Adversiale Zusammenarbeit

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Als adversiale Zusammenarbeit oder gegnerschaftliche Zusammenarbeit werden in der Wissenschaft Formen der Zusammenarbeit bezeichnet, bei denen Vertreter gegensätzlicher Auffassungen gemeinsam daran arbeiten, das Wissen auf einem strittigen Gebiet zu erweitern. Zum Beispiel können zwei Gruppen von Experimentatoren mit konkurrierenden Hypothesen einen Versuchsaufbau so gestalten, dass beide Gruppen davon überzeugt sind, dass das experimentelle Vorhaben keine offensichtlichen Verzerrungen oder Schwächen aufweist.[1] Die adversiale Zusammenarbeit kann einen neutralen Moderator einbeziehen[2] und zu einem gemeinsam entworfenen Experiment und einer gemeinsamen Veröffentlichung der Ergebnisse führen, mit den Ziel, Sachstreitigkeiten zu klären.[3] Mit ihrer Betonung der Transparenz während des gesamten Forschungsprozesses wird die adversiale Zusammenarbeit oft als Bestandteil von Open Science (offener Wissenschaft) beschrieben.[4]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eines der frühesten Beispiele für eine adversiale Zusammenarbeit war ein gemeinsames Projekt von Miriam Erez und Gary P. Latham im Jahr 1988, bei der Edwin Locke als neutraler Dritter fungierte. Die Zusammenarbeite kam aufgrund einer Meinungsverschiedenheit auf dem Gebiet der Zielsetzungsforschung zustande, bei der es um die Auswirkung von Teilhabe auf Zielbindung und Zielerreichung ging. Latham und Erez entwarfen vier Experimente, die die Unterschiede zwischen ihren jeweiligen Einzelnergebnissen erklärten. Sie prägten allerdings noch nicht den Begriff der adversialen Zusammenarbeit.[2] Unabhängig von Erez, Locke und Latham, deren Arbeit er nicht kannte, entwickelte Daniel Kahneman etwa zehn Jahre später ein ähnliches Protokoll und verwendete dafür den Begriff der adversialen Zusammenarbeit.[5][6] In jüngerer Zeit haben Cory J. Clark und Philipp E. Tetlock die adversiale Zusammenarbeit als Mittel zur Verbesserung der Selbstkorrektur in der Wissenschaft vorgeschlagen, wobei das Verfolgen rivalisierender Hypothesen zum Aufdecken von Falschbehauptungen führen soll.[7] Auf Grundlage ihrer Arbeit hat die School of Arts & Sciences der University of Pennsylvania das Adversarial Collaboration Project[8] ins Leben gerufen, das den Einsatz der adversialen Zusammenarbeit als Forschungsansatz für eine Vielzahl von Forschungsfragen fördern soll.[9]

Vorteile[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Daniel Kahneman und andere empfehlen adversiale Zusammenarbeit als Mittel, um die Auswirkungen kognitiver Verzerrungen auf das Denken zu verringern[10][11] und strittige wissenschaftliche Fragen zu klären.[12] Adversiale Zusammenarbeit wurde auch als Strategie zur Verbesserung akademischer Kommentare empfohlen.[13]

Philip Tetlock und Gregory Mitchell haben adversiale Zusammenarbeit in verschiedenen Artikeln diskutiert. Sie führen aus:

