„Zweitpreisauktion“ – Versionsunterschied

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Folglich sollte weder oberhalb noch unterhalb der Wertschätzung geboten werden, weil man damit niemals einen höheren, mitunter aber einen niedrigeren Gewinn realisiert.
Folglich sollte weder oberhalb noch unterhalb der Wertschätzung geboten werden, weil man damit niemals einen höheren, mitunter aber einen niedrigeren Gewinn realisiert.

Die nachfolgenden graphischen Darstellungen illustrieren dies.<ref>Angelehnt an Daron Acemoglu and Asu Ozdaglar: ''[http://economics.mit.edu/files/4874 Incomplete Information: Bayesian Nash Equilibria, Auctions and Introduction to Social Learning.]'' Vorlesungsnotizen, MIT. 2009, abgerufen am 28. Juli 2013, S. 28.</ref> Dargestellt ist der Payoff von ''i'' in Abhängigkeit vom höchsten nichteigenen Gebot, gegeben die drei Situationen, dass das eigene Gebot der eigenen Wertschätzung entspricht, darunter oder darüber liegt. Betrachtet man die Fläche unterhalb der Kurve, ist unmittelbar ersichtlich, dass diese im ersten Fall am höchsten ist.
<div style="float: left;">[[File:Second price auction 1 (truthful bidding).png|thumb|upright=1.3|Gebot in Höhe der eigenen Wertschätzung]]</div><div style="float: left">[[File:Second price auction 1 (too low bidding).png|thumb|upright=1.3|Gebot unterhalb der eigenen Wertschätzung]]</div><div style="float: left;">[[File:Second price auction 1 (too high bidding).png|thumb|upright=1.3|Gebot oberhalb der eigenen Wertschätzung]]</div><br style="clear: both;" />


== Bewertung ==
== Bewertung ==
Die Tatsache, dass genau in Höhe der eigenen [[Wertschätzung]] geboten werden sollte, vereinfacht den Bietprozess aus Sicht des Bieters, weil es zur Festlegung des eigenen Gebots keiner Verteilungsannahmen über die Gebotshöhen anderer Bieter bedarf. Im Vergleich zu der im Fall privater Wertschätzungen strategisch äquivalenten aszendierenden Auktion (auch: Englischen Auktion) bietet die Zweitpreisauktion den Vorteil, dass es für die Bieter nicht erforderlich ist, über längere Zeit dem Bietprozess beizuwohnen („mitzubieten“), da dieser in einem einstufigen Sealed-Bid-Format ja bereits durch die einmalige Gebotsabgabe abgeschlossen ist. So war es beispielsweise in dem ursprünglich auf der Internetauktionsplattform [[Ebay]] verwendeten Format der Englischen Auktion für einen Payoff-optimierenden Kunden erforderlich, etwa über die Anstellung eines Agenten, spezielle Software oder eigene Präsenz sicherzustellen, dass man zum Ende der Auktion hin auch tatsächlich sich noch aktiv am Bietprozess beteiligt; dieser Aufwand entfällt beim hier vorgestellten Format.
Die Tatsache, dass genau in Höhe der eigenen [[Wertschätzung]] geboten werden sollte, vereinfacht den Bietprozess aus Sicht des Bieters, weil es zur Festlegung des eigenen Gebots keiner Verteilungsannahmen über die Gebotshöhen anderer Bieter bedarf. Im Vergleich zu der im Fall privater Wertschätzungen strategisch äquivalenten aufsteigenden Auktion (auch: Englischen Auktion) bietet die Zweitpreisauktion den Vorteil, dass es für die Bieter nicht erforderlich ist, über längere Zeit dem Bietprozess beizuwohnen („mitzubieten“), da dieser in einem einstufigen Sealed-Bid-Format ja bereits durch die einmalige Gebotsabgabe abgeschlossen ist. So war es beispielsweise in dem ursprünglich auf der Internetauktionsplattform [[Ebay]] verwendeten Format der Englischen Auktion für einen Payoff-optimierenden Kunden erforderlich, etwa über die Anstellung eines Agenten, spezielle Software oder eigene Präsenz sicherzustellen, dass man zum Ende der Auktion hin auch tatsächlich sich noch aktiv am Bietprozess beteiligt; dieser Aufwand entfällt beim hier vorgestellten Format.


Rothkopf, Teisberg und Kahn (1990<ref>Rothkopf/Teisberg/Kahn 1990, op. cit.</ref>) führen zwei Gründe an, weshalb Zweitpreisauktionen in der Praxis selten anzutreffen sind. Zum einen sei dies darauf zurückzuführen, dass die Bieter befürchten, betrogen zu werden. Da der Höchstbietende das zweithöchste Gebot bezahlt, ist er davon abhängig, dass der Auktionator dieses auch korrekt beziffert und nicht etwa noch ein eigenes Gebot einfügt, um den Preis in die Höhe zu treiben. Zum anderen sei gerade die Tatsache, dass es optimal ist, seine eigene Wertschätzung offenzulegen, für Bieter abschreckend. Eine Teilnehmerin an einer Zweitpreisauktion hat regelmäßig einen erheblichen Anreiz, andere Bieter bzw. einen Auktionator nicht über die tatsächliche Wertschätzung zu informieren. Zu denken ist auch an Situationen, in denen Auktionsergebnisse nachverhandelt werden; hier würde potenziell etwa die Verhandlungsmacht eines Unternehmens darunter leiden, dass zuvor durch das strategiekonforme Gebot faktisch die Kostenstruktur offengelegt wurde. Dieser Punkt lässt sich in der Praxis auch auf dem bereits angesprochenen Sammlermarkt für Briefmarken nachvollziehen.<ref>Vgl. Lucking-Reiley 2000, op. cit., S. 189–190.</ref> Abhilfe liefern möglicherweise technologische Innovationen, die den Preisbildungsprozess transparenter und weniger anfällig für Manipulation machen.<ref>Vgl. etwa David Lucking-Reiley: ''Auctions on the Internet: What’s Being Auctioned, and How?'' In: ''The Journal of Industrial Economics.'' 48, Nr. 3, S. 227–252, {{DOI|10.1111/1467-6451.00122}}.</ref>
Rothkopf, Teisberg und Kahn (1990<ref>Rothkopf/Teisberg/Kahn 1990, op. cit.</ref>) führen zwei Gründe an, weshalb Zweitpreisauktionen in der Praxis selten anzutreffen sind. Zum einen sei dies darauf zurückzuführen, dass die Bieter befürchten, betrogen zu werden. Da der Höchstbietende das zweithöchste Gebot bezahlt, ist er davon abhängig, dass der Auktionator dieses auch korrekt beziffert und nicht etwa noch ein eigenes Gebot einfügt, um den Preis in die Höhe zu treiben. Zum anderen sei gerade die Tatsache, dass es optimal ist, seine eigene Wertschätzung offenzulegen, für Bieter abschreckend. Eine Teilnehmerin an einer Zweitpreisauktion hat regelmäßig einen erheblichen Anreiz, andere Bieter bzw. einen Auktionator nicht über die tatsächliche Wertschätzung zu informieren. Zu denken ist auch an Situationen, in denen Auktionsergebnisse nachverhandelt werden; hier würde potenziell etwa die Verhandlungsmacht eines Unternehmens darunter leiden, dass zuvor durch das strategiekonforme Gebot faktisch die Kostenstruktur offengelegt wurde. Dieser Punkt lässt sich in der Praxis auch auf dem bereits angesprochenen Sammlermarkt für Briefmarken nachvollziehen.<ref>Vgl. Lucking-Reiley 2000, op. cit., S. 189–190.</ref> Abhilfe liefern möglicherweise technologische Innovationen, die den Preisbildungsprozess transparenter und weniger anfällig für Manipulation machen.<ref>Vgl. etwa David Lucking-Reiley: ''Auctions on the Internet: What’s Being Auctioned, and How?'' In: ''The Journal of Industrial Economics.'' 48, Nr. 3, S. 227–252, {{DOI|10.1111/1467-6451.00122}}.</ref>


