Benutzer:Philip Schmalfeldt/Die Drei Musikanten

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Die Drei Musikanten (Diego Velázquez)
Die Drei Musikanten
Diego Velázquez, 1616-20
Öl auf Leinwand
87 × 110 cm
Gemäldegalerie (Berlin), Inv.-Nr. 413F
Vorlage:Infobox Gemälde/Wartung/Museum


Ouvertüre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Gemälde Die Drei Musikanten von Diego Velázquez (1599-1660) gehört seit gut hundert Jahren zum Bestand der Berliner Museen und hängt heute in der Gemäldegalerie am Berliner Kulturforum. Das wohl zwischen 1616 und 1620 entstandene Bild, bei dem es sich vielleicht um Velázquez’ frühestes Werk handelt, ist vielfach und kontrovers diskutiert worden, wobei es zumeist – dem historischen Kontext der frühen Sevillaner Schaffensphase des Künstlers gemäß – in Zusammenhang mit dessen anderen bodegones betrachtet wird. Von den etwa zehn gemeinhin als bodegones bezeichneten Darstellungen, die Velázquez bis ca. 1622 in Sevilla geschaffen hat, stehen v.a. die beiden dreifigurigen Tischszenen Bauern bei Tisch[1] und Drei Männer am Tisch[2] den Drei Musikanten zeitlich und formal sehr nahe.
Dargestellt sind drei unterschiedlich junge Männer, die um einen gedeckten Tisch gruppiert sind und Musik machen. Im Hintergrund des düsteren Innenraums sind zudem ein Affe und an der Rückwand ein verdunkeltes Bild zu erkennen. Auffallend bei den Drei Musikanten ist – sowohl im Bild selbst als auch in der Forschung – die Vielfalt der offenbar angesprochenen Themen. Dabei wird stets die Frage aufgeworfen, ob es sich bei dem Gemälde um eine ‚reine’ Genredarstellung handelt oder ob sich hinter der vermeintlich ‚alltäglichen’ Szene noch weitere Sinnschichten verbergen, die das Bild auch allegorisch lesbar und entsprechend deutbar machen können. Beide Interpretationen scheinen ihre Berechtigung zu haben, sie müssen sich jedoch auch nicht zwangsläufig ausschließen.


Werkgenese[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Berliner Gemälde ist weder signiert noch datiert. Erstmals wurde es Velázquez 1906 von Aureliano de Beruete zugeschrieben und im selben Jahr auch aus der Sammlung von R. Langton Douglas (London) vom damaligen Kaiser-Friedrich-Museum für Berlin erworben. Zu jenem Zeitpunkt scheint es bereits die heutige Bezeichnung gehabt zu haben. Die Zuschreibung an Velázquez wurde immer wieder bezweifelt; erst seit der Restaurierung des Bildes im Jahr 2001 gilt sie als weitgehend gesichert. Als mögliche Entstehungszeit wird der Zeitraum zwischen 1616 und 1620 angenommen – eine durchaus großzügige Spanne, wenn man bedenkt, dass wohl an die zwanzig Gemälde von Velázquez aus dieser Zeit stammen sollen, von denen allerdings nur vier datiert sind. Einen wichtigen Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung des Bildes konnte die Radiographie von Velázquez’ Portrait eines jungen Mannes liefern [Abb. 8/9][3]: Um 90° gedreht ist dort in einer unteren Malschicht schemenhaft der Kopf eines Mannes erkennbar, der dem des Sängers im Musikanten-Bild sehr ähnelt. Deutlich sind die himmelwärts gerichteten Augen und der offene Mund auszumachen, allerdings ist der Kopf leicht nach rechts, anstatt nach links geneigt. Das eigentliche Portrait gilt seinerseits als ‚Studie’ für das Budapester bodegón [Abb. 10][4], das damit ebenfalls in eine zumindest zeitliche, wenn nicht inhaltliche Nähe zu den Musikanten rückt. Allerdings ist das Petersburger Portrait ebenso wenig wie die Budapester Tischszene datiert. López Rey setzt das Berliner wie das Petersburger Gemälde früh an und schlägt eine Entstehungszeit zwischen 1617 und 1618 vor. Beide Gemälde wären demnach kurz vor oder nach Velázquez’ Abschluss der Ausbildung bei Francisco Pacheco del Río und seiner Aufnahme in die Sevillaner Malergilde entstanden.[5] Eine Radiographie der Drei Musikanten von 1974 hat zudem gezeigt, dass das Gewand des mittleren Sängers wohl erst nachträglich schwarz übermalt worden ist [Abb. 4][6]. Zuvor war es offenbar heller grau gewesen und hatte eine deutlich abgesetzte, vertikale Knopfleiste gezeigt. Auch ein kurzer, heller Hemdkragen, der wohl noch unter dem ausladenden Kragen sichtbar war, wurde nachträglich übermalt. Dafür, dass das Bild angeblich am rechten und unteren Rand beschnitten wurde, spricht technisch nichts.


