Werke der Barmherzigkeit

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Caravaggio: Die sieben Werke der Barmherzigkeit, 1607
Die Werke der Barmherzigkeit, 17. Jh. (Umkreis Brueghels des Jüngeren)

Im Christentum unterscheidet man verschiedene Werke der Barmherzigkeit. Sie sind eine beispielhafte Aufzählung von Handlungen, in denen sich Nächstenliebe äußert. Ihre Aufzählung geht auf die Bibel zurück.

Biblische Grundlagen

Die biblische Aufzählung umfasste ursprünglich die folgenden Werke der Barmherzigkeit:

  • Hungrige speisen
  • Durstige tränken
  • Fremde beherbergen
  • Nackte bekleiden
  • Kranke besuchen
  • Gefangene besuchen
  • Tote bestatten
Pierre Montallier: Die Werke der Barmherzigkeit, 1680

Die Reihenfolge dieser Werke folgt der sogenannten Endzeitrede Jesu in Matthäus (Mt 25,34–46 EU). Das siebte Werk, die Toten zu bestatten, wurde von dem Kirchenvater Lactantius mit Bezug auf das Buch Tobit (Tob 1,17–20 EU) hinzugefügt und hat sich in der katechetischen Tradition der Kirche als Bestandteil der sieben Werke der Barmherzigkeit etabliert. Allerdings hat Lactantius in Epitome divinarum institutionum nicht allein dieses Werk hinzugefügt, sondern insgesamt neun Werke genannt:

  • Hungernde speisen
  • Nackte kleiden
  • Unterdrückte befreien
  • Fremde und Obdachlose beherbergen
  • Waisen verteidigen
  • Witwen schützen
  • Gefangene vom Feind loskaufen
  • Kranke und Arme besuchen
  • Mittellose und Zugezogene (also Menschen ohne Familie vor Ort) bestatten

Die Liste umfasst verschiedene alt- und neutestamentliche Gebote, ohne dass sie einer einzelnen Bibelstelle zuzuweisen wären.

Bedeutung

Die Bedeutung der Werke der Barmherzigkeit liegt darin, dass das Tun der Barmherzigkeit nicht im Gedanken der Belohnung für gute Werke gründet, sondern in der Identifikation mit den Notleidenden (misericordia). Im Neuen Testament wird dies im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37 EU) erzählt. Obwohl die Lehre von den guten Werken biblisch begründet werden kann, war sie seit der Reformationszeit Gegenstand konfessioneller Auseinandersetzungen. Martin Luther, der einen Sermon von den guten Werken (1520) verfasste, verurteilte die römische „Werkgerechtigkeit“ scharf. Das Tridentinum hielt dagegen fest, dass ein Gläubiger durch gute Werke seine Gnade vermehren kann.

Diese theologischen Streitigkeiten gelten mittlerweile als überwunden. Beide Konfessionen betonen, dass es bei den Werken der Barmherzigkeit nicht um eigene Verdienste geht, sondern sie Früchte des Heiligen Geistes sind. In der evangelischen Kirche werden häufig nur die in der Endzeitrede vorkommenden sechs Werke genannt, während in der römisch-katholischen Kirche auch weitere Werke genannt werden. So unterscheidet der Katechismus der katholischen Kirche (KKK 2447) zwischen sieben geistlichen und sieben leiblichen Werken:

Die sieben geistlichen Werke – Fenster in der Kirche am Steinhof
  • Geistliche Werke der Barmherzigkeit:
    • die Unwissenden lehren
    • die Zweifelnden beraten
    • die Trauernden trösten
    • die Sünder zurechtweisen
    • den Beleidigern gern verzeihen
    • die Lästigen geduldig ertragen
    • für die Lebenden und Verstorbenen beten
Die sieben leiblichen Werke – Fenster in der Kirche am Steinhof
Meister von Alkmaar: Die sieben Werke der Barmherzigkeit, 1504, Öl auf Holz (derzeit Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam)
  • Leibliche Werke der Barmherzigkeit:
    • Hungrige speisen
    • Obdachlose beherbergen
    • Nackte bekleiden
    • Kranke besuchen
    • Gefangene besuchen
    • Tote begraben
    • Almosen geben

Dabei wird insbesondere das Almosengeben in Bezug auf Tobit (Tob 4,5–11 EU), Jesus Sirach (Sir 17,22 EU) und Matthäus (Mt 6,2–4 EU) hervorgehoben.

Darstellung in der Kunst

Die bildliche Darstellung der Werke der Barmherzigkeit setzt in der zweiten Hälfte des 11. Jh. ein. Am Anfang der Verbildlichung des Themas steht die sogenannte Vatikanische Weltgerichtstafel, die gemäß Stifterdarstellung zwischen 1061 und 1071 wohl für den Konvent der Schwestern von S. Maria in Campo Marzio geschaffen wurde und sich heute in den Vatikanischen Museen befindet.

Gute hundert Jahre später wurden die sechs Werke, wie sie bei Matthäus beschrieben sind, an der Galluspforte des Basler Münsters dreidimensional und an einem städtischen Monument in Szene gesetzt.[1]

Die klassischen sieben Werke der Barmherzigkeit sind ein beliebtes Thema der kirchlichen Kunst. In manchen Darstellungen werden den sieben Werken die sieben Todsünden (Geiz, Zorn, Neid, Trägheit, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Stolz) allegorisch gegenübergestellt.

Literatur

  • Albert Dietl, Vom Wort zum Bild der Werke der Barmherzigkeit. Eine Skizze zur Vor- und Frühgeschichte eines neuen Bildthemas. In: Hans-Rudolf Meier / Dorothea Schwinn Schürmann (Hrsg.), Schwelle zum Paradies. Die Galluspforte des Basler Münsters. Basel: Schwabe Verlag 2003, S. 74-90.
  • Oliver Freiberger, Catherine Hezser, Eckart Reinmuth u. a.: Werke, Gute. I. Religionsgeschichtlich. II. Judentum. III. Neues Testament. IV. Kirchengeschichtlich. V. Systematisch-theologisch. In: Theologische Realenzyklopädie 35 (2003), S. 623–648 (Überblick)
  • Ralf van Bühren, Die Werke der Barmherzigkeit in der Kunst des 12.–18. Jahrhunderts. Zum Wandel eines Bildmotivs vor dem Hintergrund neuzeitlicher Rhetorikrezeption (Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 115). Hildesheim, Zürich, New York: Verlag Georg Olms 1998, ISBN 3-487-10319-2 (Standardwerk)

Weblinks

Commons: Werke der Barmherzigkeit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dietl: Vom Wort zum Bild Seite 74-90.