Wallner-Linien

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Wallner-Linien oder Wallner’sche Linien sind wellenförmige Interferenzlinien, die sich bei der Rißausbreitung in isotropen Materialien (wie zum Beispiel Glas) auf der Oberfläche des Risses bilden.[1] Der Physiker Helmut Wallner (1910–1984) beschrieb diese Linien erstmals 1939 in der Zeitschrift für Physik. Er dokumentierte sie bei der Untersuchung des Biegebruchverhaltens von Glasstäben, die er 1938 am Werkstoffwissenschaftlichen Institut von Adolf G. Smekal in Halle durchgeführt hatte.[2]

Beschreibung

Wallner-Linien entstehen „durch das Zusammenwirken des primären Bruchvorgangs mit elastischen Störungswellen, die an Kerbstellen des Glases ausgelöst werden“.[3] Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Störwellen ist dabei größer als die der primären Rissfront. Anhand der Wallner-Linien ist es möglich, die Geschwindigkeit der Rissausbreitung im Material zu bestimmen. Wallner-Linien auf Glasbruch gehören kriminaltechnisch zu den technischen Formspuren und werden heute mit Standardverfahren ausgewertet.[4] Neuere Forschungen haben sich mit Wallner-Linien bei anderen isotropen Materialien beschäftigt, zum Beispiel bei Polymeren, Epoxidharzen, Wolfram oder kohlenstoffgefülltem Gummi.[5][6]

Verwendung des Begriffs in der Archäologie

Auch bei Steinwerkzeugen aus Obsidian oder sehr feinkörnigem Feuerstein können auf der Ventralfläche von Abschlägen Wallner-Linien auftreten.[7] Diese sind jedoch nicht identisch mit den Rissfront-Wellen, bei geschlagenen Steinen Schlagwellen oder Wellenringe genannt, die sich exakt konzentrisch vom primären Impuls des Risses ausbreiten und meist gut zu sehen sind.[8] Hier vertraten Frank Kerkhof und Hansjürgen Müller-Beck die Auffassung, dass der Ursprung bruchzeichnender elastischer Impulse bei der Herstellung von Abschlägen oft senkrecht über der Bruchfläche liegt, daher Bruchfront und Wallner-Linien identisch verlaufen. In diesem verallgemeinerten Sinne seien auch die Schlagwellen auf den Abschlägen als Wallner-Linien anzusehen.[9] Von anderen Archäologen, vor allem im englischen Sprachraum, wird diese Verallgemeinerung nicht geteilt.[8][10]

Literatur

  • Helmut Wallner: Linienstrukturen an Bruchflächen. Zeitschrift für Physik 114, 1939, S. 368-378 doi:10.1007/BF01337002

Weblinks

Einzelnachweise

  1. A. Rabinovitch, V. Frid, D. Bahat: Wallner lines revisited. In: Journal of Applied Physics. 99, 2006, S. 076102, doi:10.1063/1.2181692.
  2. Andreas Momber: Der Werkstoffwissenschaftler Adolf G. Smekal 1895–1959. In: Forschung im Ingenieurwesen, Band 70, Nr. 2, 2005, S. 114-119 doi:10.1007/s10010-005-0020-2
  3. Wallner 1939, S. 368
  4. Glass Fractures (PDF) Website der Scientific Working Group for Materials Analysis (SWGMAT) des FBI (abgerufen am 3. Februar 2016)
  5. K. Ravi-Chandar: Dynamic fracture. Elsevier, 2004 ISBN 0080443524
  6. Jürgen Hertling: Ausbreitungsgeschwindigkeit von instabilen Rissen in Polymeren bei tiefen Temperaturen. Institut für Materialforschung. Karlsruhe, Univ., Diss.; 1999
  7. Frank Kerkhof, Hansjürgen Müller-Beck: Zur bruchmechanischen Deutung der Schlagmarken an Steingeräten. Glastechnische Berichte, Band 42, 1969, S. 439-448
  8. a b B. Cotterell, J. Kamminga: The mechanics of flaking. In: Hayden, B. (Hrsg.)., Lithic Use-Wear Analysis. New York (Academic Press). 1979, S. 97-112.
  9. Frank Kerkhof, Hansjürgen Müller-Beck: Zur bruchmechanischen Deutung der Schlagmarken an Steingeräten. Glastechnische Berichte, Band 42, 1969, S. 448
  10. George H. Odell: Lithic Analysis. - Manuals in Archaeological Method, Theory and Technique. Springer, 2004. Stichwort Wallner lines, S. 55-56 ISBN 978-1-4419-9009-9; DOI:10.1007/978-1-4419-9009-9