Anwartschaftsrecht

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Das Anwartschaftsrecht ist eine Vorstufe zum Erwerb eines Rechts (z. B. dem Eigentum an einer Sache), die entsteht, wenn von dem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass der Veräußerer die Rechtsposition des Erwerbers nicht mehr durch eine einseitige Erklärung zerstören kann.[1] Es ist gesetzlich nicht definiert.

Rechtsnatur des Anwartschaftsrechts

Das Anwartschaftsrecht wird nach überwiegender Ansicht als subjektives Recht anerkannt. Es stellt jedoch kein gegen jedermann wirkendes dingliches Recht an einer fremden Sache dar, aber ein sehr starkes Recht und eine Vorstufe des Vollrechtserwerbs. Man bezeichnet es daher auch als wesensgleiches Minus zum Vollrecht.

Vollrecht

Das Vollrecht bezieht sich auf das Eigentum, das dem Eigentümer (Rechtssubjekt) einerseits die Sache in vollem Umfang zuordnet, und ihm andererseits die rechtliche Macht verleiht, mit ihr nach Belieben zu verfahren (vgl. § 903 BGB). Damit gibt das Vollrecht dem Inhaber ein umfassendes Herrschaftsrecht über die Sache.

Entstehen des Anwartschaftsrechts

  • Beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt erwirbt der Käufer mit der bedingten dinglichen Übereignung ein Anwartschaftsrecht
  • Mit dem Erbfall erwirbt der Nacherbe ein Anwartschaftsrecht sofern zunächst ein Vorerbe Erbe ist
  • Bewilligung einer Auflassungsvormerkung beim Grundstückskauf
  • Notarielle Beurkundung der Auflassung Grundstückskauf § 873 Abs. 2 BGB
  • Mit Einreichung des Antrages auf Auflassung durch den Erwerber beim Grundbuchamt
  • Durch Abschluss eines Erbvertrages, da dieser den Erblasser bindet
  • Die durch die Markenanmeldung begründete Rechtsstellung lässt sich als Anwartschaftsrecht begreifen (Voraussetzung: die Anmeldung ist formal in Ordnung und das begehrte Zeichen ist in der Sache schutzfähig)[2]
  • Gleiches gilt für die Patentanmeldung
  • Anwartschaftsrecht des Arbeitgebers vor Inanspruchnahme einer Diensterfindung

Schutz des Anwartschaftsrechts

Zwischenverfügungen und Vereitelung des Bedingungseintritts

Beim Eigentumsvorbehalt ist der Käufer durch die § 161, § 162 BGB vor Zwischenverfügungen des Verkäufers und der Vereitelung des Bedingungseintritts seitens des Verkäufers geschützt. Bedingungseintritt ist regelmäßig die vollständige Kaufpreiszahlung. Die unmittelbare Folge der vollen Kaufpreiszahlung ist der Eigentumserwerb des Käufers.

Dazu ein Beispielsfall: Der Fahrradhändler V verkauft dem Käufer K ein Fahrrad unter Eigentumsvorbehalt. Nach der Übergabe des Fahrrades bezahlt K die Hälfte des Kaufpreises an V. Nach ein paar Tagen verkauft V das Fahrrad, welches er bereits an K verkauft hat, an den D und übereignet es unbedingt nach § 931 BGB, indem er seinen Herausgabeanspruch gegen K an D abtritt. D ist nun vorübergehend Eigentümer des Fahrrades, welches jedoch mit dem Anwartschaftsrecht des K belastet ist. Zahlt K nun den Restkaufpreis an V, so wird K Eigentümer des Fahrrades und D verliert sein Eigentum daran, da die volle Kaufpreiszahlung des K den Bedingungseintritt herbeiführt. Dieses Ergebnis wird nach ganz herrschender Meinung durch die entsprechende Anwendung des § 936 Abs. 3 BGB ermöglicht.

