Die Äffin und ihre Kinder

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Die Äffin und ihre Kinder ist der Titel einer Fabel, die seit der Antike in verschiedenen Fassungen überliefert ist.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Affenmutter gebiert in diesen Fassungen stets Zwillinge, von denen sie jedoch nur ein Kind liebt und das andere vernachlässigt.

Als sie von Jägern verfolgt wird, greift sie sich ihr geliebtes Kind und trägt es bei der Flucht vor ihrer Brust. Das ungeliebte Kind, das nicht zurückbleiben will, krabbelt gegen ihren Willen auf ihren Rücken und krallt sich an ihr fest.

Da die Last der beiden Kinder sie auf ihrer Flucht beeinträchtigt, ist sie gezwungen, ihr geliebtes Kind fallen zu lassen, um sich selbst zu retten. Das ungeliebte Kind überlebt auf ihren Schultern.

Die Überlieferung der Fabel in Antike und Mittelalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am Beginn der Überlieferung stehen die antiken Fassungen des Babrios, Avianus und Solinus. Quelle für die volkssprachlichen Fassungen des Mittelalters ist die lateinische Bearbeitung des Avian.[1] Die älteste hochdeutsche Fabelbearbeitung ist jene des Strickers (Nr. 12)[2], eine weitere mittelhochdeutsche Fassung liegt im Wartburgkrieg vor (Str. 90, 91, 98, 99, 100)[3], zwei frühneuhochdeutsche Fassungen vor 1500 sind im Nürnberger Prosa-Äsop (Hs.: Bl. 56rb-56va; Nr. 34)[4] und im Esopus des Heinrich Steinhöwel (Nr. 139)[5]. Eine mittelniederdeutsche Fassung liegt im Magdeburger Prosa – Äsop (Fabeln Avians, Nr. 25, Bl. 3r-3v)[6] vor.

Der Erzählteil[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dieser lautet in der Fassung des Strickers:

Ein jeger vuor in einen walt,

dâ wâren die affen ungezalt,

dâ wolder jagen inne.

dô sach er ein effine.

den hunden er vaste dar schrei.

diu effine het ir kint zwei:

der was si einem vil holt,

an dem andern hæte si verdolt,

daz ez hinder ir beliben wære,

daz was ir gar unmære.

si truoc daz liebe kint hin,

dô het daz leide den sin,

daz ez si umbe den hals gevienc

und ir sô vaste ane hienc,

daz siz ouch hin muose tragen.

dô begunde der jeger alsô jagen,

daz si niht mohte entrinnen.

des wart si wol innen

und warf daz lieber kint von ir.

daz was ir wille und ir gir,

daz si von dem leiden wære entladen;

daz machete ir vil grôzen schaden:

ez hienc ir an unz an die vart,

daz si dâ mit gevangen wart.[7]

Lehrteil[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den deutschen Fassungen bis 1500 wird die Erzählung geistlich-allegorisch gedeutet.

Die Jäger sind an dieser Stelle ein Bild für den Tod, der jeden Menschen einholt. Die Affenmutter steht für den Sünder, der Vergnügen und Reichtum der Tugendhaftigkeit vorzieht. Das Kind, das sie liebt und schützen will, stellt die Laster, bzw. die weltlichen Güter dar. Das ungeliebte Kind verkörpert die Sünde, die auf den Schultern der Menschen lastet.

Die Verfasser warnen vor der Fixierung auf weltliche Güter, Sinneslust bzw. allgemeiner vor einer zu sehr am Diesseits orientierten Lebensweise und fordern zur rechtzeitigen Buße für das eigene Seelenheil auf. Der Sünder, der seinen Leib und seinen Wohlstand pflegt, während er seine Seele vernachlässigt, läuft sonst Gefahr, nach dem Tod in die Hölle zu kommen.

nu hoeret unde merket mich,

waz dem jeger sî gelich,

der die effine brâhte in nôt:

daz ist der vil gewisse tôt,

der uns allen ist beschaffen;

der jaget vil manigen affen.

nu merket diu kint beide,

daz liebe und daz leide:

daz liebe kint ist werltlich guot,

des man sich müelîche abe getuot;

daz hât vil maniger unz an den tac,

daz ers niht mêr gehaben mac.

die sünde sint daz leide kint;

swie leit si doch dem menschen sint,

si halsent sich doch vaste an in.

sô erz guot muoz werfen hin

und ez niht vürbaz bringen kan,

sô hangent im die sünde an,

unz in der tîvel dar mit vâhet.

haete er si ê versmâhet

und hæte sich ir abe getân,

sô würde er maniger nôt erlân.

die affen sîn junc ode alt,

ir aller muot ist sô gestalt,

daz si vremde vröude borgent

und selten rehte sorgent

umbe deheine künftige nôt-

daz ist vil maniges affen tôt.[7]

Nur Heinrich Steinhöwel verzichtet auf eine geistliche Ausdeutung und hält sich stattdessen an seine Vorlage.

