Sprachentwicklung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 13. Juni 2016 um 08:46 Uhr durch Horst Gräbner (Diskussion | Beiträge) (Änderungen von 217.82.15.146 (Diskussion) auf die letzte Version von Hahnenkleer zurückgesetzt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Sprachentwicklung kann in die Entwicklung der Sprache in der Stammesgeschichte der Lebewesen (Phylogenese) bis zur Entstehung der Menschen und in die Sprachentwicklung während der Evolution des Menschen (Homogenese) unterteilt werden.

Für den infrahumanen sowie für den Beginn des humanen Bereichs liegen bislang keine zuverlässigen Forschungsergebnisse vor. Diese Einschränkung bezieht sich einerseits auf den derzeitigen Stand der Forschung, ist aber andererseits grundsätzlicher Natur. In diesem Fachbereich fehlen teilweise die empirischen Voraussetzungen (u. a. liegen keine sprachlichen Dokumente vor). Die frühe Entwicklung der "Umgangssprache" entzieht sich der Erkenntnis, da sie keine unmittelbaren Spuren hinterließ.

Verständigung im infrahumanen Bereich

Im Verlaufe der stammesgeschichtlichen Entwicklung (Phylogenese) wurde der Bereich des Lernbaren im Vergleich zum genetisch Weitergegebenen allmählich breiter. Eingang in den Erbgang findet nur die Modifikabilität an sich und nicht die Ergebnisse einzelner Modifikationen. Doch kann es nicht darum gehen, die auf Lernprozessen beruhenden Veränderungen den Modifikationen, die auf der natürlichen Selektion basieren, einfach gegenüberzustellen. „Die Frage ist nicht, ob ein bestimmtes Verhalten Ergebnis der natürlichen Selektion oder eines kulturellen Lernprozesses ist, sondern die Frage ist letztlich, aus welchen Gründen welche Lernprozesse aus der natürlichen Selektion hervorgegangen sind“. [1].

Bei den höheren Primaten ist aufgrund des gewonnenen Freiraums die soziale Kommunikation schon ausgeprägt. Demgegenüber ist die Informationsvermittlung noch kaum vorhanden. Die höheren Primaten können in ersten Ansätzen mit ihren Gesten schon "über etwas" kommunizieren, sofern die fehlenden natürlichen Voraussetzungen hierzu künstlich erfüllt werden, doch ihre auditive Kommunikation dient noch ausschließlich dem unmittelbaren emotionalen Ausdruck. Schimpansen können bereits mit sogenannten Werkzeugen umgehen, doch scheint eine eigentliche Herstellung von Werkzeugen und insbesondere eine Weitergabe und Verbesserung derselben über Generationen hinweg, noch nicht möglich zu sein.

Darwin hat nicht nur die Theorie der natürlichen Selektion entwickelt, sondern mit dem Konzept der sexuellen Selektion auch auf erste Auswahlmöglichkeiten im infrahumanen Bereich sowie bei den Vor- und Frühmenschen aufmerksam gemacht. In diesem Zusammenhang wies er auf die künstliche Selektion bei der Domestikation und Züchtung von Pflanzen und Tieren hin; mithin auf jene menschliche Praxis, welche zuvor die methodologische Basis bei der Entdeckung des Prinzips der natürlichen Selektion bildete.

Stufenmodell der Sprachentwicklung

Das Stufenmodell teilt sich in fünf Entwicklungsphasen, welche die Ebene der Individuen in Bezug zur physischen, psychischen und sprachlichen Ebene setzen. Die ersten beiden Phasen sind hierbei als notwendige Bedingung für das Entstehen der sprachlichen Ebene zu sehen, während die folgenden drei Phasen das Entstehen der Sprache weiter beleuchten.

Entwicklungsphasen
Phase 1

Das Individuum interagiert direkt mit seiner Umwelt im Sinne von Reiz-Reaktions-Mechanismen. Seine Tätigkeiten sind also nicht kognitiv geplant sondern ergeben sich spontan aufgrund der Umweltreize.

Phase 2

Durch Herstellung und Gebrauch von Werkzeugen stellt der Mensch Gegenstände zwischen sich und die Natur. Hierbei kommt es durch die Tätigkeit zur Aneignung der Umwelt durch den Menschen. Dies hat zur Folge, dass die Tätigkeit nicht länger im Sinne eines Reiz-Reaktions-Musters automatisch abläuft, sondern der Mensch Stimuli aus seiner Umwelt auswählt und so bewusst und gezielt auf diese reagiert.

Phase 3

Durch die Selektion von Stimuli aus der Umwelt entstehen Merkmale, die in der Folge zu Zeichen werden (z. B. das Blöken eines Schafs als Zeichen für das Schaf selbst), welche sodann die Grundlage für eine Sprache bilden. In unserer heutigen Sprache sind derartige Überbleibsel noch in Form von Reflexlauten vorhanden. In dieser Phase ist das Ziel der Tätigkeit immer noch das "Amalgam" von Gegenstand und seinem fest zugeordneten Zeichen.