== Strategische Verwandtschaft ==
== Strategische Verwandtschaft ==
<!--=== Theorie ===
=== Theorie ===
=== Experimentelle Ergebnisse ===-->
==== Strategische Äquivalenz ====
Eine Zweitpreisauktion (und allgemein eine Auktion) lässt sich in der Tradition von Vickrey (1961<ref>William Vickrey: ''Counterspeculation, Auctions, and Competitive Sealed Tenders.'' In: ''The Journal of Finance.'' 16, Nr. 1, 1961, S. 8–37 ([http://www.jstor.org/stable/2977633 JSTOR]).</ref>) und Harsanyi (1967<ref>John C. Harsanyi: ''Games with Incomplete Information Played by "Bayesian" Players, I-III. Part I. The Basic Model.'' In: ''Management Science.'' 14, Nr. 3, 1967, S. 159–182 ([http://www.jstor.org/stable/2628393 JSTOR]).</ref>, 1968<ref>John C. Harsanyi: ''Games with Incomplete Information Played by "Bayesian" Players, I-III. Part II. Bayesian Equilibrium Points.'' In: ''Management Science.'' 14, Nr. 5, 1968, S. 320-334 ([http://www.jstor.org/stable/2628673 JSTOR]); Ders.: ''Games with Incomplete Information Played by "Bayesian" Players, I-III. Part III. The Basic Probability Distribution of the Game.'' In: ''Management Science.'' 14, Nr. 7, 1968, S. 486-502 ([http://www.jstor.org/stable/2628894 JSTOR]).</ref>) als Spezialfall eines [[Bayes-Spiel|Bayesianischen Spiels]] modellieren. Sei nun also mit <math>\mathcal{I}=\{1,\ldots,n\}</math> die Indexmenge aller Spieler gegeben und sei <math>S_{i}</math> die Menge aller Strategien, zwischen denen ''i'' wählen kann. Sei ferner <math>u_{i}:\prod_{i\in\mathcal{I}}S_{i}\rightarrow\mathbb{R}</math> die allgemeine Payoff-Funktion von ''i.'' Dann ist durch
In der experimentellen Literatur ist immer wieder festgestellt worden, dass die strategische Äquivalenz zwischen Zweitpreis- und Englischer Auktion bei privaten Wertschätzungen nicht vollständig repliziert werden kann.<ref>Dazu insbesondere John H. Kagel: ''Auctions. A Survey of Experimental Research.'' In: Ders. und Alvin E. Roth (Hrsg.): ''The Handbook of Experimental Economics.'' Princeton University Press, Princeton und New Jersey 1995, S. 501–585, S. 508–514. In der früheren Literatur sehen freilich noch Vicki M. Coppinger, Vernon L. Smith und Jon A. Titus: ''Incentives and Behavior in English, Dutch and Sealed-Bid Auctions.'' In: ''Economic Inquiry.'' 18, Nr. 1, S. 1–22, {{DOI|10.1111/j.1465-7295.1980.tb00556.x}} eine Übereinstimmung zwischen Wertschätzung und Gebotshöhe. Hiergegen ist hingegen verschiedentlich methodisch eingewandt worden, dass die Autoren von vornherein keine höheren Gebote zugelassen haben.</ref> Kagel, Harstad und Levin (1987<ref>John H. Kagel, Ronald M. Harstad und Dan Levin: ''Information Impact and Allocation Rules in Auctions with Affiliated Private Values: A Laboratory Study.'' In: ''Econometrica.'' 55, Nr. 6, 1987, S. 1275–1304 ([http://www.jstor.org/stable/1913557 JSTOR]).</ref>) stellen (verglichen mit ihrer tatsächlichen dominanten Strategie) übermäßig hohe Gebote in Zweitpreisauktionen fest (durchschnittlich 11 Prozent zu hoch), während das Ergebnis bei einer Englischen Auktion mit der dominanten Strategie kompatibel war. Die Autoren vermuten als Ursache, dass dies von der falschen Wahrnehmung herrührt, die Gewinnwahrscheinlichkeit würde dadurch steigen, ohne dass hierfür (wegen des Zweitpreisformates) wirkliche Kosten entstehen. Harstadt (2000<ref>Ronald M. Harstad: ''Dominant Strategy Adoption and Bidders’ Experience with Pricing Rules.'' In: ''Experimental Economics.'' 3, Nr. 3, S. 261–280, {{DOI|10.1007/BF01669775}}.</ref>) bestätigt dieses Ergebnis. Er beobachtet ebenso wie schon Kagel und Levin (1993<ref>John H. Kagel and Dan Levin: ''Independent Private Value Auctions: Bidder Behaviour in First-, Second- and Third-Price Auctions with Varying Numbers of Bidders.'' In: ''The Economic Journal.'' 103, Nr. 419, 1993, S. 868–879 ([http://www.jstor.org/stable/2234706 JSTOR]).</ref>), dass sich das übermäßige Bieten bei wiederholtem Durchführen einer Zweitpreisauktion nicht wesentlich ändert und erklärt den so erwachsenden Unterschied zwischen Englischer Auktion und Zweitpreisauktion bei wiederholten Zweitpreisauktionen damit, dass den Bietern ein negativer Feedbackmechnismus bei überhöhten Geboten fehlt, weil sie auch bei zu hohen Geboten noch einen positiven Gewinn realisieren können, was sie fälschlicherweise als Bestätigung ihrer strategischen Wahl auffassen.
:<math>G=\left\langle \mathcal{I},\left\{ S_{i}\right\} _{i\in\mathcal{I}},\left\{ u_{i}\right\} _{i\in\mathcal{I}}\right\rangle</math>
ein allgemeines nichtkooperatives Spiel gegeben.
:''Anwendung:'' Im Falle einer Zweitpreisauktion erscheinen für den Strategieraum etwa die nichtnegativen reellen Zahlen denkbar, <math>S_{i}=[0,\infty)</math>. Die Payoff-Funktion muss wiederum allgemein eine Funktion der [reinen] Strategien der Spieler sein, weshalb die obige Darstellung noch einer Umformulierung bedarf. Sei <math>s_{-i}:=(s_{1},\ldots,s_{i-1},s_{i+1},\ldots,s_{n})</math> das Strategieprofil aller anderen Spieler außer ''i.'' Dann notiert man die Payoff-Funktion von ''i'' mittels einer Funktion <math>h_{i}(s_{-i}):=\max_{j\neq i}s_{j}</math> als
::<math>u_{i}(s_{i},s_{-i})=\begin{cases}
v_{i}-h_{i}(s_{-i}) & \textrm{wenn }s_{i}>h_{i}(s_{-i})\\
0 & \textrm{wenn }s_{i}<h_{i}(s_{-i})
\end{cases}</math>

