Abwassermonitoring

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Abwassermonitoring bezeichnet die systematische Überwachung von Abwasser. Dabei wird ermittelt, ob und in welcher Menge Inhaltsstoffe wie Krankheitserreger, Stücke des Erbguts von Viren oder Chemikalien vorhanden sind. Systematisch bedeutet dabei, an definierten Punkten im Abwasserstrom wie z. B. am Zulauf einer Kläranlage und zeitlich wiederkehrend, so dass das Auftauchen einer Menge des gesuchten Stoffes nicht unbemerkt bleibt.

Abwassermonitoring gehört zur abwasserbasierten Epidemiologie, um Ausbrüche schneller und genauer lokalisieren zu können. Durch Analysen des Abwassers zeigt sich z. B. COVID-19 früher als in offiziellen Statistiken. Abwassermessungen machen den Verlauf der Infektionszahlen vorhersehbar.

Im März 2021 empfahl[1] die EU-Kommission allen Mitgliedsstaaten bis zum 1. Oktober 2021 ein Monitoring zur Unterstützung der Überwachung des Pandemieverlaufs zu implementieren. Auf Seiten der EU-Kommission befindet sich ein System für die europaweite Unterstützung des Abwassermonitorings im Aufbau.[2]

Auch die WHO hat Richtlinien[3] herausgegeben. Selbst im endemischen Zustand macht die Überwachung Sinn.[4]

Eine neue Empfehlung[5] fordert die Ausweitung des Monitorings auf weitere Krankheitserreger.

Deutschland ist dieser Empfehlung nicht gefolgt und versucht, mit verschiedenen Maßnahmen den Rückstand auf dem Gebiet aufzuholen. Dazu gibt es verschiedene BMBF-Projekte.[6]

Einige Aktivitäten sind im Projekt „CoroMoni“[7] gebündelt. Das Projekt ESI-CorA ist im März 2023 beendet.[8] Das Nachfolgeprojekt von BMG, RKI und UBA „Amelag“ („Abwasser-Monitoring für die epidemiologische Lageüberwachung“)[9] wird zurzeit vorbereitet.

Der Verband kommunaler Unternehmen (VkU) hat seinen Unternehmen zwar die Einrichtung von Abwassermonitoring empfohlen, aber nur nach Klärung der Kostenübernahme.[10]

Da, wo heute schon in Deutschland Daten in Pilotprojekten erhoben werden, gibt es bisher noch keinen Zugang zu diesen Daten in Form von Open Data.[11]

Chemikalien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zunächst wurden diese Verfahren im Rahmen der Suche nach Medikamentenrückständen, Drogen[12] (z. B. Kokainabbauprodukt Benzoylecgonin) und Produktionsrückständen (Drogenlabore[13]) verwendet. Dafür wird aber eher die Entnahme direkt aus den Abwasserkanälen verwendet.

Viren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Viele Viren werden in den Fäkalien ausgeschieden und gelangen auf diese Weise auch ins Abwasser, wo sie nachgewiesen werden können.[14] Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um komplette infektiöse Viren, sondern vor allem um Viren-Bestandteile wie Teile der Erbinformation.[15] Der Transport der Proben sollte mit 4 Grad Celsius erfolgen.[16]

Das Verfahren bietet gegenüber anderen Verfahren einige Vorteile. Es ist nicht auf die Mitwirkung in der Bevölkerung (Schnelltest) angewiesen. Da im Gegensatz zu Schnelltests der tatsächliche Aufenthaltsort auch der Ort des Eintrags in die Kanalisation ist, ist die dadurch ermittelte Verbreitung genauer bei der geographischen Zuordnung. Bestimmt werden kann auch die Variantenverbreitung[17] und in gewissem Umfang können auch Aussagen zur quantitativen Verbreitung in der Bevölkerung getroffen werden.

Es gibt aber auch Grenzen[18] des Verfahrens.

