Aʿyān thābita

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Der Begriff Aʿyān thābita (arabisch أعيان ثابتة, DMG aʿyān ṯābita ‚feststehende Wesenheiten‘) ist ein terminus technicus der islamischen Philosophie, der vor allem in der Denkschule, die sich auf die Lehren des andalusischen Mystikers Ibn Arabi († 1240) stützt, zu Bedeutung gelangt ist. Ibn Arabi selbst beschreibt sie als die nicht-existenten Objekte von Gottes Wissen und bekennt, dass er den Begriff der muʿtazilitischen Theologie entlehnt habe.[1] Das Attribut „feststehend“ (ثابت / ṯābit) wird für diese Wesenheiten deswegen verwendet, weil sie bereits in Gottes urewigem Wissen enthalten sind. Zur Existenz gelangen sie allerdings erst durch den Schöpfungsprozess. Aufgrund dieser Lehre ist der Begriff in westlichen Sprachen auch mit „Archetypen“ übersetzt worden. Ein Unterschied zwischen den platonischen Archetypen und den Aʿyān thābita besteht indessen darin, dass erstere das Modell für viele Individuen bilden, während bei letzteren jeder „feststehenden Wesenheit“ (عين ثابتة / ʿayn ṯābita) eine „existierende Wesenheit“ (عين موجودة / ʿayn mauǧūda) gegenübersteht.[2]

Bedeutung in der philosophischen Mystik nach Ibn Arabi

Der Theologe as-Sayyid asch-Scharīf al-Dschurdschānī (st. 1413) definierte die Aʿyān thābita, wie folgt:

„Es sind die Realitäten der kontingenten Dinge im Wissen Gottes und die Formen der Realitäten der göttlichen Namen in der Wissenssphäre (ḥaḍra ʿilmīya). Sie folgen ihr hinsichtlich der Essenz, nicht jedoch zeitlich, denn sie sind anfangsewig (azalīya) und endewig (abadīya). Mit Relativität (iḍāfa) ist nur die Posteriorität hinsichtlich der Essenz gemeint, nichts anderes.[3]

Der persische Mystiker Ǧāmi (st. 1492) fasste den speziellen Status dieser Wesenheiten in folgendes Bilde: „Die Aʿyān thābita haben nicht den Duft der Existenz gerochen.“[4]

Besonders große Bedeutung hat das Konzept der Aʿyān thābita später in der islamischen Mystik Südostasiens erlangt. Ḥamza Fanṣūrī, der im frühen 17. Jahrhundert am Hof des Sultans von Aceh lebte, lieferte in seinem Werk Asrār al-ʿārifīn zwölf theologische Herleitungen für diese Wesenheiten.[5] Auch in der javanischen Bearbeitung des arabischen sufischen Werkes at-Tuḥfa al-mursala ilā rūḥ an-nabī spielt das Konzept eine wichtige Rolle.[6]

Kritik an dem Konzept

Einer der artikuliertesten Kritiker der aʿyān-thābita-Theorie war der hanbalitische Gelehrte Ibn Taimiya (gest. 1328). Er meinte, dass Ibn Arabi den aʿyān thābita eine eigene Existenz zuschriebe und damit das islamische Dogma des Tauhīd verletzte. Außerdem argumentierte er, dass durch die Annahme derartiger präexistenter Wesenheiten Gottes Allmacht auf unzulässige Weise beschränkt würde.[7]

Ähnliche Einwände gegen die aʿyān-thābita-Theorie trug später Nūr ad-Dīn ar-Rānīrī vor, der in der Zeit von Iskandar II. Thani Ala (reg. 1636–1641) der tonangebende Hofgelehrte im Sultanat von Aceh war.[8] Er ließ die Bücher von Ḥamza Fanṣūrī und seinem Schüler Samatrānī öffentlich verbrennen und ihre Schüler hinrichten.[9]

Einzelnachweise

  1. Vgl. Chittick 83
  2. Vgl. Chittick 84.
  3. Vgl. as-Sayyid asch-Scharīf al-Dschurdschānī: Kitāb at-Taʿrīfāt. Ed. Gustav Flügel. Leipzig 1846. S. 30. Online verfügbar: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10249383_00349.html
  4. Vgl. Ǧāmi: Lawāʾiḥ fī bayān maʿānī ʿirfānīya. Ed. E.H. Whinfield u. M.M. Qazvini. London 1906. S. 35. Online verfügbar: https://archive.org/details/lawaih00jaamuoft
  5. Vgl. S.M.N al-Attas: The Mysticism of Ḥamzah Fanṣūrī. Kuala Lumpur 1970. S. 81–86.
  6. Vgl. Johns 14f.
  7. Vgl. Alexander Knysh: Ibn ‘Arabī in the Later Islamic tradition. The Making of a Polemical Image in Medieval Islam. Albany 1999. S. 101f.
  8. Vgl. Johns 113f.
  9. Amirul Hadi: Islam and State in Sumatra. A Study of Seventeenth Century Aceh. Leiden 2004. S. 155.

Literatur

  • William Chittick: „The Sufi path of knowledge. Ibn al-Arabi's Metaphysics of Imagination“. Albany 1989.
  • A.H. Johns: The Gift addressed to the spirit of the prophet. Canberra 1965.