Diskussion:Orgeln von St. Johannis (Lüneburg)

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Letzter Kommentar: vor 10 Jahren von Wikiwal
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Wie im Münsterschen Orgelmagazin zu lesen ist, findet gerade eine Diskussion darüber statt, in welchen Zustand die große Orgel der Johannis-Kirche restauriert werden soll. Die eine Seite fordert, den Zustand, wie ihn die Firma von Beckerath 1953 verdienstvoll hergestellt hat, als beispielhafte Orgeldenkmalspflege der 50-er Jahre anzuerkennen und der Nachwelt zu erhalten. Die andere Richtung verlangt eine Rekonstruktion auf den Zustand der Erweiterung durch Dropa im frühen 18.Jahrhundert. Wer die hervorragenden klanglichen Qualitäten der Orgel kennt, die auf zahlreichen Schallplatten festgehalten ist - nicht zuletzt bei der einst richtungweisenden Archiv-Produktion mit Werken von Böhm, Bruhns und Lübeck, wird mit gemischten Gefühlen auf diese zweite Möglichkeit blicken. Es wird argumentiert, dass ja jetzt eine zweite Orgel (mit französischem Charakter) Charakter vorhanden ist, so dass damit das historisch später entstandene Repertoire gespielt werden kann. So bewundernswürdig Restaurierungen und Rekonstruktionen historischer Orgeln besonders in Norddeutschland etwa durch die Firma Ahrend auch sein mögen, so ist hinsichtlich des Gebrauchswertes solcher Restaurierungen doch Skepsis angebracht. Bei meiner letzten Begegnung mit Heinz Wunderlich, dem langjährigen Sachwalter der Schnitger-Orgel von St.Jacobi und Hamburg, äußerte er sich- befragt nach seinem Eindruck von der jüngsten, nach seiner Amtszeit erfolgten, sehr aufwändigen Restaurierung dieses Instruments, nicht gerade positiv. Sicherlich können Fachleute über einige sehr reine Intervalle bei historischen Stimmungen in Entzücken geraten, aber der durchschnittliche Orgelmusikhörer und Liebhaber hört bei vielen Modulationen auch älterer Orgelmusik nur recht schräge Klänge, die unsere Ohren nicht mehr gewohnt sind. Die Frage ist, ob solche Großunternehmen wie Orgelrestaurierungen nur für einen kleinen Expertenkreis stattfinden sollen oder für die Gemeinde und einen größeren Hörerkreis. Ich hatte 1966 selbst einmal kurz die Gelegenheit, die Johannis-Orgel zu spielen, war von ihr bezaubert und würde es sehr bedauern, wenn an ihr allzu große Eingriffe vorgenommen würden. (Yeni Cifci) (nicht signierter Beitrag von 87.175.35.216 (Diskussion) 19:42, 30. Oktober 2013 (CET))

Das persönliche Statement ist für Wikipedia nicht relevant. Hier wird enzyklopädisch relevantes und überprüfbares Wissen dokumentiert. Im Artikel zur Orgel der Hauptkirche Sankt Jacobi (Hamburg) ist ja einiges an Pro und Con nachzulesen. Die überwiegende Mehrheit begrüßt (mittlerweile) die Rekonstruktion in Hamburg. Die Klangreinheit begeistert Kenner wie Liebhaber. Der Zustand von Kemper war der Nachkriegssituation geschuldet und ein Provisorium. Niemand stellt die Pionierarbeit dieser Zeit in Frage. Aber es gibt imho keinen Grund minderwertige Materialien und die offensichtlichen Fehler der Nachkriegszeit auch noch bewahren zu wollen (Annahme eines falschen Winddrucks, massive Eingriffe in das historische Pfeifenmaterial usw.). Die obigen Aussagen zu historischen Stimmungen disqualifizieren sich selbst durch ihre Ideologisierung und ihre propagandistische Zuspitzung. Hier ist kein Raum für Stimmungsmache, sondern geht es um gediegene Artikelarbeit. --Wikiwal (Diskussion) 20:34, 30. Okt. 2013 (CET)Beantworten
Hier der Link auf besagtes Münstersches Orgelmagazin mit weiterführenden Links von Roland Eberlein (PDF) und die Landeszeitung. --Wikiwal (Diskussion) 21:01, 30. Okt. 2013 (CET)Beantworten

Ich habe nicht gegen eine Restaurierung der St.Johannis-Orgel Stellung genommen. Mir ist auch bewusst, dass es in den 50-er Jahren zeitbedingte Fehler bei solchen Unternehmungen gegeben hat. Z.B. hat sich die Verwendung von Kunststoffteilen, insbesondere Schaumstoffen als Dichtungsmaterial, nicht bewährt. Ebenso werden heute Wellaturen wieder aus Holz und nicht mehr aus Metallteilen gebaut. Trotzdem halte ich meine Bedenken aufrecht, einen vermeintlichen Originalzustand mit allen seinen Konsequenzen ( z.B.fehlende Töne in der großen Okatve)wieder herstellen zu wollen. Selnstverständlich werden auch moderne Orgeln in der Regel nicht völlig gleichstufig gestimmt, aber warum haben denn Werckmeister und andere Zeitgenossen sich denn damals für ein anderes Stimmsystem eingesetzt? Weil sie das bis dahin übliche als Mangel erkannt haben. (Yeni Cifci) (nicht signierter Beitrag von 87.175.32.50 (Diskussion) 19:59, 2. Nov. 2013 (CET))Beantworten

