Benutzer:Benedikt~dewiki/Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen

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Orthodoxie (engl. Titel Orthodoxy) ist eine 1908 erschienene Apologie des katholischen Glaubens von Gilbert Keith Chesterton. Der Untertitel des Buches ist Eine Handreichung für die Ungläubigen

Biographischer Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Chesterton, ein englischer Intellektueller, konvertierte 1922 nach langem Suchen zum katholischen Glauben. Orthodoxie steht - und das ist bemerkenswert für eine Apologie - nicht am Ende seines Suchens, sondern er schreibt Gedanken nieder, die ihn auf dieser Suche beeinflussen. Von daher ist das Buch nicht systematisch gegliedert, sondern durch Assoziationen verbunden. Gegenstück zur Orthodoxie ist das Buch Ketzer, das die Kritik an verschiedenen philosophischer Richtungen zum Gegenstand hat.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Leitgedanke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Chesterton geht davon aus, die Menschen seien beherrscht von dem geistigen Bedürfnis nach Abenteuer und Geborgenheit, Fantastik und Vernunft, Aufregendem und Alltäglichem. Dieses Bedürfnis sei nicht etwa krankhaft, sondern beinhalte im Gegenteil eine Voraussetzung geistiger Gesundheit. Besser als durch andere Weltanschauungen werde es aber von der streng-katholischen Sicht der Dinge befriedigt. Es wäre deswegen unvernünftig, irgendeiner anderen Weltanschauung den Vorzug zu geben.

Selbstmord des Denkens[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die Kirchenväter ruhte die Wahrheit nach Chesterton in etwas vom Bewusstsein Unabhängigem, das ihm Richtung gibt. Das Denken führt uns im Großen und Ganzen zur Wahrheit. Zur vollen und letzten Wahrheit aber bedarf es des Lichtes von Glauben und Lehramt.

Auch die Aufklärer finden, so Chesterton, dass Wahrheit etwas vom Bewusstsein Unabhängiges sei, das ihm Richtung gibt. Nur vernünftiges Denken führe zur Wahrheit, auch zur letzten und größten, indem es sich von aller Autorität - sei es Kirche, König oder Herrschaft – befreit. Das beste Denken ist leidenschaftslos, gegenstandsbezogen. Affekte verzerren, Denken ohne Gefühl kann grundsätzliche Wahrheiten entdecken, die alle vernünftigen Menschen zugeben werden. – Solch freies Denken weist die christliche Offenbarung entweder zurück oder deutet ihre übernatürlichen Bestandteile heraus.

Was aber legitimiert das Denken? Kann es sich selbst bekräftigen?

Sich selber prüfend, erzeugt Nachdenken Zweifel an seiner Zuverlässigkeit. Insbesondere was die letzten Fragen der Metaphysik und Moral angeht, erweist es sich als vollkommen unzuverlässig. Wer der Wahrheit in dieser Weise nachgeht, romantisiert schließlich und endlich die ewig unerfüllte „Wahrheitssuche“. Oder er verfällt dem christlichen Dogma. So sehen es die Skeptiker. Ihre Haltung zieht in der Regel intellektuellen Pessimismus nach sich.

Die Pragmatiker finden dagegen, Denken könne nichts Immergültiges zu Metaphysik oder Moral entdecken. Was einen aber nicht zur Verzweiflung treiben müsse, indem man einsieht, dass der Versuch zur Eruierung der letzten Fragen Zeitverschwendung und gefährlich ist. Das Denken wende sich lieber Dingen zu, für die es gemacht ist: Bedürfnisbefriedigung, Wissenschaft, Verringerung menschlichen Leids. Man mag voneinander abweichende Welterklärungsmodelle erwerben, solange diese keine öffentliche Rolle spielen.

