Quelltext der Seite Rotationszahl

{{Dieser Artikel|behandelt die  Invariante von Selbstabbildungen des Kreises. Zur Kontaktgeometrie siehe [[Rotationszahl (Kontaktgeometrie)]].}}
Die '''Rotationszahl''' ist eine Invariante von Selbstabbildungen des [[Kreis]]es, die erstmals von [[Henri Poincaré]] 1885 in seinen Arbeiten zur [[Himmelsmechanik]] untersucht wurde. [[Homöomorphismus|Homöomorphismen]] von Kreisen kommen dort als [[Poincaré-Abbildung]]en (return maps) 2-dimensionaler Flüsse vor und die Rotationszahl der Poincaré-Abbildung liefert Informationen über das Langzeitverhalten des 2-dimensionalen [[Fluss (Mathematik)|Flusses]].

[[Datei:Covering_map.png|mini|Überlagerung des Kreises <math>X=S^1=\R/\Z</math> durch die Zahlengerade <math>Y=\R</math>. Jede stetige Abbildung <math>f\colon S^1\to S^1</math> kann zu einer stetigen Abbildung <math>F\colon \R\to\R</math> mit <math>F(x+m)=F(x)+m</math> für alle <math>m\in \Z</math> hochgehoben werden.]]

== Definition ==

Es sei <math>f\colon S^1 \to S^1</math> ein orientierungserhaltender [[Homöomorphismus]] des [[Kreis]]es <math>S^1 = \R / \Z</math> (vgl. [[Kreisgruppe]]). Dann gibt es eine [[Hochhebung]] von <math>f</math> zu einem Homöomorphismus <math>F\colon \R \to \R</math> der [[Zahlengerade]] mit
: <math> F(x + m) = F(x) +m </math>
für jede reelle Zahl <math>x</math> und jede ganze Zahl <math>m</math>.

Die ''Rotationszahl'' von <math>f</math> ist mit Hilfe der [[Iteration]] von <math>F</math> definiert als:
:<math>\omega(f)=\lim_{n\to\infty} \frac{F^n(x)-x}{n}</math>.
[[Henri Poincaré]] bewies, dass der [[Grenzwert (Folge)|Grenzwert]] existiert und nicht von der Wahl des Startpunktes <math>x</math> abhängt. 

Die Hochhebung <math>F</math> ist nur modulo ganzzahliger Verschiebungen eindeutig definiert, deshalb ist die Rotationszahl ein wohldefiniertes Element aus <math>\R / \Z</math>. Anschaulich misst sie den durchschnittlichen Drehwinkel entlang des [[Orbit (Mathematik)|Orbits]] von <math>f</math>.

== Beispiele ==
[[Bild:Circle-group.svg|mini|Drehungen des Kreises]]
* Wenn <math>f=R_\alpha</math> die Drehung um den Winkel <math>\alpha</math> ist, dann ist <math>\omega(f)=\tfrac{1}{2\pi}\alpha</math>.
* Wenn <math>f</math> mindestens einen Fixpunkt hat, dann ist <math>\omega(f)=0</math>. Wenn <math>f</math> keine Fixpunkte hat, dann ist <math>\omega(f)\not=0</math>.
* <math>\omega(f)</math> ist [[Rationale Zahl|rational]] genau dann, wenn <math>f</math> einen [[Periodischer Punkt|periodischen Punkt]] hat. Wenn <math>\omega(f)</math> eine rationale Zahl <math>\tfrac{p}{q}</math> ist, dann haben alle periodischen Punkte die Periode <math>q</math>.

== Eigenschaften ==
* Die Rotationszahl ist invariant unter [[Konjugation (Gruppentheorie)|Konjugation]]: wenn <math>h\colon S^1\to S^1</math> ein Homöomorphismus ist, dann ist <math>\omega(hfh^{-1})=\omega(f)</math>.
* Die Rotationszahl hängt stetig von <math>f</math> ab, d.&nbsp;h. wenn eine Folge <math>f_n</math> [[Gleichmäßige Konvergenz|gleichmäßig]] gegen <math>f</math> konvergiert, dann konvergiert <math>\omega(f_n)</math> gegen <math>\omega(f)</math>.

== Anwendungen ==
* ''Klassifikationssatz von Poincaré'': Wenn <math>\omega(f)</math> irrational ist, dann gibt es einen monotone, stetige Abbildung <math>h</math> mit
::<math>h\circ f=R_{\omega(f)}\circ h</math>,
:wobei <math>R_{\omega(f)}</math> die Drehung um den Winkel <math>\omega(f)</math> bezeichnet. <math>h</math> ist ein Homöomorphismus genau dann, wenn die Wirkung von <math>f</math> unter [[Iteration]] transitiv ist. Beispiele nichttransitiver Homöomorphismen mit irrationaler Rotationszahl wurden von Denjoy konstruiert.
* Wenn <math>\omega(f)</math> rational und <math>f</math> orientierungserhaltend ist, dann gibt es zwei mögliche Typen periodischer Orbiten:
** Wenn <math>f</math> ''genau einen'' periodischen Orbit hat, dann ist jeder andere Punkt unter <math>f^q</math> heteroklin zu zwei Punkten auf dem periodischen Orbit.
** Wenn <math>f</math> ''mehrere'' periodische Orbiten hat, dann ist jeder andere Punkt unter <math>f^q</math> heteroklin zu zwei Punkten auf unterschiedlichen periodischen Orbiten.

