Reanalyse (Sprachwissenschaft)

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Als Reanalyse oder Metanalyse wird in der Sprachwissenschaft die (meist metonymische) Umdeutung einer sprachlichen Einheit bezeichnet. Gerade syntaktische (grammatische) Reanalysen laufen oft in mehreren Schritten ab: Zuerst wird die Bedeutung auf eine grammatische Komponente ausgeweitet, worauf diese die alte Bedeutung mit der Zeit ersetzt. Die alte Bedeutung der Konstruktion kann aber auch erhalten bleiben.

Grammatikalisierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Grammatikalisierung werden syntaktisch freie Verbindungen als Konstruktionen zum Ausdruck grammatikalischer Verhältnisse reanalysiert. Beispielsweise wurde das Demonstrativpronomen das im Satz Ich sage das: du kommst als nebensatzeinleitende Konjunktion reanalysiert und somit als Bestandteil des zweiten Satzes angesehen: Ich sage, dass du kommst. Ein weiteres Beispiel ist die Futurkonstruktion mit dem Verb für gehen, die es sowohl im Französischen als auch im Englischen gibt: je vais travailler (ich „gehe“ arbeiten) erhielt die futurische Konnotation von „ich werde arbeiten“, ebenso im Englischen „I'm going to work“.

Lexikalisierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch bei der Entstehung und Veränderung lexikalischer Einheiten (Lexikalisierung) spielt die Reanalyse eine große Rolle:

  • Zwei getrennte Einheiten werden neu segmentiert, zum Beispiel wurde im Englischen an ewt zu a newt.
  • Zwei getrennte Einheiten werden als ein einziges Wort umgedeutet (adel-aar > Adler).
  • Selten verwendete Formen werden aus häufig verwendeten erschlossen, zum Beispiel die Singulare die Bakterie und die Bazille aus den Pluralen die Bakterien und die Bazillen (originale Singulare: das Bakterium, der Bazillus).
  • Bei einer Volksetymologie wird ein Wort fälschlicherweise neu analysiert, da eine Herleitung „sinnvoll“ zu sein scheint (hamaka > Hängematte).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bernd Heine, Reh Mechthild: Grammaticalization and Reanalysis in African Languages. Buske, Hamburg 1984, ISBN 3-87118-630-9.
  • Bernd Heine: Grammaticalization. In: Brian D. Joseph, Richard D. Janda (Hrsg.) The Handbook of Historical Linguistics. Blackwell, Malden MA u. a. 2003, ISBN 0-631-19571-8, S. 575–601 (Blackwell handbooks in linguistics).
  • Bernd Heine, Tania Kuteva: World Lexicon of Grammaticalization. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2002, ISBN 0-521-80339-X.
  • Bernd Heine, Tania Kuteva: The Genesis of Grammar. A Reconstruction. Oxford University Press, Oxford 2007, ISBN 978-0-19-922777-8 (Studies in the evolution of language 9 = Oxford linguistics).
  • Bernd Heine, Ulrike Claudi, Friederike Hünnemeyer: Grammaticalization. A Conceptual Framework. University of Chicago Press, Chicago IL u. a. 1991, ISBN 0-226-32515-6
  • Jürgen Lang, Ingrid Neumann-Holzschuh: Reanalyse und Grammatikalisierung in den romanischen Sprachen. Niemeyer, Tübingen 1999, ISBN 3-484-30410-3.