Lateinische Linguistik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Ausdruck lateinische Linguistik (engl. „Latin linguistics“, frz. „linguistique Latine“) bezeichnet die sprachwissenschaftliche Erforschung der lateinischen Sprache. Dabei bezeichnet das Wort „Linguistik“ im Unterschied zu dem neutralen Begriff „Sprachwissenschaft“ die sprachliche Analyse mit modernen strukturalistischen Methoden und Theorien[1].

Ansätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Meist werden neuere Erkenntnisse, Methoden und Modelle auf die lateinische Sprache angewandt, um lateinische Probleme, die es trotz der intensiven Erforschung der lateinischen Sprache immer noch reichlich gibt, besser als mit traditionellem Instrumentarium zu lösen. Der umgekehrte Fall, dass nämlich aus der Analyse lateinischer Phänomene neue allgemeine Erkenntnisse zur linguistischen Theorie gewonnen werden, kommt dagegen seltener vor, ist aber durchaus, schon bei dem provisorischen Stand mancher linguistischer Theorie, möglich. Dabei ist stets angemessen zu berücksichtigen, dass das Lateinische eine nicht mehr gesprochene Sprache ist, bei der Tests mit Muttersprachlern nicht möglich sind, sondern nur die Auswertung eines stellenweise lückenhaft überlieferten Korpus übrigbleibt. Linguistische Analyse geschieht hauptsächlich in den Bereichen Syntax oder Satzlehre, Semantik oder Bedeutungslehre und Pragmatik oder Textverwendungslehre, seltener in der Morphologie oder Formenlehre und noch seltener in dieser Korpussprache in der Phonologie oder Lehre von den Phonemen bzw. bedeutungstragenden Lauten. Typische Themen der neueren Linguistik sind im Bereich der lateinischen Linguistik Probleme der Wortstellung und der Pragmatik; typische traditionelle Themen von vehementer Hartnäckigkeit sind die Kasussyntax und Tempus, Aspekt und Aktionsart.

In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden auch formale generative Ansätze auf die lateinische Sprache angewendet, doch überwiegen heute funktionale Ansätze wie besonders die Funktionale Grammatik von Simon C. Dik (1941–1995), die die Vertreter der sog. Amsterdamer Latinistenschule, z. B. Harm Pinkster, A. Machtelt Bolkestein († 2001), C. Kroon, R. Risselada, anzuwenden versuchen. Als eine Dokumentation kann die „Latijnse Syntaxis en Semantiek“ Harm Pinksters gelten. Dieses in vier Sprachen übersetzte Studienbuch beschreibt die „lateinische Syntax und Semantik“ mit modernen linguistischen Methoden und Modellen.

Forschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Impulse für die Forschung der lateinischen Linguistik gehen von den in zweijährlichem Turnus stattfindenden internationalen Colloquien zur lateinischen Linguistik (ICLL) aus, die erstmals 1981 in Amsterdam stattfanden und seit 2001 eine eigene Homepage haben.[2] Ein weiteres Forum der lateinischen Linguistik sind die Journées de linguistique latine, die in den „Facultés Universitaires Saint-Louis“ in Brüssel mehr oder weniger regelmäßig stattfinden und speziellen Fragen gewidmet sind, wie „Ordre des mots, dislocation et thématisation“ (9. Dez. 2009). Ferner gibt es ein auf Fragen der lateinischen Linguistik spezialisiertes Publikationsorgan, nämlich die von Gualtiero Calboli herausgegebenen Papers on Grammar[3]. Seit 2013 gibt es eine eigene Fachzeitschrift, nämlich das bei De Gruyter (auch als Onlineversion) erscheinende Journal of Latin Linguistics (JOLL), das die Papers on Grammar weiterführt, zweimal jährlich erscheint und zur Zeit von Gualtiero Calboli und Pierluigi Cuzzolin herausgegeben wird. Neben den Akten der International Colloquiums on Latin Linguistics werden sie die einschlägigen Publikationsorgane für kleinere bis mittlere Forschungsbeiträge zur Lateinischen Linguistik sein (vgl. etwa Goria 2013). Schließlich ist hier noch die Revue de Linguistique latine du centre Alfred Ernout zu nennen, d. h. das Publikationsorgan des Instituts Alfred Ernout der Sorbonne in Paris, an dem regelmäßig Tagungen zur lateinischen Linguistik veranstaltet werden.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hadumod Bußmann (Hrsg.) unter Mitarbeit von Hartmut Lauffer: Lexikon der Sprachwissenschaft. 4., durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage. Kröner, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-520-45204-7.
  • Gualtiero Calboli (Hrsg.): Papers on Grammar. Zehn Bände. Bologna u. a. 1980–2008.
  • Gualtiero Calboli, Pierluigi Cuzzolin (Hrsg.): Journal of Latin Linguistics. 1ff. Berlin/New York 2013 ff.
  • Eugenio Goria: Towards a taxonomy of Latin cleft sentences. In: JOLL. 1, 2013, S. 147–172.
  • Roland Hoffmann: Lateinische Linguistik – Morphosyntax und Syntax in einzelsprachlicher und typologischer Perspektive. Buske Verlag, Hamburg 2018, ISBN 978-3-87548-765-7.
  • Roland Hoffmann: Perspektiven einer lateinischen Linguistik. Gedanken zum Achten Internationalen Colloquium zur Lateinischen Linguistik in Eichstätt 1995. In: Scrinium. Bd. 42–43, 1996–97, S. 3–13.
  • Bianca Liebermann: Lateinische Präpositionen – Verortung und Valenz. Buske Verlag, Hamburg 2016, ISBN 978-3-87548-740-4.
  • Malte Liesner: Arbeitsbuch zur Lateinischen Historischen Phonologie. Reichert Verlag, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-89500-859-7.
  • Dirk Panhuis: Lateinische Grammatik. Übers. von Roland Hoffmann. De Gruyter Verlag, Berlin/München/Boston 2015, ISBN 978-3-11-040240-7.
  • Harm Pinkster: Introduction. In: Ders.: Latin linguistics and linguistic theory. Benjamin Press, Amsterdam 1983, ISBN 90-272-3011-0, S. ix-xviii.
  • Harm Pinkster: Lateinische Syntax und Semantik (= UTB. 1462). Verlag Franckhe, Tübingen 1988, ISBN 3-7720-1743-6 (= UTB. 1462).
  • Harm Pinkster: Latin Linguistics in Machtelt’s way. In: Papers on Grammar. IX.1, Rom 2005, S. 1–11.
  • Guy Serbat: Linguistique latine et linguistique générale (= Cahiers de l’institut de linguistique de Louvain. 39). Peeters Books, Louvain-la-Neuve 1988, ISBN 90-6831-103-4.
  • Christian Touratier: Lateinische Grammatik – Linguistische Einführung in die lateinische Sprache. Übers. und bearb. von Bianca Liebermann. WBG, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-534-24885-8.
  • Klaus Weddingen: Sermo. Lateinische Grammatik. Buske Verlag, Hamburg 2014, ISBN 978-3-87548-647-6.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bußmann 2002: 409
  2. s. und Stichwort ‘ICLL XI’ ff. (Memento des Originals vom 15. Mai 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.hum.uva.nl etc. sowie auch: Linguistique Latine (Memento des Originals vom 15. Mai 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.olgaspevak.nl
  3. Bd. IX Rom 2005; Bd.X: Rom 2008