Varianten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den Drei Musikanten gibt es einige Varianten. José López Rey ging in seinem Werkverzeichnis von 1963 von dreien aus, während im Edinburgher Ausstellungskatalog plausibel dargelegt wird, dass es darüber hinaus noch eine vierte Variante geben muss.[7] Die vier Varianten seien kurz vorgestellt:
(1) Die früheste bekannte Variante wurde erstmals bei den Grafton Galleries (London 1913–14, Nr. 39) ausgestellt, mit dem Verweis auf das Inventar von Mr. John Skipp(e) (1793). Im Jahr 1936 ist das Bild in der Waldyve Martin Collection (London) nachgewiesen, 1966 wurde es bei Sotheby’s (Nr. 19) verkauft. Der derzeitige Aufbewahrungsort ist unbekannt (LR, Nr. 111, ohne Abb.).[8]
(2) Ursprünglich wohl in der Sammlung Sebastian Martínez (Cádiz) und später in der von M. Bamberger, wurde diese zweite Variante 1923 an Wildenstein & Co. (Paris) verkauft. Ihr derzeitiger Ort ist unbekannt (LR, Nr. 112 u. [Abb. 5]).[9]
(3) Die einzige Variante mit Sevillaner Herkunft, die dort im frühen 19. Jh. in der Sammlung José Cañaveral nachweisbar ist, später in Genf und Zürich (1936), befindet sich heute in einer Privatsammlung in Barcelona (LR, Nr. 110 u. [Abb. 6 ]).[10]
(4) Die vierte Variante wurde erstmals 1952 in der Sammlung Tenaud de Leygoine (bzw. Leygonie), Paris, erwähnt, danach bei Marcos, von dort wurde sie 1991 durch Carlos Ferrer für die Sammlung Art Hispania (Barcelona) angekauft. Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass es sich hierbei um die Variante handelt, die 1875 in einem Pariser Verkaufskatalog als autographes Werk von Velázquez gehandelt wurde und die sich zuvor in Salamanca befunden haben soll [Abb. 7].[11]
Abgesehen davon, dass keine der Varianten in künstlerischer Hinsicht an das Berliner Exemplar heranreicht (und wohl auch nur dieses autograph ist), zeichnen sich die Versionen (1) und (4) durch das Fehlen eines Bildes an der Rückwand des dargestellten Raumes aus. Im Gegensatz dazu zeigt Variante (3) eine derart deutliche Landschaftsszenerie, dass es sich dabei um ein Fenster statt um ein Gemälde handeln könnte.[12] Variante (3) zeichnet sich außerdem durch deutlich breitere Randstreifen an drei Seiten (bis auf oben) aus, was die Vermutung aufkommen ließ, die Berliner Fassung sei nachträglich beschnitten worden. Eine derart offensichtliche Erweiterung des Raumes zeigt sich allerdings nur hier, wenngleich auch Variante (4) vor allem hinter dem Knaben zur Linken etwas mehr Platz belässt. In Variante (4) trägt der mittlere Sänger zudem ein graues Gewand mit einer schwarzen Knopfleiste, wie es wohl auch in der ursprünglichen Version des Berliner Bildes zu sehen war. Interessant ist diese Variante außerdem in Bezug auf die Bezeichnung, die sie im Katalog von 1875 trug: „Aveugles jouant du violon et de la guitare“.[13] Dieser Verweis auf eine mögliche Blindheit der Musiker ist einzigartig und bedarf – trotz weitgehender Ablehnung seitens der Forschung – auch in Hinblick auf die Berliner Bildversion einer eingehenden Prüfung. Der Edinburgher Ausstellungskatalog vermerkt dazu: „The claim in the Salamanca sale catalogue that the musicians are blind is clearly inaccurate, though from the expression on the face of the central figure, he might well be sightless.“[14]


