„Faszientraining“ – Versionsunterschied

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'''Faszientraining''' beschreibt eine bewegungstherapeutische oder sportliche Trainingsmethode zur gezielten Förderung eines reißfesten, geschmeidigen und hochelastischen muskulären Bindegewebes, der [[Faszien]]. Faszien sind faserige Bindegewebe des Bewegungsapparates - wie Gelenkkapseln, Sehnenplatten, Muskelhüllen, Bänder und Sehnen - deren Architektur in erster Linie an wiederkehrende Zugbelastungen angepasst wurde. Die Zugfestigkeit und Dehnbarkeit dieser meist weißlichen bis transparenten Fasergewebe wird primär durch deren hohen Anteil an Kollagen-Fasern bestimmt.<ref>{{Literatur | Autor=Serge Paoletti | Titel=Faszien: Anatomie, Strukturen, Techniken, spezielle Osteopathie | Auflage=1. | Verlag=Urban & Fischer | Ort= | Jahr=2001 | ISBN=3-437-56100-6 | Seiten=}}</ref>
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'''Faszientraining''' beschreibt eine bewegungstherapeutische oder sportliche Trainingsmethode zur gezielten Förderung eines reißfesten, geschmeidigen und hochelastischen muskulären Bindegewebes, der [[Faszien]]. Faszien sind faserige Bindegewebe des Bewegungsapparates - wie Gelenkkapseln, Sehnenplatten, Muskelhüllen, Bänder und Sehnen - deren Architektur in erster Linie an wiederkehrende Zugbelastungen angepasst wurde. Die Zugfestigkeit und Dehnbarkeit dieser meist weißlichen bis transparenten Fasergewebe wird primär durch deren hohen Anteil an Kollagen-Fasern bestimmt.<ref> Serge Paoletti: Faszien. Urban & Fischer 2001, ISBN 3-437-56100-6 </ref>


==Ursprung==
==Ursprung==
Im gesundheitsorientierten Breitensport lag das Hauptaugenmerk lange Zeit auf der klassischen Triade von Muskelkräftigung, kardiovaskulärer Kondition und sensomotorischer Koordination. In den vergangenen Jahrzehnten gewann man jedoch zunehmend die Erkenntnis, dass selbst eine umfassende Förderung all dieser drei Komponenten für eine umfassende Gesundheitsförderung und Verletzungsprophylaxe im Bewegungsbereich ergänzungsbedürftig sein könnte, solange nicht auch eine gezielte Förderung der faszialen Gewebe einbezogen wird. Ein deutlicher Hinweis zu dieser Annahme war die Erkenntnis, dass die überwiegende Mehrheit der Überlastungsschäden im Sportbereich nicht die Muskelfasern, Knochen, Bandscheiben oder kardiovaskulären Strukturen betreffen, sondern auf ein Versagen der faserigen kollagenen Bindegewebes des Bewegungsapparates zurück zu führen sind.<ref> P. Renström, R. J. Johnson: Overuse injuries in sports. Sports Med 2 (5) 1985, S. 316-333</ref> Selbst die sogenannten Muskelfaserrisse treten fast nie innerhalb der roten Muskelfasern auf, sondern in deren weißlichen kollagenen Faserverlängerungen.
Im gesundheitsorientierten Breitensport lag das Hauptaugenmerk lange Zeit auf der klassischen Triade von Muskelkräftigung, kardiovaskulärer Kondition und sensomotorischer Koordination. In den vergangenen Jahrzehnten gewann man jedoch zunehmend die Erkenntnis, dass selbst eine umfassende Förderung all dieser drei Komponenten für eine umfassende Gesundheitsförderung und Verletzungsprophylaxe im Bewegungsbereich ergänzungsbedürftig sein könnte, solange nicht auch eine gezielte Förderung der faszialen Gewebe einbezogen wird. Ein deutlicher Hinweis zu dieser Annahme war die Erkenntnis, dass die überwiegende Mehrheit der Überlastungsschäden im Sportbereich nicht die Muskelfasern, Knochen, Bandscheiben oder kardiovaskulären Strukturen betreffen, sondern auf ein Versagen der faserigen kollagenen Bindegewebes des Bewegungsapparates zurück zu führen sind.<ref>{{cite journal | author=P. Renström und R. J. Johnson | date=September – Oktober 1985 | title=Overuse injuries in sports. A review | url= | format= | language=Englisch | journal=Sports medicine | location= | publisher=Springer | volume=2 | issue=5 | pages=316–333 | doi= | issn= | pmid=3901173}}</ref> Selbst die sogenannten Muskelfaserrisse treten fast nie innerhalb der roten Muskelfasern auf, sondern in deren weißlichen kollagenen Faserverlängerungen.


