Benutzer:Assessor~dewiki
Paradoxa und Recht
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hallo KaiMartin, ich suche einen Mentor, weil ich WP als Nutzer super finde und bei dem Artikel Paradoxa einen ergänzenden Absatz aus meiner Tätigkeit als Jurist beitragen könnte. Da mich die Schnittstelle Naturwissenschaft, Rechtswissenschaft und Wissenschaftstheorie interessiert würde ich Dich wählen, da Du Naturwissenschaft angegeben hast. Mein Beitrag wäre mit Bitte um Hilfe ob das ok ist, bzw. wie dies zu schaffen ist, dies in WP zu bringen, der folgende:
Paradoxa und Selbstbezüglichkeit im Recht
Im (juristischen) Modell der Demokratie müssen Entscheidungen der Staatsgewalt, d.h. auch richterliche Entscheidungen, über die Gesetze auf das Volk zurückgeführt werden können.
Die Paradoxie liegt darin, dass der Richter an ein Gesetz gebunden ist, welches er selbst erst einmal zu verstehen, also auszulegen und zu interpretieren hat. Die Zuverlässigkeit juristischer Entscheidungen und die Vorhersagbarkeit der Ergebnisse von Gerichtsverfahren, die eigentlich streng aus dem demokratisch legitimierten Wortlaut des Gesetzes (logisch?) abgeleitet werden sollten, wird dagegen oft mit dem Spruch kommentiert: „Auf hoher See und vor Gericht sind wir alle in Gottes Hand“. Die Kompetenzen der rechtsprechenden Gewalt ergeben sich aus der Rechtsordnung. Gleichzeitig ist die rechtsprechende Gewalt auch zuständig für die Rechtsprechung und Auslegung des Rechtes. Die Rechtsordnung bringt die rechtsprechende Gewalt hervor, welche ihrerseits die Rechtsordnung produziert. Das Rechtssystem ist also „selbst-referentiell“ (z.B. MacCormick, JZ 1995, 797 ff.)
Das innerhalb der Rechtswissenschaft für diese Fragen „zuständige Grundlagenfach“ wird „Methodenlehre“ genannt. Dort geht es nicht nur um „praktische Falllösetechniken“, sondern auch um die Fragen, wie juristisches, aber auch das Denken allgemein überhaupt „funktioniert“. Die Struktur im sog. Klassischen Justizsyllogismus, also dem logischen Schlussverfahren, das der richterlichen Entscheidungsfindung zugrunde liegt, sieht beispielhaft so aus:
„1. (Obersatz) Wenn es um Rechtsprechung geht, ist der Richter zuständig.“ „2. (Untersatz) Hier geht es um Rechtsprechung.“ „3. (Schluß) Also ist hier der Richter zuständig.“ In 1. wird das „Sollen“ normiert, in 2. wird der Sachverhalt festgestellt und so kommt der Richter 3. zu seinem Urteil.
Es können zwar für den Richter weitere Regeln definiert, und Vorgehensweisen zur Auslegung und Interpretation von Befugnisnormen vorgeschrieben werden, um zu bestimmen was Rechtsprechung ist und was nicht. Diese Regeln werden aber letztendlich durch formale Zeichen definiert. Diese formalen Zeichen müssen mit bestimmten Bedeutungen in Verbindung gebracht werden, um zu inhaltlichen Ergebnissen zu führen. Wie die „richtige“ Bedeutung zum jeweiligen Zeichen zuzuordnen ist, unterliegt wiederum Regeln, usf.. Das Problem liegt strukturell darin, dass im Endeffekt nur der (letztinstanzliche) Richter „selbst“ diese Regeln und den Obersatz interpretieren kann und damit festlegt, was alles als Rechtsprechung definiert wird. Das Zitat des Richters Ch. E. Hughes vom US-Supreme Court, aus einer Rede vom 3.5.1907, bringt den „selbst-referentiellen“ Charakter der Rechtsordnung treffend zum Ausdruck: „We are under a constitution; but the constitution is what the judges say it is.“ (Zu diesem Zitat vgl.: Schwarze, JZ 1999, 637 ff.)
Werden ausgehend vom Wortlaut der Befugnisnormen z.B. zur Rechtsprechung, Kriterien richtiger Auslegung konstruiert, um mit diesen Kriterien dann diese Normen erst auszulegen, erinnert dies eben auch an die berühmte Paradoxie des Epimenides, des Kreters, der sagte: „Alle Kreter sind Lügner“ (Adrian Grundprobleme einer juristischen (gemeinschaftsrechtlichen) Methodenlehre, S. 761 ff.)