Die Frage nach dem Genre ...[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Zuordnung der Drei Musikanten zur Bildgattung der bodegones mag einen ersten Anhaltspunkt dafür liefern, in welchem ‚Ambiente’ sich die dargestellte Szene abspielt – nicht jedoch für eine intendierte Lesart und weitergehende Interpretation. Sebastián de Covarrubias definiert im Jahre 1611 – doch ohne ausdrücklich auf eine Bildgattung zu rekurrieren – den bodegón als ein im Keller- oder Untergeschoss situiertes Lokal, in dem Heimat- oder Obdachlose eine Mahlzeit samt Getränk bekommen konnten.[15] In der Kunstgeschichte versteht man unter bodegón im weitesten Sinne ein Bild, dessen zentraler Handlungsort die Schenke oder Küche ist und das sich durch die Darstellung von Ess- und Trinkwaren auszeichnet. In Anlehnung an Covarrubias’ Definition darf man von den in bodegones dargestellten Figuren erwarten, dass sie aus eher niedrigen sozialen Schichten stammen und weitgehend anonym bleiben.[16] Entsprechend geben sie sich weder als historische noch als biblische oder mythische Gestalten zu erkennen – ein Merkmal, das das bodegón mit dem Genrebild teilt:[17] „Ein Genrebild zeigt namenlose Menschen ohne Portraitintention in für ihre soziale Schicht angemessener Kleidung, bei alltäglichen und beliebig wiederholbaren typischen Tätigkeiten.“[18] Untersucht man die Drei Musikanten vor diesem Hintergrund, so zeigt sich, dass sie durchaus ein unmittelbares Gegenwartserlebnis abbilden könnten. Von den Musikanten mit ihren weitgehend detailgetreu wiedergegebenen Instrumenten bis hin zum Affen (der eine Meerkatze ist und als übliches Begleittier umherziehender Gaukler und Spielleute gelten darf) scheint die gesamte Szenerie stimmig in der Darstellung einer alltäglichen und also typischen Wirtshausszene aufgehen zu können. Offenbaren Die Drei Musikanten damit aber nur jene für das Genrebild paradigmatische Wirklichkeit, „die sich selbst genügt und deren Bedeutung sich in ihrem Wirklichsein erschöpft“?[19]


... und nach dem Sinn[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wie sich zeigt, sind Die Drei Musikanten nicht nur ohne Weiteres als ‚reine’ Genredarstellung lesbar, sondern sie scheinen darüber hinaus auch eine Vielzahl symbolischer Deutungsmöglichkeiten zuzulassen. Dabei lassen sich einige prägnante Themenkomplexe ausmachen, die im Folgenden kurz skizziert werden. Mit der Fokussierung von Musikanten bzw. Musik tritt – gerade mit deren Visualisierung in einem Gemälde – der Gehörsinn in den Vordergrund. Es werden im Bild darüber hinaus aber noch weitere Sinne suggestiv angesprochen, von denen der mit der aufgetischten Mahlzeit konnotierte Geschmackssinn am offensichtlichsten ist. Die Interpretation der Drei Musikanten als Fünfsinne-Bild, wie es ab dem 16. Jahrhundert vor allem in den Niederlanden und Deutschland verbreitet war, liegt folglich nahe: „Alle Bilder, die Musizieren und Gesang enthalten, stehen mit dem ‚Gehör’ in Zusammenhang; wo getrunken, gegessen oder geraucht wird, handelt es sich um den ‚Geschmack’ […] und das ‚Gesicht’ ist eben mit allem Gucken und Schauen verbunden.