Während man lange davon ausgegangen war, dass das fasziale Gewebe beim konventionellen Muskel- oder Herz-Kreislauf-Training bereits optimal mittrainiert wird, verdichtete sich seit den frühen 2000-er Jahren die Erkenntnis, dass dies nicht unbedingt der Fall ist und dass das weißfarbige Fasziennetzwerk von einem speziell darauf abgestimmten Belastungstraining ähnlich profitieren könnte, wie das beispielsweise der Fall ist bei der sichtbaren Wirkung eines langfristigen Muskel-Hypertrophie-Trainings (hier auf die Muskelfasern) im Gegensatz zu einem Ausdauertraining (dann auf die kardiovaskulären Elemente). <ref> D. Müller, R. Schleip: Faszien-Fitness. Lehrbuch Faszien. Urban & Fischer 2014. S. 350 </ref>
Während man lange davon ausgegangen war, dass das fasziale Gewebe beim konventionellen Muskel- oder Herz-Kreislauf-Training bereits optimal mittrainiert wird, verdichtete sich seit den frühen 2000-er Jahren die Erkenntnis, dass dies nicht unbedingt der Fall ist und dass das weißfarbige Fasziennetzwerk von einem speziell darauf abgestimmten Belastungstraining ähnlich profitieren könnte, wie das beispielsweise der Fall ist bei der sichtbaren Wirkung eines langfristigen Muskel-Hypertrophie-Trainings (hier auf die Muskelfasern) im Gegensatz zu einem Ausdauertraining (dann auf die kardiovaskulären Elemente). <ref name="Müller"> D. Müller, R. Schleip: Faszien-Fitness. Lehrbuch Faszien. Urban & Fischer 2014. S. 350 </ref>


Aufbauend auf dem [[Davisschen Gesetz]] wird im Faszientraining angenommen, dass sich die Architektur der faszialen Gewebe auf wiederkehrende und adäquat dosierte Belastungsreize so anpasst, dass sie diesen Herausforderungen noch besser gewachsen ist. Voraussetzung hierfür scheint das Überschreiten einer bestimmten Schwellwertes - hier für Dehnbelastungen - zu sein. Während beispielsweise bereits moderate Belastungen ausreichen, um langfristiges Wachstum der Muskelfasern zu fördern, sind wesentlich höhere Belastungen nötig, damit die mit den Muskeln verbundenen Sehnen und Sehnenplatten gekräftigt werden.<ref> N. D. Reeves, M. V. Narici, C. N. Maganaris: Myotendinous plasticity to ageing and resistance exercise in humans. Exp Physiol 91(3) 2006: 483–498 </ref>
Aufbauend auf dem [[Davisschen Gesetz]] wird im Faszientraining angenommen, dass sich die Architektur der faszialen Gewebe auf wiederkehrende und adäquat dosierte Belastungsreize so anpasst, dass sie diesen Herausforderungen noch besser gewachsen ist. Voraussetzung hierfür scheint das Überschreiten einer bestimmten Schwellwertes - hier für Dehnbelastungen - zu sein. Während beispielsweise bereits moderate Belastungen ausreichen, um langfristiges Wachstum der Muskelfasern zu fördern, sind wesentlich höhere Belastungen nötig, damit die mit den Muskeln verbundenen Sehnen und Sehnenplatten gekräftigt werden.<ref>{{cite journal | author=N. D. Reeves, M. V. Narici und C. N. Maganaris | date=Mai 2006 | title=Myotendinous plasticity to ageing and resistance exercise in humans | url=http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1113/expphysiol.2005.032896/full | format= | language=Englisch | journal=Experimental Physiology | location= | publisher= | volume=91 | issue=3 | pages=483–498 | doi=10.1113/expphysiol.2005.032896 | issn= | pmid=16469817}}</ref>


