Maigrets Pfeife

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. März 2016 um 14:37 Uhr durch Magiers (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Maigrets Pfeife (französisch: La pipe de Maigret) ist eine Kriminalerzählung des belgischen Schriftstellers Georges Simenon. Sie ist nach Weihnachten mit Maigret die zweitlängste Erzählung einer Reihe von insgesamt 75 Romanen und 28 Erzählungen um den Kriminalkommissar Maigret. Simenon schrieb die Erzählung im Juni 1945 in Paris. Die Buchausgabe erschien im Juli 1947 gemeinsam mit dem Roman Maigret regt sich auf im Verlag Presses de la Cité.[1] Die erste deutsche Übersetzung von Leni Sobez veröffentlichte Heyne 1977 unter dem Titel Inspektor Maigret raucht seine Pfeife in Ellery Queen’s Kriminal-Magazin 62. 1980 publizierte der Diogenes Verlag eine Neuübersetzung von Lislott Pfaff unter dem Titel Maigrets Pfeife, die seitdem in verschiedenen Anthologien mit Maigret-Erzählungen erschien und auch eigenständig veröffentlicht wurde.[2]

Maigrets Pfeife ist verschwunden. Der passionierte Raucher ist sich sicher, dass der Dieb unter den Besuchern des Kommissariats zu suchen sein muss. Als kurz darauf ein junger Mann verschwindet, der sich am Vortag in Maigrets Büro aufgehalten hat, übernimmt der Kommissar die Ermittlungen. Der Einsatz, mit dem er nach dem Vermissten fahndet, hat vor allem einen Grund: Maigret will seine Pfeife zurück.

Inhalt

Tabakspfeife aus Bruyère

Es ist Juli in Paris. Am Ende seines Arbeitstages im Quai des Orfèvres vermisst Kommissar Maigret seine Lieblingspfeife. Um ihrem Verschwinden auf die Spur zu kommen, lässt Maigret den vergangenen Tag Revue passieren und erinnert sich an den Besuch Madame Leroys und ihres 17-jährigen Sohnes Joseph. Die Witwe hatte Maigret so wenig interessiert wie ihre Geschichte, laut der sich seit Wochen ein Fremder in ihrer Abwesenheit Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffe ohne jemals etwas zu stehlen. Doch ihr Sohn, so ist sich Maigret bald sicher, muss in einem unbeobachteten Moment seine Pfeife eingesteckt haben.

Trotz seiner reichhaltigen Kollektion von Pfeifen belastet das Fehlen der Bruyèrepfeife, die Madame Maigret ihm einst zum Geburtstag schenkte, den Kommissar den ganzen Abend über. Am nächsten Tag taucht Madame Leroy erneut in seinem Büro auf und berichtet verzweifelt, dass in ihr Sohn mitsamt seinen Hauspantoffeln mitten in der Nacht verschwunden sei. Maigret hasst solcherart „Ermittlungen in Familienangelegenheiten“, doch um seine Pfeife zurückzuerhalten, muss er nun erst einmal Joseph aufspüren. Josephs Freundin Mathilde scheint den Aufenthalt ihres Geliebten nicht zu kennen. Sie vertraut dem Kommissar allerdings an, dass der Junge sich seiner Ausbildung zum Friseur ebenso schämte wie seiner kleinbürgerlichen Herkunft und Familie, der er in Bälde zu entkommen hoffte, weil ihm ein größerer Geldbetrag in Aussicht stände.

Die Untersuchung von Madame Leroys ehemaligen Untermietern führt Maigret auf die Spur eines verdächtigen Handelsreisenden namens Stéphane Bleustein, der vor einigen Jahren in Nizza erschossen wurde. Maigrets Intuition leitet ihn zu einem Gasthof nach Chelles, jenem Ort, an dem Joseph und Mathilde ihre bislang glücklichste gemeinsame Zeit verbrachten. Dort trifft er auf einen alten Bekannten: den frisch entlassenen Gangster Nicolas, den er in einem Handgemenge überwältigt. Und im Gasthof findet er auch Joseph, der sich aus Angst in seinem Zimmer verbarrikadiert hat.

Der Fall löst sich auf: Madame Leroys Untermieter Bleustein war ein Diamantenräuber, der in ihrer Wohnung die Beute eines Diebstahls versteckte. Nicolas brachte ihn um, ehe er wegen einer anderen Tat drei Jahre im Gefängnis verbringen musste. Nach seiner Haftentlassung suchte er in der Wohnung der Leroys nach den Diamanten. Während Madame Leroy Maigret informierte, spielte ihr Sohn den Detektiv. Er begriff, dass in der Wohnung etwas Wertvolles zu finden sein musste, das er noch vor dem Fremden an sich zu bringen trachtete. Just in der Nacht, als er die versteckten Diamanten in einer Lampe entdeckte, wurde er vom Einbrecher Nicolas überrascht. Joseph floh, und seine Flucht führte ihn unwillkürlich zum Gasthof in Chelles, in dem er sich verbarrikadierte, während sein Verfolger Nicolas das Gebäude belagerte, bis er von Maigret überwältigt wurde. Am Ende kann der Kommissar nicht nur die Diamanten sichern, sondern erhält auch seine Pfeife zurück, die der junge Nachwuchsdetektiv mitgehen ließ, um ein Andenken an sein Idol zu besitzen.