Betrachte nun zwei Spiele
:<math>G^{'}=\left\langle \mathcal{I},\left\{ S_{i}\right\} _{i\in\mathcal{I}},\left\{ u_{i}^{'}\right\} _{i\in\mathcal{I}}\right\rangle</math>
:<math>G^{''}=\left\langle \mathcal{I},\left\{ S_{i}\right\} _{i\in\mathcal{I}},\left\{ u_{i}^{''}\right\} _{i\in\mathcal{I}}\right\rangle</math>,
die sich ausschließlich durch ihre Payoff-Funktionen unterscheiden. Man bezeichnet die beiden Spiele als ''strategisch äquivalent,'' wenn es ein reelles <math>k>0</math> sowie ein reelles Tupel <math>(c_{1},\ldots,c_{n})</math> gibt, sodass
:<math>u_{i}^{'}(s_{i},s_{-i})=k\cdot u_{i}^{''}(s_{i},s_{-i})+c_{i}</math>
für jedes Tupel <math>(s_{i},s_{-i})</math>.<ref>Vgl. Vorob’ev 1977, S. 3 f.; Rodica Branzei, Dinko Dimitrov und Stef Tijs: ''Models in Cooperative Game Theory.'' 2. Aufl. Springer, Heidelberg u.a. 2008, ISBN 978-3-540-77953-7 (auch {{DOI|10.1007/978-3-540-77954-4}}), S. 8; Robert J. Weber: ''Games in coalitional form.'' In: Robert Aumann und Sergiu Hart (Hrsg.): ''Handbook of Game Theory with Economic Applications.'' Bd. 2. Elsevier, Amsterdam u.a. 1994, ISBN 978-0-444-89427-4, S. 1285–1303 (auch {{DOI|10.1016/S1574-0005(05)80068-2}}), hier S. 1288 ff.</ref>

Strategische Äquivalenz bedeutet also, dass die beiden Spiele identischen Spielern identische Strategieräume zuweisen; sie unterscheiden sich indes in der individuellen Anfangsausstattung sowie der relativen Einheit, in der die Payoffs ausgezahlt werden. Naheliegenderweise gilt für strategisch äquivalente Spiele, dass ihre Nash-Gleichgewichte identisch sind.<ref>Vgl. Vorob’ev 1977, S. 4.</ref>

==== Anwendung auf Zweitpreisauktionen ====
Zweitpreisauktionen sind in enger strategischer Verwandtschaft zur Englischen Auktion. Man vergegenwärtige sich dies etwa mithilfe folgender Überlegung: In einer Zweitpreisauktion bietet ein Spieler wie oben gezeigt optimalerweise in Höhe der eigenen Wertschätzung und, falls er Höchstbietender ist, zahlt das nächsthöhere Gebot. In einer aufsteigenden Auktion werden sich die Bieter so lange gegenseitig überbieten, bis es keine zwei Bieter mehr gibt, deren Wertschätzung über der aktuellen Gebotshöhe liegen; das letzte Gebot ist dementsprechend bei optimalem Bietverhalten gerade marginal höher als das zweitletzte Gebot (und insofern also approximativ gleich). Damit schließt sich der Kreis zur Zweitpreisauktion: Bei beiden Auktionstypen gewinnt im (eindeutigen) Gleichgewicht derjenige mit der höchsten Wertschätzung und in beiden Fällen entstehen ihm Ausgaben in Höhe der zweithöchsten Wertschätzung unter allen Bietern.<ref>Vgl. etwa Paul R. Milgrom und Robert J. Weber: ''A Theory of Auctions and Competitive Bidding.'' In: ''Econometrica.'' 50, Nr. 5, 1982, S. 1089–1122 ([http://www.jstor.org/stable/1911865 JSTOR]), hier S. 1091 f.</ref>

Anders als die Erstpreisauktion und die Holländische (absteigende) Auktion sind Zweitpreisauktion und Englische Auktion jedoch ''nicht generell'' strategisch äquivalent.<ref>Dazu etwa allgemein Krishna 2010, S. 4 f.</ref> Illustrativ kann man sich etwa in der vorangehenden Überlegung vorstellen, dass einer der Bieter seine eigene Wertschätzung nicht kennt. Ein Beispiel wäre etwa, dass die Lizenz zum Betrieb einer Koltanmine im Wege einer Auktion versteigert werden soll; dabei ist die Bewertung der erwarteten Erträge (und damit auch die Wertschätzung der Lizenz) mit Unsicherheit behaftet, weil Qualität und Quantität des abgebauten Koltans ''ex ante'' der unmittelbaren Einsicht verborgen sind. Milgrom und Weber (1982<ref>Paul R. Milgrom und Robert J. Weber: ''A Theory of Auctions and Competitive Bidding.'' In: ''Econometrica.'' 50, Nr. 5, 1982, S. 1089–1122 ([http://www.jstor.org/stable/1911865 JSTOR]).</ref>) zeigen, dass in einer solchen Situation mit Ungewissheit über die Wertschätzungen eine Englische Auktion höhere (erwartete) Preise mit sich bringt als eine Zweitpreisauktion.