Der erste Artikel über ein spezifisches Faszientraining erschien 2012 als Kapitelbeitrag in dem ersten umfassenden Lehrbuch über Faszien, der wenig später in noch ausführlicherer Form in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wurde. Die beiden Autoren Robert Schleip und Divo Gitta Müller beschrieben darin wesentliche Grundprinzipien des Trainingskonzeptes sowie eine Reihe praktischer Anwendungen, welches sie später zusammen mit anderen Personen zur Methode des Fascial Fitness weiter entwickelten.<ref>D. Müller, R. Schleip: Faszien-Fitness. Lehrbuch Faszien. Urban & Fischer 2014</ref> Wesentliche Einflüsse zu diesen Grundlagen kamen auch von dem amerikanischen Autor und Körpertherapeuten Thomas Myers, von dem kanadischen Sport-Chiropraktor Wilbour Kelsick sowie von den deutschen Sportpädagogen Markus Rossmann und Stefan Dennenmoser.
Der erste Artikel über ein spezifisches Faszientraining erschien 2012 als Kapitelbeitrag in dem ersten umfassenden Lehrbuch über Faszien, der wenig später in noch ausführlicherer Form in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wurde. Die beiden Autoren Robert Schleip und Divo Gitta Müller beschrieben darin wesentliche Grundprinzipien des Trainingskonzeptes sowie eine Reihe praktischer Anwendungen, welches sie später zusammen mit anderen Personen zur Methode des Fascial Fitness weiter entwickelten.<ref name="Müller" /> Wesentliche Einflüsse zu diesen Grundlagen kamen auch von dem amerikanischen Autor und Körpertherapeuten Thomas Myers, von dem kanadischen Sport-Chiropraktor Wilbour Kelsick sowie von den deutschen Sportpädagogen Markus Rossmann und Stefan Dennenmoser.


==Faszienaufbau==
==Faszienaufbau==
Das faserige Bindegewebe (Faszie) besteht im Wesentlichen aus Kollagen- und wenigen Elastin-Fasern, welche in eine Grundsubstanz aus Wasser und Zucker-Eiweiß-Verbindungen eingebettet sind. Dieses Netzwerk durchzieht den Körper in alle Richtungen. Fasern sowie die meisten Bestandteile der Grundsubstanz (jedoch nicht deren Wasser) werden von den Bindegewebszellen, Fibroblasten, hergestellt und aufrecht erhalten, welche jedoch selbst nur einen sehr geringen Anteil des Volumens ausmachen.
Das faserige Bindegewebe (Faszie) besteht im Wesentlichen aus Kollagen- und wenigen Elastin-Fasern, welche in eine Grundsubstanz aus Wasser und Zucker-Eiweiß-Verbindungen eingebettet sind. Dieses Netzwerk durchzieht den Körper in alle Richtungen. Fasern sowie die meisten Bestandteile der Grundsubstanz (jedoch nicht deren Wasser) werden von den Bindegewebszellen, Fibroblasten, hergestellt und aufrecht erhalten, welche jedoch selbst nur einen sehr geringen Anteil des Volumens ausmachen.


Eine Besonderheit der Faszien ist deren enorme architektonische Anpassungsfähigkeit an wiederkehrende herausfordernde Zugbelastungen. Je nach Belastung wird das Bindegewebe zunehmend fester; und auch die Faserrichtung passt sich hierbei den dominanten Zugrichtungen an. So bildet sich der kräftige [[Tractus iliotibialis]] als kräftige Sehnenplatte an der Außenseite des menschlichen Oberschenkels erst durch die Einbein-Belastung beim Gehen und Rennen, während er bei Kindern im Krabbelalter oder Rollstuhlfahrern nicht erkennbar ist. Umgekehrt findet sich bei Reitern, die täglich mehrere Stunden auf dem Pferderücken verbringen, eine deutliche Verfestigung der faszialen Strukturen an den Oberschenkel-Innenseiten. <ref> N. G. El-Labban, C. Hopper, P. Barber: Ultrastructural finding of vascular degeneration in myositis ossificans circumscripta (fibrodysplasia ossificans) J Oral Pathol Med 22 (9) 1993, S. 428-431 </ref>
Eine Besonderheit der Faszien ist deren enorme architektonische Anpassungsfähigkeit an wiederkehrende herausfordernde Zugbelastungen. Je nach Belastung wird das Bindegewebe zunehmend fester; und auch die Faserrichtung passt sich hierbei den dominanten Zugrichtungen an. So bildet sich der kräftige [[Tractus iliotibialis]] als kräftige Sehnenplatte an der Außenseite des menschlichen Oberschenkels erst durch die Einbein-Belastung beim Gehen und Rennen, während er bei Kindern im Krabbelalter oder Rollstuhlfahrern nicht erkennbar ist. Umgekehrt findet sich bei Reitern, die täglich mehrere Stunden auf dem Pferderücken verbringen, eine deutliche Verfestigung der faszialen Strukturen an den Oberschenkel-Innenseiten. <ref>{{cite journal | author=N. G. El-Labban, C. Hopper, P. Barber | date=Oktober 1993 | title=Ultrastructural finding of vascular degeneration in myositis ossificans circumscripta (fibrodysplasia ossificans) | url= | format= | language=Englisch | journal=Journal of oral pathology and medicine | location= | publisher= | volume=22 | issue=9 | pages=428–431 | doi= | issn= | pmid=8301610}}</ref>