Interpretation

In der Erzählung Maigrets Pfeife finden sich laut Murielle Wenger viele Bestandteile der Maigret-Serie in kondensierter Form wieder: Maigrets Arbeitsplatz am Quai des Orfèvres, seine Inspektoren, Madame Maigret samt ihrer Verwandtschaft und nicht zuletzt sehr unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeit des Kommissars: vom langsamen, seine Umgebung wie ein Schwamm aufsaugendem Beobachter bis zum aktiven Kämpfer, der den Ganoven mit seinem Gewicht niederstreckt. Im Mittelpunkt stehe allerdings Maigrets Beziehung zu seiner Pfeife. Die Pfeife sei für den Kommissar nicht bloß ein Objekt, sondern ein unverzichtbarer Teil seiner Arbeit, vergleichbar mit dem Schreibstift eines Schriftstellers. Nur mit der Pfeife zwischen seinen Lippen gelinge es dem Kommissar, sich in ein Problem zu versetzen, bis er dessen Lösung findet. Weil der junge Joseph Leroy diese Funktion von Maigrets Pfeife begreife, versuche er sie an sich zu bringen.[3]

Laut Johanna Borek möchte der junge Joseph, gefangen in einer mediokren Welt und dominiert von seiner Mutter, selbst einmal den großen Kommissar spielen. Maigrets Pfeife diene dabei als Symbol der Potenz des „größten Ermittlers aller Zeiten“. Nachdem sie ihm entwendet wird, müsse sich Maigret selbst durch einen „mediokren Fall“ kämpfen, um sie dem Jungen wieder abzunehmen. Dieser bleibe letztlich ein impotenter „Möchtegern-Maigret“.[4] Stanley G. Eskin beschreibt den Diebstahl des Jungen, der Maigret nachahmen möchte, als „grober Unfug“. Er gebe dem Kommissar allerdings die Gelegenheit, „all seine Eigenschaften als Vaterfigur hervorzukehren“.[5]

Rezeption

Der Doppelband La pipe de Maigret, der neben der Titelerzählung auch den Roman Maigret se fâche enthielt, war Simenons erste Maigret-Buchausgabe nach dem Zweiten Weltkrieg und nach seinem Wechsel zum Verlag Presses de la Cité. Er erwies sich als sehr erfolgreich und verkaufte sich allein in französischer Sprache in über 500.000 Exemplaren. Fenton Bresler urteilte, dass Simenon während des Zweiten Weltkriegs „von seiner Erzählkunst nichts verlernt hatte“.[6] Stanley G. Eskin beschreibt La pipe de Maigret als „schöne und lustige Erzählung“.[7] Für Thomas Narcejac steht die Erzählung in einer „Reihe kleiner Meisterwerke“.[8]

Die Romanvorlage wurde 1988 im Rahmen der Maigret-TV-Serie mit Jean Richard verfilmt.[9] Im Jahr 1953 produzierte DRS das Hörspiel Die Pfeife des Kommissars Maigret unter der Regie von Felix Klee. Den Kommissar Maigret sprach Georg Mark-Czimeg.[10] 1990 publizierte Schumm sprechende Bücher eine Lesung von Jörg Kaehler, die der Diogenes Verlag im Jahr 2007 neu auflegte.

Ausgaben

  • Georges Simenon: La pipe de Maigret. Presses de la Cité, Paris 1947 (Erstausgabe).
  • Georges Simenon: Inspektor Maigret raucht seine Pfeife. Übersetzung: Leni Sobez. In: Ellery Queen’s Kriminal-Magazin 62. Heyne, München 1977, ISBN 3-453-10364-5.
  • Georges Simenon: Maigrets Pfeife. Übersetzung: Lislott Pfaff. In: Maigret-Geschichten. Diogenes, Zürich 1980, ISBN 3-257-00993-3.
  • Georges Simenon: Maigrets Pfeife. Übersetzung: Lislott Pfaff. Diogenes, Zürich 1983, ISBN 3-257-79521-1.
  • Georges Simenon: Maigrets Pfeife. Übersetzung: Lislott Pfaff. In: Sämtliche Maigret-Geschichten. Diogenes, Zürich 2009, ISBN 978-3-257-06682-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. La pipe de Maigret auf der Internet-Seite von Yves Martina.
  2. Oliver Hahn: Bibliografie deutschsprachiger Ausgaben. Georges-Simenon-Gesellschaft (Hrsg.): Simenon-Jahrbuch 2003. Wehrhahn, Laatzen 2004, ISBN 3-86525-101-3, S. 70–71.
  3. Maigret of the Month: La pipe de Maigret (Maigret’s Pipe) auf der Maigret-Seite von Steve Trussel.
  4. Johanna Borek: Spuren, Indizien, Markenzeichen. Funktionen des Rauchens bei Simenon und Fruttero & Lucentini. In Hubert Pöppel: Kriminalromania. Stauffenberg, Tübingen 1998, ISBN 3-86057-525-2, S. 101.
  5. Stanley G. Eskin: Simenon. Eine Biographie. Diogenes, Zürich 1989, ISBN 3-257-01830-4, S. 283, 410.
  6. Fenton Bresler: Georges Simenon. Auf der Suche nach dem „nackten“ Menschen. Ernst Kabel, Hamburg 1985, ISBN 3-921909-93-7, S. 241.
  7. Stanley G. Eskin: Simenon. Eine Biographie, S. 283.
  8. „succession of minor masterpieces“ In: Thomas Narcejac: The Art of Simenon. Routledge & Kegan, London 1952, S. 124.
  9. Maigrets Pfeife auf maigret.de.
  10. Die Pfeife des Kommissars Maigret in der Hörspieldatenbank HörDat.