Friedrich Nietzsche findet, so Chesterton, vernünftiges Denken entdecke weder Metaphysik noch Moral, sondern stifte beide, um dem unterschwelligen "Willen zur Macht" einen Vorwand dafür zu geben, andere zu beherrschen. Die wirklich Starken bedürften keiner solchen Rechtfertigung, um zu den besten Exemplaren der menschlichen Rasse zu werden. Sie sollten herrschen, nicht von der ängstlich-schwachen Mehrheit niedergehalten werden.

Der Quietismus findet auch, vernünftiges Denken könne nicht auf die großen Fragen angewandt werden, sondern schaffe nur Vorwände für den Willen zur Macht. Deswegen bestehe unsere Hauptaufgabe darin, dem Willen zu Macht zu widerstehen und uns gegen die Versuchung, Macht auszuüben, zu wappnen.

Welt-Anmutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das erste Gefühl der Welt gegenüber ist für Chesterton absolute Verblüffung, selbst wo man geregelte Abläufe gewahrt. Er vergleicht dieses Gefühl mit dem Erleben eines Märchens: „ Schauen wir uns die eigentümliche Vollkommenheit von Ammenmärchen an, was ihre Klangfarbe und ihren Wahrheitsgehalt betrifft. Der Mann der Wissenschaft sagt: ‚Schneide den Zweig ab, und der Apfel fällt’; er sagt das mit aller Gemütsruhe, so als folge eines wirklich und wahrhaftig aus dem anderen. Die Hexe im Märchen sagt: ‚Blas ins Horn, und die Menschenfresserfestung wird fallen’, aber nicht so, wie wenn das eine unweigerlich aus dem anderen folgt. Den Rat hat sie vielen Helden gegeben und viele Festungen fallen sehen; dennoch verliert sie weder ihr Vermögen zu staunen noch ihre Denkfähigkeit. Sie zerbricht sich nicht den Kopf, bis ihr eine wissenschaftliche Verbindung zwischen Hornblasen und Schlosseinstürzen einfällt. Der Wissenschaftler dagegen findet, wenn eine unerklärliche Sache immer auf eine andere folge, dann bildeten die beiden etwas irgendwie Erklärliches.“

Für Chesterton gibt die ganze Welt eine einzige große Vorstellung. Wie ein Kunstwerk hat sie Bedeutung. Alles in ihr spielt eine Rolle, lädt zum Mitmachen ein, ist herrlich und bewunderungswürdig in Szene gesetzt, auch in Bereichen, die mehr Schatten als Licht aufweisen.

Das angemessene Verhalten gegenüber diesem Wunder besteht für Chesterton in einer Form von Demut und Beschränkung. Er zieht einen Vergleich zu den Bewohnern von Märchenwelten. Auch sie gehorchten etwas, das ihnen fremd sei. Im Märchen beruht unbegreifbare Glücklichkeit auf unbegreifbaren Voraussetzungen. Eine Kiste wird geöffnet, und alle Übel fliegen heraus. Ein Wort wird vergessen, und ganze Städte verschwinden. Eine Lampe geht an, und die Liebe fliegt fort. Eine Blume wird gepflückt, und Menschenleben sind verwirkt. Ein Apfel wird gegessen, und die Hoffnung auf Gott ist fort. Im Märchen hängt das Glück oft davon ab, etwas nicht zu tun, das man tun könnte, ohne zu wissen, warum. Gegen die Märchenwelt gibt es kein Revoltieren. Andernfalls löst sie sich in Nichts auf.

Zuletzt beschreibt Chesterton sein Grundgefühl, dass alles Gute ein zu bewahrendes und in Ehren zu haltendes Überbleibsel eines uranfänglichen Ruins ist. Jedermann habe vergessen, wer er sei. „Wir verstehen vielleicht den Kosmos, aber nie das Ich. Du sollst Gott lieben, aber nicht Dich selber kennen. Wir leiden alle unter demselben Geistesunglück; wir haben unsere Namen vergessen. Wir vergaßen, wer wir wirklich sind. Menschenverstand, Vernunft, Sachlichkeit bedeuten, dass wir für bestimmte tote Bezirke unseres Lebens vergaßen, dass wir vergessen haben. Was wir Geist, Kunst, Extase nennen heißt, dass für einen fürchterlichen Augenblick wir uns daran erinnern, dass wir vergaßen.“