Das Fasziengewebe jüngerer Menschen weist in umhüllenden Faszien häufig eine scherengitterartige bidirektionale Netzstruktur auf, während bei älteren Personen eine multidirektionale bzw. ungerichtete Faserstruktur ähnlich einem Filzgewebe vorherrscht.
Das Fasziengewebe jüngerer Menschen weist in umhüllenden Faszien häufig eine scherengitterartige bidirektionale Netzstruktur auf, während bei älteren Personen eine multidirektionale bzw. ungerichtete Faserstruktur ähnlich einem Filzgewebe vorherrscht.
Bei den einzelnen Kollagenfasern zeigt sich bei jüngeren Personen eine deutlich ausgeprägte Wellenstruktur. Beide Eigenschaften - die bidirektionale Ausrichtung und die Wellenstruktur - gehen bei Bewegungsmangel sowie mit zunehmendem Alter verloren.<ref> J. Staubesand, K. U. K. Baumbach, Y. Li: La structure fine de l´aponévrose jambiére. Phlebol 50 1997, S. 105-113 </ref>
Bei den einzelnen Kollagenfasern zeigt sich bei jüngeren Personen eine deutlich ausgeprägte Wellenstruktur. Beide Eigenschaften - die bidirektionale Ausrichtung und die Wellenstruktur - gehen bei Bewegungsmangel sowie mit zunehmendem Alter verloren.<ref> J. Staubesand, K. U. K. Baumbach, Y. Li: La structure fine de l´aponévrose jambiére. Phlebol 50 1997, S. 105-113 </ref>
Im Fasziengewebe bilden sich dann zunehmend ungeordnete, planlose Querverbindungen (siehe Abb. 1). Das Fasernetz verliert somit seine Elastizität und es bilden sich Verklebungen und Verfilzungen. Wissenschaftliche Studien konnte die Annahme bestätigen, dass adäquate sportliche Belastungen einen Umbau der faszialen Architektur bewirken in Richtung sowohl auf eine vermehrte Wellenstruktur als auch auf eine erhöhte elastische Speicherkapazität und auf eine verbesserte Zugfestigkeit.<ref> T. A Järvinen et al.: Organization and distribution of intramuscular connective tissue in normal and immobilized sceletal muscles. An immunohistochemical, polarization and scanning electronic microscopic study. J Muscle Res Cell Motil 23 (3) 2002, S. 245 - 254 </ref>
Im Fasziengewebe bilden sich dann zunehmend ungeordnete, planlose Querverbindungen (siehe Abb. 1). Das Fasernetz verliert somit seine Elastizität und es bilden sich Verklebungen und Verfilzungen. Wissenschaftliche Studien konnte die Annahme bestätigen, dass adäquate sportliche Belastungen einen Umbau der faszialen Architektur bewirken in Richtung sowohl auf eine vermehrte Wellenstruktur als auch auf eine erhöhte elastische Speicherkapazität und auf eine verbesserte Zugfestigkeit.<ref>{{cite journal | author=T. A. Järvinen, L. Józsa, P. Kannus, T. L. Järvinen und M. Järvinen | date=2002 | title=Organization and distribution of intramuscular connective tissue in normal and immobilized skeletal muscles. An immunohistochemical, polarization and scanning electron microscopic study | url= | format= | language=Englisch | journal=Journal of muscle research and cell motility | location= | publisher= | volume=23 | issue=3 | pages=245–254 | doi= | issn= | pmid=12500904}}</ref>