=== Experimentelle Ergebnisse ===
In der experimentellen Literatur ist immer wieder festgestellt worden, dass die strategische Äquivalenz zwischen Zweitpreis- und Englischer Auktion bei privaten Wertschätzungen nicht vollständig repliziert werden kann.<ref>Dazu insbesondere John H. Kagel: ''Auctions. A Survey of Experimental Research.'' In: Ders. und Alvin E. Roth (Hrsg.): ''The Handbook of Experimental Economics.'' Princeton University Press, Princeton und New Jersey 1995, S. 501–585, S. 508–514. In der früheren Literatur sehen freilich noch Vicki M. Coppinger, Vernon L. Smith und Jon A. Titus: ''Incentives and Behavior in English, Dutch and Sealed-Bid Auctions.'' In: ''Economic Inquiry.'' 18, Nr. 1, S. 1–22, {{DOI|10.1111/j.1465-7295.1980.tb00556.x}} eine Übereinstimmung zwischen Wertschätzung und Gebotshöhe. Hiergegen ist hingegen verschiedentlich methodisch eingewandt worden, dass die Autoren von vornherein keine Gebote oberhalb der Wertschätzung zugelassen haben.</ref> Kagel, Harstad und Levin (1987<ref>John H. Kagel, Ronald M. Harstad und Dan Levin: ''Information Impact and Allocation Rules in Auctions with Affiliated Private Values: A Laboratory Study.'' In: ''Econometrica.'' 55, Nr. 6, 1987, S. 1275–1304 ([http://www.jstor.org/stable/1913557 JSTOR]).</ref>) stellen (verglichen mit ihrer tatsächlichen dominanten Strategie) übermäßig hohe Gebote in Zweitpreisauktionen fest (durchschnittlich 11 Prozent zu hoch), während das Ergebnis bei einer Englischen Auktion mit der dominanten Strategie kompatibel war. Die Autoren vermuten als Ursache, dass dies von der falschen Wahrnehmung herrührt, die Gewinnwahrscheinlichkeit würde dadurch steigen, ohne dass hierfür (wegen des Zweitpreisformates) wirkliche Kosten entstehen. Harstadt (2000<ref>Ronald M. Harstad: ''Dominant Strategy Adoption and Bidders’ Experience with Pricing Rules.'' In: ''Experimental Economics.'' 3, Nr. 3, S. 261–280, {{DOI|10.1007/BF01669775}}.</ref>) bestätigt dieses Ergebnis. Er beobachtet ebenso wie schon Kagel und Levin (1993<ref>John H. Kagel and Dan Levin: ''Independent Private Value Auctions: Bidder Behaviour in First-, Second- and Third-Price Auctions with Varying Numbers of Bidders.'' In: ''The Economic Journal.'' 103, Nr. 419, 1993, S. 868–879 ([http://www.jstor.org/stable/2234706 JSTOR]).</ref>), dass sich das übermäßige Bieten bei wiederholtem Durchführen einer Zweitpreisauktion nicht wesentlich ändert und erklärt den so erwachsenden Unterschied zwischen Englischer Auktion und Zweitpreisauktion bei wiederholten Zweitpreisauktionen damit, dass den Bietern ein negativer Feedbackmechnismus bei überhöhten Geboten fehlt, weil sie auch bei zu hohen Geboten noch einen positiven Gewinn realisieren können, was sie fälschlicherweise als Bestätigung ihrer strategischen Wahl auffassen.


Morgan, Steiglitz und Reis (2003<ref>John Morgan, Ken Steiglitz und George Reis: ''The Spite Motive and Equilibrium Behavior in Auctions.'' In: ''Contributions in Economic Analysis & Policy.'' 2, Nr. 1, Artikel 5, {{DOI|10.2202/1538-0645.1102}}.</ref>) rationalisieren überhöhte Gebote auf theoretischer Ebene durch die Annahme, dass die Bieter einen Negativnutzen durch Gewinne ihrer Mitstreiter realisieren (mithin also boshaft agieren). Erst in jüngerer Zeit wurden experimentelle Studien zur Überprüfung von Erklärungs(hypo)thesen durchgeführt. Andreaonia, Cheb und Kimc (2007<ref>James Andreonia, Yeon-Koo Cheb und Jinwoo Kimc: ''Asymmetric information about rivals’ types in standard auctions: An experiment.'' In: ''Games and Economic Behavior.'' 59, Nr. 2, 2007, S. 240–259.</ref>) teilen Bieter von Runde zu Runde randomisiert in Gruppen ein und untersuchen Unterschiede im Bietverhalten von Bietern mit der jeweils höchsten Wertschätzung und solchen, die davon überzeugt sind, zu verlieren. Die Autoren finden Evidenz dafür, dass sich Bieter grundsätzlich an ihre schwach dominante Strategie halten, jedoch dann davon (nach oben) abweichen, wenn sie zu der Überzeugung gelangen, ohnehin zu verlieren und in der Lage sind, den Verkaufspreis zu beeinflussen. Das Ergebnis ist soweit konsistent mit dem Boshaftigkeitsmotiv von Morgan, Steiglitz und Reis (2003).
Morgan, Steiglitz und Reis (2003<ref>John Morgan, Ken Steiglitz und George Reis: ''The Spite Motive and Equilibrium Behavior in Auctions.'' In: ''Contributions in Economic Analysis & Policy.'' 2, Nr. 1, Artikel 5, {{DOI|10.2202/1538-0645.1102}}.</ref>) rationalisieren überhöhte Gebote auf theoretischer Ebene durch die Annahme, dass die Bieter einen Negativnutzen durch Gewinne ihrer Mitstreiter realisieren (mithin also boshaft agieren). Erst in jüngerer Zeit wurden experimentelle Studien zur Überprüfung von Erklärungs(hypo)thesen durchgeführt. Andreaonia, Cheb und Kimc (2007<ref>James Andreonia, Yeon-Koo Cheb und Jinwoo Kimc: ''Asymmetric information about rivals’ types in standard auctions: An experiment.'' In: ''Games and Economic Behavior.'' 59, Nr. 2, 2007, S. 240–259.</ref>) teilen Bieter von Runde zu Runde randomisiert in Gruppen ein und untersuchen Unterschiede im Bietverhalten von Bietern mit der jeweils höchsten Wertschätzung und solchen, die davon überzeugt sind, zu verlieren. Die Autoren finden Evidenz dafür, dass sich Bieter grundsätzlich an ihre schwach dominante Strategie halten, jedoch dann davon (nach oben) abweichen, wenn sie zu der Überzeugung gelangen, ohnehin zu verlieren und in der Lage sind, den Verkaufspreis zu beeinflussen. Das Ergebnis ist soweit konsistent mit dem Boshaftigkeitsmotiv von Morgan, Steiglitz und Reis (2003).
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Zusammengefasst lässt sich konstatieren, dass eine der bemerkenswerten Eigenschaften der Zweitpreisauktion und des Nash-Ergebnisses darin besteht, dass sie fast ausschließlich auf der Annahme privater Information fußen, andere Annahmen jedoch ohne größere Modifikationen aufgelöst werden können.<ref>Vgl. Lawrence M. Ausubel: ''Auctions (Theory).'' In: Steven N. Durlauf und Lawrence E. Blume (Hrsg.): ''The New Palgrave Dictionary of Economics.'' 2. Auflage. Palgrave Macmillan 2008, {{DOI|10.1057/9780230226203.0073}} (Online-Ausgabe).</ref>
Zusammengefasst lässt sich konstatieren, dass eine der bemerkenswerten Eigenschaften der Zweitpreisauktion und des Nash-Ergebnisses darin besteht, dass sie fast ausschließlich auf der Annahme privater Information fußen, andere Annahmen jedoch ohne größere Modifikationen aufgelöst werden können.<ref>Vgl. Lawrence M. Ausubel: ''Auctions (Theory).'' In: Steven N. Durlauf und Lawrence E. Blume (Hrsg.): ''The New Palgrave Dictionary of Economics.'' 2. Auflage. Palgrave Macmillan 2008, {{DOI|10.1057/9780230226203.0073}} (Online-Ausgabe).</ref>
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== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Erlös-Äquivalenz-Theorem]]
* [[Erlös-Äquivalenz-Theorem]]
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* Andreu Mas-Colell, Michael Whinston und Jerry Green: ''Microeconomic Theory.'' Oxford University Press, Oxford 1995, ISBN 0-195-07340-1.
* Andreu Mas-Colell, Michael Whinston und Jerry Green: ''Microeconomic Theory.'' Oxford University Press, Oxford 1995, ISBN 0-195-07340-1.
* Paul Milgrom: ''Putting Auction Theory to Work.'' Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 0-521-55194-6.
* Paul Milgrom: ''Putting Auction Theory to Work.'' Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 0-521-55194-6.
* Nikolaĭ N. Vorob’ev: ''Game Theory.'' Lectures for Economists and Systems Scientists. Übersetzt von Samuel Kotz. Springer, New York u.a. 1977, ISBN 0-387-90238-4.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 28. Juli 2013, 19:30 Uhr