“[20] Mit der bildlichen Darstellung von Musikanten beim aktiven Musizieren, das heißt der Visualisierung von Musik, könnte grundsätzlich die Frage nach der Hierarchie der Sinne und damit einhergehend auch die der Kunstgattungen aufgerufen sein: Der Gehörsinn gilt zu Velázquez’ Zeit als ein gefährlicher Sinn, die Musik wird etwa von seinem Zeitgenossen Francisco de Quevedo als negativ, weil narkotisierend eingeschätzt, und vielleicht nicht zufällig hängt im Bild ein Gemälde an der Wand und wendet sich der Junge auf der linken Seite von den beiden Musikern ab, angezogen von außerhalb des Bildes zu vermutenden visuellen Sinnesreizen (dem Maler? dem Bildbetrachter?), die offenbar stärker sind als die Musik. Gängig ist die Deutung der Drei Musikanten als Allegorie des übermäßigen Weingenusses beziehungsweise der Trunkenheit – ein Thema, das sich seit dem 15. Jahrhundert vor allem vermehrt in der nordalpinen Kunst findet. Dem Wein scheint in der Tat eine besondere Bedeutung beigemessen zu sein, insbesondere durch den Gestus des Jungen, der sein Glas prominent in die Mitte der Szene hält, sowie die Tatsache, dass überhaupt für drei Personen nur zwei Gläser bereit stehen. In der Tradition mittelalterlicher Darstellungen lässt sich das Bild in diesem Zusammenhang als moralisierende Allegorie des Lasters lesen, das den Betrachter zur Mäßigung gemahnt. Zu guter Letzt lässt sich das Bild auch in den christlichen Kontext rücken. Im situativen Kontext der Drei Musikanten – einer musikalischen Szene in einer bodega – dürfte insbesondere die Mimik des mittleren Sängers befremdlich erscheinen: Dessen ernster, entrückter und beinahe leidend wirkender Ausdruck steht, wie auch das klerikal anmutende Gewand, in einem merkwürdigen Kontrast zur anrüchig-sinnesfreudigen Wirtshausszene und lässt vor allem an Darstellungen aus dem christlichen Bildbereich denken: etwa an eine Christus- oder Märtyrerfigur. Mit „himmelndem Blick“[21] – ein verbreitetes mimisches Motiv der christlichen Kunst – nimmt der Sänger Kontakt zu höheren Sphären auf und empfängt möglicherweise dadurch seine Inspiration zur Musik, was auch eine schmerzvolle Erfahrung sein kann. In der Kombination dieses Andachtsmotivs mit den aufgetischten Speisen zeigen sich zudem erstaunliche Parallelen zum Bildtypus des Emmausmahls.[22]


Eindeutig uneindeutig? – Eine These[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenngleich diese allegorischen Themenkomplexe allesamt Interpretationsansätze für Die Drei Musikanten liefern, so zeigt sich allerdings auch, dass keiner von ihnen das Bild als Ganzes erklären kann. Die allegorischen Themenkomplexe liefern allenfalls stimmige Teildeutungen. So treten z.B. die drei Sinne Gehör, Geschmack und Gesicht zu deutlich in den Vordergrund, als dass es sich um ein Fünfsinne-Bild handeln könnte. Auch scheint die Thematik der Trunkenheit zwar durchaus angesprochen, doch kann man sie wohl kaum als das maßgebliche