==Der Katapult Effekt==
==Der Katapult Effekt==
[[Känguru]]s und [[Gazelle]]n machen sich bei ihrer Sprungtechnik den sogenannten Katapult-Mechanismus zunutze. Die Sehnen und Faszien der Beine werden wie elastische Gummibänder vorgespannt, das gezielte Loslassen der darin gespeicherten kinetischen Energie ermöglicht die erstaunlichen Sprünge.
[[Känguru]]s und [[Gazelle]]n machen sich bei ihrer Sprungtechnik den sogenannten Katapult-Mechanismus zunutze. Die Sehnen und Faszien der Beine werden wie elastische Gummibänder vorgespannt, das gezielte Loslassen der darin gespeicherten kinetischen Energie ermöglicht die erstaunlichen Sprünge.
Bei Untersuchungen der menschlichen Muskeln und Faszien stellte man fest, dass die kinetische Speicherenergie der menschlichen Beinfaszien derjenigen von Gazellen in nichts nachsteht. Beim Hüpfen, Rennen und auch beim Gehen entsteht ein erheblicher Teil der Bewegungsenergie aus der dynamischen Federung der Faszien. <ref> R. Kram, T. J. Dawson: Energetics and biomechanics of locomotion by red kangaroos (Macropus rufus) Comp Biochem Physiol B 120 (1) 1998, S. 41 - 49 </ref>
Bei Untersuchungen der menschlichen Muskeln und Faszien stellte man fest, dass die kinetische Speicherenergie der menschlichen Beinfaszien derjenigen von Gazellen in nichts nachsteht. Beim Hüpfen, Rennen und auch beim Gehen entsteht ein erheblicher Teil der Bewegungsenergie aus der dynamischen Federung der Faszien. <ref>{{cite journal | author=R. Kram und T. J. Dawson | date=Mai 1998 | title=Energetics and biomechanics of locomotion by red kangaroos (Macropus rufus) | url= | format= | language= | journal= Comparative Biochemistry and Physiology – Part B: biochemistry & Molecular Biology | location= | publisher= | volume=120 | issue=1 | pages=41–49 | doi= 10.1016/S0305-0491(98)00022-4 | issn= | pmid=9787777}}</ref>
[[File:FaszienScherengitter.jpg|thumb|Abb.1 Faser-Längenveränderung bei elastischer Federung]]
[[File:FaszienScherengitter.jpg|thumb|Abb.1 Faser-Längenveränderung bei elastischer Federung]]
Bei elastisch federnden Bewegungen ändern Muskelfasern kaum ihre Länge. Die Sehnen und faszialen Sehnenplatten verlängern und verkürzen sich hingegen sehr deutlich in einer federnden Längenveränderung und tragen somit wesentlich zur Bewegung bei (siehe Abb. 2). Zu dieser Erkenntnis trugen vor allem neue Anwendungen hochauflöslicher Ultraschall-Untersuchungen beim lebenden Menschen bei.<ref> T Fukunaga et al.: Muscle and tendon interaction during human movements. Exercise Sport Science Rev 30 (3) 2002, S. 106 - 110 </ref>
Bei elastisch federnden Bewegungen ändern Muskelfasern kaum ihre Länge. Die Sehnen und faszialen Sehnenplatten verlängern und verkürzen sich hingegen sehr deutlich in einer federnden Längenveränderung und tragen somit wesentlich zur Bewegung bei (siehe Abb. 2). Zu dieser Erkenntnis trugen vor allem neue Anwendungen hochauflöslicher Ultraschall-Untersuchungen beim lebenden Menschen bei.<ref>{{cite journal | author=T. Fukunaga, Y. Kawakami, K. Kubo und H. Kanehisa | date=Juli 2003 | title=Muscle and tendon interaction during human movements | url= | format= | language= | journal=Exercise and sports siences reviews | location= | publisher= | volume=30 | issue=3 | pages=106–110 | doi= | issn= | pmid=12150568}}</ref>
[[File:MuskulaereFasern.jpg|thumb|Abb.2 Faser-Längenveränderung bei konventioneller Bewegung]]
[[File:MuskulaereFasern.jpg|thumb|Abb.2 Faser-Längenveränderung bei konventioneller Bewegung]]
Ein wesentliches Ziel des Faszientrainings ist daher, die Fibroblasten anzuregen, eine jugendlich elastische Architektur im muskulären Bindegewebe aufzubauen und zu erhalten. Richtig dosiert können wenige elastische Federungen pro Woche ausreichen, um auch bei älteren Personen über einen Zeitraum von mehreren Monaten eine höhere elastische Speicherkapazität zu induzieren.<ref> M. Hoffren‑Mikkola et al.: Neuromuscular mechanics and hopping training in elderly. Eur J Appl Physiol 115 (5) 2015: 863–877 </ref>
Ein wesentliches Ziel des Faszientrainings ist daher, die Fibroblasten anzuregen, eine jugendlich elastische Architektur im muskulären Bindegewebe aufzubauen und zu erhalten. Richtig dosiert können wenige elastische Federungen pro Woche ausreichen, um auch bei älteren Personen über einen Zeitraum von mehreren Monaten eine höhere elastische Speicherkapazität zu induzieren.<ref>{{cite journal | author=M. Hoffrén-Mikkola, M. Ishikawa, T. Rantalainen, J. Avela und P. V. Komi | date=Mai 2015 | title=Neuromuscular mechanics and hopping training in elderly | url= | format= | language= | journal=European Journal of applied physiology | location= | publisher= | volume=115 | issue=5 | pages=863–877 | doi=10.1007/s00421-014-3065-9 | issn= | pmid=25479729}}</ref>


