Tribunizische Gewalt

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Der Begriff Tribunizische Gewalt (lateinisch tribunícia potéstas) bezeichnet die Amtsbefugnisse der Volkstribunen im antiken Rom.

Republik

Das Volkstribunat und die damit verbundenen Befugnisse wurde von den Plebejern in den Ständekämpfen errungen. Zunächst standen diese Befugnisse neben den offiziellen staatlichen Ämtern bzw. glichen deren Amtsmacht zugunsten der plebs aus.

Wesentliche Bestandteile der tribunicia potestas waren ursprünglich der Vorsitz in und das Recht auf Antragstellung vor der Volksversammlung (concilium plebis) sowie die Teilnahme – gemeinsam mit dem Volk – an Volksgerichtsverfahren. Weiterhin gehörte das Interzessionsrecht zur Amtsgewalt, was zunächst nur einem faktischen Verbot einer magistratischen Handlung gleichkam, aus dem sich im Laufe der Zeit aber ein Verbietungsrecht gegenüber allen anderen – auch höheren – Amtsgewalten entwickelte. Dieses Machtinstrument ergab sich aus der Pflicht des Volkstribunen, Plebejern bei Übergriffen von Magistraten, also ursprünglich Patriziern, zu Hilfe zu eilen (auxilium ferre).[1] Aufgrund der unsicheren Rechtsstellung der Volkstribune und ihrer gewachsenen Gewalten wurde die Person des Volkstribunen mit einem religiösen Tabu belegt: Er war sakrosankt und die plebs per Eid verpflichtet, jeden Angriff auf einen Tribun zu verhindern oder zu rächen. Wer einen Volkstribun angriff, konnte als Volksverräter hingerichtet werden.[2]

Durch die lex Hortensia (287 v. Chr.) wurde die Versammlung der plebs als Volksversammlung anerkannt. Die Tribunen erhielten die Vollmacht, von dieser Versammlung auf ihren Antrag hin für das ganze Volk bindende Gesetze beschließen zu lassen (ius cum plebe agendi), den Senat einzuberufen und ihm vorzusitzen (ius senatus habendi), und jede Amtshandlung, auch der höchsten Magistrate, zu verbieten (ius intercessionis der maior potestas). Mit dieser Machtfülle war das Volkstribunat zwar das formal mächtigste Amt Roms, jedoch lange Zeit kein Teil des cursus honorum. In der klassischen und späten Republik gab es zehn Volkstribunen; damit war die Macht des einzelnen Amtsinhabers deutlich beschnitten, denn, wie sich etwa in Zusammenhang mit den Reformversuchen des Tiberius Sempronius Gracchus 133 v. Chr. zeigte, war es fast immer möglich, mindestens einen anderen Tribunen gegen seinen Kollegen in Stellung zu bringen. Auch der Umstand, dass Volkstribunen zuvor höchstens die Quästur bekleidet und ihre eigentliche Senatskarriere also noch vor sich hatten, sorgte für eine mögliche Kontrolle ihres Verhaltens. Ein Tribun, der sich während seines Amtsjahres unangemessen verhielt, nahm das Ende seiner Laufbahn in Kauf. Erst während der Bürgerkriegszeit am Ende der Republik spielte das Volkstribunat angesichts der Uneinigkeit der Nobilität eine wichtige Rolle und wurde insbesondere von popularen Politikern zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzt.