„Eine adversiale Zusammenarbeit ist am ehesten dann möglich, wenn sie am wenigsten nötig ist: wenn die streitenden Parteien überprüfbare Theorien entwickelt haben, sich auf einen gemeinsamen Kanon für die Prüfung dieser Theorien stützen und die Meinungsverschiedenheiten robust, aber respektvoll sind. Und eine kontradiktorische Zusammenarbeit ist dann am wenigsten möglich, wenn sie am dringendsten benötigt wird: wenn der wissenschaftlichen Gemeinschaft klare Kriterien für die Falsifizierung von Standpunkten fehlen, sie sich in wichtigen methodischen Fragen nicht einig ist, sie sich auf zweit- oder drittbeste Ersatzmethoden für die Überprüfung der Kausalitäten verlässt und sie in gegnerische Lager zersplittert ist, die sich in ad hominem-Gehabe ergehen und die enge Verbindungen zu politischen Akteuren haben, die jedes Zugeständnis als Schwäche ansehen.“[14]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Penn Arts and Sciences: Adversarial Collaboration Project. In: Adversarial Collaboration Project. Abgerufen am 7. Januar 2022 (englisch).
  2. a b Gary P. Latham, Miriam Erez, Edwin A. Locke: Resolving scientific disputes by the joint design of crucial experiments by the antagonists: Application to the Erez–Latham dispute regarding participation in goal setting. In: Journal of Applied Psychology. 73. Jahrgang, Nr. 4, 1988, ISSN 1939-1854, S. 753–772, doi:10.1037/0021-9010.73.4.753 (englisch, apa.org).
  3. Edwin A. Locke, Gary P. Latham, Miriam Erez: The Determinants of Goal Commitment. In: The Academy of Management Review. Band 13, Nr. 1, 1988, ISSN 0363-7425, S. 23–39, doi:10.2307/258352, JSTOR:258352.
  4. Tim Rakow: Adversarial Collaboration. In: Avoiding Questionable Research Practices in Applied Psychology. Springer International Publishing, Cham 2022, ISBN 978-3-03104968-2, S. 359–377, doi:10.1007/978-3-031-04968-2_16.
  5. Adversarial Collaboration: An EDGE Lecture by Daniel Kahneman | Edge.org. In: www.edge.org. Abgerufen am 20. Juni 2023 (englisch).
  6. Michele W. Berger, University of Pennsylvania: In the pursuit of scientific truth, working with adversaries can pay off. In: phys.org. Abgerufen am 20. Juni 2023 (englisch).
  7. Cory J. Clark, Thomas Costello, Gregory Mitchell, Philip E. Tetlock: Keep your enemies close: Adversarial collaborations will improve behavioral science. In: Journal of Applied Research in Memory and Cognition. 11. Jahrgang, Nr. 1, März 2022, ISSN 2211-369X, S. 1–18, doi:10.1037/mac0000004 (englisch, apa.org).
  8. In the pursuit of scientific truth, working with adversaries can pay off. In: Penn Today. 7. Juli 2022, abgerufen am 20. Juni 2023 (englisch).
  9. Research | Adversarial Collaboration Project. In: web.sas.upenn.edu. Abgerufen am 20. Juni 2023 (englisch).
  10. Kahneman, Daniel; Klein, Gary. Conditions for intuitive expertise: A failure to disagree. American Psychologist, Vol 64(6), Sep 2009, 515-526. doi:10.1037/a0016755
  11. C. J. Clark, P. E. Tetlock: Adversarial collaboration The next science reform. New York: Springer., New York 2022, S. 2–3 (englisch, researchgate.net).
  12. Wagenmakers, E.-J., Wetzels, R., Borsboom, D., & van der Maas, H. L. J. (2010). Why psychologists must change the way they analyze their data: The case of psi. (Memento vom 20. Januar 2011 im Internet Archive; PDF)
  13. Tom Heyman, Pieter Moors, Hugh Rabagliati: The benefits of adversarial collaboration for commentaries. In: Nature Human Behaviour. 4. Jahrgang, Nr. 12, 2020, ISSN 2397-3374, S. 1217, doi:10.1038/s41562-020-00978-6, PMID 33106628 (englisch, nature.com).
  14. Philip E. Tetlock, Gregory Mitchell: Implicit Bias and Accountability Systems: What Must Organizations Do to Prevent Discrimination? In: Research in Organizational Behavior. Band 29, 1. Januar 2009, ISSN 0191-3085, S. 3–38, doi:10.1016/j.riob.2009.10.002 (sciencedirect.com [abgerufen am 30. November 2023]).