Als (verdeckte) Zweitpreisauktion (second-price [sealed bid] auction) bezeichnet man in der Auktionstheorie eine Form einer Auktion, bei der zwar der Höchstbietende den Zuschlag erhält, am Ende jedoch nur das zweithöchste Gebot zahlen muss. Dabei werden die Gebote jeweils einmalig so abgegeben, dass sie den anderen Bietern nicht bekannt werden („verdeckt“, wie bei der Abgabe in einem Umschlag, der erst nach Ende des Bietprozesses geöffnet wird). Nach ihrem theoretischen Begründer, dem Nobelpreisträger William Vickrey, bezeichnet man Zweitpreisauktionen auch als Vickreyauktionen.

Zweitpreisauktionen sind abzugrenzen von den so genannten Erstpreisauktionen, die zwar dasselbe Format und einen identischen Allokationsmechanismus verwenden (der Höchstbietende gewinnt), bei denen der Gewinner aber auch das von ihm selbst abgegebene Gebot zahlen muss.

Historische Einordnung

Die erste formale Beschreibung einer Zweipreisauktion liefert Vickrey (1961[1]), der die Zweitpreisauktion in seiner Analyse von Erstpreis-, Englischer und Holländischer Auktion (die er als in der Praxis gebräuchlich darstellt) konstruiert, um auch der Englischen Auktion jedenfalls im Fall privater Wertschätzungen ein strategisches Äquivalent an die Seite zu geben, ganz so, wie die Erstpreisauktion bereits in einem solchen Verhältnis zur Holländischen Auktion steht. Vickrey wurde mit Blick auf das scheinbare Fehlen früherer Beispiele in späteren Arbeiten zudem immer wieder als „Erfinder“ des Auktionsformats schlechthin postuliert.[2]

Allerdings wurden später auch mehrere frühere Beispiele für die Verwendung des Formats angeführt. So weisen Moldovanu und Tietzel (1998[3]) darauf hin, dass bereits Goethe im Jahr 1797 bei der Versteigerung eines Manuskripts zu einer speziellen Form des Zweitpreisformats gegriffen hat, wofür sie auf den Auszug aus einem Brief Goethes an einen Verleger, Friedrich Vieweg, verweisen:

„Ich bin geneigt Herrn Vieweg in Berlin ein episches Gedicht Herrmann und Dorothea das ohngefähr 2000 Hexamter stark sein wird zum Verlag zu überlassen […] Was das Honorar betrifft so stelle ich Herrn Oberconsistorialrath Böttiger ein versiegeltes Billet zu, worinn meine Forderung enthalten ist und erwarte was Herr Vieweg mir für meine Arbeit anbieten zu können glaubt. Ist sein Anbieten geringer als meine Forderung, so nehme ich meinen versiegelten Zettel uneröffnet zurück, und die Negotiation zerschlägt sich, ist es höher, so verlange ich nicht mehr als in dem, alsdann von Herrn Oberconsistorialrath zu eröffnenden Zettel verzeichnet ist.“[4]

Lucking-Reiley (2000[5]) zeigt anhand des Marktes für Briefmarken, dass bereits weit vor Vickreys Arbeiten Zweitpreisauktionen zum Einsatz kamen. Nachdem bereits in den 1870er Jahren in dem in New York konzentrierten Sammlermarkt Annäherungen an das Format der Zweitpreisauktion zu verzeichnen waren, indem jedenfalls ein Händler das bis anhin übliche Englische Format unter Hinweis auf hohe Kosten für die Anreise auswärtiger Sammler um einfache Möglichkeiten für die Abgabe einmaliger Vorabgebote ergänzt hatte, datiert Lucking-Reiley die erste von ihm auf diesem Markt identifizierte vollwertige Zweitpreisauktion auf das Jahr 1883. Tatsächlich seien auf dem genannten Markt seit den 1930er Jahren sogar mehrheitlich Zweitpreisauktionen verwendet worden.

Eigenschaften

Auszahlungsfunktion

Sei die Wertschätzung von Person i, , und sei das von i abgegebene Gebot. Sei weiter die Payoff-Funktion von Bieter i. In einer Zweitpreisauktion lautet diese dann

Der Fall wird regelmäßig durch Randomisierung aufgelöst oder, zur theoretischen Vereinfachung, indem man die Gebote zunächst nummeriert und bei Gleichstand dasjenige mit der höchsten/niedrigsten Nummer gewinnen lässt.[6]

Optimale Gebotshöhe

Die Abgabe eines Gebots in Höhe der eigenen Wertschätzung ist in einer Zweitpreisauktion eine schwach dominante Strategie. Um dies einzusehen, überlege man sich, dass es nicht optimal sein kann, irgendeinen Betrag zu bieten.

  • Ein Gebot ist nicht optimal. Bietet i stattdessen mit geeignetem , erhält er das Objekt noch immer (und zum selben Preis), wenn , aber neu zusätzlich auch dann, wenn , womit annahmegemäß ebenfalls ein positiver Payoff realisiert werden kann.
  • Ein Gebot ist nicht optimal. Bietet i stattdessen mit geeignetem , erhält er das Objekt noch immer (und zum selben Preis), wenn , aber neu nicht mehr dann, wenn , womit jedoch annahmegeäß ein negativer Payoff realisiert worden wäre.

Folglich sollte weder oberhalb noch unterhalb der Wertschätzung geboten werden, weil man damit niemals einen höheren, mitunter aber einen niedrigeren Gewinn realisiert.

Die nachfolgenden graphischen Darstellungen illustrieren dies.[7] Dargestellt ist der Payoff von i in Abhängigkeit vom höchsten nichteigenen Gebot, gegeben die drei Situationen, dass das eigene Gebot der eigenen Wertschätzung entspricht, darunter oder darüber liegt. Betrachtet man die Fläche unterhalb der Kurve, ist unmittelbar ersichtlich, dass diese im ersten Fall am höchsten ist.