Element bezeichnen, „das die Szene inspiriert hat“[23], geschweige denn, dass sich die Darstellung insgesamt als „invitación a la moderación y a la templanza“[24] verstehen lässt. Auch weitergehende Assoziationen scheinen bis zu einem bestimmten Punkt berechtigt: Mit dem der Musik gegenübergestellten ‚Bild im Bild’ könnte der Wettstreit der Künste evoziert sein – allein: Warum sollte dieser ausgerechnet in einer bodega ausgetragen werden, und mit welchem Ergebnis? Was die christliche Thematik in den Drei Musikanten betrifft, so bleibt fraglich, wodurch die Verlagerung einer religiösen Szene, die vor allem an einer rätselhaften Figur mit ‚himmelndem Blick’ festzumachen ist, in das betontermaßen profane Wirtshausumfeld begründet ist. Schwerlich lässt sich jedenfalls das ganze Bild als konsequent religiöse Darstellung interpretieren. Einer Gesamtdeutung von Velázquez’ Gemälde stehen also Ungereimtheiten, störende und vor allem fehlende Komponenten entgegen. Insgesamt scheint das Gemälde mehr Fragen aufzuwerfen, als es Antworten liefern kann. „So steht uns das Bild als Schöpfung eines brillanten, jungen Künstlers gegenüber: kühn, doch zu viel verlangend und daher letztlich ungelöst“, wie es Jonathan Brown in formaler Hinsicht feststellt.[25] Diese Kritik könnte man auch inhaltlich geltend machen. So lässt sich die These aufstellen, dass Velázquez die Ungelöstheit und Mehrdeutigkeit geradezu bewusst angestrebt hat und dass dies nicht als unreifes Unvermögen verstanden werden kann, sondern – ganz im Gegenteil – als Ausdruck einer Lust am spielerischen Umgang mit den Bildmotiven. Formal scheint Velázquez nach der versatzstückartigen Methode der imitación vorgegangen zu sein, wie sie auch sein Lehrer Francisco Pacheco in der Arte de la Pintura vorschlägt – „tomando de aquí la figura, de acullá el brazo, déste la cabeza, de aquél el movimiento [...] y haciendo un compuesto“.[26] Es ist aber auffällig, dass Velázquez für die Komposition seiner „historia“ ausgerechnet Bildmotive wählt, die von sich aus mehrdeutig oder betont deutungsoffen dargestellt sind, wobei diese in der Kombination mit anderen, ebenso mehrdeutigen Motiven, förmlich ein mehrdeutiges „compuesto“ heraufbeschwören. Sinnfällig wird dies z.B. anhand des Affen mit seiner vielfältigen symbolischen Konnotation. Wenn der Affe die Mehrdeutigkeit ohnedies schon impliziert, betont seine spezifische Darstellung in den Drei Musikanten sie noch zusätzlich: So kann der Affe mit Frucht symbolisch für die Sünde oder den Geschmackssinn stehen. Zugleich aber kann er in seiner den Jungen nachahmenden Gestik als Symboltier der Künste und mit seinem Bezug zum Wein als Inbegriff der Trunkenheit gelten – nicht zuletzt jedoch und bar jeglicher Konnotation als gängiges Begleittier umherziehender Musikanten. Wie sich anhand des Affen zeigen lässt, manifestiert sich die solchermaßen intendierte Uneindeutigkeit auch bei anderen Bildmotiven. Gleichsam programmatisch wird sie in dem verdunkelten Bild an der Wand.[27] Sowohl die Themenkomplexe als auch die sie evozierenden Bildmotive begründen also die Mehrdeutigkeit des Gemäldes.

