Aufrechnung (Deutschland)

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Aufrechnung (Kompensation) ist ein Rechtsbegriff aus dem Schuldrecht. Die Aufrechnung bewirkt die Aufhebung einer Forderung durch eine Gegenforderung. Ihrer Rechtsnatur nach ist sie ein Ersatz für eine Erfüllung (Erfüllungssurrogat) (das bedeutet in diesem Zusammenhang: Es kommt nicht zum ursprünglichen vorgesehenen Leistungsaustausch, dennoch erlöschen die Ansprüche aus dem Schuldverhältnis, soweit sie sich gegenüberstehen).

Eine Aufrechnung setzt eine Aufrechnungslage voraus. Es muss eine fällige, durchsetzbare Forderung des die Aufrechnung Erklärenden einer gleichartigen, erfüllbaren Forderung des Aufrechnungsgegners gegenüberstehen (§ 387 BGB). Zudem darf die Aufrechnung nicht ausgeschlossen sein.

Allgemeines

Funktion

Die Aufrechnung führt zu einer Tilgungserleichterung und hat Vereinfachungsfunktion. Sie hat eine Befreiungs-, Befriedigungs- und Sicherungsfunktion.[1]. „Die Aufrechnung dient nicht dem Zweck, dem Schuldner Klarheit über das Erfüllungsverlangen zu verschaffen, sondern ist Surrogat der Erfüllung.“[2]

Gestaltungsrecht und Verfügungsgeschäft

Die Aufrechnung ist nach deutschem Recht ein Gestaltungsgeschäft. Sie ist in §§ 387 bis 396 BGB geregelt. Die Aufklärung ist ein einseitiges Verfügungsgeschäft (Gestaltungsgeschäft). Sie ist zu unterscheiden von einer Aufrechnungsvereinbarung.

„Private Zwangsvollstreckung“

Die Bedeutung der Aufrechnung liegt nicht nur in der Tilgungswirkung. Sie erlaubt dem Aufrechnenden zugleich, seine eigene Forderung auf einfache Weise selbst durchzusetzen. Darüber hinaus hat sie eine sichernde Wirkung, da die Durchsetzung der Aufrechnungsforderung auch dann noch möglich ist, wenn der Aufrechnungsgegner in Vermögensverfall geraten ist, auch im Insolvenzverfahren (§ 94 InsO).

Terminologie

Die von der Aufrechnung erfassten Forderungen werden spezifisch benannt:

  • Hauptforderung: die Forderung, gegen die aufgerechnet wird (auch Passivforderung genannt)
  • Gegenforderung: die Forderung, mit der aufgerechnet wird (auch Aktivforderung oder Aufrechnungsforderung genannt).

Voraussetzungen

Die Wirksamkeit einer Aufrechnung setzt eine Aufrechnungserklärung, eine Aufrechnungslage und das Fehlen eines Ausschlusses der Aufrechnung voraus.

Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB)

Die Aufrechnung erfolgt durch Erklärung des Aufrechnenden gegenüber dem Gläubiger der Hauptforderung (§ 388 BGB) mittels einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärung und hat zur Folge, dass beide Forderungen rückwirkend zu dem Zeitpunkt als erloschen gelten, indem sie sich erstmals aufrechenbar gegenüberstanden (§ 389 BGB).

Aufrechnungslage (§ 387 BGB)

Die Voraussetzungen der Aufrechnung ergeben sich im Wesentlichen aus § 387 BGB. Beide Forderungen müssen gleichartig sein und im Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen denselben Personen stehen. Die Gegenforderung muss fällig sein, die Hauptforderung muss lediglich erfüllbar sein (nicht notwendig bereits fällig). Ferner darf die Aufrechnung nicht durch Gesetz oder vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen sein. So darf z. B. nicht gegen eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (§ 393 BGB) oder gegen eine Forderung aufgerechnet werden, die nicht gepfändet werden darf (§ 394 BGB, vgl. auch Pfändungsschutz). Könnte man gegen eine Forderung aus (vorsätzlich begangener) unerlaubter Handlung aufrechnen, würde dies möglicherweise dazu führen, dass derjenige, der eine uneinbringliche Forderung hat, im Wege der Selbstjustiz den Schuldner schädigt, um dann mit seiner uneinbringlichen Gegenforderung aufrechnen zu können. Dies soll durch § 393 BGB verhindert werden. Gleichwohl darf der Geschädigte aufrechnen.

Gleichartigkeit liegt also vor bei Geld- oder Gattungsschulden. Praktisch wird die Aufrechnung deshalb sehr überwiegend bei Geldforderungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Forderungen in ihrer Höhe übereinstimmen, ob die Forderungen verschiedene Rechtsnatur haben oder ob unterschiedliche Leistungsmodalitäten bestehen

Kein Ausschluss der Aufrechnung

Die Wirksamkeit einer Aufrechnung setzt das Fehlen eines Ausschlusses der Aufrechnung voraus. Eine Aufrechnung kann kraft Gesetz oder kraft Vertrag ausgeschlossen sein. In der Praxis stehen gesetzliche Ausschlussgründe der §§ 392-395 BGB im Vordergrund.

Rechtsfolgen

Die Aufrechnung bewirkt die gleichzeitige Tilgung beider Forderungen durch einseitige Erklärung eines der Beteiligten. Die Forderung, mit der aufgerechnet wird, bezeichnet man dabei als Gegenforderung oder Aufrechnungsforderung (Aktivforderung), die Forderung gegen die aufgerechnet wird, als Hauptforderung (Passivforderung).

