Long Term Asset Value

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Das Long Term Asset Value (LTAV)-Verfahren ist ein Verfahren zur Schiffsbewertung, das auf dem langfristigen Ertragspotenzial des Schiffes basiert. Die theoretische Grundlage ist das Discounted Cash-Flow (DCF)-Verfahren.

Grundlagen

Unter Berücksichtigung ausschließlich finanzieller Ziele bestimmt sich der Wert eines Schiffes aus seiner Fähigkeit, künftige finanzielle Überschüsse zu erwirtschaften. Der Ermittlung des LTAV liegt das in der Bewertungstheorie und -praxis anerkannte DCF-Verfahren nach dem Konzept der gewichteten Kapitalkosten (WACC-Ansatz) zugrunde. Demnach ergibt sich der LTAV eines Schiffes durch Diskontierung der erwarteten finanziellen Überschüsse (Free Cash Flows) mit einem gewichteten Kapitalkostensatz (kWACC):

Die prognostizierten Free Cash Flows lassen sich aus den zukünftig erzielbaren Chartereinnahmen (Ct) abzüglich der erwarteten Schiffsbetriebskosten (Bt) sowie einem Restwert (RWT) zum Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Schiffs ableiten.

Bestimmung der Free Cash Flows

Chartereinnahmen

Für die Prognose der Chartereinnahmen (Ct) sind Annahmen bzgl. der Höhe der künftig erzielbaren Charterraten (Brutto-Chartereinnahmen), anfallender Bereederungsgebühren und Befrachtungskommissionen sowie der Auslastung (Einsatztage pro Jahr) zu treffen.

Da sich die Entwicklung der finanziellen Überschüsse für die nahe Zukunft mit einem höheren Sicherheitsgrad prognostizieren lässt als für weiter entfernte Jahre, sollte eine Detailplanungsphase von mindestens drei Jahren eingeführt werden. Für den Fall, dass eine Chartervereinbarung besteht, sollte diese grundsätzlich bei der Prognose der Chartereinnahmen für den Detailplanungszeitraum berücksichtigt werden, da davon auszugehen ist, dass die vertraglich vereinbarte Charterrate bei ausreichender Bonität des Charterers eine belastbare Basis für die Prognose der künftigen Einnahmen darstellt. Liegt keine Chartervereinbarung vor oder soll das Schiff ohne bestehende Chartervereinbarung bewertet werden, sind aktuell am Markt beobachtbare (Zeit-)Charterraten ein sachgerechter Ausgangspunkt der Prognose der Chartereinnahmen für den Detailplanungszeitraum. Darüber hinaus können Marktanalysen zur zukünftigen Flottenentwicklung (Marktangebot) sowie zur Entwicklung der weltweiten Güternachfrage (Marktnachfrage) wesentliche Hinweise für die künftige Entwicklung der Charterraten geben. Daneben können Marktprognosen über die zukünftige Charterratenentwicklung sowie eine Analyse des Unterschieds von Frachtraten und Frachtterminraten weitere Anhaltspunkte für die künftige Entwicklung der Charterraten im Detailplanungszeitraum geben.

Im Anschluss an die Detailplanungsphase bietet sich aufgrund der hohen Volatilität der Charterraten im Zeitablauf eine Orientierung an langfristigen historischen Charterratendurchschnitten zur Prognose der zukünftigen Chartereinnahmen an. Bei der Prognose der Chartereinnahmen sollten inflationsbedingte Preissteigerungen grundsätzlich berücksichtigt werden.

In der Praxis ist zu beobachten, dass Schiffe mit zunehmendem Alter aufgrund von Effizienznachteilen in den meisten Fällen nur noch geringere Charterraten erzielen. Es empfiehlt sich daher, insbesondere bei älteren Schiffen einen Altersabschlag bei der Prognose der Chartereinnahmen zu berücksichtigen.

Bei der Vercharterung fallen Befrachtungskommissionen und Bereederungsgebühren an, die im Bewertungskalkül zu berücksichtigen sind.

Hinsichtlich der Einsatztage eines Schiffes ist zwischen normalen Betriebsjahren und Jahren, in denen das Schiff zur Klasseerneuerung (i.d.R. alle 5 Jahre) gedockt wird, zu unterscheiden. Neben den turnusmäßigen Werftzeiten sollten die prognostizierten Einsatztage auch weitere Zeiten der Beschäftigungslosigkeit (sog. Off-Hire-Zeiten), bspw. durch einen möglichen technischen Ausfall, berücksichtigen.

Betriebskosten

Die Betriebskosten (Bt) umfassen im Wesentlichen Kosten für Personal, Versicherungen, Schmier- und Hilfsstoffe, Ersatzteile, Wartung, Reparaturen, Dockungen und Klasseerneuerungen sowie für (Tonnage-)Steuern.

Aufgrund des in der Vergangenheit beobachteten und auch künftig erwarteten Trends steigender Betriebskosten ist, im Gegensatz zur langfristigen Prognose der Chartereinnahmen, eine Orientierung an Vergangenheitswerten bei der Prognose der künftigen Betriebskosten kritisch. Unter Berücksichtigung der aktuellen Rahmenbedingungen sowie der Entwicklung der Betriebskosten in den vergangenen Jahren sollten daher die aktuellen Betriebskosten als Ausgangspunkt für die Zukunftsprognose zugrundegelegt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Klassejahren die Betriebskosten naturgemäß höher ausfallen. Analog zur Prognose der künftigen Chartereinnahmen sollten auch bei den Betriebskosten künftige inflationsbedingte Kostensteigerungen berücksichtigt werden.

