Methodenkritik der Germanistik

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Methodenkritik der Germanistik – Materialistische Literaturtheorie und bürgerliche Praxis ist eine 1970 bei J. B. Metzler erschienene Aufsatzsammlung, die einen Aufsatz von Marie Luise Gansberg und zwei Aufsätze von Paul Gerhard Völker beinhaltet. Die Autoren machen den Versuch, eine Analyse der Methodengeschichte der Germanistik zu leisten, die sich auf Hermeneutik und normative Wertvorstellungen konzentriert. Sie erheben dabei den Vorwurf, dass die bürgerliche Literaturwissenschaft Wertungsontologie und Formtypologie in einem ungeschichtlichen Raum ansiedelt. Das Subjekt der bürgerlichen Literatur, das Individuum als das Ensemble gesellschaftlicher Prozesse, wird ins Zentrum der Literaturbetrachtung gestellt.

Über einige Vorurteile gegenüber der materialistischen Literaturbetrachtung (Marie Luise Gansberg)

Gansbergs Aufsatz beginnt mit einer Auseinandersetzung mit dem Begriff und den Forschungsaufgaben der materialistischen Literaturwissenschaft. Es werden vier Vorurteilssätze Schritt für Schritt abgehandelt und zu widerlegen versucht. Es sind dies folgende Vorurteile:

1. Materialistische Literaturwissenschaft reduziert die Kunst, sie nimmt ihr die ästhetische und damit auch die eigentlich humane Qualität.

2. Materialistische Literaturwissenschaft verabsolutiert einen methodischen Ansatz, der zwar berechtigt ist, aber nur als einer unter anderen, als gleich-, nicht übergeordnet.

3. Materialistische Literaturwissenschaft spielt sich auf als Prophet einer Sache, die sich längst als eigene Disziplin etabliert hat: Verwiesen wird auf die Literatur-Soziologie.

4. Das Erkenntnis-Interesse der materialistischen Literaturwissenschaft ist unseriös, denn es ist parteilich.[1]

Die inhumane Praxis einer bürgerlichen Wissenschaft (Paul Gerhard Völker)

Paul Gerhard Völker äußert sich im ersten seiner beiden Aufsätze in diesem Band zur Methodengeschichte der Germanistik. In der teilweise überarbeiteten Ausgabe von 1973 fügt Völker zu Beginn einige zusätzliche Anmerkungen hinzu. Insbesondere legt er ein Augenmerk auf den ideologischen Charakter der bürgerlich-germanistischen Methodenlehre und kritisiert das bewusste Ausklammern materialistischer Elemente und den vernachlässigten Bezug zur „wahren Geschichte“ in der Germanistik. In Form eines geschichtlichen Streifzugs geht Völker auf verschiedene methodische Ansätze ein und kommt zu dem Schluss, dass sich jede Wissenschaftsmethode als inhuman erweist, sofern sie das literarische Werk von der möglichen Wirkung in Zeit und Gesellschaft isoliert.

Skizze einer marxistischen Literaturwissenschaft (Paul Gerhard Völker)

Der zweite Aufsatz von Paul Gerhard Völker wird durch den Ausschnitt eines Briefes von Friedrich Engels an Conrad Schmidt eingeleitet. Laut Autor besteht die Intention des Aufsatzes in der Aufdeckung des Scheins einer unabhängigen Kunst. Kritik wird auch an der bisherigen marxistischen Literaturwissenschaft geübt, da dieser Schein auch für sie bisher bestimmend war. Die Thematik der Losgebundenheit literarischer Interpretationen von der „Realität“ wird, wie in Völkers erstem Aufsatz, erneut aufgegriffen. Zudem bemängelt der Autor den angeblichen Methodenpluralismus in der bürgerlichen Literaturwissenschaft, obwohl jeder grundsätzliche Streit über die eigentliche methodische Grundlage fehle.

Kontext

Ein neuer ideengeschichtlicher Zusammenhang während und nach der 1968er Bewegung sollten einen prägenden Einfluss auf die deutsche Literaturwissenschaft in den folgenden zwei Jahrzehnten haben. Es kam in dieser Zeit zu einer generellen Kritik an der institutionalisierten Wissenschaft, die aufgrund ihrer Geschichts- und Gesellschaftsferne als ein Instrument bürgerlicher Herrschaftssicherung angesehen wurde. Methodenkritik der Germanistik, 1970 erschienen, ist ebenfalls in diesem Kontext zu betrachten. In allen drei Aufsätzen ist der Versuch, sich klar von der traditionell-bürgerlichen Literaturwissenschaft abzugrenzen, deutlich erkennbar.[2]

Einzelnachweise

  1. Marie Luise Gansberg, Paul Gerhard Völker: Methodenkritik der Germanistik. Materialistische Literaturtheorie und bürgerliche Praxis, 4., teilw. überarb. Aufl. Stuttgart: Metzler, 1973, S. 10
  2. Rainer Rosenberg: Die sechziger Jahre als Zäsur in der deutschen Literaturwissenschaft. Theoriegeschichtlich. In: Münz-Koenen, Inge / Boden, Peta (Hrsg.), Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich. Wissenschaft – Literatur – Medien, Berlin, 2000, S. 162–163