Catch-all-Partei

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Catch-all-Partei (englisch catch-all party; manchmal als „Allerweltspartei“ oder „(echte) Volkspartei“ ins Deutsche übersetzt, was es aber nicht ganz trifft[1]) bezeichnet in der Politikwissenschaft eine strategische und organisatorische Ausrichtung politischer Parteien. Sie ist geprägt von Entideologisierung, Abkehr von einer Wählerschaft auf Klassen- oder Konfessionsbasis (und damit Abwendung von der Strategie der „Milieu-“ oder „Weltanschauungspartei“), Stärkung der Parteispitze und gleichzeitig Rollenentwertung der einzelnen Parteimitglieder (und damit Weiterentwicklung von der „Massenintegrationspartei“) sowie Streben nach Verbindungen zu Interessensverbänden. Mit möglichst allgemein gehaltenen Programmen sollen möglichst viele Wählerstimmen, auch außerhalb eines bestimmten Klientels gewonnen werden.[2][3][4][5]

Der Begriff und die Theorie wurden von Otto Kirchheimer 1965 in den Fachdiskurs eingeführt.[6] Beispielhaft führte er die Entwicklung der beiden großen Parteien im damaligen Westdeutschland um 1960 an. Eine ähnliche Tendenz wurde aber auch in den Parteiensystemen weiterer westlicher Industrieländer beobachtet. Als Gründe für die Entwicklung von Catch-all-Parteien wurden von Kirchheimer und den Unterstützern seiner These sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Veränderungen – Abschwächung von Klassengegensätzen und anderen gesellschaftlichen Konfliktlinien (Cleavages), Wachstum der Mittelschicht – sowie die zunehmende Verbreitung von Massenmedien, die es den Führungsebenen der Parteien ermöglichten, direkt potenzielle Wähler anzusprechen ohne die dazwischengeschalteten Gliederungen der klassischen Mitgliederparteien.[3]

Literatur

  • Otto Kirchheimer: Der Wandel des westdeutschen Parteisystems. In: Politische Vierteljahresschrift. Band 6, 1965, S. 20-41.

Einzelnachweise

  1. Gerardo L. Munck: Vergleichende Demokratieforschung. In: Dirk Berg-Schlosser, Ferdinand Müller-Rommel (Hg.) Vergleichende Politikwissenschaft. 4. Auflage, VS Verlag, Wiesbaden 2003, S. 129–150, auf S. 139.
  2. Oskar Niedermeyer: Die Analyse von Parteiensystemen. In: ders. (Hg.) Handbuch Parteienforschung. Springer VS, Wiesbaden 2013, S. 83–118, auf S. 105.
  3. a b Andreas Ladner: Stabilität und Wandel von Parteien und Parteiensystemen. VS Verlag, Wiesbaden 2004, S. 53–56.
  4. Hans-Jürgen Puhle, Hans-Ulrich Wehler: Protest, Parteien, Interventionsstaat. Organisierte Politik und Demokratieprobleme im Wandel. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, S. 68–77.
  5. Bernd Hofmann: Annäherung an die Volkspartei. Eine typologische und parteiensoziologische Studie. VS Verlag, Wiesbaden, 2004, S. 51–55.
  6. Otto Kirchheimer: Der Wandel des westdeutschen Parteisystems. In: Politische Vierteljahresschrift. Jahrgang 6, 1965, S. 20-41.