Restwert

Für die Bestimmung des Restwertes (RWT) bietet sich eine Orientierung am Schrottwert zum Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer (i.d.R. 20 bis 25 Jahre) unter Berücksichtigung von Entsorgungskosten an. Zur Ermittlung des Schrottwertes ist das Leergewicht des Schiffes (light displacement) mit dem erwarteten Schrottpreis zum Ende der Nutzungsdauer zu multiplizieren. Analog zur Vorgehensweise bei der Prognose der künftigen Chartereinnahmen und Betriebskosten sollte der erwartete Schrottwert ebenfalls inflationsbedingte Preissteigerungen widerspiegeln.

Bestimmung des Diskontierungszinssatzes

Für die Bewertung eines Schiffes auf Basis des LTAV-Verfahrens sind die erwarteten finanziellen Überschüsse mit einem geeigneten Kapitalisierungszinssatz auf den Bewertungsstichtag zu diskontieren. Dieser Zinssatz soll die Rendite einer zur Investition in das zu bewertende Schiff adäquaten Alternativanlage repräsentieren und muss dem zu kapitalisierenden Zahlungsstrom hinsichtlich Fristigkeit, Risiko, Währung und Besteuerung äquivalent sein.

Da dem LTAV-Verfahren der WACC-Ansatz zugrunde liegt, müssen die Free Cash Flows mit einem gewichteten, von der Höhe der Eigen- und Fremdkapitalkosten abhängigen, Kapitalkostensatz auf den Bewertungsstichtag diskontiert werden. Auf die Berücksichtigung des Vorteils der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen kann dabei i.d.R. verzichtet werden, da die Schiffseigentümer überwiegend zur ertragsunabhängigen Tonnage-Besteuerung optieren. Der gewichtete Kapitalkostensatz ergibt sich zusammenfassend wie folgt:

Eigenkapitalkostensatz

Ein in der betriebswirtschaftlichen Literatur und Praxis weit verbreitetes und international anerkanntes Verfahren zur Bestimmung der Eigenkapitalkosten (kEK) ist das sog. Capital Asset Pricing Model (CAPM). Der Eigenkapitalkostensatz lässt sich gemäß CAPM in einen risikofreien Basiszinssatz (rf) und eine von den Eigentümern aufgrund der Übernahme unternehmerischen Risikos geforderte Risikoprämie, die sich für Schiffsbewertungszwecke aus der Multiplikation einer allgemeinen Marktrisikoprämie (MRP) mit einem schiffstypspezifischen Risikofaktor (sog. Betafaktor, β) ergibt, zerlegen:

Im Rahmen der Ableitung des Eigenkapitalkostensatzes auf Basis des CAPM werden empirisch beobachtbare Kapitalmarktparameter zugrunde gelegt.

Fremdkapitalkostensatz

Schiffsfinanzierungen basieren häufig auf variablen, an Interbankenzinssätze (z.B. LIBOR) gekoppelten Zinsvereinbarungen zzgl. eines Risikozuschlags (Credit Spread). Aufgrund dessen können sog. Interest Rate Swaps als Ausgangspunkt für die Bestimmung des Fremdkapitalkostensatzes (kFK) herangezogen werden. Die Höhe des Credit Spreads ist nicht nur abhängig von der Verwertbarkeit des Schiffes im Insolvenzfall, sondern auch von anderen Einflussfaktoren, z.B. der Performance des Reeders oder der Existenz von langfristigen Charterverträgen.

Kapitalstruktur

Üblicherweise werden Schiffe zu 50 % bis 70 % mit Fremdkapital finanziert. Für die Höhe des gewichteten Kapitalkostensatzes ist die Kapitalstruktur im Allgemeinen jedoch nur von untergeordneter Relevanz, da ein höherer Verschuldungsgrad einerseits zu einem höheren Betafaktor und damit zu einem erhöhten Eigenkapitalkostensatz führt, andererseits das relative Gewicht des Eigenkapitalkostensatzes (EK/GK) geringer ausfällt.

Eignung des LTAV-Verfahrens

Die Schiffsmärkte weisen aufgrund der Existenz sog. „Schweinezyklen“, d.h. einer verzögerten Anpassung des Angebots, die zu einer Verstärkung von allgemeinen Preisschwankungen führt, regelmäßig überhitzte und gestörte Marktphasen auf. Die sich in diesen Phasen bildenden Marktpreise sind insbesondere beeinflusst durch kurzfristige Transaktionen (z.B. Fire Sales) und gekennzeichnet durch eine hohe Volatilität.

Das LTAV-Verfahren kann durch seine Fokussierung auf das langfristige Ertragspotential eines Schiffes diese Marktunvollkommenheiten bis zu einem gewissen Grad ausgleichen und stellt damit für den rationalen, langfristig orientierten Kapitalgeber auch in Phasen von Marktübertreibungen eine belastbare Entscheidungsgrundlage dar. Es unterstellt rational handelnde Kapitalgeber, die bei langfristig positiven Aussichten (Erzielung risikoadäquater Kapitalrenditen) auch ggf. notwendige Nachfinanzierungen vornehmen.

Das LTAV-Verfahren kann damit in allen Marktphasen zur Bewertung von Schiffen herangezogen werden. Es stellt insofern eine notwendige Ergänzung zu den marktpreisorientierten Bewertungsverfahren dar.

Literatur

  • Daniel Mayr, Claus Brandt: Schiffsbewertung auf neuer Basis, Internationales Verkehrswesen, Ausgabe 4, 2012.
  • Daniel Mayr: Schiffsbewertungen auf Grundlage des Long Term Asset Value-Verfahrens, HANSA International Maritime Journal, Ausgabe 12, 2013.
  • Daniel Mayr: Valuing Vessels, HSBA Handbook on Ship Finance, pp 141-163, 2015.

Weblinks