Gebot in Höhe der eigenen Wertschätzung
Gebot unterhalb der eigenen Wertschätzung
Gebot oberhalb der eigenen Wertschätzung


Bewertung

Die Tatsache, dass genau in Höhe der eigenen Wertschätzung geboten werden sollte, vereinfacht den Bietprozess aus Sicht des Bieters, weil es zur Festlegung des eigenen Gebots keiner Verteilungsannahmen über die Gebotshöhen anderer Bieter bedarf. Im Vergleich zu der im Fall privater Wertschätzungen strategisch äquivalenten aufsteigenden Auktion (auch: Englischen Auktion) bietet die Zweitpreisauktion den Vorteil, dass es für die Bieter nicht erforderlich ist, über längere Zeit dem Bietprozess beizuwohnen („mitzubieten“), da dieser in einem einstufigen Sealed-Bid-Format ja bereits durch die einmalige Gebotsabgabe abgeschlossen ist. So war es beispielsweise in dem ursprünglich auf der Internetauktionsplattform Ebay verwendeten Format der Englischen Auktion für einen Payoff-optimierenden Kunden erforderlich, etwa über die Anstellung eines Agenten, spezielle Software oder eigene Präsenz sicherzustellen, dass man zum Ende der Auktion hin auch tatsächlich sich noch aktiv am Bietprozess beteiligt; dieser Aufwand entfällt beim hier vorgestellten Format.

Rothkopf, Teisberg und Kahn (1990[8]) führen zwei Gründe an, weshalb Zweitpreisauktionen in der Praxis selten anzutreffen sind. Zum einen sei dies darauf zurückzuführen, dass die Bieter befürchten, betrogen zu werden. Da der Höchstbietende das zweithöchste Gebot bezahlt, ist er davon abhängig, dass der Auktionator dieses auch korrekt beziffert und nicht etwa noch ein eigenes Gebot einfügt, um den Preis in die Höhe zu treiben. Zum anderen sei gerade die Tatsache, dass es optimal ist, seine eigene Wertschätzung offenzulegen, für Bieter abschreckend. Eine Teilnehmerin an einer Zweitpreisauktion hat regelmäßig einen erheblichen Anreiz, andere Bieter bzw. einen Auktionator nicht über die tatsächliche Wertschätzung zu informieren. Zu denken ist auch an Situationen, in denen Auktionsergebnisse nachverhandelt werden; hier würde potenziell etwa die Verhandlungsmacht eines Unternehmens darunter leiden, dass zuvor durch das strategiekonforme Gebot faktisch die Kostenstruktur offengelegt wurde. Dieser Punkt lässt sich in der Praxis auch auf dem bereits angesprochenen Sammlermarkt für Briefmarken nachvollziehen.[9] Abhilfe liefern möglicherweise technologische Innovationen, die den Preisbildungsprozess transparenter und weniger anfällig für Manipulation machen.[10]

Strategische Verwandtschaft

Theorie

Strategische Äquivalenz

Eine Zweitpreisauktion (und allgemein eine Auktion) lässt sich in der Tradition von Vickrey (1961[11]) und Harsanyi (1967[12], 1968[13]) als Spezialfall eines Bayesianischen Spiels modellieren. Sei nun also mit die Indexmenge aller Spieler gegeben und sei die Menge aller Strategien, zwischen denen i wählen kann. Sei ferner die allgemeine Payoff-Funktion von i. Dann ist durch

ein allgemeines nichtkooperatives Spiel gegeben.

Anwendung: Im Falle einer Zweitpreisauktion erscheinen für den Strategieraum etwa die nichtnegativen reellen Zahlen denkbar, . Die Payoff-Funktion muss wiederum allgemein eine Funktion der [reinen] Strategien der Spieler sein, weshalb die obige Darstellung noch einer Umformulierung bedarf. Sei das Strategieprofil aller anderen Spieler außer i. Dann notiert man die Payoff-Funktion von i mittels einer Funktion als

Betrachte nun zwei Spiele

,

die sich ausschließlich durch ihre Payoff-Funktionen unterscheiden. Man bezeichnet die beiden Spiele als strategisch äquivalent, wenn es ein reelles sowie ein reelles Tupel gibt, sodass

für jedes Tupel .[14]

Strategische Äquivalenz bedeutet also, dass die beiden Spiele identischen Spielern identische Strategieräume zuweisen; sie unterscheiden sich indes in der individuellen Anfangsausstattung sowie der relativen Einheit, in der die Payoffs ausgezahlt werden. Naheliegenderweise gilt für strategisch äquivalente Spiele, dass ihre Nash-Gleichgewichte identisch sind.[15]

Anwendung auf Zweitpreisauktionen

Zweitpreisauktionen sind in enger strategischer Verwandtschaft zur Englischen Auktion. Man vergegenwärtige sich dies etwa mithilfe folgender Überlegung: In einer Zweitpreisauktion bietet ein Spieler wie oben gezeigt optimalerweise in Höhe der eigenen Wertschätzung und, falls er Höchstbietender ist, zahlt das nächsthöhere Gebot. In einer aufsteigenden Auktion werden sich die Bieter so lange gegenseitig überbieten, bis es keine zwei Bieter mehr gibt, deren Wertschätzung über der aktuellen Gebotshöhe liegen; das letzte Gebot ist dementsprechend bei optimalem Bietverhalten gerade marginal höher als das zweitletzte Gebot (und insofern also approximativ gleich). Damit schließt sich der Kreis zur Zweitpreisauktion: Bei beiden Auktionstypen gewinnt im (eindeutigen) Gleichgewicht derjenige mit der höchsten Wertschätzung und in beiden Fällen entstehen ihm Ausgaben in Höhe der zweithöchsten Wertschätzung unter allen Bietern.[16]

Anders als die Erstpreisauktion und die Holländische (absteigende) Auktion sind Zweitpreisauktion und Englische Auktion jedoch nicht generell strategisch äquivalent.[17] Illustrativ kann man sich etwa in der vorangehenden Überlegung vorstellen, dass einer der Bieter seine eigene Wertschätzung nicht kennt. Ein Beispiel wäre etwa, dass die Lizenz zum Betrieb einer Koltanmine im Wege einer Auktion versteigert werden soll; dabei ist die Bewertung der erwarteten Erträge (und damit auch die Wertschätzung der Lizenz) mit Unsicherheit behaftet, weil Qualität und Quantität des abgebauten Koltans ex ante der unmittelbaren Einsicht verborgen sind. Milgrom und Weber (1982[18]) zeigen, dass in einer solchen Situation mit Ungewissheit über die Wertschätzungen eine Englische Auktion höhere (erwartete) Preise mit sich bringt als eine Zweitpreisauktion.

