„Antigen“ – Versionsunterschied

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== Verwendung ==
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Antigene werden routinemäßig bei der Diagnostik von Infektionskrankheiten, Allergien und Autoimmunerkrankungen untersucht. Die quantitative Bestimmung eines nativen Antigens erfolgt meistens per [[ELISA]]. Als qualitative Nachweise werden auch [[Schnelltest]]s verwendet. Eine Bestimmung von immunogenen und tolerogenen Epitopen (kurze Peptide) wird dagegen meistens im Rahmen einer [[Epitopkartierung]] per EliSPOT, per ''release assay'' oder ''Tetramerfärbung'' durchgeführt.
Antigene werden routinemäßig bei der Diagnostik von Infektionskrankheiten, Allergien und Autoimmunerkrankungen untersucht. Die quantitative Bestimmung eines nativen Antigens erfolgt meistens per [[ELISA]].<ref>R. W. Cross, T. G. Ksiazek: ''Production of Antigens for ELISA.'' In: ''Methods in molecular biology.'' Band 1628, 2017, S.&nbsp;353–362, {{DOI|10.1007/978-1-4939-7116-9_28}}, PMID 28573634.</ref> Als qualitative Nachweise werden auch [[Schnelltest]]s verwendet. Eine Bestimmung von immunogenen und tolerogenen Epitopen (kurze Peptide) wird dagegen meistens im Rahmen einer [[Epitopkartierung]] per EliSPOT, per ''release assay'' oder ''Tetramerfärbung'' durchgeführt.


== Geschichte ==
== Geschichte ==

Version vom 17. Februar 2022, 11:52 Uhr

Die Abbildung zeigt, wie ein Antigen an eine passende Stelle eines Antikörpers bindet

Ein Antigen (von engl. antibody-generating ‚Antikörper-erzeugend‘)[1] ist eine molekulare Struktur, an die sich Antikörper binden können im Rahmen einer erworbenen Immunantwort.[2] Ursprünglich wurde der Begriff nur auf Substanzen angewendet, die nach Injektion in einen fremden Organismus zur Antikörperbildung führten. Heute umfasst die Definition Moleküle, die spezifisch von Antigenrezeptoren von B- und T-Zellen gebunden werden.[2] Außer Antikörpern können sich auch Lymphozyten an Antigene binden, wodurch die Bildung von Antikörpern verstärkt werden oder Zytotoxische T-Zellen gebildet werden.

Eigenschaften

Antigene sind meistens Proteine, können aber auch Kohlenhydrate, Lipide, Nukleinsäuren oder andere Stoffe sein.[3] Die spezifische Bindung von Antikörpern und Antigenrezeptoren an Antigene ist ein wesentlicher Teil der adaptiven Immunität (auch erworbene Immunität, weil erst nach Kontakt eine adaptive Immunantwort entsteht) gegen Pathogene (Krankheitserreger).

Immunogenität

Antigene können eine Immunantwort auslösen und damit immunogen wirken oder auch tolerogen wirken, wenn keine Immunantwort entsteht. Nicht jedes Antigen ist auch immunogen; beispielsweise wirken zu kleine Moleküle (darunter die Haptene) nicht immunogen. Bestimmte niedermolekulare Stoffe, die alleine keine Antikörperreaktion hervorrufen können, sondern erst durch die Bindung an ein Trägerprotein eine Immunreaktion auslösen können, heißen Haptene. Diese Haptene waren bei der Erforschung der Bindung durch Antikörper an ein Antigen wichtig, indem sie als chemisch definierte und veränderbare Versuchsobjekte dienten. Dementsprechend wird eine (meist höhermolekulare) Substanz, die diese Reaktion alleine ermöglicht, als Vollantigen bezeichnet, ein Hapten als Halbantigen. Kleine Moleküle wie einzelne Kohlenhydrate, Amino- oder Fettsäuren können keine adaptive Immunreaktion bewirken.

