Androgynos

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Androgynos (Vorlage:ELSalt andrógynos, wörtlich „Mannfrau“) ist ein Begriff der antiken Mythologie. Er bezeichnet mythische Wesen, die androgyn sind, das heißt sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale aufweisen.

Etymologie

Das Wort ist ein aus ἀνήρ anḗr (Genitiv ἀνδρός andrós) „Mann“ und γυνή gynḗ „Frau“ gebildetes Substantiv. In adjektivischer Verwendung kann es auch „beiden Geschlechtern gemeinsam“ bedeuten.

Schon bei Herodot kommt das Wort androgynos vor. Er berichtet von Wahrsagern bei den Skythen, die er androgynoi nennt. Gemeint sind aber nicht androgyne Wesen, sondern verweiblichte Männer.[1]

Mythos

Weithin bekannt wurde der Begriff in der Antike durch den Mythos von den Kugelmenschen, den der Philosoph Platon in seinem fiktiven, literarisch gestalteten Dialog Symposion (Das Gastmahl) erzählen lässt. Hier liegt der älteste Beleg für androgynos im Sinne von Androgynie vor. Platon hat den Mythos selbst erfunden und dabei alte mythische Motive verwertet.[2] Der Kerngedanke kommt auch in außereuropäischen Mythen vor.[3]

Platons fiktiver Erzähler ist der Komödiendichter Aristophanes. Er nimmt an dem Gastmahl teil, dessen Verlauf der Dialog schildert. Jeder Teilnehmer hält eine Rede über den Eros, der das Thema der Zusammenkunft ist. Die Rede des Aristophanes bietet eine mythische Erklärung für die Entstehung des erotischen Begehrens.[4] Dem Mythos zufolge hatten die Menschen ursprünglich kugelförmige Rümpfe sowie vier Hände und Füße und zwei Gesichter auf einem Kopf. In ihrem Übermut wollten sie den Himmel stürmen. Dafür bestrafte sie Zeus, indem er jeden von ihnen in zwei Hälften zerlegte. Diese Hälften sind die heutigen Menschen. Sie leiden unter ihrer Unvollständigkeit; jeder sucht die verlorene andere Hälfte. Die Sehnsucht nach der einstigen Ganzheit zeigt sich in Gestalt des erotischen Begehrens, das auf Vereinigung abzielt. Manche Kugelmenschen waren rein männlich, andere rein weiblich, wiederum andere – die androgynoi – hatten eine männliche und eine weibliche Hälfte. Die rein männlichen stammten ursprünglich von der Sonne ab, die rein weiblichen von der Erde, die androgynen vom Mond.[5] Mit dieser unterschiedlichen Beschaffenheit der Kugelmenschen erklärt Platons Aristophanes die Unterschiede in der sexuellen Orientierung. Nur die aus androgynoi entstandenen Menschen sind heterosexuell veranlagt.[6]

Platons Aristophanes, der selbst homoerotisch veranlagt ist, äußert seine Wertschätzung für die aus rein männlichen Kugelmenschen hervorgegangenen Homoerotiker. Über die androgynoi bemerkt er abschätzig, dass zu ihnen die meisten Ehebrecher und Ehebrecherinnen gehören. Er unterstellt ihnen eine Neigung zu sexuellem Suchtverhalten und einen damit zusammenhängenden Mangel an Treue.[7] Außerdem erwähnt er, dass zu seiner Zeit androgynos nur noch als Schimpfwort verwendet worden sei.[8] Tatsächlich hatte das Wort im normalen Sprachgebrauch einen verächtlichen Sinn („weibischer Mann“, „Feigling“).[9]

Literatur

  • Mário Jorge de Carvalho: Die Aristophanesrede in Platons Symposium. Die Verfassung des Selbst. Königshausen & Neumann, Würzburg 2009, ISBN 978-3-8260-3782-5

Anmerkungen

  1. Herodot 4,67. Siehe dazu Katharina Waldner: Geburt und Hochzeit des Kriegers, Berlin 2000, S. 155; Donat Margreth: Skythische Schamanen? Die Nachrichten über Enarees-Anarieis bei Herodot und Hippokrates, Schaffhausen 1993, S. 4f., 80–82, 110f.
  2. Marie Delcourt, Karl Hoheisel: Hermaphrodit. In: Reallexikon für Antike und Christentum, Band 14, Stuttgart 1988, Sp. 649–682, hier: 662.
  3. Hermann Baumann: Das doppelte Geschlecht, Berlin 1986 (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1955), S. 134, 176–182, 360–363; Marie Delcourt, Karl Hoheisel: Hermaphrodit. In: Reallexikon für Antike und Christentum, Band 14, Stuttgart 1988, Sp. 649–682, hier: 650–652; Wendy Doniger, Mircea Eliade: Androgynes. In: Lindsay Jones (Hrsg.): Encyclopedia of Religion, 2. Auflage, Bd. 1, Detroit 2005, S. 337–342, hier: 338.
  4. Platon, Symposion 189d–193d.
  5. Platon, Symposion 190a–b. Siehe dazu Bernd Manuwald: Die Rede des Aristophanes (189a1–193e2). In: Christoph Horn (Hrsg.): Platon: Symposion, Berlin 2012, S. 89–104, hier: 93f.
  6. Platon, Symposion 191d–192b. Vgl. Mário Jorge de Carvalho: Die Aristophanesrede in Platons Symposium, Würzburg 2009, S. 295–297.
  7. Platon, Symposion 191d–e. Siehe dazu Mário Jorge de Carvalho: Die Aristophanesrede in Platons Symposium, Würzburg 2009, S. 296–302.
  8. Platon, Symposion 189e.
  9. Zu dieser geläufigen Bedeutung siehe Katharina Waldner: Geburt und Hochzeit des Kriegers, Berlin 2000, S. 155f. und die Belege bei Henry George Liddell, Robert Scott: A Greek-English Lexicon, 9. Auflage, Clarendon Press, Oxford 1940, S. 129.