Experimentelle Ergebnisse

In der experimentellen Literatur ist immer wieder festgestellt worden, dass die strategische Äquivalenz zwischen Zweitpreis- und Englischer Auktion bei privaten Wertschätzungen nicht vollständig repliziert werden kann.[19] Kagel, Harstad und Levin (1987[20]) stellen (verglichen mit ihrer tatsächlichen dominanten Strategie) übermäßig hohe Gebote in Zweitpreisauktionen fest (durchschnittlich 11 Prozent zu hoch), während das Ergebnis bei einer Englischen Auktion mit der dominanten Strategie kompatibel war. Die Autoren vermuten als Ursache, dass dies von der falschen Wahrnehmung herrührt, die Gewinnwahrscheinlichkeit würde dadurch steigen, ohne dass hierfür (wegen des Zweitpreisformates) wirkliche Kosten entstehen. Harstadt (2000[21]) bestätigt dieses Ergebnis. Er beobachtet ebenso wie schon Kagel und Levin (1993[22]), dass sich das übermäßige Bieten bei wiederholtem Durchführen einer Zweitpreisauktion nicht wesentlich ändert und erklärt den so erwachsenden Unterschied zwischen Englischer Auktion und Zweitpreisauktion bei wiederholten Zweitpreisauktionen damit, dass den Bietern ein negativer Feedbackmechnismus bei überhöhten Geboten fehlt, weil sie auch bei zu hohen Geboten noch einen positiven Gewinn realisieren können, was sie fälschlicherweise als Bestätigung ihrer strategischen Wahl auffassen.

Morgan, Steiglitz und Reis (2003[23]) rationalisieren überhöhte Gebote auf theoretischer Ebene durch die Annahme, dass die Bieter einen Negativnutzen durch Gewinne ihrer Mitstreiter realisieren (mithin also boshaft agieren). Erst in jüngerer Zeit wurden experimentelle Studien zur Überprüfung von Erklärungs(hypo)thesen durchgeführt. Andreaonia, Cheb und Kimc (2007[24]) teilen Bieter von Runde zu Runde randomisiert in Gruppen ein und untersuchen Unterschiede im Bietverhalten von Bietern mit der jeweils höchsten Wertschätzung und solchen, die davon überzeugt sind, zu verlieren. Die Autoren finden Evidenz dafür, dass sich Bieter grundsätzlich an ihre schwach dominante Strategie halten, jedoch dann davon (nach oben) abweichen, wenn sie zu der Überzeugung gelangen, ohnehin zu verlieren und in der Lage sind, den Verkaufspreis zu beeinflussen. Das Ergebnis ist soweit konsistent mit dem Boshaftigkeitsmotiv von Morgan, Steiglitz und Reis (2003).

Cooper und Fang (2008[25]) untersuchen experimentell die empirische Konsistenz einer Reihe potenzieller Erklärung, namentlich dem Boshaftigkeitsmotiv von Morgan, Steiglitz und Reis (2003) (Hypothese 1), dem an die oben kurz referierte Erklärung von Kagel, Harstad und Levin (1987) angelehnten Vorliegen beschränkter Rationalität (Hypothese 2) sowie einem neuen Motiv, der joy of winning hypothesis („Freude am Sieg“) (Hypothese 3). Hypothese 2 wird von den Autoren so konstruiert, dass Bieter bei der Festlegung ihres Gebotes die Bedeutung einer Gebotserhöhung für den erwarteten Payoff im Fall eines Sieges unterschätzen, während sie ihre Bedeutung für die Gewinnwahrscheinlichkeit vollständig berücksichtigen; dies würde den Unterschied zur Englischen Auktion erklären, weil dort für jedermann leicht ersichtlich ist, wie sich eine Gebotserhöhung auf den Payoff im Fall eines Sieges auswirkt, sodass in der Englischen Auktion die (hohe Gebote befördernde) Wahrnehmungsverzerrung geringer ausgeprägt sein müsste. Hypothese 3 hat zum Inhalt, dass Bieter über monetäre Faktoren hinausgehend einen positiven Nutzen aus dem Gewinn erfahren, wodurch sich ihre Wertschätzung (und damit das optimale Gebot) entsprechend erhöht. Die Autoren finden Evidenz für die Hypothesen 2 und 3 und – im Widerspruch zu Morgan, Steiglitz und Reis (2003) – gegen Hypothese 1.

Siehe auch

Literatur

  • Geoffrey A. Jehle und Philip J. Reny: Advanced Microeconomic Theory. 3. Aufl. Financial Times/Prentice Hall, Harlow 2011, ISBN 978-0-273-73191-7.
  • Vijay Krishna: Auction Theory. 2. Aufl. Academic Press, San Diego u.a. 2010, ISBN 978-0-12-374507-1.
  • Andreu Mas-Colell, Michael Whinston und Jerry Green: Microeconomic Theory. Oxford University Press, Oxford 1995, ISBN 0-195-07340-1.
  • Paul Milgrom: Putting Auction Theory to Work. Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 0-521-55194-6.
  • Nikolaĭ N. Vorob’ev: Game Theory. Lectures for Economists and Systems Scientists. Übersetzt von Samuel Kotz. Springer, New York u.a. 1977, ISBN 0-387-90238-4.