== Verallgemeinerungen ==
Es gibt verschiedene Verallgemeinerungen der Rotationszahl, die sich (einschließlich Poincarés klassischer Definition) alle in den folgenden Ansatz einordnen lassen.

Es sei <math>G</math> eine [[lokalkompakter Raum|lokalkompakte]] [[topologische Gruppe]] und <math>\kappa\in \widehat{H}^2_{cb}(G,\Z)</math> eine beschränkte <math>\Z</math>-wertige Borel-Kohomologieklasse<ref><math>\widehat{H}^*_{cb}(G,\Z)</math> ist die Kohomologie der <math>G</math>-Invarianten des Komplexes der beschränkten Borel-messbaren Abbildungen <math>G^{n+1}\to\Z</math></ref>. Es sei <math>g\in G</math>. Weil die Einschränkung der entsprechenden reell-wertigen Kohomologieklasse <math>\kappa_\R\in\widehat{H}^2_{cb}(G,\R)</math> auf die Untergruppe <math>B:=\overline{\langle g\rangle}\subset G</math> verschwindet, gibt es wegen der [[exakte Sequenz|exakten Sequenz]]
:<math>0\to \operatorname{Hom}_c(B,\R/Z)\to \widehat{H}^2_{cb}(B,\Z)\to \widehat{H}^2_{cb}(B,\R)\to 0</math>
einen eindeutigen stetigen Homomorphismus <math>f\colon B\to \R/\Z</math> im [[Urbild (Mathematik)|Urbild]] von <math>\kappa</math>. Die Rotationszahl von <math>g</math> wird dann definiert als<ref>Burger, Marc; Iozzi, Alessandra; Wienhard, Anna: ''Surface group representations with maximal Toledo invariant.'' Ann. of Math. (2) 172 (2010), no. 1, 517–566. [http://arxiv.org/pdf/math/0605656v3.pdf pdf] (Kapitel 7)</ref>
::<math>\operatorname{Rot}_\kappa(g):=f(g)</math>.
* Für <math>G=\operatorname{Homeo}^+(S^1)</math> und <math>\kappa=e</math> die [[Euler-Klasse]] erhält man die klassische Rotationszahl.<ref>Ghys, Étienne: ''Groupes d'homéomorphismes du cercle et cohomologie bornée.'' The Lefschetz centennial conference, Part III (Mexico City, 1984), 81–106, Contemp. Math., 58, III, Amer. Math. Soc., Providence, RI, 1987.</ref>
* Für <math>G=\operatorname{Sp}(n,\R)</math> und <math>\kappa</math> das Bild von <math>u(k)=\det(k)^2</math> unter <math>\operatorname{Hom}_c(U(n),\R/Z)\to \widehat{H}^2_{cb}(U(n),\Z)=\widehat{H}^2_{cb}(\operatorname{Sp}(2n,\R),\Z)</math> erhält man die symplektische Rotationszahl.<ref>Barge, J.; Ghys, É.: ''Cocycles d'Euler et de Maslov.'' Math. Ann. 294 (1992), no. 2, 235–265. [http://www.maths.ed.ac.uk/~aar/papers/bargghys.pdf pdf]</ref>
* Für die Automorphismengruppen symmetrischer Gebiete vom Tubentyp erhält man die Clerc-Koufany-Rotationszahl.<ref>Clerc, Jean-Louis; Koufany, Khalid: ''Primitive du cocycle de Maslov généralisé.'' Math. Ann. 337 (2007), no. 1, 91–138. [http://arxiv.org/pdf/math/0403330v1.pdf pdf]</ref>

== Literatur ==
* Katok, Anatole; Hasselblatt, Boris: ''Introduction to the modern theory of dynamical systems.'' With a supplementary chapter by Katok and Leonardo Mendoza. Encyclopedia of Mathematics and its Applications, 54. Cambridge University Press, Cambridge, 1995. ISBN 0-521-34187-6 (Kapitel 11)
* Aranson, S. Kh.; Belitsky, G. R.; Zhuzhoma, E. V.: ''Introduction to the qualitative theory of dynamical systems on surfaces.'' Translated from the Russian manuscript by H. H. McFaden. Translations of Mathematical Monographs, 153. American Mathematical Society, Providence, RI, 1996. ISBN 0-8218-0369-7
* Herman, Michael-Robert: ''Sur la conjugaison différentiable des difféomorphismes du cercle à des rotations.'' Inst. Hautes Études Sci. Publ. Math. No. 49 (1979), 5–233. {{doi|10.1007/BF02684798}}

==Weblinks==
*Misiurewicz: [http://www.scholarpedia.org/article/Rotation_theory Rotation theory]
*Menon: [http://www.dam.brown.edu/people/menon/apma2210/circle.pdf Circle maps]

== Einzelnachweise ==
<references />

[[Kategorie:Theorie dynamischer Systeme]]