Begriffsjurisprudenz

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Begriff

Als Begriffsjurisprudenz wird - in einem abwertenden Sinne - die Rechtswissenschaft des mittleren und späteren 19. Jahrhunderts bezeichnet. Der Begriff wurde - in diesem Sinne - von Rudolph von Jhering in seiner Schrift Scherz und Ernst in der Jurisprudenz[1] geprägt. Insbesondere von Philipp Heck wurde es zur Kritik an dem herrschenden methodischen Vorgehen seiner Zeit herangezogen.

Begriffspyramide und Inversionsmethode

Grundlage der Begriffsjurisprudenz ist die Anwendung logischer Methoden auf das Recht. Sätze und Begriffe sollten gewissermaßen mathematisch-geometrisch in ein lückenloses und widerspruchsfreies System überführt werden, aus denen dann mithilfe von Obersätzen, Definitionen und Subsumtionen juristische Entscheidungen gefällt werden. Weiterhin attackierten die Kritiker der „Begriffsjurisprudenz“ (insbesondere Jhering, Heck und Rümelin) "die sogenannte „Inversionsmethode“, mit welcher aus existierenden positiven Normen, neues - und system-fremdes - Recht erschaffen wird".[2]

Kritik

Für rechtsschöpferisches Tätigwerden und Einzelfallgerechtigkeit des Richters ließ die „Begriffsjurisprudenz“ angeblich keinen Raum.[3]

Vertreter

Als wesentliche Vertreter der Begriffsjurisprudenz werden gemeinhin Georg Friedrich Puchta und Bernhard Windscheid eingeordnet. Jenem zugrunde liegendes Rechtssystem lässt sich nach Karl Larenz[4] als „Begriffspyramide“ darstellen, diesem attestiert Larenz immerhin eine eigentümliche Zwischenstellung.[5]

„Begriffsjurisprudenz“ und Einzelfallgerechtigkeit

Wie Hans-Peter Haferkamp[6] mit Blick auf Puchta nachweisen konnte, berücksichtigten die Arbeiten Puchtas in vielerlei Hinsicht auch praktische Bedürfnisse. Insbesondere Falk demontiert mit Blick auf Windscheid wegweisend die „schwerwiegenden Anklagen“ gegen Windscheid, als Vertreter und Symbol für die Interessenjurisprudenz.[7] Rückert[8] und Heidemann[9] stellen klar, dass in der Methodik Windscheid Elemente der „Begriffsjurisprudenz“, wie sie Jhering in Scherz und Ernst in der Jurisprudenz deklarierte, gerade nicht vorhanden waren. Maximiliane Kriechbaum findet „applikative Elemente“, d.h. einzelfallgerechtigkeitsorientierte Ermessensspielräume bereits bei Savigny[10]. Die Kritik der Begriffsjurisprudenz hängt insoweit nicht unerheblich mit dem allgemeinen Missverständnis der Methodik Savignys zusammen.

Die Abwertung der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, vornehmlich der Pandektistik und deren (mehrheitlich polemische [11]) Titulierung als „Begriffsjurisprudenz“ kann somit als widerlegt angesehen werden.

Literatur

  • Walter Wilhelm: Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1958.
  • Jan Schröder: Begriffsjurisprudenz. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2. Auflage. Band I, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-07912-4, Sp. 500-502.
  • Ulrich Falk: Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz, 2. Auflage 1999. X, ISBN 978-3-465-03027-0, Ius Commune Sonderheft 38.
  • Marc Heidemann: Windscheid und die Begriffsjurisprudenz. Die Pandektendogmatik im späten 19. Jahrhundert. 2015, Grin Verlag, ISBN 978-3-668-08101-7.
  • Joachim Rückert: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner. 2012.
  • Paul Oertmann: Interesse und Begriff in der Rechtswissenschaft, Leipzig, 1931.

Einzelnachweise

  1. Rudolph von Jhering: Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1884, S. 337. (Nachdruck: Max Leitner (Hrsg.): Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Wien, Linde 2009, ISBN 978-3-7093-0281-1)
  2. Marc Heidemann: Windscheid und „Begriffsjurisprudenz“ , 2015, Grin Verlag, ISBN 978-3-668-08101-7 , S.5 mit Verweis auf Oertmann, Interesse und Begriff, S. 75; Ebenso interpretierend: Kipp, in Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 24, Fn. 2.: "Diese [Begriffsjurisprudenz] erschafft durch die Konstruktion von neuen Begriffen aus existenten Begriffen, lebensfremd und system-missbräuchlich, neue Normen, entgegen des „Rechtsganzen“ beziehungsweise entgegen des „Geistes“ des Rechts, um ein vom Konstrukteur erwünschtes, jedoch systemfremdes Ergebnis zu erreichen. Das Ziel dieser Kritik liegt darin (so auch Oertmann, Heck und Rümelin), vor den Gefahren zu warnen, die darin liegen, Rechtsbegriffe durch die sogenannte und unzulässige „Inversionsmethode“ missbräuchlich zu nutzen, um neues positives Recht zu erzeugen."
  3. Ulrich Falk: Ein Gelehrter wie Windscheid.
  4. Karl Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 6. Auflage. Springer, Berlin 1991, ISBN 3-540-52872-5, S. 19 ff.
  5. Derselbe: a.a.O., S. 29
  6. Hans-Peter Haferkamp: Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“. Klostermann, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-465-03327-2.
  7. Ulrich Falk: Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz.Frankfurt am Main, 1989 (Ius Commune, Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Europäische Rechtsgeschichte, Sonderhefte, 38)
  8. Joachim Rückert: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner. 2012
  9. Marc Heidemann: Windscheid und „Begriffsjurisprudenz“. 2015, Grin Verlag, ISBN 978-3-668-08101-7.
  10. Maximiliane Kriechbaum: Römisches Recht und neuere Privatrechtsgeschichte in Savignys Auffassung, in: Zimmermann/Knütel/Meincke, Rechtsgeschichte und Privatrechtsgeschichte, S. 58.
  11. Haferkamp, a.a.O; Heidemann, a.a.O.

Siehe auch