Widersprüche des Christentums oder seiner Kritiker[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kritiker des Christentums widersprechen sich nach Chesterton in fast jedem Punkt:

Christentum ist ihnen zu pessimistisch: verbreite gedrückte Stimmung, halte einen davon ab, die Natur, den eigenen Körper oder seine Unabhängigkeit zu genießen – aber es sei auch zu optimistisch durch seine Doktrin der Vorsehung und des Lebens nach dem Tode. Es mache einen zu schüchtern durch seinen Nachdruck auf Liebenswürdigkeit, Gewaltlosigkeit, Mönchstum, sei aber auch zu kriegerisch mit seinem „Schwert Gottes“ und den Kreuzzügen. Es sei überhaupt nur eine Ausprägung eines universellen, von vielen Religionen geteilten Moralcoxes – der allerdings ein einmalig gestriger und geistig umnachteter sei. Es zersetze die Familie durch Förderung des Klosterlebens und zwinge einen, zu heiraten und verheiratet zu bleiben. Es verachte die Frauen und werde überhaupt nur von Frauen befolgt. Es neige zu Pomp, Prunk und zuviel Kasteiungen. Es unterdrücke die Sinnlichkeit und räume ihr zuviel Raum ein. Es sei von prüder Ehrbarkeit und religiöses Extravaganz, zu heterogen und dabei viel zu monolithisch.

Selbst, wenn mit dem Christentum etwas nicht stimmt, findet Chesterton, sei es doch merkwürdig, in wie viel widersprechenden Weisen dies der Fall sein soll. Entweder handele es sich daher bei der Christenheit um etwas sehr Merkwürdiges. Oder dies müsse für seine Kritiker gelten.

Die Süße der strengen Lehre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für Chesterton haben die unverwässerten christlichen Doktrinen gesellschaftliche Folgen, die sich mehr mit echtem Fortschritt und Freiheit von Unterdrückung vertragen als alle alternativen Programme. Ein „Freigeist“ sei heute nicht jemand, der unbekümmert denken würde, sondern glaube, dass alle Erscheinungen materiellen Ursprungs, Wunder unmöglich, Persönlichkeiten eine Funktion der Gesellschaft sein usf. Keine dieser Maßgaben liefere einem mehr Freiheit, eher andersrum.

Die Doktrin der Erbsünde rechtfertige dagegen ein gesundes Misstrauen gegen den Reichtum und seine Folgen; denn sie poche darauf, dass der Mensch fehlerhaft sei, auch der zu Wohlstand gekommene, dem deswegen keine natürliche Führerrolle zuzufallen habe.

Die Wunder sind nach Chesterton Ausdruck einer jeden Materialismus überwindenden Freiheit. Calvin hätte sie dem Menschen genommen, aber Gott gelassen. Der freigeistige Materialismus lege nun auch noch den Schöpfer - wie die Apokalypse den Teufel – in Ketten. Er lasse dem Universum keine Freiheit.

Als nächstes beobachtet Chesterton, dass die Weltreligionen nicht etwa alle dasselbe bedeuteten und sich nur durch die Mittel unterscheiden, die sie anwendeten. Im Gegenteil: alle hätten sie Priester, Schriften, Altäre, Bruderschaften, Feiertage - sie unterrichteten in derselben Weise. Worin sie sich unterschieden, sei das, was sie unterrichteten. Alle anderen Philosophien seien Ketten, die verbinden und fesseln, das Christentum aber sei das Schwert, das trennt und freisetzt. In keiner anderen Religion würde Gott über den Zerfall des Universums in lebendige Seelen jubeln. Für das Christentum sei diese Trennung zwischen Gott und den Menschen, die Doktrin des jenseitigen Schöpfergottes, heilig. Sonst könnte der Mensch Gott nicht lieben. Das christliche Universum sei kein Schmelztigel, der Sohn Gottes kommt vielmehr mit dem – zerteilenden, individuierenden - Schwert. Gott ist demnach nicht in der Welt oder das, wozu sie wird. Er hat die Welt gemacht und steht ihr gegenüber. Nur so kann es zur Liebe zwischen den beiden kommen.