Damit ein Antigen auch immunogen ist, muss es von B- oder T-Zellen erkannt werden. Jede dieser Zellen bindet spezifisch nur ein Antigen mit ihrem jeweiligen Rezeptor (Klon-Selektionstheorie). Gelegentlich kommt es zu einer Bindung von Molekülen, die strukturell ähnlich sind (Kreuzreaktivität). Antigene können entweder von B-Zell-Rezeptoren, T-Zell-Rezeptoren oder (von B-Zellen produzierten) Antikörpern erkannt bzw. gebunden werden. Für die Einleitung einer Immunantwort muss zusätzlich zum präsentierten Antigen ein Kostimulator auf der präsentierenden Zelle vorhanden sein. Bei Impfstoffen wird dieses zweite Aktivierungssignal teilweise durch Zugabe von Adjuvanzien erreicht.

Die Epitope, die eine stärkere Immunantwort erzeugen, werden als immundominant bezeichnet. Da durch eine adaptive Immunantwort ein negativer Selektionsdruck auf die Epitope ausgeübt wird, kommt es häufiger im Zuge einer Immunevasion zu Fluchtmutanten von Pathogenen.

Selbst- und Fremderkennung

Körpereigene Antigene (Autoantigene) sind prinzipiell tolerogen, neu auftretende körperfremde Antigene (Neoantigene) sind potentiell gefährlich. Auch die Strukturen auf den Zellen eines fremden Menschen werden als körperfremd erkannt, denn die Kombination der Proteine auf den Zelloberflächen (Zellmembran) ist bei jedem Menschen anders. Daher wirken sich diese menschlichen Antigene bei der Übertragung von organischem Material von einem Menschen auf einen anderen nachteilig aus, z. B. bei der Bluttransfusion oder Organtransplantation. Hier muss auf Blutgruppen- bzw. Gewebeverträglichkeit geachtet werden. Die Übertragung falscher Blutgruppen führt zur Verklumpung des Blutes, bei Transplantationen kann es zur Abstoßungsreaktion gegen das übertragene Organ oder zur Schädigung des Empfängers durch das transplantierte Organ kommen (Graft-versus-Host Disease). Damit körpereigene oder harmlose Stoffe nicht als Antigene erkannt werden, wird eine Immuntoleranz ausgebildet. Dennoch kommt es gelegentlich zu Fehlreaktionen, wie Autoimmunerkrankungen (z. B. durch Autoantikörper), Immunpathogenesen oder Allergien. Antigene, die Allergien auslösen können, werden Allergene genannt. Auch körpereigene Strukturen, können als Antigene wirken, wenn sie fälschlicherweise als fremd angesehen werden. Antigene werden unter anderem zur Entwicklung von Impfstoffen gegen Pathogene oder Tumoren (Tumorantigene und Tumor-assoziierte Antigene) eingesetzt oder werden vor einer Bluttransfusion oder Organtransplantation untersucht, um eine Immunreaktion gegen fremde Blutgruppen bzw. eine Abstoßungsreaktion zu vermeiden.

Antigenpräsentation

Schematische Darstellung der Antigenpräsentation via MHC-II

Die Stelle auf der Oberfläche eines Antigens, die von einem Antikörper erkannt wird, wird als Epitop bezeichnet. An dieses Epitop bindet ein Antikörper mit dem sogenannten Paratop, der gegenüberliegenden passgenauen Stelle auf der Oberfläche des Antikörpers. Die Bindung eines Antikörpers an sein Antigen wird auch als Antigen-Antikörper-Reaktion bezeichnet.

Für die Darbietung der Antigene sorgt die Antigenpräsentation. Die Optimierung der Bindung durch B- oder T-Zellen erfolgt durch zwei Mechanismen: die V(D)J-Gen-Umlagerung und die somatische Hypermutation (nur bei B-Zellen). Die entsprechenden Rezeptoren der Lymphozyten werden je nach Art der Lymphozyten als B-Zell-Rezeptoren oder T-Zell-Rezeptoren bezeichnet. Die Optimierung auf ein bestimmtes Epitop hat einen prägenden Einfluss auf die Immunantwort gegen dieses Epitop, der sich in einer schwächeren Immunantwort gegen mutierte Epitope bei einem erneutem Kontakt äußert, z. B. mit Virusvarianten (Antigenerbsünde). Während B-Zellen Antigene in voller Länge erkennen können (native Antigene), müssen Antigene für T-Zellen erst durch proteinabbauende Enzyme in Peptide zerlegt und an einem Präsentationsmolekül (MHC-I oder MHC-II) auf der Zelloberfläche präsentiert werden.

