Stuttgarter Dach

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Miets- und Geschäftshaus mit Stuttgarter Dach, Stuttgart, Böblinger Straße 56.

Als Stuttgarter Dach bezeichnet man eine Dachform, die aus einem niedrigen Pyramidenstumpf besteht und von einer Blechplattform bekrönt wird.[1]

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Stuttgarter Dach besteht aus ein oder drei schrägen Dachflächen und einem blechernen Flachdach, das von der Straße aus nicht sichtbar ist, so dass ein Satteldach oder ein Walmdach vorgetäuscht wird. Die Wände hinter den schrägen Dachflächen sind als Dachschrägen gestaltet, die übrigen Wände sind senkrecht ausgebaut.

Zweck[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Stuttgarter Dach kam im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auf. Es diente zur Kostenersparnis und zur Umgehung baupolizeilicher Vorschriften. Die sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit führte dazu, dass man beim Stuttgarter Dach durch die Blechplattform auf einen Teil der aufwändigen Dachkonstruktion verzichtete, genauso wie man aus Kostengründen die Gebäuderückseiten und die Nebenseiten im Gegensatz zu den repräsentativen Sichtfassaden unverputzt ließ.[2]

Das Stuttgarter Dach gestattete die Umgehung der baupolizeilichen Vorschriften über die Begrenzung der Gebäudehöhe, so dass im Dachraum noch eine vollständige Wohnung eingerichtet und die Hofseite um ein Stockwerk aufgestockt werden konnte.[3] Dadurch zeigen die Häuser zur Straße hin vier und an der Hinterfront fünf Stockwerke.

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Der Architekt Theodor Fischer studierte nach seiner Übersiedlung nach Stuttgart intensiv den vorgefundenen Baubestand. 1903 trug er in einem Vortrag vor einem erlesenen Stuttgarter Publikum seine Beobachtungen vor, unter anderem über das Stuttgarter Dach:[4]
„Eines insonderheit fiel allen sofort auf: die Hässlichkeit der Dächer. Das ist nun allerdings geradezu ein Phänomen, doppelt empfindlich, da man hier so oft Gelegenheit hat, die Häuser von oben herab betrachten zu müssen. Und da sieht man nun ausserhalb der älteren Stadt kaum ein gesund ausgewachsenes Dach. Blecherne Plattformen in den ungeheuerlichsten Formen, unter denen besonders eine herausleuchtet, ausgestattet mit allen nur denkbaren Unschönheitcn wie jenes Bild vom fehlerhaften Pferd. Das ist eine niedrig abgestumpfte Pyramidenform, deren Strassenseite bis auf das nächste Stockwerk herabgeschleppt ist, so dass die architektonische Lüge entsteht, dass man gegen die Strasse ein Haus mit vier Stockwerken zu haben glaubt, während es tatsächlich fünf Stockwerke hat. Wer ist nun da der Betrogene? ! Wahrlich! Leuten, die solche Missgeburten Jahr für Jahr in die Welt setzen, sollte man den Ehekonsens mit der Baukunst doch etwas erschweren.“
  • Annette Schmidt, die Biographin des Stuttgarter Architekten Ludwig Eisenlohr, schrieb 2006 über das Stuttgarter Dach:[5]
„In Stuttgart entwickelte sich bald eine besonders ökonomische Gestalt der Mietshausdächer: das so genannte Stuttgarter Dach. … Das Stuttgarter Dach sollte zur Straße hin den Eindruck eines Zelt- oder Satteldachs vermitteln. Tatsächlich aber knickte es auf halber Höhe ab und wurde durch ein billiges, abgeflachtes Blechdach weitergeführt. Auf diese Weise gewann man in den Mietshäusern ein zur Straße hin unsichtbares Geschoss hinzu, das vom Hof aus wie die anderen Etagen mit Veranden und Küchenbalkonen ausgestattet war.“

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Theodor Fischer: Stadterweiterungsfragen mit besonderer Rücksicht auf Stuttgart. Ein Vortrag von Theodor Fischer vom 27. Mai 1903. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1903 (PDF auf ia801308.us.archive.org)
  • Annette Schmidt: Ludwig Eisenlohr. Ein architektonischer Weg vom Historismus zur Moderne. Stuttgarter Architektur um 1900. Stuttgart : Hohenheim-Verlag, 2006.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Stuttgarter Dach – Sammlung von Bildern

Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. #Fischer 1903, Seite 29.
  2. #Fischer 1903, Seite 31.
  3. Ortsbaustatut für die Stadt Stuttgart 1874, § 29.
  4. #Fischer 1903, Seite 28–29.
  5. #Schmidt 2006, Seite 125.