Einzelnachweise

  1. William Vickrey: Counterspeculation, Auctions, and Competitive Sealed Tenders. In: The Journal of Finance. 16, Nr. 1, 1961, S. 8–37 (JSTOR).
  2. So etwa Michael H. Rothkopf, Thomas J. Teisberg und Edward P. Kahn: Why Are Vickrey Auctions Rare? In: Journal of Political Economy. 98, Nr. 1, 1990, S. 94–109 (JSTOR), hier S. 95.
  3. Benny Moldovanu und Manfred Tietzel: Goethe’s Second‐Price Auction. In: Journal of Political Economy. 106, Nr. 4, 1998, S. 854-859 (JSTOR).
  4. Zit. nach Inge Jensen (Hrsg.): Quellen und Zeugnisse zur Druckgeschichte von Goethes Werken. Teil 4: Die Einzeldrucke. Akademie-Verlag Berlin, Berlin 1984, S. 650. Angeblich lautete der Inhalt dieses Billets wie folgt: „Ich übersende Ihnen im versiegelten Anschlusse ein Manuscript. Will Herr Vieweg dafür nicht 200 Friedrichsd’or zahlen, so beliebe er den Pack zurückzusenden, ohne ihn zu entsiegeln.“, wobei die Echtheit des selbigen von Jensen bezweifelt wird.
    Das Ergebnis dieser Auktion war aus auktionstheoretischer Sicht schließlich wenig ergiebig. Goethes Berater Karl August Böttiger schrieb am 16. Januar an Vieweg: „Nun kam es auf den Hauptpunkt, das Honorar. Ich will mich nicht kompromittieren, sagt er, aber auch dem Verleger nicht wehe thun. Nun theilte er mir den Gedanken mit, der auf beifolgendem von ihm eigenhändig unterschriebenen Zettel des weiters zu lesen ist. Das versiegelte Billet […] liegt wirklich wirklich in meinem Büreau. Nun sagen Sie also, was Sie geben können und wollen? // Ich stelle mich in Ihre Lage, theuerster Vieweg, und empfinde, was ein Zuschauer, der Ihr Freund ist, empfinden kann. // Nur eins erlauben Sie mir nach dem, was ich ich ohngefähr von Göthes Honoraren bey Göschen, Bertuch, Cotta und Unger weiß, anzufügen: unter 200 Fr[iedsrichs]d’or können Sie nicht bieten.“ (Zit. nach Jensen op. cit., S. 651) Tatsächlich war dies freilich exakt die Summe, die Goethe auf den Zettel geschrieben hatte und Vieweg bot schlussendlich auch in der Tat exakt 200 Friedrichsd’or; es liegt nahe, dass Böttiger hier Vieweg mit seiner Schätzung einen entsprechenden Hinweis zukommen ließ. Jensen mutmaßt demgemäß, „[m]öglicherweise kannte Böttiger die von Goethe geforderte Summe aus Gesprächsäußerungen“ (Jensen ibid.). Zu den Stellennachweisen vgl. Benny Moldovanu und Manfred Tietzel: Goethe’s Second‐Price Auction. In: Journal of Political Economy. 106, Nr. 4, 1998, S. 854-859 (JSTOR).
  5. David Lucking-Reiley: Vickrey Auctions in Practice: From Nineteenth-Century Philately to Twenty-First-Century E-Commerce. In: The Journal of Economic Perspectives. 14, Nr. 3, 2000, S. 183–192 (JSTOR).
  6. Vgl. Krishna 2010, S. 15; Mas-Colell/Whinston/Green 1995, S. 865, Fußnote 8.
  7. Angelehnt an Daron Acemoglu and Asu Ozdaglar: Incomplete Information: Bayesian Nash Equilibria, Auctions and Introduction to Social Learning. Vorlesungsnotizen, MIT. 2009, abgerufen am 28. Juli 2013, S. 28.
  8. Rothkopf/Teisberg/Kahn 1990, op. cit.
  9. Vgl. Lucking-Reiley 2000, op. cit., S. 189–190.
  10. Vgl. etwa David Lucking-Reiley: Auctions on the Internet: What’s Being Auctioned, and How? In: The Journal of Industrial Economics. 48, Nr. 3, S. 227–252, doi:10.1111/1467-6451.00122.
  11. William Vickrey: Counterspeculation, Auctions, and Competitive Sealed Tenders. In: The Journal of Finance. 16, Nr. 1, 1961, S. 8–37 (JSTOR).
  12. John C. Harsanyi: Games with Incomplete Information Played by "Bayesian" Players, I-III. Part I. The Basic Model. In: Management Science. 14, Nr. 3, 1967, S. 159–182 (JSTOR).
  13. John C. Harsanyi: Games with Incomplete Information Played by "Bayesian" Players, I-III. Part II. Bayesian Equilibrium Points. In: Management Science. 14, Nr. 5, 1968, S. 320-334 (JSTOR); Ders.: Games with Incomplete Information Played by "Bayesian" Players, I-III. Part III. The Basic Probability Distribution of the Game. In: Management Science. 14, Nr. 7, 1968, S. 486-502 (JSTOR).
  14. Vgl. Vorob’ev 1977, S. 3 f.; Rodica Branzei, Dinko Dimitrov und Stef Tijs: Models in Cooperative Game Theory. 2. Aufl. Springer, Heidelberg u.a. 2008, ISBN 978-3-540-77953-7 (auch doi:10.1007/978-3-540-77954-4), S. 8; Robert J. Weber: Games in coalitional form. In: Robert Aumann und Sergiu Hart (Hrsg.): Handbook of Game Theory with Economic Applications. Bd. 2. Elsevier, Amsterdam u.a. 1994, ISBN 978-0-444-89427-4, S. 1285–1303 (auch doi:10.1016/S1574-0005(05)80068-2), hier S. 1288 ff.
  15. Vgl. Vorob’ev 1977, S. 4.
  16. Vgl. etwa Paul R. Milgrom und Robert J. Weber: A Theory of Auctions and Competitive Bidding. In: Econometrica. 50, Nr. 5, 1982, S. 1089–1122 (JSTOR), hier S. 1091 f.
  17. Dazu etwa allgemein Krishna 2010, S. 4 f.
  18. Paul R. Milgrom und Robert J. Weber: A Theory of Auctions and Competitive Bidding. In: Econometrica. 50, Nr. 5, 1982, S. 1089–1122 (JSTOR).
  19. Dazu insbesondere John H. Kagel: Auctions. A Survey of Experimental Research. In: Ders. und Alvin E. Roth (Hrsg.): The Handbook of Experimental Economics. Princeton University Press, Princeton und New Jersey 1995, S. 501–585, S. 508–514. In der früheren Literatur sehen freilich noch Vicki M. Coppinger, Vernon L. Smith und Jon A. Titus: Incentives and Behavior in English, Dutch and Sealed-Bid Auctions. In: Economic Inquiry. 18, Nr. 1, S. 1–22, doi:10.1111/j.1465-7295.1980.tb00556.x eine Übereinstimmung zwischen Wertschätzung und Gebotshöhe. Hiergegen ist hingegen verschiedentlich methodisch eingewandt worden, dass die Autoren von vornherein keine Gebote oberhalb der Wertschätzung zugelassen haben.
  20. John H. Kagel, Ronald M. Harstad und Dan Levin: Information Impact and Allocation Rules in Auctions with Affiliated Private Values: A Laboratory Study. In: Econometrica. 55, Nr. 6, 1987, S. 1275–1304 (JSTOR).
  21. Ronald M. Harstad: Dominant Strategy Adoption and Bidders’ Experience with Pricing Rules. In: Experimental Economics. 3, Nr. 3, S. 261–280, doi:10.1007/BF01669775.
  22. John H. Kagel and Dan Levin: Independent Private Value Auctions: Bidder Behaviour in First-, Second- and Third-Price Auctions with Varying Numbers of Bidders. In: The Economic Journal. 103, Nr. 419, 1993, S. 868–879 (JSTOR).
  23. John Morgan, Ken Steiglitz und George Reis: The Spite Motive and Equilibrium Behavior in Auctions. In: Contributions in Economic Analysis & Policy. 2, Nr. 1, Artikel 5, doi:10.2202/1538-0645.1102.
  24. James Andreonia, Yeon-Koo Cheb und Jinwoo Kimc: Asymmetric information about rivals’ types in standard auctions: An experiment. In: Games and Economic Behavior. 59, Nr. 2, 2007, S. 240–259.
  25. David J. Cooper und Hanming Fang: Understanding Overbidding in Second Price Auctions: An Experimental Study. In: The Economic Journal. 118, Nr. 532, S. 1572–1595, doi:10.1111/j.1468-0297.2008.02181.x.