B-Zell-Antigene

Antigene, die von B-Zell-Rezeptoren oder Antikörpern erkannt werden, befinden sich oftmals auf den Oberflächen von eingedrungenen Fremdkörpern (z. B. auf Pollenkörnern, Bakterienoberflächen und im Kot von Hausstaubmilben) oder Zellen und weisen dort eine dreidimensionale Struktur auf, die spezifisch von bestimmten B-Zellen oder Antikörpern erkannt werden kann. Antigene auf Zelloberflächen werden als Oberflächenantigene bezeichnet.

B-Lymphozyten (B-Zellen), die sich mit ihrem B-Zell-Rezeptor (der membranständige Vorläufer des Antikörpers) an ein Antigen gebunden haben, werden je nach Antigen entweder direkt (TI-antigen) oder mit Hilfe einer T-Helferzelle aktiviert. T-Helferzellen, die sich an einen Antigen-MHC-Komplex gebunden haben und das Antigen als fremd erkannt haben, scheiden Cytokine aus, die B-Zellen zur Antikörperproduktion anregen. Je nachdem, welche Cytokine in der Umgebung ausgeschüttet werden, findet ein Klassenwechsel in eine der Antikörper-Klassen (IgG, IgE, IgA) statt. Antikörper werden von den Plasma-Zellen (aktivierte B-Zellen) sezerniert, binden spezifisch an das Antigen, markieren damit den Eindringling (Opsonisierung) und führen so zur Phagocytose der Fremdkörper. Diese Aufgabe übernehmen beispielsweise Makrophagen, die sich mit ihren Fc-Rezeptoren an die konstante Region der Antikörper binden. Durch die Erkennung körperfremder Antigene können gezielt Eindringlinge wie Bakterien oder Viren bekämpft werden, ohne körpereigene Zellen zu schädigen.

Bei den meisten B-Zell-Antigenen ist eine parallele Präsentation von T-Zell-Antigenen auf MHC-II gegenüber T-Helferzellen notwendig für eine humorale Immunantwort (Thymus-abhängige Antigene). Einige wenige B-Zell-Antigene können Antikörper auch ohne eine Aktivierung von T-Helferzellen hervorrufen (T-unabhängige Antigene, engl. TI-Antigens).

T-Zell-Antigene

Schematische Darstellung der Antigenpräsentation via MHC-I

Antigenpräsentierende Zellen für MHC-I sind alle kernhaltigen Zellen, während die für MHC-II vorwiegend Dendritische Zellen sind. Professionelle Antigen-präsentierende Zellen (prAPC) sind spezialisierte Zellen des Immunsystems, die den T-Zellen Antigene präsentieren. Zu den prAPCs gehören Dendritische Zellen, Makrophagen und B-Zellen. Sie nehmen Substanzen über verschiedene Mechanismen wie beispielsweise durch Endozytose auf, verarbeiten sie und koppeln sie an MHC-Moleküle. Diese werden dann auf der Zellmembran präsentiert. Eine T-Zelle mit einem passenden T-Zell-Rezeptor (TCR) kann das Antigen dann als fremd erkennen und wird aktiviert, wenn auch weitere kostimulatorische Signale vorliegen. T-Lymphozyten (T-Zellen) erkennen Antigene nur, wenn diese auf den Oberflächen von anderen Zellen an MHC präsentiert werden.

Zytotoxische T-Zellen können an Antigene binden, die von MHC-I präsentiert werden und durchschnittlich aus 8–10 Aminosäuren bestehen.[4] Die präsentierende Zelle wird im Anschluss durch Perforine und Granzym B zerstört. Eine Untergruppe der MHC-I (CD1) präsentiert nicht Peptide, sondern Lipide als Antigene.[5] Ein MHC-I-ähnlicher Rezeptor (MR-1) präsentiert Metaboliten von bakteriellen Vitaminsynthesen, darunter Stoffwechselprodukte aus der bakteriellen Herstellung von Riboflavin.[6][7].