Beispiel: Der Bauunternehmer U errichtet ein Haus für den Bauherrn B. Ein Teil des Werklohns wurde bereits bezahlt. Nach Fertigstellung und Abnahme hat U noch einen Anspruch auf Restwerklohn in Höhe von 20.000 Euro. Allerdings ist das Haus erst sechs Monate nach dem vereinbarten Termin fertig geworden. B hat deswegen einen Anspruch auf Zahlung einer im Bauvertrag vereinbarten Vertragsstrafe von 18.000 Euro. Erklärt B gegenüber U, er rechne mit seinem Vertragsstrafenanspruch gegen die Restwerklohnforderung auf, so führt dies zum Erlöschen der Aufrechnungsforderung (Vertragsstrafe) und eines Teilbetrags von 18.000 Euro der Hauptforderung (Restwerklohn) durch Erfüllung. Hier sind die 20.000 Euro Restwerklohn die Hauptforderung (Passivforderung) und die 18.000 Euro Vertragsstrafe die Gegenforderung (Aktivforderung).

Sonderfälle

Aufrechnung im Prozess ("Prozessaufrechnung")

Die Aufrechnung kann auch zur Verteidigung im Prozess erfolgen. Sie hat dann eine Doppelnatur und ist zugleich materielles Rechtsgeschäft und Prozesshandlung. Soweit über die Aufrechnung entschieden wird, erwächst auch die Entscheidung über die Aufrechnungsforderung in Rechtskraft (§ 322 Abs. 2 ZPO). Die Aufrechnung kann auch nur für den Fall erfolgen, dass die Klageforderung nicht bereits aus anderen Gründen unbegründet ist. Dann spricht man von einer Hilfsaufrechnung (Eventualaufrechnung).

Die Prozessaufrechnung erzeugt keine Rechtshängigkeit des Aufrechnungsanspruches.

Aufrechnung mit verjährter Gegenforderung

Der Aufrechnungsforderung darf keine Einrede entgegenstehen. Für die Verjährung gilt allerdings eine Sonderregelung. Die Verjährung schließt die Aufrechnung nicht aus, wenn die Aufrechnungsforderung noch nicht verjährt war, als erstmals aufgerechnet werden konnte (§ 215 BGB).

Verrechnung im Sozialrecht

Als Sonderform der Aufrechnung gibt es im Bereich des Sozialrechts die Verrechnung. Sie ist in § 52 SGB I geregelt. Sie ermöglicht es einem Sozialleistungsträger die eigene Zahlungsverpflichtung mit Forderungen eines anderen Sozialleistungsträgers gegen den Leistungsempfänger zu verrechnen, wenn er von diesem dazu ermächtigt wurde und die sonstigen Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen. Das besondere an der Verrechnung ist, dass hier ausnahmsweise kein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Hauptforderung und Aufrechnungsforderung erforderlich ist. Begründet wird diese Ausnahme damit, dass die reine organisatorische Aufspaltung der sozialen Sicherheitssysteme in eigenständige Körperschaften und Anstalten dem Schuldner nicht zugutekommen soll.

Beispiel: Der etwas ältere Kaufmann A führt ein kleines Geschäft und beschäftigt zwei Angestellte. Als es mit dem Geschäft nicht so gut läuft, gerät er gegenüber der Krankenkasse (Einzugsstelle) in Beitragsrückstand. Schließlich gibt er das Geschäft auf und beantragt seine Altersrente ohne den Beitragsrückstand beglichen zu haben. Nun kann die Rentenversicherung gegen die Rentenzahlung mit den rückständigen Beitragsforderungen der Krankenkasse verrechnen, wenn sie von der Krankenkasse dazu ermächtigt wird.

Im Regelfall kann bis zur halben Höhe der Sozialleistung verrechnet werden. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner nachweist, dass er durch die Verrechnung seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten kann und Leistungen wie Sozialgeld, Grundsicherung oder Arbeitslosengeld II beantragen muss. Die Beweislast liegt hier beim Schuldner. Der Nachweis ist durch eine sog. Bedarfsbescheinigung des Sozialhilfeträgers zu führen. Zu beachten ist ferner, dass rückwirkend niemals Bedürftigkeit eintreten kann und somit bei etwaigen Nachzahlungen (wie etwa Rentennachzahlungen) immer die halbe Nachzahlung verrechnet werden kann. Ein Widerspruch hat hier gem § 86a SGG aufschiebende Wirkung.

Aufrechnung im Steuerrecht

Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten sinngemäß die §§ 387 bis 396 BGB, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Steuerpflichtigen können gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen (§ 226 AO). Eine Aufrechnung durch das Finanzamt kann explizit als solche oder als Umbuchung bezeichnet sein, auch mit einem Steuerbescheid verbunden werden und stellt keinen Verwaltungsakt dar. Damit wird die Aufrechnungserklärung auch nicht gem. § 122 Abs.2 AO bekanntgegeben. Vielmehr wird über Streitigkeiten im Erhebungsverfahren mittels Abrechnungsbescheid entschieden. Hiergegen kann ein Einspruch eingelegt werden, nicht jedoch gegen die Aufrechnungserklärung. Der besondere Vorteil der Aufrechnung besteht darin, dass damit selbst die zeitlich frühere Pfändung überspielt wird, da die Aufrechnung zeitlich auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage zurückwirkt. Eine besondere Form der Aufrechnung ist der Aufrechnungs- oder Verrechnungsvertrag, mit dem das Guthaben eines Dritten zur Tilgung der Steuerschuld verwendet wird.[3]

Einzelnachweise

  1. Coester-Waltjen, Jura 2003, 246
  2. BAG, Urteil vom 1. Februar 2006 - 5 AZR 395/05 - NJOZ 2006, 3373 (3376)
  3. FG Münster vom 8. April 2008, 11 K 6309/02, EFG 2008, 1597