Phase 4

In dieser Phase löst sich das Zeichen vom Gegenstand im Sinne eines noch eng verbundenen Denotats. Die Tätigkeit bezieht sich nun nur noch auf das Zeichen. Auf diese Weise erschliesst sich der Mensch eine neue operative Ebene, da nun Tätigkeiten sprachlich ausgeführt werden können, ohne diese am eigentlich gegenständlichen Objekt zu vollziehen. Vergleicht man dies mit der zuvor beschriebenen Situation im ausgehenden Paläolithikum so fällt auf, dass ebendiese Fähigkeit des Durchspielens von Tätigkeiten auf einer kognitiven Ebene eine notwendige Voraussetzung für das Entstehen sowie die Anwendung der Levallois-Technik darstellt. Weiterhin stellt die Ablösung des Zeichens vom Gegenstand auch einen weiteren Schritt in Richtung der Einbeziehung der psychischen Ebene in der nächsten Phase dar, da über das Zeichen eine weitere (zusätzlich zu derjenigen in Stufe 2) Mensch-Mensch-Beziehung erschaffen wird, welche jedoch nicht an die Gegenstände im Umfeld der Menschen gebunden ist und damit das Potential besitzt, auch psychische Gegebenheiten zu vermitteln.

Phase 5

Basierend auf der in Phase 4 neu erschaffenen operativen Ebene der abstrakt verwendbaren Zeichen entwickelt sich in Phase 5 neben dem Denotat des Zeichens, das weiterhin in der Umwelt des Menschen verhaftet ist, auch ein von der Umwelt potentiell losgelöstes Konnotat, welches Ausdruck der psychischen Ebene in Bezug auf dieses Zeichen ist. Diese Konnotate können nur dem Sender und/oder Empfänger zugängliche Bedeutungen tragen, sie können aber auch gemeinsame Bedeutungen mit anderen Menschen im Sinne von kulturell geprägten Bedeutungen symbolisieren.

Menschheits- und Sprachentwicklung

Beim Übergang des Tieres zum Menschen sind die genetische Programmierung übergreifenden Sachverhalte wie die Weitergabe und Weiterführung von Steinwerkzeugen über Generationen hinweg und Kompetenzen wie das akkumulative Auswahlvermögen, das hinsichtlich des sprachlichen Verhaltens generativ ist, in dem phylogenetisch eröffneten Freiraum relevant. Die Produktion von Steinwerkzeugen und anderen spezifisch menschlichen kulturellen Erzeugnissen setzt neben der gleichzeitig erfolgenden, synchronischen Verständigung auch die diachronische Verständigung voraus. Menschliche Sprache erfordert die Überlieferung und Aneignung von Werkzeugen sowie die Weitergabe entsprechender Fähigkeiten. Sprachentwicklung ist ohne gesellschaftliche Formierung undenkbar. Eine Besonderheit menschlicher Sprache im Unterschied zu den Tiersprachen besteht darin, dass mit ihr Begriffe variantenreich und kreativ kombiniert werden. Je komplexer und differenzierter die Sprache wird, desto feiner kann wiederum die Umwelt wahrgenommen und verarbeitet werden.

In das zwischenmenschliche Verhalten werden Gegenstände mit Merkmalen oder (Merk-)Zeichen dergestalt involviert, dass schließlich das integrierte Zeichen auch anstelle des Gegenstandes erscheinen kann. Vom Zeichen als Gegenstandsbezogenheit, als Denotat, unterscheidet sich das Zeichen als assoziativer Verweis, als Konnotat, das Hinweise auf Empfindungen und Emotionen eröffnet und durch welche auch Merkworte erklärt werden können.

Im Verlaufe der Entstehung der Menschheit und der dokumentierten Geschichte derselben nimmt die Zeichenstrukturiertheit des zwischenmenschlichen-gegenständlichen Verhaltens zu, so dass durch dieselbe schließlich auch die kognitive Verarbeitung der Wirklichkeit geprägt wird. Verschiedene interkulturelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass die alltägliche Wahrnehmung und das gewöhnliche Erkennen der Wirklichkeit durch die Sprache strukturiert wird.

Siehe auch

Literatur

  • M. Galliker, M. : Sprachpsychologie. Basel,Tübingen: Francke 2013. .
  • G Deutscher: Im Spiegel der Sprache. Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht. München: Beck 2011. .
  • J. Hegermann, J.: Stufenmodell der Phylogenese der menschlichen Sprache. Brig: Fernstudien Schweiz 2014. .
  • U. Jürgens, U.: Phylogenese der sprachlichen Kommunikation. In: G. Rickheit, Th. Herrmann u. W. Deutsch (Hrsg.): Handbuch der Psycholinguistik – Handbook of Psycholinguistics. S. 33–57 . Berlin,New York: de Gruyter 2003.
  • H. Kuße Kulturwissenschaftliche Linguistik . Eine Einführung. Göttingen: UTB 2012.
  • H.H. Müller, H.M.: Sprache als Forschungsfeld der Linguistik, Psychologie und Neurowissenschaft. In: Ders., Psycholinguistik – Neurolinguistik 2013. S. 11–20. Paderborn: UTB.
  • F Schrenk, F. Die Frühzeit des Menschen. Der Weg zum Homo sapiens. München: Beck 2008.
  • E. Voland, E. Soziobiologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag 2009.

Einzelnachweise

  1. (Voland, 2009, S. 18)