Die automatische Entnahme von Proben direkt in Abwasserkanälen verlangt explosionsgeschützte Geräte wegen der in dieser Umgebung unvermeidlichen Faulgase. Da diese Anforderung die Anzahl von Lieferanten für Probennehmer stark einschränkt, versucht man das zu vermeiden und bevorzugt Messpunkte mit weniger Einschränkungen.

Corona-Virus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit Anfang 2020 spielt die Suche nach Krankheitserregern wie SARS-CoV-2 im Abwasser eine zunehmende Rolle.[19]

Polio Virus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aber auch andere Erreger wie Polio werden im Abwasser gesucht.[20][21]

Affenpocken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch Affenpocken sind im Abwasser nachweisbar.[22]

Papillomavirus, Norovirus, Chagas, Influenza A+B, H1N1 …[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im August 2022 begann ein Abwassermonitoring auf Influenza A, Influenza B, H1N1, Affenpocken in Bengaluru.[23][24]

Kritik bezogen auf COVID-19[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenn man über das Abwassermonitoring frühe Anzeichen für eine neue Welle sieht, dann ist es naheliegend, Maßnahmen zu treffen, die die Weiterverbreitung verhindern oder reduzieren. Das ist im Moment selbst dort, wo schon ein Monitoring existiert, regelmäßig nicht der Fall. Zwischen dem Anstieg von Neuinfektionen mit COVID-19 und dem Nachweis über Testverfahren vergehen mehrere Tage. Schneller lässt sich eine SARS-CoV-2-Ausbreitung über das Abwasser nachweisen. Im günstigsten Fall können die Forscher einen Hotspot einer einzelnen Straße zuordnen. Genutzt wird diese Information in Deutschland bislang kaum.