Dieses Ergebnis der bildimmanenten Interpretation lässt sich im Hinblick auf den kulturellen Kontext stützen. So liegt das Prinzip der Uneindeutigkeit und Verschleierung des Sinngehalts beispielsweise auch den zeitgleich entstandenen Emblembüchern zugrunde. In dieser Hinsicht hält es Hernando de Soto für notwendig, bei moralischen Lehrstücken die Wahrheit zu verheimlichen und rät in seinen Emblemas moralizadas, die im Geburtsjahr von Velázquez erschienen sind, ausdrücklich zum „ocultar sus secretos“[28]. Neben dem Verdunkeln ist auch das Verrätseln ein wesentliches Gestaltungselement der Emblematiker. Bartolomeo Taegio plädiert in Il Liceo (1571) dafür, die intendierte Aussage nicht auf den ersten Blick klar erkennbar zu machen: „Non dovrebbe parimente il significato dell’Impresa essere tanto chiaro, ch’ogni plebeo alla prima occhiata lo conoscesse per vederlo ignudo, & senza il velo dell’allegoria“. Das Spiel mit Doppelsinn und Mehrdeutigkeit, das die Bildmotive bei Velázquez aufweisen, äußert sich schließlich auch in einer typischen literarischen Stilrichtung des Siglo de Oro, dem conceptismo. Die Merkmale, die sich unter anderem in Gedichten von [Francisco de Quevedo] wiederfinden, können im weitesten Sinne als Wortspiele bezeichnet werden:[29] „Scharfsinniger Witz, Emblematik und verfremdete ‚ingeniöse’ Wörter, die ungewohnte, neue metaphorische Verbindungen herstellen, verursachen ästhetisches Vergnügen“, wie Vittoria Borsò die Literaturtheorie des Barock charakterisiert.[30] Dieses Vergnügen, die Lust am Verrätseln und am Spiel mit der Mehrdeutigkeit sind demnach als Phänomene des barocken Zeitgeistes anzusehen. Es ist daher denkbar, dass auch Velázquez seine deutungsoffenen Bildmotive bewusst inszeniert hat, um – auch als bildender Künstler – „ungewohnte, neue metaphorische Verbindungen“ zu evozieren. Ein Beispiel dafür ist das ‚Bild im Bild’ mit seiner konventionell kommentatorischen Funktion, die bei den Drei Musikanten ignoriert wird: Indem dieses Bild leer bleibt, betont es den offenen, unklaren und unendlichen Charakter, den Heinrich Wölfflin als ein strukturelles Merkmal des barocken Kunstwerkes schlechthin definiert hatte – hier nun allerdings auch in inhaltlicher Hinsicht:[31] Gerade durch seine Verrätselung versagt sich das Bild im Bild seiner tradierten Funktion als Korrelat und Bezugsgröße, die eine Deutung des gesamten Bildzusammenhangs ermöglichen könnte.

Mehrere der späteren Werke von Velázquez sind in ähnlicher Weise deutungsoffen. Für diese Gestaltungsidee gibt es zwei Indizien: Zum einen Darstellungen mit irritierender Blickführung wie in Las Meninas, zum anderen die Verwirrung des Betrachters durch bewusst unscharf belassene Bildpartien wie etwa das Gesicht des Hofnarrs Calabacillas. Das Spiel mit der Irritation des Betrachters, das Unklare und Mehrdeutige, so ließe sich als These formulieren, scheint über ein epochales Phänomen hinaus auch ein Leitmotiv im Schaffen von Velázquez zu sein. In den Drei Musikanten als seinem möglicherweise frühesten Gemälde kann dieses Gestaltungsprinzip als originär gelten.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bauern bei Tisch (Budapest, Szépmüvészeti Múzeum, Inv.-Nr. 3820).
  2. Drei Männer am Tisch (St. Petersburg, Eremitage, Inv.-Nr. 389).
  3. Velázquez Portrait eines jungen Mannes (1618–19; Öl/Lw, 39,5 x 35,8 cm; Sankt Petersburg, Eremitage, Inv.-Nr. 295; vgl. López-Rey Velázquez (1996), Bd. II, Abb. 8). Auch die Radiographie findet sich dort abgebildet (S. 24).