D könnte nur lastenfreies Eigentum erwerben, wenn K das Fahrrad zu Reparaturzwecken dem V übergeben hätte, und V im Anschluss das Fahrrad an D nach § 929 BGB (durch Einigung und Übergabe) übereignet hätte. In diesem Fall kann D gutgläubig lastenfreies Eigentum erwerben und das Anwartschaftsrecht des K erlischt, vgl. § 161 Abs. 3 BGB.

Recht zum Besitz und Besitzschutz

Das Anwartschaftsrecht begründet nach einer Ansicht ein dingliches Recht zum Besitz – mit Wirkung gegenüber jedermann – im Sinne des § 986 BGB. Die herrschende Meinung lehnt dies jedoch ab, da das Anwartschaftsrecht als bloße Vorstufe zum Vollrechtserwerb nur den Eigentumserwerb schützen soll. Ein solcher Schutz sei aber auch dann möglich, wenn der Anwartschaftsberechtigte gar nicht Besitzer sei. Im Falle des Eigentumsvorbehaltskaufs ist die Annahme eines dinglichen Rechts zum Besitz aufgrund eines Anwartschaftsrechts regelmäßig ohnehin entbehrlich, da bereits der Kaufvertrag ein Recht zum Besitz der Sache im Sinne des § 986 BGB begründet. Der Verkäufer ist nämlich gemäß § 433 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Käufer den unmittelbaren Besitz an der Kaufsache zu verschaffen. Solange also der Kaufvertrag wirksam ist und fortbesteht, hat der Vorbehaltskäufer ein obligatorisches Besitzrecht aus dem Kaufvertrag; obligatorisch deshalb, weil es aus einem schuldrechtlichen Vertrag stammt. Solche Rechte können gemäß § 986 Abs. 2 BGB ein Recht zum Besitz begründen.

Darüber hinaus kann der Anwartschaftsinhaber auch Besitzschutzansprüche aus den §§ 858 ff. BGB und § 1007 BGB geltend machen. Diese Ansprüche richten sich auf Wiederherstellung des Besitzes bzw. Beseitigung der Besitzstörung. Nach herrschender Meinung sind daneben die § 985, § 1004 BGB analog anwendbar.

Deliktischer Schutz

Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Lehre ist das Anwartschaftsrecht als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Dem Geschädigten steht nach Ansicht des BGH der Wert der Sache unter Abzug des noch dem Verkäufer geschuldeten Restkaufpreises zu.

Wer das Markenanwartschaftsrecht verletzt, schuldet zwar keinen Schadensersatz; der Berechtigte ist jedoch zu entschädigen.[3] Die h. M. verneint demgegenüber jegliche Ansprüche.[4]

Übertragung

Erwerb vom Berechtigten

Das Anwartschaftsrecht wird entsprechend den § 929 ff. BGB wie das Vollrecht (Eigentum) durch Einigung und Übergabe der Sache übertragen. Die Übergabe kann durch Besitzkonstitut entsprechend der § 930, § 931 BGB ersetzt werden. Kraft obligatorischen Rechtsverhältnisses erlangt der Berechtigte hierbei lediglich mittelbaren Besitz. Problematisch sind in der Praxis häufig die Fälle, in denen die Sache nach § 930 BGB zur Sicherheit übertragen wird, ohne dem Erwerber mitzuteilen, dass der Veräußerer lediglich ein Anwartschaftsrecht an der Sache hat. Durch die sog. ergänzende Vertragsauslegung oder durch Umdeutung kommt man dann häufig zu dem Ergebnis, dass der Erwerber wenigstens das Anwartschaftsrecht erworben hat.

Erwerb vom Nichtberechtigten

Nach herrschender Meinung ist der gutgläubige Erwerb eines bestehenden Anwartschaftsrechts analog den §§ 932 ff. BGB möglich. Eine Mindermeinung hält dagegen, dass der Rechtsschein des Eigentums bereits dadurch zerstört sei, dass der Besitzer eingesteht, nur ein AnwR zu haben. Nicht möglich ist der gutgläubige Erwerb dagegen, wenn das Anwartschaftsrecht überhaupt nicht existiert.

