Misophonie

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Misophonie (von griech.: μῖσος misos ‚Hass‘[1] und φωνή phonḗ ‚Geräusch‘[2]), wörtlich „Hass auf Geräusche“, ist eine Form der verminderten Geräuschtoleranz gegen bestimmte Geräusche. Es wird angenommen,[3] dass es sich um eine neurologische Störung handelt, charakterisiert durch negative Reaktionen auf bestimmte Geräusche, egal ob diese als laut oder leise wahrgenommen werden.[4] Eine Klassifizierung nach ICD-10 oder DSM-IV-TR besteht nicht.

Im Jahr 2013 formulierten drei Psychiater des Medizinischen Akademischen Zentrums Amsterdam Diagnosekriterien für Misophonie auf der Basis der Untersuchung von 42 Patienten und rieten dazu, eine Klassifizierung einzurichten.[5]

Der Begriff „Misophonie“ wurde geprägt durch die US-amerikanischen Neurowissenschaftler Pawel und Margaret Jastreboff.[6] Ein häufig verwendetes Synonym ist Selective Sound Sensitivity Syndrome, auf Deutsch etwa: „Selektive Geräuschintoleranz“.[7]

Einige Forscher sagen, dass Misophonie durch klassische Konditionierung an Stelle von einer Anomalie im Gehirn entsteht.[8][9] Eine Konditionierung bedeutet in diesem Kontext, dass die Betroffenen die Geräusche unbewusst mit negativen oder traumatischen Ereignissen verbinden und deswegen sofort extreme Reaktionen aufzeigen, weil sie sich unbewusst in diese schlechten Situationen zurück versetzt werden. Einige von Misophonie Betroffene reagierten positiv auf Behandlungsverfahren, die Gegenkonditionierung (in der sie lernen die Geräusche mit positiven Erlebnissen zu verbinden) beinhalteten, welche einen Prozess darstellt, die einen bedingten Reflex auflöst.[8][9][10] Im Körper werden bedingte Reflexe über das vegetative Nervensystem gesteuert.

Symptome

Im Gegensatz zu der krankhaften Überempfindlichkeit gegenüber Schall (Hyperakusis) betrifft Misophonie nur bestimmte Geräusche. Personen, die an Misophonie leiden, fühlen sich stark gestört und können wütend auf alltägliche Geräusche wie Essgeräusche, Atmen, Niesen, Gähnen, Husten, Räuspern, Stottern, Stammeln, Kaugummikauen, Lachen, Schnarchen, Pfeifen oder andere sich wiederholende Geräusche reagieren.[11] Manche Betroffene werden auch durch visuelle Reize getriggert, wie sich wiederholende Fuß- oder Körperbewegungen, Herumzappeln oder andere Bewegungen, die sie aus dem Augenwinkel wahrnehmen. Extreme Angst und Vermeidungsverhalten können entstehen, was zu sozialer Isolation oder verminderter Geselligkeit führen kann. Manche der Betroffenen stehen unter dem Zwang, das, was sie sehen oder hören, nachzuahmen.[12]

Eine Beurteilung von neurologischen Studien und fMRI-Studien über die Gehirnstrukturen von Betroffenen postuliert, dass neuronale Signale abnormal oder dysfunktionell im Anteriore Cinguläre Cortex (Teil des präfrontalen Cortex) und im insulären Kortex verarbeitet werden. Diese Hirnareale sind die Drehscheibe für die Verarbeitung von Wut, Schmerz und Sinneswahrnehmungen.[5] Einige Wissenschaftler sind auch der Meinung, dass Strukturen des Zentralnervensystems Ursache für die Misophonie sind.[13] Es wird spekuliert, dass die Anomalie zentraler ist als die bei der Hyperakusis.[14]

Häufigkeit und Begleiterkrankungen

Daten zur Prävalenz (Häufigkeit) von Misophonie liegen noch nicht vor, aber die steigende Zahl der bekannten Betroffenen lässt darauf schließen, dass sie häufiger auftritt, als bisher angenommen.[12] Unter Patienten mit Tinnitus, welcher vier bis fünf Prozent der Bevölkerung betrifft,[15] gibt es Studien, die von einer Prävalenz von Misophonie von 60 Prozent berichten.[12] Eine Studie aus dem Jahr 2010 hat unter Tinnituspatienten eine Prävalenz von zehn Prozent gemessen.[16]

Eine niederländische Studie aus dem Jahr 2013[5] mit einer Gruppe aus 42 Patienten mit Misophonie hat eine geringe Häufigkeit von psychischen Erkrankungen festgestellt, mit Ausnahme der zwanghaften Persönlichkeitsstörung (52,4 Prozent).