Die tribunicia potestas bestand aus sogenannten „negierenden Rechten“, da sie – mit Ausnahme der Anträge in der Volksversammlung und der Einberufung des Senats – nur Handlungen unterbinden konnte. Damit fehlte ihr ein exekutiver sowie legislativer Charakter. Die indirekte Ausnahme bildete das Recht, mit Hilfe des concilium plebis Gesetze zu gestalten. Diese Möglichkeit wurde jedoch nicht konsequent, sondern nur von einzelnen Amtsinhabern genutzt (siehe auch Liste der Volkstribune der römischen Republik).[3]

Kaiserzeit

Im Zuge der Gründung des Prinzipats durch den ersten römischen Kaiser Augustus kam es zu einer Trennung von Amt und Amtsgewalt des Volkstribunen. Die Verleihung der tribunicia potestas an Augustus ist aufgrund der Quellenlage[4] unklar und umstritten. 36 v. Chr. erhielt er die tribunizische Gewalt, so die sacrosanctitas, das ius subselli und das ius auxilii. 30 v. Chr. wurde letzteres über das Stadtgebiet Roms bis zum ersten Meilenstein ausgeweitet. Ab 23 v. Chr. konnte der princeps über die tribunicia potestas annua et perpetua verfügen und damit im gesamten Reichsgebiet des römischen Imperiums ständig ausüben. Seitdem war die Amtsgewalt der Tribunen Bestandteil der kaiserlichen Macht, was sich auch an der Zählung der Kaiserjahre nach der tribunicia potestas zeigte. Das Amt selber und den Titel übernahm der Patrizier Augustus nicht, desgleichen seine Nachfolger.[5] Der princeps genoss mithin die Rechte des Volkstribuns, ohne auch den Pflichten und Beschränkungen des Amtes unterworfen zu sein.

Auch für Augustus’ Nachfolger gehörte die tribunicia potestas fortan über Jahrhunderte zum Kernbereich ihrer kaiserlichen Macht. Die tribunizische Amtsgewalt stattete sie formal mit den Mitteln aus, die römische Innenpolitik scheinbar im Einklang mit den Gesetzen zu kontrollieren. Um die Fiktion der Annuität zu wahren, wurde die Vollmacht jährlich (allerdings automatisch) erneuert – oft wie beim regulären Tribunat am 10. Dezember –, so dass man die Angaben TRI POT, TR P o. ä. auf Münzen und in Inschriften zur Datierung verwenden kann. Im Laufe des 4. Jahrhunderts hörten die Kaiser auf, sich auf die tribunicia potestas zu beziehen, da generell die Anknüpfung an Regeln der alten res publica in der Spätantike stark an Bedeutung verloren hatte.

Einzelnachweise

  1. Livius 2, 33, 1-2.
  2. Jochen Bleicken: Das römische Volkstribunat. Versuch einer Analyse seiner politischen Funktion in republikanischer Zeit. In: Chiron. Bd. 11, 1981, S. 87–108, hier S. 93.
  3. Lukas Thommen: Das Volkstribunat der späten römischen Republik (= Historia. Einzelschriften. Bd. 59). Steiner, Stuttgart 1989, ISBN 3-515-05187-2, S. 126–139, (Zugleich: Basel, Universität, Dissertation, 1987).
  4. Cassius Dio 49, 15, 5 f. nennt die Unverletzlichkeit und das Sitzrecht als Ehrenrechte, Appian, Bürgerkriege 5, 132 hingegen und darauf aufbauend Orosius 6, 18, 4 sprechen von einer Verleihung der vollen Rechte durch den Senat.
  5. Ernst Hohl: Besaß Cäsar Tribunengewalt? In: Klio. Bd. 32, Nr. 32, 1939, S. 61–75, hier S. 64 f. und 68, doi:10.1524/klio.1939.32.32.61 (zurzeit nicht erreichbar).

Literatur

  • Jochen Bleicken: Die Verfassung der Römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung (= UTB 460). 3., durchgesehene Auflage. Schöningh, Paderborn u. a. 1982, ISBN 3-506-99173-6, S. 86–88.
  • Wolfgang Kunkel: Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik. Abschnitt 2: Wolfgang Kunkel, Roland Wittmann: Die Magistratur (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Abt. 10: Rechtsgeschichte des Altertums. Tl. 3, Bd. 2). Beck, München 1995, ISBN 3-406-33827-5 (Auszüge bei der Google-Buchsuche).