Auch Douglas R. Hofstadter, der ein umfassendes Werk („Gödel, Escher, Bach, Ein endlos geflochtenes Band“) zum Problem dieser Selbstbezüglichkeit und der „seltsamen Schleifen“ vorgelegt hat (nach dem Motto: „Der Richter legt Regeln aus, die regeln wie der Richter Regeln auszulegen hat“), erörtert am Anfang seines Buches auf Seiten 25 f. die hier vorgestellte Paradoxie: „Eine (. . .) Sorge war, dass logische Paradoxien wie die des Epimenides sich als der Mathematik innewohnend entpuppen und damit die gesamte Mathematik in Zweifel ziehen könnten. (. . .) Die Erforschung der Mathematik selbst wurde als Metamathematik oder gelegentlich auch Metalogik bekannt (. . .).“ Gegen Ende seines Buches kommt Hofstadter dann auch zu „seltsamen Schleifen“ in der Rechtsprechung. S. 736 ff.: „Wo andererseits die Sprache tatsächlich seltsame Schleifen erzeugt, geschieht das, wenn sie – direkt oder indirekt – über sich selbst spricht. Hier springt etwas im System heraus und wirkt auf das System ein, als wäre es außerhalb des Systems. (. . .) Ein faszinierendes Gebiet, in dem Hierarchien sich verwickeln ist das der Staatsgewalt, besonders hinsichtlich der Rechtsprechung. Im Allgemeinen denkt man an zwei Parteien, die ihren Fall dem Gericht vorlegen, und dieses entscheidet. Das Gericht steht auf einer höheren Stufe als die Kontrahenten. Seltsame Dinge können geschehen, wenn die Gerichte selbst sich in Rechtsfälle verstricken. Gewöhnlich gibt es einen höheren Gerichtshof, der außerhalb des Prozesses steht; sogar wenn zwei untergeordnete Gerichte sich in einen seltsamen Kampf verwickeln, in der jedes Gerichtsbarkeit über das andere beansprucht (…). Was aber geschieht, wenn es keinen höheren Gerichtshof gibt, und wenn der Oberste Gerichtshof sich selbst in juristische Schwierigkeiten verstrickt? (. . .)“
Die Rechtsprechungsbefugnisnormen bestehen aus Sprache und müssen die Grundlage der Methodenlehre sein, mit der diese Sprache interpretiert wird. Insoweit spricht also Sprache im Sinne Hofstadters direkt oder indirekt über sich selbst. Das gleiche Phänomen findet sich aber z.B. auch bei Kompetenznormen, die festlegen, welche Gebietskörperschaft (Europa, Bund, Land, Kommune) zuständig ist, und weiter, welches Gericht zur Letztentscheidung bei Streitfragen über diese Kompetenznormen berufen ist. Diese Verwicklungen bzw. Verbindungen über Schleifen, wie von Hofstadter angedeutet finden sich tatsächlich im Kompetenzstreit zwischen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Zum Erlass einer Rechtsnorm ist nach dem Modell von Demokratie eine parlamentarische Mehrheit erforderlich. Je nachdem, ob Gesetze auf kommunaler, Landes-, Bundes-, oder europäischer Ebene zu erlassen sind, sind im Ergebnis die unterschiedlichen Bevölkerungen in der Kommune, im jeweiligen Bundesland, in der gesamten Bundesrepublik Deutschland oder europaweit, Bezugspunkt für die entsprechende „relevante“ Mehrheit im Modell der Demokratie.
Wäre z.B. eine Stadtbevölkerung über die Errichtung eines Atomkraftwerkes oder eines neuen Bahnhofes in ihrer Stadt als „relevante“ Mehrheit zu befragen, würde diese vielleicht den Bau mehrheitlich ablehnen. Da es sich beim Atom,- bzw. Verkehrsrecht aber nicht um Ortsrecht bzw. Kommunalrecht handelt, sind die Bürger des Bundes oder des Landes und deren Mehrheit demokratisch „relevant“. So kann der Anlagenbau in der jeweiligen Stadt genehmigt werden, selbst wenn in dieser Stadt praktisch die gesamte Stadtbevölkerung dagegen ist.
Wenn Zuständigkeiten nach Europa abgegeben werden, wird damit demokratisch eine andere Mehrheit „relevant“. Falls Streit über die Auslegung dieses Zuständigkeitsgesetzes entsteht wird fraglich wer insoweit zur Letztentscheidung berechtigt ist, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder der Europäische Gerichtshof (EuGH). Das Europarecht, und damit dieser Zuständigkeitskatalog, ist in mehr als 20 Amtssprachen gleichermaßen verbindlich und der EuGH mit mehr als 20 Richtern verschiedenster Nationalität besetzt. „ (…) es liegt auf der Hand, dass sich das Problem in der Situation der Vielsprachigkeit um die Zahl von Sprachen potenziert, mit denen es der Jurist etwa im Europarecht zu tun hat. Seine Situation gerät ins Paradoxe. Je genauer er wissen will, wie es um die Bedeutung der Wörter bestellt ist, je sorgfältiger er sich dabei all der lexikographischen Hinweise und Markierungen annimmt, die er finden kann, und je intensiver er ihnen in ihren Verweisen aufeinander folgt, umso mehr wird er mit der Realität dessen konfrontiert, dass es für die Formulierung des einen Rechts allein im Deutschen – wie in der Linguistik gesagt wird – über 81 Millionen Sprachen gibt. So viele, wie Sprecher eben.“ (Müller/Christensen, Europarecht, S. 244)
In der sog. „Maastricht-Entscheidung“ des BVerfG haben die deutschen Verfassungsrichter den EuGH als Staatsorgan der Europäischen Gemeinschaft aufgefordert bzw. sogar „ermahnt“, Gerichtsentscheidungen korrekt aus den europarechtlichen Gesetzen abzuleiten. Das BVerfG geht also selbst davon aus, dass man als Richter (des EuGH) wissen kann, ob man das anzuwendende Gesetz richtig verstanden hat. Kriterien richtigen methodischen Vorgehens als Richter werden in der „Maastricht-Entscheidung“ allerdings nicht genannt. Lassen sich solche Kriterien (wissenschaftlich) nicht finden, geht diese „berühmte“ Grundsatzentscheidung des BVerfG sogar „ins Leere“. Das Modell unserer demokratischen Legitimation, unserer Staatstheorie, etc. wird konturlos, bzw. geht verloren.
Danke für Rückmeldung
Assessor