Also war die Restaurierung der 1950er doch nicht so "beispielhaft", wie es oben klang? Es ist mir völlig neu, dass Orgelrestaurierungen denkmalwürdig sind. Die Orgeln sind es, aber nicht irgendwelche Experimente vor 60 Jahren. Werckmeister ist vor allem als theoretisches Werk breit diskutiert, aber in der Praxis kaum angewandt worden. Warum haben Schnitger und Silbermann, obwohl sie Werckmeister kannten und (als Theoretiker) schätzten, dennoch an mitteltönigen Stimmungen festgehalten? Hatten sie so schlechte Ohren, dass sie den bisherigen "Mangel" nicht erkannt haben? Selige Fortschrittsgläubigkeit... --Wikiwal (Diskussion) 00:21, 3. Nov. 2013 (CET)Beantworten

Einmal abgesehen von der Stimmung: Was wissen wir heute denn wirklich, wie solche Orgeln in ihrer Entstehungszeit geklungen haben? im Laufe der Jahrhunderte sind immer wieder Intonationsveränderungen vorgenommen worden. Auch hier scheint mir eine gewisse Ideologie im Spiel zu sein ebenso wie beim Winddruck und der Rekonstruktion der Balganlagen. Was als "lebendiger Wind" deklariert wird, erscheint vielen ausübenden Künstlern heute einfach nur als Windstößigkeit.(So hat sich eine der bedeutendsten deutschen Organistinnen etwa über die neue Bach-Orgel in der Leipziger Thomaskirche geäußert.) Zur Frage der Stimmung: Manche bedeutenden Orgelbauer des Barock haben offensichtlich an den damals üblichen Stimm-Systemen eisern festgehalten, aber darüber soll etwa Gottfried Silbermann mit J.S.Bach anläßlich einer Orgelprobe einmal so in Streit geraten sein, dass sie sich gegenseitig die Perücken vom Kopf gerissen haben. Warum wurde z.B. Bachs Toccata E-Dur BWV 566 entweder von ihm selbst oder von anderer Hand nach C-Dur transponiert? Weil die E-Dur-Fassung wohl wenig erbaulich in der damaligen Stimmung geklungen haben wird. (Yeni Cifci)(nicht signierter Beitrag von 87.175.17.249 (Diskussion) 19:32, 4. Nov. 2013 (CET))Beantworten

Man weiß heute eine ganze Menge, da einige Orgeln nahezu unverändert erhalten sind, und man kann mittlerweile exzellent rekonstruieren. Bei einigen mitteltönigen Instrumenten ist nie die Stimmung verändert worden. Die Bach-Silbermann-Geschichte gehört ins Reich der Legende. Tatsache ist, dass Bach dessen Orgeln außerordentlich geschätzt, auf ihnen konzertiert, sie als Sachverständiger geprüft und (positive) Gutachten geschrieben hat. Bei den zwei Fassungen von BWV 566 ist überhaupt nicht klar, welche Fassung älter und mit welcher Motivation transponiert wurde (aus didaktischen Gründen?). Selbstredend klingt die mitteltönige C-dur-Fassung fantastischer als in der jetzigen, modernen, gleichstufigen Stimmung, wo alles gleich langweilig tönt. Wenn dieser Mangel an der großen Orgel beseitigt sein wird, kann jeder die beiden Orgeln vergleichen und sich selbst ein Bild machen. --Wikiwal (Diskussion) 20:47, 5. Nov. 2013 (CET)Beantworten

Ich sehe, wir kommen hier auf keinen gemeinsamen Nenner. Mag die Anekdote auch nicht authentisch sein, so glaube ich trotzdem, dass Bach kein Anhänger einer mitteltönigen Stimmung gewesen ist. Ich habe auch oben von der Intonation gesprochen, von der wir wenig wissen, wie sie ursprünglich gewesen ist. Ich bin bei historischen Orgeln keineswegs für eine völlig gleichstufige Stimmung wie beim modernen Konzertflügel, sondern für von heutigen Orgelbauern leicht modifizierte Stimmungen, die trotzdem eine gewisse Farbcharakteristik einzelner Tonarten spüren lassen, nicht aber für nur unangenehm klingende "Orgelwölfe". (Yeni Cifci) (nicht signierter Beitrag von 87.175.23.25 (Diskussion) 19:37, 6. Nov. 2013 (CET))Beantworten

Sicher war Bach ein Anhänger der wohltemperierten Stimmung. So what? Sollen wir deshalb alle Orgeln nach Werckmeister stimmen? Zudem wissen wir nicht, welche wohltemperierte Stimmung Bach favorisiert hat. Als Bach von 1700 bis 1702 in Lüneburg weilte, war das Instrument mitteltönig gestimmt, wie nahezu alle Orgeln jener Zeit. In Hamburg/Jacobi ist eine modifizierte mitteltönige Stimmung (1/5 Komma) ohne Wolf angelegt worden. Die vorausgesagten Horrorszenarien haben sich in Luft aufgelöst. Dass bei historischen Stimmungen "auch älterer Orgelmusik nur recht schräge Klänge" entstehen, wie oben behauptet, ist Unkenntnis oder ideologischer Verblendung geschuldet. In der Tat gibt es nur wenige in der Intonation unveränderte Instrumente. Bei der Rekonstruktion der Orgel in der Celle/St. Marien hat man völlig unangetastete Prospektpfeifen aus dem 17. Jahrhundert entdeckt, die intoniert und stumm im Prospekt standen. Die originale Intonation ist bei der Schnitger-Orgel von St. Martini et Nicolai (Steinkirchen) weitgehend erhalten, teils sogar bei noch älteren Werken wie der Orgel der Uttumer Kirche und der Orgel von Schloss Frederiksborg, um nur einige Beispiele zu nennen. Heute weiß man eine ganze Menge über den historischen Orgelbau und reicht mittlerweile handwerklich und künstlerisch an das Niveau von Schnitger und Silbermann heran. --Wikiwal (Diskussion) 10:22, 7. Nov. 2013 (CET)Beantworten