen Raum oder eine Zone vorzuhalten, wo die Güter ohne Transportverpackung angeliefert werden. Entsprechend für die Entsorgung einen separaten Entsorgungsraum vorzuhalten.
  • Die hygienischen Anforderungen an die räumliche Gestaltung von Operationsabteilungen richten sich nach der jeweiligen Aufgabenstellung. Durch eine adäquate Raumplanung wird eine sinnvolle Ablauforganisation erleichtert und sichergestellt, dass bei allen Operationen (unabhängig von ihrer fachlichen Zuordnung und ihrem Kontaminationsgrad) mit ausreichend Platz hygienisch einwandfreies Arbeiten unter Berücksichtigung der jeweiligen medizintechnischen Ausrüstung und des Personalaufwands möglich ist. Für OP-Abteilungen mit stark heterogenem Leistungsaufkommen empfiehlt sich eine Zonierung .
  • In die OP-Räume (und ggf. Vorbereitungsräume für das Herrichten von Instrumentiertischen) wird dreifach gefilterte Luft eingeleitet. Die OP-Säle haben eine Überdruckhaltung im Vergleich zu den Nebenräumen.
  • Operationen mit geringem SSI-Risiko können unter modifizierten räumlichen Bedingungen durchgeführt werden. Ein geringes Infektionsrisiko ist z. B. gegeben bei kleinen Eingriffen an der Haut/Subkutis, am Auge, in der Mund-, Kiefer-, Stirnhöhle, Endoskopien von Körperhöhlen, Abzesseröffnung sowie für die interventionellen radiologischen und kardiologischen Eingriffe (außer mit regelhaft erwartetem Verfahrenswechsel(…) Noch geringer ist das Infektionsrisiko bei im Hautniveau liegenden Tumoren oder Fremdkörpern (außer wenn sehr ausgedehnt) sowie bei Verletzungen der Haut oder der Subkutis (außer wenn sehr ausgedehnt). Diese invasiven Maßnahmen können auch in einem Raum durchgeführt werden, der nicht in eine OP-Abteilung integriert ist.
  • Die Frage, ob eine Operation „ambulant“ oder „stationär“ durchgeführt wird (d. h. mit oder ohne 24-Stunden-Aufenthalt, bzw. ob nach EBM oder DRG-Katalog abgerechnet wird) spielt für die Einschätzung des SSI-Risikos keine Rolle.
  1. a b c RKI: Prävention postoperativer Wundinfektionen. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut, abgerufen am 19. August 2019.
  2. P Gastmeier, C Geffers: Nosokomiale Infektionen in Deutschland: Wie viele gibt es wirklich? In: DMW - Deutsche Medizinische Wochenschrift. Band 133, Nr. 21, Mai 2008, ISSN 0012-0472, S. 1111–1115, doi:10.1055/s-2008-1077224 (doi.org [abgerufen am 19. August 2019]).
  3. Ford CD, VanMoorleghem G, Menlove RL: Blood transfusions and postoperative wound infection. In: Surgery. S. 113(6):603–607.
  4. Sandra I. Berríos-Torres, Craig A. Umscheid, Dale W. Bratzler, Brian Leas, Erin C. Stone: Centers for Disease Control and Prevention Guideline for the Prevention of Surgical Site Infection, 2017. In: JAMA Surgery. Band 152, Nr. 8, 1. August 2017, ISSN 2168-6254, S. 784, doi:10.1001/jamasurg.2017.0904 (doi.org [abgerufen am 19. August 2019]).
  5. Elisabeth Maurer, Alexander Reuss, Katja Maschuw, Behnaz Aminossadati, Thomas Neubert: Superficial surgical site infection following the use of intracutaneous sutures versus staples—a randomized single-center trial in an elective gastrointestinal surgery setting. In: Deutsches Aerzteblatt Online. 24. Mai 2019, ISSN 1866-0452, doi:10.3238/arztebl.2019.0365, PMID 31315799, PMC 6647811 (freier Volltext) – (aerzteblatt.de [abgerufen am 19. August 2019]).