Historie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 09/2020 Die Niederlande führen flächendeckend Abwassermonitoring für das Corona-Virus ein
  • 03/2021 Empfehlung der EU-Kommission, Abwassermonitoring in allen Mitgliedsländern bis zum 1. Oktober 2021 einzuführen[25]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. EU Kommision: EMPFEHLUNG (EU) 2021/472 DER KOMMISSION vom 17. März 2021 über einen gemeinsamen Ansatz zur Einführung einer systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten im Abwasser in der EU. In: Amtsblatt der Europäischen Union. EU Kommision, 17. März 2021, abgerufen am 17. März 2021 (deutsch).
  2. EU4S EU - Sewage Sentinel System for SARS-CoV-2. Abgerufen am 3. April 2022.
  3. Environmental surveillance for SARS-COV-2 to complement public health surveillance – Interim Guidance. Abgerufen am 18. September 2022 (englisch).
  4. Fuqing Wu, Wei Lin Lee, Hongjie Chen, Xiaoqiong Gu, Franciscus Chandra: Making waves: Wastewater surveillance of SARS-CoV-2 in an endemic future. In: Water Research. Band 219, 1. Juli 2022, ISSN 0043-1354, S. 118535, doi:10.1016/j.watres.2022.118535 (sciencedirect.com [abgerufen am 18. September 2022]).
  5. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: US-Report fordert intensive Suche nach Krankheitserregern in Abwässern. 2. Februar 2023, abgerufen am 2. Februar 2023.
  6. Corona-Früh- und Entwarnsystem aus dem Abwasser - BMBF. Abgerufen am 3. April 2022.
  7. CoroMoni: Abwassermonitoring zur Bestimmung des SARS-CoV-2-Infektionsgrades der Bevölkerung und Aufbau eines flächendeckenden Frühwarnsystems. Abgerufen am 27. März 2022 (deutsch).
  8. RKI - Fachgebiet 32 Surveillance und elektronisches Melde- und Informationssystem (DEMIS) | ÖGD Kontaktstelle - Systematische Überwachung von SARS-CoV-2 im Abwasser. Abgerufen am 25. März 2023.
  9. Hintergrundinformation zum SARS-CoV-2 Monitoring im Abwasser in Deutschland - BMUV-Download. Abgerufen am 25. März 2023.
  10. Verband kommunaler Unternehmen e.V: Umsetzung des Abwassermonitorings auf Corona in Deutschland: VKU. Abgerufen am 3. April 2022.
  11. Bundestag Umsetzung PSI Richtlinie der [1]
  12. Deutsche Städte mit den meisten Kokainrückständen im Abwasser 2020. Abgerufen am 3. April 2022.
  13. Andrea Hoferichter: Wie die Polizei im Abwasser nach Drogen fahndet. Abgerufen am 3. April 2022.
  14. Cordula Seeger: Abwasserbasierte Epidemiologie (PDF; 352 kB), auf bundestag.de
  15. Presence of SARS-Coronavirus-2 RNA in Sewage and Correlation with Reported COVID-19 Prevalence in the Early Stage of the Epidemic in The Netherlands, auf pubs.acs.org
  16. S. Tavazzi, C. Cacciatori, S. Comero, D. Fatta-Kassinos, P. Karaolia, I. C. Iakovides, P. Loutsiou, I. Gutierrez-Aguirre, Z. Lengar, I. Bajde, T. Tenson, V. Kisand, P. Laas, K. Panksep, H. Tammert, G. Mariani, H. Skejo, B. M. Gawlik: Short-term stability of wastewater samples for storage and shipment in the context of the EU Sewage Sentinel System for SARS-CoV-2. In: Journal of Environmental Chemical Engineering. 2. März 2023, ISSN 2213-3437, S. 109623, doi:10.1016/j.jece.2023.109623 (sciencedirect.com [abgerufen am 5. März 2023]).
  17. Fabian Amman, Rudolf Markt, Lukas Endler, Sebastian Hupfauf, Benedikt Agerer: Viral variant-resolved wastewater surveillance of SARS-CoV-2 at national scale. In: Nature Biotechnology. 18. Juli 2022, ISSN 1546-1696, S. 1–9, doi:10.1038/s41587-022-01387-y (nature.com [abgerufen am 19. Juli 2022]).
  18. Pandemic signals from the sewer—what virus levels in wastewater tell us. Abgerufen am 7. Mai 2022 (englisch).
  19. Hannah R. Safford, Karen Shapiro, Heather N. Bischel: Wastewater analysis can be a powerful public health tool—if it’s done sensibly. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 119, Nr. 6, 3. Februar 2022, ISSN 0027-8424, doi:10.1073/pnas.2119600119, PMID 35115406, PMC 8833183 (freier Volltext).
  20. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: Israel versucht mit Impfkampagne Polioausbruch einzudämmen. 5. April 2022, abgerufen am 5. April 2022.
  21. Smruthi Karthikeyan, Joshua I. Levy, Peter De Hoff, Greg Humphrey, Amanda Birmingham: Wastewater sequencing reveals early cryptic SARS-CoV-2 variant transmission. In: Nature. 7. Juli 2022, ISSN 1476-4687, S. 1–4, doi:10.1038/s41586-022-05049-6 (nature.com [abgerufen am 12. Juli 2022]).
  22. Researchers Are Now Tracking Monkeypox in Wastewater, auf https://wastewaterscan.org, abgerufen am 25. September 2022
  23. Integrated Environment Surveillance Initiative in Bangalore, auf storymaps.arcgis.com
  24. Warish Ahmed, Aaron Bivins, Sudhi Payyappat, Michele Cassidy, Nathan Harrison: Distribution of human fecal marker genes and their association with pathogenic viruses in untreated wastewater determined using quantitative PCR. In: Water Research. 10. September 2022, ISSN 0043-1354, S. 119093, doi:10.1016/j.watres.2022.119093 (sciencedirect.com [abgerufen am 18. September 2022]).
  25. EMPFEHLUNG (EU) 2021/472 DER KOMMISSION vom 17. März 2021 über einen gemeinsamen Ansatz zur Einführung einer systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten im Abwasser in der EU (PDF; 552 kB), auf eur-lex.europa.eu