  4. Velázquez Bauern bei Tisch (vgl. Anm. 45).
  5. Vgl. dazu López-Rey Velázquez (1996), Bd. I, S. 35–36 u. Bd. II, S. 10 u. 24. – Kemenow bezeichnet die Musikanten als Velázquez’ erstes Werk und geht von einer noch früheren Entstehung um 1616 aus (Vladimir Kemenov Velázquez in Soviet Museums: Analysis and Interpretation of Paintings in the Context of His Œuvre. Leningrad 1977, S. 52–53).
  6. Die Radiographie findet sich auch abgebildet bei López-Rey Velázquez (1996), Bd. II, S. 11.
  7. Vgl. José López-Rey Velázquez: A Catalogue Raisonné of his Œuvre. London 1963, Nr. 110–112 (im weiteren Verlauf als LR abgekürzt) und Ausst.-Kat. Velázquez in Seville, S. 140 (cat. 25).
  8. Von dieser Variante gibt es m. W. keine Abbildung. LR beschreibt sie als „Mediocre copy, with variations, of No. 109 [d.i. die Berliner Fassung]. The figures, of which more is seen, are set against an undefined background. Enlarged at the top. Height 1.06 m. Width 1.23 m.“ (López-Rey Velázquez (1963), S. 160 (Nr. 111).
  9. Die Drei Musikanten (Variante 2; 85 x 115 cm; vgl. ebd., Plate 179). – Auf eine mögliche Herkunft aus Cádiz verweist Haraszti-Takács Spanish Genre Painting, S. 220.
  10. Die Drei Musikanten (Variante 3; vgl. López-Rey Velázquez (1963), Plate 178).
  11. Die Drei Musikanten (Variante 4; 87,6 x 117 cm; Barcelona, Art Hispania [Carlos Ferrer], vgl. Ausst.-Kat. Velázquez in Seville, S. 141). Hinweis auf die salmantinische Herkunft gebe ein „seal on the stretcher with the item catalogued in the Salamanca Sale, Paris, 1875 (no. 34)“ (vgl. ebda.).
  12. Bislang ist niemand der Frage nachgegangen, ob das gerahmte Bild im Hintergrund der Berliner Fassung ursprünglich eine deutlichere Landschaftsdarstellung gezeigt haben könnte. Eine helle Stelle, die in der erwähnten Radiographie von 1974 deutlich sichtbar wird, scheint einen Hinweis dafür zu liefern, dass die Landschaft ähnlich wie in Variante (3) ausgesehen haben mag und nachträglich entweder übermalt wurde oder nachgedunkelt ist.
  13. „[...] Première manière du maître. Galerie Don Celestino. Canvas, 88 x 118cm.“ So zitiert im Edinburgher Ausstellungs-Katalog (1996, S. 140) und – in etwas abgewandelter Form – bei Haraszti-Takács Spanish Genre Painting, S. 220 (cat. no. 208). Haraszti-Takács bringt diese Angabe in Verbindung zu Variante (2).
  14. Ausst.-Kat. Velázquez in Seville, S. 140.
  15. Vgl. Sebastián de Covarrubias Wörterbuch Tesoro de la Lengua Castellana o Española (1611). Hrsg. v. Martín de Riqueur. Barcelona 1943, S. 224. – Die maßgeblichen kunsttheoretischen Traktate des Siglo de Oro (Francisco Pachecos Arte de la Pintura und Vicente Carduchos Diálogos de la pintura) liefern keine eindeutige Definition der bodegones, stufen sie jedoch innerhalb der Gattungshierarchie eher niedrig ein. Pachecos vielzitierte Parteinahme für die bodegones seines Schülers (und Schwiegersohnes) darf getrost als wohlwollendes Lippenbekenntnis gewertet werden, vgl. Francisco Pacheco Arte de la Pintura, hrsg. von Bonaventura Bassegoda i Hugas. Madrid 1990, S. 519).
