Galloi

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Ein Priester der Kybele, Museum of Cherchell, 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr.

Galloi (griech.: γάλλοι, lat.: galli) waren die kastrierten Priester oder Tempeldiener der antiken phrygischen Großen Göttin Kybele bzw. Großen Mutter (griech.: μήτηρ).[1]

Die Selbstentmannung

Die Galloi kastrierten sich selbst nach orgiastisch gesteigerter Raserei während der feierlichen Züge für die Mutter-Göttin mit einem scharfen Stein. Diese öffentlich durchgeführte Verstümmelung hatte den Zweck, die Zuschauer zu erschrecken und zu Spenden zu bewegen.[2] Lukian von Samosata zufolge zogen die galloi in Hierapolis nach der Kastration in der Stadt umher: Sie erhielten weibliche Kleider und Schmuck aus dem Haus, in das sie die abgeschnittenen Genitalien hineinwarfen (Dea Syria 51[3]). Nach der Kastration durften die galloi sich ausschließlich von dem Fleisch der Opfertiere ernähren.[4] Nach Augustinus war der Glaube verbreitet, dass die Kastration den galloi besonderes Glück nach dem Tod bescheren konnte.[5] Nach einer von Tertullian [6] überlieferten Interpretation des Rituals, die wahrscheinlich eine Selbstdarstellung der galloi wiedergibt, entspreche die Kastration dem Schneiden der Ähre und die am eigenen Körper verursachten Wunden dem Pflügen der Erde.

Das Ritual der Selbstverstümmelung der galloi blieb zunächst auf den anatolischen und kleinasiatischen Kultkreisen der Muttergottheit begrenzt und war das eigentliche Merkmal dieses Kults in dem Priesterstaat Pessinus. Das älteste griechische Zeugnis dieses Rituals befindet sich bei Plutarch (Plutarch, Nicias 13,2 (en)) und verweist auf das 5. Jahrhundert v. Chr.[7]

Gründungslegenden

Neben dem Attis-Mythos ist eine Gründungslegende des Rituals der Selbstkastration der galloi von Lukian von Samosata (Dea Syra, 19–26[8]) überliefert worden.[9] Nach dieser Legende wurde die syrische Königin Stratonikes im Traum beauftragt, einen Tempel für die Große Göttin in Hierapolis zu errichten. Als Begleiter für die Reise sei der Königin ein Junge namens Kombabos gegeben worden: Dieser habe vorausgesehen, dass gegen ihn der Verdacht des Beischlafs mit der Königin entstehen würde. Um sich vor dieser Anschuldigung verteidigen zu können, habe Kombabos sich die Genitalien abgetrennt, einbalsamiert und in einem Behälter beim König hinterlassen. Als er später von der Königin beschuldigt wurde, sie vergewaltigt zu haben, habe Kombabos den König aufgefordert, den von ihm hinterlassenen Behälter zu öffnen, und damit seine Unschuld beweisen können.

Ein viel älterer mesopotamischer Mythos, der vielfach in Verbindung mit dem von den galloi vollzogenen Ritual gebracht worden ist, ist die Reise Inannas in die Unterwelt. In dem sumerischen Mythos ist die aus der Unterwelt rückkehrende Inanna von bewaffneten, gefährlichen Wesen begleitet, die nicht essen und nur vernichten können. Der Name für diese Wesen ist GALA. Im Akkadischen bezeichnete kalû die Priester, die in geheimen Riten die Trommel mit dem Fell des geopferten Stiers vorbereiteten.[10]

Die galli in Rom

Der Kult der Großen Göttin wurde in Rom mit dem offiziellen Namen Mater Deum Magna Idaea bzw. Mater Magna während des Hannibal-Krieges im Jahr 204 v. Chr. eingeführt.[11] Hier wurde der Kult nicht nur von Priestern sondern auch durch Kollegien von Laien unterstützt und hatte ein großes Jahresfest im März, dessen Höhepunkt der sogenannte dies sanguinis, der „Tag des Blutes“, war: Auch in der hier herbeigebrachten ekstatischen Raserei entmannten sich die galli und verletzten sich mit Messern und Beilen.[12]

Anmerkungen

  1. Über die Identifikation der Méter mit Kybebe/Kybele → Kybele
  2. W. Burkert, Kulte des Altertums, S. 112, 204.
  3. Eine englische Übersetzung des Textes in der privaten Homepage Concerning the Syrian Goddess – Part Five – Ch. 50 through 60 (Memento vom 22. Mai 2004 im Internet Archive)
  4. W. Burkert, Antike Mysterien, S. 93.
  5. De civitate Dei 7, 26 (zit. nach W. Burkert, Antike Mysterien, S.31).
  6. Adversus Marcionem 1, 13 (zit. nach W. Burkert, Antike Mysterien, S.69).
  7. W. Burkert, Griechische Religion, S. 277
  8. Eine englische Übersetzung des Textes in der privaten Homepage Concerning the Syrian Goddess – Part Three – Sections 17–27 (Memento vom 22. Mai 2004 im Internet Archive)
  9. Zusammenfassung hier nach W. Burkert, Kulte des Altertums, S. 65.
  10. Vgl.: W. Burkert, Homo necans, S.290f und die dort aufgeführte Literatur; P. Taylor, „The GALA and the Gallos“, abstract (Memento vom 16. Mai 2010 im Internet Archive)
  11. W. Burkert, Antike Mysterien, S.13
  12. W. Burkert, Antike Mysterien, S. 40f, 69.

Siehe auch

Literatur

  • Walter Burkert, Homo necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen, Berlin 1972
  • W. Burkert, Griechische Religion der Archaischen und Klassischen Epoche, Stuttgart 1977
  • W. Burkert, Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt, München 1990
  • W. Burkert, Kulte der Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998
  • Florian Martin Müller: Zu Attributen, Schmuck und Trachtbestandteilen der orientalischen Priester der Kybele. Archäologische und literarische Quellen zu Galli und Archigalli (Diplomarbeit Innsbruck 2003).
  • Florian Martin Müller: Überlegungen zum Brustschmuck der orientalischen Priester der Kybele (Abstract), Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie. 29/XII/2003.
  • Florian Martin Müller: Überlegungen zum Brustschmuck der orientalischen Priester der Kybele. In: Gabriele Koiner, Manfred Lehner, Thuri Lorenz, Gerda Schwarz (Hrsg.): Akten des 10. Österreichischen Archäologentages in Graz 2003, Phoibos Verlag, Wien 2006, S. 131-136, ISBN 978-3-901232-70-1
  • Florian Martin Müller: Die Statue eines Kybelepriesters in Caesarea Mauretania und die Ausbreitung des Kybelekultes im römischen Nordafrika. In: Christiane Franek, Susanne Lamm, Tina Neuhauser, Barbara Porod, Katja Zöhrer (Hrsg.), Thiasos. Festschrift für Erwin Pochmarski zum 65. Geburtstag, Phoibos Verlag, Wien 2008, S. 645-651, ISBN 978-3-85161-001-7 (Veröffentlichungen des Instituts für (klassische) Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz 10)