Der zusammengesetzte Gott der Dreifaltigkeit kann nach Chesterton nicht die Geheimwissenschaft und Grausamkeit eines monomanischen Jehova oder Allah inspirieren; die entsetzliche Einheit sei weniger göttlich als östlich-tyrannisch. Das Herz der Menschlichkeit erscheine mehr in den merkwürdigen Hinweisen und Symbolen der Dreifaltigkeit, eine Quelle, die Mitleid wie Gerechtigkeit kennt – ein Ausdruck der Freiheit durch Unterschiedlichkeit, die selbst die innerste Kammer der Welt beherrscht.

Man muss für alle Seelen hoffen, finden können, dass sie rettbar sind. Das alleine stachelt aber weder Aktivität noch Fortschritt an. Eher sollte man daher die Gefährdung jeder Seele herauskehren, ihren möglichen Fall in die Hölle. Man kann sein Leben verspielen, noch in der billigsten Romanze. Im Buddhismus nimmt ein Leben seinen bestimmten Lauf. Nur im Christentum kann es missglücken. In einem Thriller (einem typisch christlichen Produkt) wird der Held im letzten Moment nicht von Kannibalen verschlungen; aber es wär’ kein Thriller, hätte er nicht gegessen werden können. Er muss gewissermaßen essbar sein. Deswegen haben Christen nie jemandem gesagt, er würde seine Seele verlieren, dass er aber aufpassen muss, dass er’s nicht tut. Es wäre böse, den Menschen verdammt zu nennen, aber religiös und philosophisch, ihn verdammbar zu nennen.

Nur das Christentum, bemerkt Chesterton zuletzt, findet, dass Omnipotenz Gott unvollständig mache. Um Gott zu sein, müsse er Empörer so gut wie König sein. Nur im Christentum müsse der göttliche Christus (angesichts des Kreuzes) Mut beweisen. Denn der einzige Mut, der diesen Namen verdiene, müsse zum Inhalt haben, dass die Seele eine Bruchstelle passiere – und nicht breche. Das Christentum sei die einzige Religion in der Gott zum Atheisten habe werden können.

Abenteuer des Glaubens[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Chesterton vermag nicht einzusehen, dass die Kritiker des Glaubens Recht hätten. Wie erklären sie, dass die Menschen im Unterschied zu allen anderen Wesen z.B. Kleidung tragen oder ihre Toten beerdigen? Woher kommt die Sage des Goldenen Zeitalters? Woher die oft zu beobachtende Fortsetzung des heidnischen Überschwangs in den katholischen Ländern?

Chesterton findet als Erklärung weit überzeugender, dass die natürliche Ordnung zweimal von einer Explosion oder Enthüllung unterbrochen wurde, die man heute psychotisch nennen würde. Einmal sei der Himmel auf die Erde gekommen in Gestalt von Gottes Ebenbild: dem Menschen, der das Kommando über die Natur übernahm. Und nochmals – nachdem die Menschen ständig zu wünschen übrig ließen – sei der Himmel, um die Menschen zu retten, in der bestürzenden Form eines Menschen gekommen.

Nur dies erklärt nach Chesterton den wehmütigen Rückblick auf bessere Zeiten sowie die große Kraftentfaltung des kleinen Kontinents Europa: wäre er nicht aus dem Jenseits informiert, wäre er längst zerfallen.

Wirkungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frage gestart: Diskussion:Gilbert_Keith_Chesterton

Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

[[Kategorie:Römisch-Katholische Kirche]] [[Kategorie:Theologie]]