  16. Carl Justi bezeichnet sie entsprechend als „Straßen-“ oder „Volksfiguren“ (vgl. Carl Justi Diego Velázquez und sein Jahrhundert (1903). Leipzig 1983, S. 61ff.).
  17. Problematisch sind allerdings die Darstellungen, die – neben namenlosen Figuren – auch biblische zeigen, wie dies bei zwei bodegones von Velázquez gegeben ist.
  18. Eberhard König Michelangelo Merisi da Caravaggio 1571–1610. Köln 1997, S. 65.
  19. Herbert Rudolph „’Vanitas’: Die Bedeutung mittelalterlicher und humanistischer Bildinhalte in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts“. In: Wilhelm Pinder zum sechzigsten Geburtstage. Festschrift. Leipzig 1938. S. 405-433, hier S. 412.
  20. Ebd., S. 420.
  21. Vgl. Ausst.-Kat. "Der himmelnde Blick": Zur Geschichte eines Bildmotivs von Raffael bis Rotari (Dresden, Semperbau), hrsg. von Andreas Henning u. Gregor J. M. Weber. Dresden 1998.
  22. Die Thematik scheint für Velázquez von grundsätzlichem Interesse gewesen zu sein: Seine zwei erhaltenen Emmaus-Darstellungen (Küchenmagd mit Emmausmahl, Dublin, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. 4538 und Emmausmahl, New York, Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 14.14.631) entstehen sogar etwa zeitgleich zu den Drei Musikanten.
  23. Benito Navarrete Prieto „I musici“. In: Velázquez a Capodimonte. Ausst.-Kat. Napoli 2005. S. 48-49.
  24. Manuel Pérez Lozano „Sobre los bodegones velazqueños“. In: Alberto Villar Movellán u. Antonio Urquízar Herrera (Hrsg.) Velázquez (1599-1999): Visiones y revisiones. Córdoba 2002. S. 87-124, hier S. 111.
  25. Jonathan Brown Velázquez: Maler und Höfling. München 1988, S. 9.
  26. Pacheco Arte de la Pintura (wie Anm. 2), S. 269 (Lib. 1, Cap. XII).
  27. Bemerkenswert ist, dass eine der wohl insgesamt vier existierenden Varianten der Drei Musikanten anstatt des leeren bzw. ‚verdunkelten’ Bildes eine deutliche Landschaftsszenerie zeigt (siehe José López-Rey Velázquez: A Catalogue Raisonné of his Œuvre. London 1963, Nr. 110). Zu den weiteren Varianten vgl. ebd. Nr. 111 (ohne Abb.) und 112 sowie Ausst.-Kat. Velázquez in Seville (Edinburgh, National Gallery of Scotland), hrsg. von Michael Clarke. Edinburgh 1996, S. 141. Ungeklärt bleibt, ob das ‚Bild im Bild’ in der Berliner Variante nachträglich nachgedunkelt ist, oder ob Velázquez selbst den verdunkelnden Pinselstrich ausgeführt hat.
  28. Zitiert nach Robert J. Clements Picta Poesis: Literary and Humanistic Theory in Renaissance Emblem Books. Roma 1960, S. 113.
  29. So z.B. in dessen Gedichtsammlung El parnasso español (1648). – Als poetische Methoden des conceptismo können z.B. die Vertauschung von Wortbedeutungen, die Verwendung von Homonymen, Synonymen und Antonymen sowie ungewohnte Wortableitungen angesehen werden.
  30. Vittoria Borsò „Literaturtheorien des Barock“. In: Ansgar Nünning (Hrsg.) Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze - Personen - Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar 20012, S. 43-45, hier S. 44.
  31. Vgl. Heinrich Wölfflin Kunstgeschichtliche Grundbegriffe: Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst. München 1915, S. 130ff.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]