Antigene, die dagegen von Rezeptoren der T-Helferzellen erkannt werden, sind Peptidsequenzen aus circa 12–24 Aminosäuren, die von antigenpräsentierenden Zellen (APC) aufgenommen und auf MHC-II an der Zelloberfläche präsentiert werden. Durch die Präsentation auf MHC-II wird über die Aktivierung von T-Helferzellen anschließend die Bildung von Antikörpern durch B-Zellen verstärkt.

Verwendung

Antigene werden routinemäßig bei der Diagnostik von Infektionskrankheiten, Allergien und Autoimmunerkrankungen untersucht. Die quantitative Bestimmung eines nativen Antigens erfolgt meistens per ELISA.[8] Als qualitative Nachweise werden auch Schnelltests verwendet. Eine Bestimmung von immunogenen und tolerogenen Epitopen (kurze Peptide) wird dagegen meistens im Rahmen einer Epitopkartierung per EliSPOT, per release assay oder Tetramerfärbung durchgeführt.

Geschichte

Die Bezeichnung „Antigen“ wurde in Anlehnung an den von Paul Ehrlich geprägten Begriff Antikörper erstmals ab 1899 von László Detre verwendet. Im Jahr 1903 veröffentlichte er gemeinsam mit Elie Metchnikoff eine Schrift in französischer Sprache, in der Antigene als „substances immunogènes ou antigènes“ (deutsch ‚immunogene oder antigene Substanzen’) definiert wurden.[9][10]

Literatur

Weblinks

Wiktionary: Antigen – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Peter J. Delves, Seamus J. Martin, Dennis R. Burton, Ivan M. Roitt: Essential Immunology, 2017. ISBN 9781118415771, S. 143.
  2. a b David K. Male: Immunology. Elsevier Health Sciences, 2006, ISBN 978-0-323-03399-2 (google.de [abgerufen am 30. Juli 2021]).
  3. Abdul K. Abbas, Andrew Lichtman, Shiv Pillai: "Antibodies and Antigens". In: Cellular and Molecular Immunology, 9. Auflage, Elsevier 2018. ISBN 978-0-323-52324-0.
  4. Paola Cruz-Tapias, John Castiblanco, Juan-Manuel Anaya: Major histocompatibility complex: Antigen processing and presentation. El Rosario University Press, 18. Juli 2013 (nih.gov [abgerufen am 7. März 2021]).
  5. C. M. Dowds, S. C. Kornell, R. S. Blumberg, S. Zeissig: Lipid antigens in immunity. In: Biological chemistry. Band 395, Nummer 1, Januar 2014, S. 61–81, doi:10.1515/hsz-2013-0220, PMID 23999493, PMC 4128234 (freier Volltext).
  6. E. Karamooz, M. J. Harriff, D. M. Lewinsohn: MR1-dependent antigen presentation. In: Seminars in cell & developmental biology. Band 84, 12 2018, S. 58–64, doi:10.1016/j.semcdb.2017.11.028, PMID 30449535, PMC 7061520 (freier Volltext).
  7. C. Kulicke, E. Karamooz, D. Lewinsohn, M. Harriff: Covering All the Bases: Complementary MR1 Antigen Presentation Pathways Sample Diverse Antigens and Intracellular Compartments. In: Frontiers in immunology. Band 11, 2020, S. 2034, doi:10.3389/fimmu.2020.02034, PMID 32983150, PMC 7492589 (freier Volltext).
  8. R. W. Cross, T. G. Ksiazek: Production of Antigens for ELISA. In: Methods in molecular biology. Band 1628, 2017, S. 353–362, doi:10.1007/978-1-4939-7116-9_28, PMID 28573634.
  9. J. Lindenmann: Origin of the terms 'antibody' and 'antigen'. In: Scandinavian journal of immunology. Band 19, Nummer 4, April 1984, S. 281–285, doi:10.1111/j.1365-3083.1984.tb00931.x, PMID 6374880.
  10. Detre László bakteriológus (Archivlink)