Clausula rebus sic stantibus

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Die clausula rebus sic stantibus (dt. etwa: Bestimmung der gleich bleibenden Umstände) ist ein ursprünglich aus dem römischen Recht stammender allgemeiner Grundsatz.

Die clausula im römischen Recht und im Privatrecht der Bundesrepublik Deutschland

Die Vertragsparteien erwarten keine Änderung der äußeren Umstände, die für den Vollzug des Vertrages entscheidend sind, insbesondere keine grundlegende Veränderung des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Wichtig wird dieses Vertrauen auf die Beständigkeit der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen.

Die clausula rebus sic stantibus erlaubt jedoch, Verträge zu ändern, wenn sich die entscheidenden Umstände ändern, welche die Geschäftsgrundlage bilden. Dies steht zwar im Widerspruch zum allgemeinen Rechtssatz pacta sunt servanda, wonach Verträge grundsätzlich erfüllt werden müssen, wird aber heute auch im deutschen Zivilrecht durch das von Reichsgericht und Bundesgerichtshof eingeführte und in der Schuldrechtsreform von 2002 in § 313 BGB kodifizierte Rechtsinstitut des Störung der Geschäftsgrundlage zugelassen, wenn es angesichts der Gesamtumstände treuwidrig gewesen wäre, denjenigen Vertragspartner, für den die Geschäftsgrundlage weggefallen war, weiterhin auf den Vertrag behaften zu wollen.

Gleichwohl ist die clausula rebus sic stantibus im deutschen BGB – anders als früher im gemeinen Recht – kein allgemeines Rechtsprinzip.[1]

Die clausula im öffentlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland

Im öffentlichen Recht gilt die clausula rebus sic stantibus beispielsweise bei Staatsverträgen zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen Ländern untereinander aufgrund des Bundesstaatsprinzips. Sie findet für das allgemeine Verwaltungsrecht in § 38 Abs. 3, § 60 VwVfG und für das Sozialrecht in § 59 SGB X mit den dort normierten Anpassungs- und Kündigungsrechten ihren Ausdruck.

Die clausula im schweizerischen Recht

Nach Schweizer Rechtsprechung ist durch die richterliche Vertragsanpassung lediglich eine entstandene massive Unzumutbarkeit zu beseitigen, nicht aber eine volle Ausgewogenheit herzustellen.[2]

Die clausula im Völkervertragsrecht

Im Völkervertragsrecht wurde diese ursprünglich als Gewohnheitsrecht anerkannte Formel in Art. 62 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜV) von 1969 kodifiziert. Hier wird für eine Vertragsänderung zudem vorausgesetzt, dass die Vertragsparteien die eingetretene Änderung nicht vorhergesehen haben, dass diese für den Vertragsschluss wesentliche Umstände betrifft und dass das Ausmaß der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen aufgrund der Änderung wesentlich umgestaltet wird.

Des Weiteren wird der Anwendungsbereich durch Art. 62 Abs. 2 WÜV weiter eingeschränkt. Dieser besagt, dass eine Anwendung der Norm auf Verträge, die eine Grenze festlegen, nicht möglich ist. Zudem ist die Norm in solchen Fällen nicht anwendbar, in denen die Änderungen völkerrechtswidrig durch die geltendmachende Vertragspartei herbeigeführt wurden.

Seit ihrer Kodifikation gab es zwei Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof, in denen sich Staaten auf die clausula rebus sic stantibus beriefen. Der Gerichtshof lehnte die Anwendbarkeit jedoch beide Male ab.

Noch vor der Kodifikation in der WÜV hob Österreich in Reaktion auf die Ergebnisse des Ersten Vatikanischen Konzils von 1870 (u. a. die Verkündung der Unfehlbarkeit des Papstes) unter Berufung auf die clausula rebus sic stantibus das 1855 mit der Kurie geschlossene Konkordat auf.

Einzelnachweise

  1. RGZ 50, 255 (257), Urteil des II. Zivilsenats vom 11. April 1902, Rep. II 407/01; herrschende Meinung.
  2. BGE 59 II 372.

Literatur

  • Georg Gieg: Clausula rebus sic stantibus und Geschäftsgrundlage. Ein Beitrag zur Dogmengeschichte. Aachen 1994, ISBN 3-8265-5005-6.
  • Wilfried Fiedler: Zum Wirkungsbereich der clausula rebus sic stantibus im Verwaltungsrecht. In: Verwaltungsarchiv 67 (1976), S. 125 bis 155.