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. μῖσος In: Henry George Liddell, Robert Scott: A Greek-English Lexicon. auf: perseus.tufts.edu
  2. φωνή In: Henry George Liddell, Robert Scott: A Greek-English Lexicon. Auf: perseus.tufts.edu
  3. M. Edelstein, D. Brang, V. S. Ramachandran: Sensory modulation in misophonia. (PDF) In: Program No. 367.07. 2012 Neuroscience Meeting Planner. Society for Neuroscience, New Orleans, LA, 2012, S. 1042, abgerufen am 27. Januar 2013.
  4. Jonathan Hazell: Decreased Sound Tolerance: Hypersensitivity of Hearing. Tinnitus and Hyperacusis Centre, London UK, abgerufen am 5. Februar 2012.
  5. a b c Arjan Schröder, Nienke Vulink, Damiaan Denys: Misophonia: Diagnostic Criteria for a New Psychiatric Disorder. In: PLoS ONE. 8(1), S. e54706
  6. Pawel J. Jastreboff, Margaret M. Jastreboff: Tinnitis retraining therapy for patients with tinnitus and decreased sound tolerance. In: Otolaryngol Clin. Band 36(2), April 2003, S. 321–336, PMID 12856300.
  7. M. Neal, A. E. Cavanna: P3 Selective sound sensitivity syndrome (misophonia) and Tourette syndrome. In: Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry. Band 83, Nr. 10, 2012, S. e1, doi:10.1136/jnnp-2012-303538.20.
  8. a b Jastreboff, M.M., & Jastreboff, P.J. (2014). Treatments for Decreased Sound Tolerance (Hyperacusis and Misophonia). Seminars in Hearing 35(2), 105-120. doi:10.1055/s-0034-1372527
  9. a b Dozier, T. H. (2015). Etiology, composition, development and maintenance of misophonia: A conditioned aversive reflex disorder. Psychological Thought, Vol. 8(1), 114–129, doi:10.5964/psyct.v8i1.132
  10. Dozier, T. H. (2015). Counter-conditioning treatment for misophonia. Clinical Case Studies. Published online before print January 20, 2015. doi:10.1177/1534650114566924
  11. Joyce Cohen: When a Chomp or a Slurp is a Trigger for Outrage. In: The New York Times. 5. September 2011, abgerufen am 5. Februar 2012.
  12. a b c George Hadjipavlou, Susan Baer, Amanda Lau, Andrew Howard: Selective Sound Intolerance and Emotional Distress: What Every Clinician Should Hear. In: Psychosomatic Medicine. Band 70. American Psychosomatic Society, 2008, S. 739–740.
  13. Aage R. Møller: Hearing, Second Edition: Anatomy, Physiology, and Disorders of the Auditory System. Academic Press, 2006, ISBN 0-12-372519-4.
  14. Aage R. Møller: Textbook of Tinnitis, part 1. 2001, S. 25–27, doi:10.1007/978-1-60761-145-5_4.
  15. P. Jastreboff, M. Jastreboff: Components of decreased sound tolerance: hyperacusis, misophonia, phonophobia. (PDF; 89 kB) 2. Juli 2001, abgerufen am 5. Februar 2012.
  16. A. Sztuka, L. Pospiech, W. Gawron, K. Dudek: DPOAE in estimation of the function of the cochlea in tinnitus patients with normal hearing. In: Auris Nasus Larynx. Band 37(1), 2010, S. 55–60, PMID 19560298.

Weblinks