Pfändung

Das Anwartschaftsrecht kann gepfändet werden. Dies ist z. B. dann notwendig, wenn Gläubiger auf Sachen zugreifen wollen, die zwar größtenteils abbezahlt sind, aber wegen eines Eigentumsvorbehalts noch im Eigentum des Verkäufers stehen.Umstritten ist jedoch, wie die Pfändung durchzuführen ist. Dazu werden drei Ansichten vertreten:

Theorie der reinen Rechtspfändung

Nach dieser Theorie genügt die Rechtspfändung, da sich bei Bedingungseintritt das Pfandrecht im Wege der dinglichen Surrogation an der Sache (Eigentum) fortsetze, analog § 857 ZPO i. V. m. § 829 ZPO.

Theorie der reinen Sachpfändung

Nach dieser Ansicht wird mit Pfändung der Sache auch gleichzeitig das Anwartschaftsrecht an ihr gepfändet. Der Eigentümer (Vorbehaltsverkäufer) könne dann nicht mit der Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO widersprechen, da ihm nur die Stellung des Inhabers eines besitzlosen Pfandrechts zukomme und er daher nur ein Recht auf vorzugsweiser Befriedigung aus dem Versteigerungserlös verlangen könne.

Theorie der Doppelpfändung (herrschende Meinung)

Die Pfändung geschieht nach § 857 ZPO i. V. m. § 829 ZPO. Es wird also zunächst das Anwartschaftsrecht und zusätzlich die Sache selbst gepfändet. Die zusätzliche Sachpfändung ist notwendig, damit sich bei vollständiger Zahlung des Kaufpreises das bisherige Pfandrecht am Anwartschaftsrecht in ein Pfandrecht an der Sache verwandeln kann. Dadurch wird vermieden, dass der Verkäufer durch die Pfändung belastet wird.

Untergang des Anwartschaftsrechts

Das Anwartschaftsrecht geht unter, wenn das ihm zugrunde liegende schuldrechtliche Verhältnis (z. B. der Kaufvertrag beim Eigentumsvorbehalt) aufgehoben wird. Ist der Bedingungseintritt nicht mehr möglich, so entfällt das Anwartschaftsrecht.

Siehe auch

Literatur

  • Fritz Baur, Jürgen F. Baur, Rolf Stürner: Sachenrecht. 18. Auflage. Verlag C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-54479-8, § 59 B. IV. 1. (Rn. 33, S. 755) und 5. a. (Rn. 45, S. 761).
  • Franz Hofmann: Immaterialgüterrechtliche Anwartschaftsrechte. Mohr Siebeck, Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-150151-7.
  • Karl Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts. 13. Auflage. Band II, Halbband 1: Besonderer Teil. Verlag C.H. Beck, München 1986, ISBN 3-406-09824-X, § 43 II. c. (S. 100 ff.).
  • Ludwig Raiser: Dingliche Anwartschaften. Mohr Siebeck, Tübingen 1961, S. 37 ff.
  • Jochen Lux: Das Anwartschaftsrecht bei bedingter Übereignung – bloßes Sprachkürzel oder selbstständiges absolutes Recht? In: Juristische Ausbildung. Verlag Walter de Gruyter, 2004, ISSN 0170-1452, S. 145 ff.

Einzelnachweise

  1. BGH-Urteil vom 5. Januar 1955 (IV ZR 154/54), In: NJW. Jahrgang 1955, S. 544.
  2. GRUR International. Jahrgang 2010, S. 376 (378 ff.)
  3. GRUR International. Jahrgang 2010, S. 376 (378 ff.)
  4. Paul Ströbele, Franz Hacker: Markengesetz. Kommentar. 9. Auflage. Carl Heymanns Verlag, Köln, § 4 Rn. 7.