==Trainingselemente==
==Trainingselemente==

Version vom 18. Juni 2015, 12:38 Uhr

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Redaktion Medizin
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Faszientraining beschreibt eine bewegungstherapeutische oder sportliche Trainingsmethode zur gezielten Förderung eines reißfesten, geschmeidigen und hochelastischen muskulären Bindegewebes, der Faszien. Faszien sind faserige Bindegewebe des Bewegungsapparates - wie Gelenkkapseln, Sehnenplatten, Muskelhüllen, Bänder und Sehnen - deren Architektur in erster Linie an wiederkehrende Zugbelastungen angepasst wurde. Die Zugfestigkeit und Dehnbarkeit dieser meist weißlichen bis transparenten Fasergewebe wird primär durch deren hohen Anteil an Kollagen-Fasern bestimmt.[1]

Ursprung

Im gesundheitsorientierten Breitensport lag das Hauptaugenmerk lange Zeit auf der klassischen Triade von Muskelkräftigung, kardiovaskulärer Kondition und sensomotorischer Koordination. In den vergangenen Jahrzehnten gewann man jedoch zunehmend die Erkenntnis, dass selbst eine umfassende Förderung all dieser drei Komponenten für eine umfassende Gesundheitsförderung und Verletzungsprophylaxe im Bewegungsbereich ergänzungsbedürftig sein könnte, solange nicht auch eine gezielte Förderung der faszialen Gewebe einbezogen wird. Ein deutlicher Hinweis zu dieser Annahme war die Erkenntnis, dass die überwiegende Mehrheit der Überlastungsschäden im Sportbereich nicht die Muskelfasern, Knochen, Bandscheiben oder kardiovaskulären Strukturen betreffen, sondern auf ein Versagen der faserigen kollagenen Bindegewebes des Bewegungsapparates zurück zu führen sind.[2] Selbst die sogenannten Muskelfaserrisse treten fast nie innerhalb der roten Muskelfasern auf, sondern in deren weißlichen kollagenen Faserverlängerungen.

Während man lange davon ausgegangen war, dass das fasziale Gewebe beim konventionellen Muskel- oder Herz-Kreislauf-Training bereits optimal mittrainiert wird, verdichtete sich seit den frühen 2000-er Jahren die Erkenntnis, dass dies nicht unbedingt der Fall ist und dass das weißfarbige Fasziennetzwerk von einem speziell darauf abgestimmten Belastungstraining ähnlich profitieren könnte, wie das beispielsweise der Fall ist bei der sichtbaren Wirkung eines langfristigen Muskel-Hypertrophie-Trainings (hier auf die Muskelfasern) im Gegensatz zu einem Ausdauertraining (dann auf die kardiovaskulären Elemente). [3]

Aufbauend auf dem Davisschen Gesetz wird im Faszientraining angenommen, dass sich die Architektur der faszialen Gewebe auf wiederkehrende und adäquat dosierte Belastungsreize so anpasst, dass sie diesen Herausforderungen noch besser gewachsen ist. Voraussetzung hierfür scheint das Überschreiten einer bestimmten Schwellwertes - hier für Dehnbelastungen - zu sein. Während beispielsweise bereits moderate Belastungen ausreichen, um langfristiges Wachstum der Muskelfasern zu fördern, sind wesentlich höhere Belastungen nötig, damit die mit den Muskeln verbundenen Sehnen und Sehnenplatten gekräftigt werden.[4]

Der erste Artikel über ein spezifisches Faszientraining erschien 2012 als Kapitelbeitrag in dem ersten umfassenden Lehrbuch über Faszien, der wenig später in noch ausführlicherer Form in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wurde. Die beiden Autoren Robert Schleip und Divo Gitta Müller beschrieben darin wesentliche Grundprinzipien des Trainingskonzeptes sowie eine Reihe praktischer Anwendungen, welches sie später zusammen mit anderen Personen zur Methode des Fascial Fitness weiter entwickelten.[3] Wesentliche Einflüsse zu diesen Grundlagen kamen auch von dem amerikanischen Autor und Körpertherapeuten Thomas Myers, von dem kanadischen Sport-Chiropraktor Wilbour Kelsick sowie von den deutschen Sportpädagogen Markus Rossmann und Stefan Dennenmoser.

Faszienaufbau

Das faserige Bindegewebe (Faszie) besteht im Wesentlichen aus Kollagen- und wenigen Elastin-Fasern, welche in eine Grundsubstanz aus Wasser und Zucker-Eiweiß-Verbindungen eingebettet sind. Dieses Netzwerk durchzieht den Körper in alle Richtungen. Fasern sowie die meisten Bestandteile der Grundsubstanz (jedoch nicht deren Wasser) werden von den Bindegewebszellen, Fibroblasten, hergestellt und aufrecht erhalten, welche jedoch selbst nur einen sehr geringen Anteil des Volumens ausmachen.