Affenfabeln in deutschsprachiger Überlieferung des Mittelalters[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei einer Sichtung des Fabelkatalogs von Dicke und Grubmüller lassen sich 33 Affenfabeln, worunter all jene gezählt sind, in denen der Affe eine Rolle einnimmt, und die als deutschsprachige Bearbeitungen vor 1500 vorliegen, feststellen. Zieht man den Vergleich mit anderen Fabeltieren, wie etwa dem Löwen, der in 56 Fabeln auftritt oder dem Wolf, der gar in 83 Fabeln mit vorhandenen deutschen Fassungen in Erscheinung tritt, so ist die Anzahl der Affenfabeln geringer als diese. Dies scheint nicht weiter verwunderlich zu sein, da der Affe ein exotisches Tier ist, das im Mittelalter in Europa lediglich in Gibraltar auftritt.

Affenfabeln Katalognr.
Äffin, Fuchs und Wolf (Meerkatzen, Fuchs und Wolf) 11
Äffin und Jupiter (Äffin und Löwe/ Äffin, Löwe und Bär) 12
Äffin und ihre Kinder 13
Affe als Arzt, Löwe und Fuchs 14
Affe und Delphin 15
Affe und Fuchs 1 16
Affe und Fuchs 2 17
Affe und Fuchs 3 18
Affe als Jäger und Krähe 19
Affe mit Linsen (Affe mit Nüssen) 20
Affe, Natter, Schlange und Mann in der Grube (Affe, Drache und Mann in der Grube/ Dankbare Tiere) 21
Affe und Nuss (Äffin und Nuss) 22
Affe, Rabe, Schiffer und Fuchs 23
Affe und Schildkröte 24
Affe im Spiegel 25
Affe und Spielmann 26
Affe und Waldesel 27
Affe und Wanderer (Der Affenkaiser/ Der Affenkönig) 28
Affe und Zimmermann (Affe und Holzfäller/ Affe und Schuster) 29
Affen und Drache (Affen und Schlange) 30
Affen als Stadtgründer 31
Affen, Vogel und Glühwürmchen 32
85
Esel, Affe und Maulwurf 100
Fuchs und Affe 1 172
Fuchs und Affe 2 173
Fuchs und Affe 3 174
Fuchs und Affe 4 175
204
Kalb auf dem Baum 327
Des Löwen Atem (Der Hofschnupfen/ Des Wolfes Atem) 400
Rabe, Fuchs und Affe 474
Wolf, Fuchs und Affe (Wolf, Fuchs und Löwe) 611

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Maryvonne Hagby: Man hat uns fur die warheit … geseit. In: Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit. Band 2. Waxmann Verlag, Münster 2001, ISBN 3-8309-1013-4, S. 29 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Barbara Könneker. Die Rezeption der aesopischen Fabel in der deutschen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. In: Die Rezeption der Antike. Zum Problem der Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance. Hrsg. v. August Buck. Hamburg 1981. S. 209.
  2. Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. Hrsg., übers. und kommentiert von Otfrid-Reinald Ehrismann. Stuttgart 1992 (Reclam Universal-Bibliothek 8797). S. 74, S. 76.
  3. Wartburgkrieg, Der. Hrsg., geord., übers. und erl. von Karl Simrok. Stuttgart und Augsburg 1858. S. 119, S. 127, S. 129.
  4. Nürnberger Prosa-Äsop. Hrsg. von Klaus Grubmüller. Tübingen 1994. S. 58–59.
  5. Steinhöwels Äsop. Hrsg. von Hermann Österley. Tübingen 1873. S. 289–290.
  6. Der Magdeburger Prosa-Äsop. Eine mittelniederdeutsche Bearbeitung von Heinrich Steinhöwels „Esopus“ und Niklas von Wyles „Guiscard und Sigismunda“. Text u. Untersuchungen hrsg. von Brigitte Derendorf. Köln; Wien 1996. S. 442–443.
  7. a b Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden, 1992, S. 74.