Eine Besonderheit der Faszien ist deren enorme architektonische Anpassungsfähigkeit an wiederkehrende herausfordernde Zugbelastungen. Je nach Belastung wird das Bindegewebe zunehmend fester; und auch die Faserrichtung passt sich hierbei den dominanten Zugrichtungen an. So bildet sich der kräftige Tractus iliotibialis als kräftige Sehnenplatte an der Außenseite des menschlichen Oberschenkels erst durch die Einbein-Belastung beim Gehen und Rennen, während er bei Kindern im Krabbelalter oder Rollstuhlfahrern nicht erkennbar ist. Umgekehrt findet sich bei Reitern, die täglich mehrere Stunden auf dem Pferderücken verbringen, eine deutliche Verfestigung der faszialen Strukturen an den Oberschenkel-Innenseiten. [5]

Das Fasziengewebe jüngerer Menschen weist in umhüllenden Faszien häufig eine scherengitterartige bidirektionale Netzstruktur auf, während bei älteren Personen eine multidirektionale bzw. ungerichtete Faserstruktur ähnlich einem Filzgewebe vorherrscht. Bei den einzelnen Kollagenfasern zeigt sich bei jüngeren Personen eine deutlich ausgeprägte Wellenstruktur. Beide Eigenschaften - die bidirektionale Ausrichtung und die Wellenstruktur - gehen bei Bewegungsmangel sowie mit zunehmendem Alter verloren.[6] Im Fasziengewebe bilden sich dann zunehmend ungeordnete, planlose Querverbindungen (siehe Abb. 1). Das Fasernetz verliert somit seine Elastizität und es bilden sich Verklebungen und Verfilzungen. Wissenschaftliche Studien konnte die Annahme bestätigen, dass adäquate sportliche Belastungen einen Umbau der faszialen Architektur bewirken in Richtung sowohl auf eine vermehrte Wellenstruktur als auch auf eine erhöhte elastische Speicherkapazität und auf eine verbesserte Zugfestigkeit.[7]

Der Katapult Effekt

Kängurus und Gazellen machen sich bei ihrer Sprungtechnik den sogenannten Katapult-Mechanismus zunutze. Die Sehnen und Faszien der Beine werden wie elastische Gummibänder vorgespannt, das gezielte Loslassen der darin gespeicherten kinetischen Energie ermöglicht die erstaunlichen Sprünge. Bei Untersuchungen der menschlichen Muskeln und Faszien stellte man fest, dass die kinetische Speicherenergie der menschlichen Beinfaszien derjenigen von Gazellen in nichts nachsteht. Beim Hüpfen, Rennen und auch beim Gehen entsteht ein erheblicher Teil der Bewegungsenergie aus der dynamischen Federung der Faszien. [8]

Datei:FaszienScherengitter.jpg
Abb.1 Faser-Längenveränderung bei elastischer Federung

Bei elastisch federnden Bewegungen ändern Muskelfasern kaum ihre Länge. Die Sehnen und faszialen Sehnenplatten verlängern und verkürzen sich hingegen sehr deutlich in einer federnden Längenveränderung und tragen somit wesentlich zur Bewegung bei (siehe Abb. 2). Zu dieser Erkenntnis trugen vor allem neue Anwendungen hochauflöslicher Ultraschall-Untersuchungen beim lebenden Menschen bei.[9]

Datei:MuskulaereFasern.jpg
Abb.2 Faser-Längenveränderung bei konventioneller Bewegung

Ein wesentliches Ziel des Faszientrainings ist daher, die Fibroblasten anzuregen, eine jugendlich elastische Architektur im muskulären Bindegewebe aufzubauen und zu erhalten. Richtig dosiert können wenige elastische Federungen pro Woche ausreichen, um auch bei älteren Personen über einen Zeitraum von mehreren Monaten eine höhere elastische Speicherkapazität zu induzieren.[10]

Trainingselemente

In den ersten Publikationen zum Faszientraining von Schleip und Müller wurden folgende vier Trainingselemente aufgeführt:

1. Federn / Rebound Elasticity – der Katapult-Mechanismus

2. Dehnen / Fascial Stretch – das Dehnen langer Ketten

3. Beleben / Fascial Release – Eigenbehandlung mit der Faszienrolle

4. Spüren / die Körperwahrnehmung (= Propriozeption) verbessern. [11]

Kritik

Die Mehrheit der Kommentare von Sport- und Bewegungswissenschaftlern zu den hier dargestellten Grundprinzipien eines gezielten Faszientrainings als sinnvolle Ergänzung eines umfassenden Bewegungstrainings waren überwiegend positiv. Bei den Faszienrollen gibt es einzelne kritische Stimmen, die vor einer übertriebenen Anwendung ohne ärztliche Anleitung bei Menschen warnen, deren Bindegewebe verletzungsanfällig sein könnte.[12] Gelegentlich wird auch angezweifelt, dass deutliche Adhäsionen im Bindegewebe durch Dehnungen oder Rollen-Gebrauch wirksam verändert werden können.[13] Während es zu den einzelnen vier Trainingselementen des Faszientrainings jeweils wissenschaftliche Studien zur klinischen Wirksamkeit gibt,[14] ist dies mit der Anwendung aller vier Komponenten bisher nicht der Fall. Auch die meisten aktuellen Protagonisten der Methode stimmen zu, dass weitere Studien nötig sind, um die Wirkungen eines gezielten Faszientrainings besser beurteilen zu können.[15]

Einzelnachweise

  1. Serge Paoletti: Faszien: Anatomie, Strukturen, Techniken, spezielle Osteopathie. 1. Auflage. Urban & Fischer, 2001, ISBN 3-437-56100-6.
  2. P. Renström und R. J. Johnson: Overuse injuries in sports. A review. In: Sports medicine. 2. Jahrgang, Nr. 5. Springer, S. 316–333, PMID 3901173 (englisch).
  3. a b D. Müller, R. Schleip: Faszien-Fitness. Lehrbuch Faszien. Urban & Fischer 2014. S. 350
  4. N. D. Reeves, M. V. Narici und C. N. Maganaris: Myotendinous plasticity to ageing and resistance exercise in humans. In: Experimental Physiology. 91. Jahrgang, Nr. 3, Mai 2006, S. 483–498, doi:10.1113/expphysiol.2005.032896, PMID 16469817 (englisch, wiley.com).
  5. N. G. El-Labban, C. Hopper, P. Barber: Ultrastructural finding of vascular degeneration in myositis ossificans circumscripta (fibrodysplasia ossificans). In: Journal of oral pathology and medicine. 22. Jahrgang, Nr. 9, Oktober 1993, S. 428–431, PMID 8301610 (englisch).
  6. J. Staubesand, K. U. K. Baumbach, Y. Li: La structure fine de l´aponévrose jambiére. Phlebol 50 1997, S. 105-113
  7. T. A. Järvinen, L. Józsa, P. Kannus, T. L. Järvinen und M. Järvinen: Organization and distribution of intramuscular connective tissue in normal and immobilized skeletal muscles. An immunohistochemical, polarization and scanning electron microscopic study. In: Journal of muscle research and cell motility. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2002, S. 245–254, PMID 12500904 (englisch).
  8. R. Kram und T. J. Dawson: Energetics and biomechanics of locomotion by red kangaroos (Macropus rufus). In: Comparative Biochemistry and Physiology – Part B: biochemistry & Molecular Biology. 120. Jahrgang, Nr. 1, Mai 1998, S. 41–49, doi:10.1016/S0305-0491(98)00022-4, PMID 9787777.
  9. T. Fukunaga, Y. Kawakami, K. Kubo und H. Kanehisa: Muscle and tendon interaction during human movements. In: Exercise and sports siences reviews. 30. Jahrgang, Nr. 3, Juli 2003, S. 106–110, PMID 12150568.
  10. M. Hoffrén-Mikkola, M. Ishikawa, T. Rantalainen, J. Avela und P. V. Komi: Neuromuscular mechanics and hopping training in elderly. In: European Journal of applied physiology. 115. Jahrgang, Nr. 5, Mai 2015, S. 863–877, doi:10.1007/s00421-014-3065-9, PMID 25479729.
  11. D. Müller, R. Schleip: Faszien-Fitness. Lehrbuch Faszien. Urban & Fischer 2014, S.352-356
  12. http://www.focus.de/gesundheit/gesundleben/fitness/training/faszienfitness-aufgerollt-das-kann-der-fitnesstrend-faszientraining-wirklich_id_4393882.html
  13. http://www.greglehman.ca/2012/10/26/fascia-science-stretching-the-relevance-of-the-gluteus-maximus-and-latissimus-dorsi-sling/
  14. http://www.fascial-fitness.de/de/presse/pressearchiv/aktuelle-faszienstudien
  15. http://www.sonntagszeitung.ch/read/sz_24_05_2015/gesellschaft/Schmerz-lass-nach-35572