Hungersnot in Bengalen 1943

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Verhungerndes Kind, Oktober 1943 in Kalkutta

Die Hungersnot in Bengalen 1943 (bengalisch পঞ্চাশের মন্বন্তর) betraf die Präsidentschaft Bengalen im damaligen Britisch-Indien während des Zweiten Weltkrieges. Die Zahl der Hungertoten wird auf 1,5 bis 4 Millionen geschätzt.[1][2][3][4] Die Hungersnot gilt als die größte humanitäre Katastrophe in Britisch-Indien und im gesamten britischen Kolonialreich im 20. Jahrhundert.

Ursachen

Verschiedene Faktoren trugen zur Hungerkatastrophe bei. Zum einen wirkten sich Naturkatastrophen (Zyklone, Überschwemmungen, partielle Ernteausfälle durch Schädlingsbefall) aus. Zum anderen war nach dem Fall von Singapur die britische Kronkolonie Burma im März 1942 von den Japanern erobert worden, so dass die Reis-Importe, mit denen Bengalen zu Friedenszeiten zum Teil versorgt worden war, nicht mehr zur Verfügung standen. Des Weiteren wurde das Ausmaß der drohenden Hungersnot viel zu spät erkannt, da keine zuverlässigen Statistiken zur Verfügung standen. Der britischen Kolonialmacht wird eine hohe Verantwortung zugeschrieben.

Rolle des britischen Empire

Viele moderne indische und bengalische Journalisten und Historiker haben insbesondere dem damaligen britischen Premierminister Winston Churchill vorgeworfen, sich gegenüber dem Elend in Bengalen gleichgültig gezeigt zu haben oder es sogar wissentlich in Kauf genommen zu haben. Während der Hungersnot sei es Churchills einziges Interesse gewesen, die gute Versorgung der britisch-indischen Armee und des britischen Mutterlandes sicherzustellen. Seine einzige Antwort auf ein Telegramm des Vizekönigs Archibald Wavell, in dem dieser die Freigabe von Nahrungsmittelspeichern erbat, war die Frage gewesen, warum Gandhi denn nicht auch verhungert sei.[5] Seiner Geringschätzung für die Inder gab Churchill gegenüber Leopold Stennett Amery, dem Secretary of State for India Ausdruck: „Ich hasse Inder, […] sie sind ein tierisches Volk mit einer abscheulichen Religion.“ („I hate Indians […] They are a beastly people with a beastly religion“). Die Hungersnot sei ihre eigene Schuld und eine Folge davon, dass sie sich „wie die Karnickel vermehren“ („breeding like rabbits“).

Vorräte in anderen Provinzen Britisch-Indiens wurden zum Teil aus eigennützigen Beweggründen nicht oder nur zögerlich nach Bengalen geliefert. Auch behinderte die Kriegslage den freien Nahrungsmitteltransport nach Bengalen.[6][3] Hilfsangebote für Nahrungsmittellieferungen der Vereinigten Staaten wurden abgelehnt. Während der Hungersnot seien voll mit Getreide beladene Frachter aus Australien an der indischen Küste in Richtung Europa vorbeigefahren, um die mit Millionen Tonnen gefüllten Nahrungsmittelspeicher im britischen Mutterland weiter aufzufüllen. Kontinuierlich wurden Nahrungsmittel aus Indien exportiert, unter anderem mit dem Argument, dadurch die Versorgung auf dem neu eröffneten Kriegsschauplatz in Griechenland und in Italien zu gewährleisten. Staatssekretär Amery notierte in seinem Tagebuch: „Winston mag recht haben, dass das Hungern von ohnehin unterernährten Bengalen weniger wichtig ist als das von robusten Griechen, aber er schenkt dem Gedanken, dass das Empire eine Verantwortung für dieses Land hat, zu wenig Beachtung“ („Winston may be right in saying that the starvation of anyhow under-fed Bengalis is less serious than sturdy Greeks, but he makes no sufficient allowance for the sense of Empire responsibility in this country“).[7]

Rückblick

Der spätere erste Ministerpräsident Indiens Jawaharlal Nehru schrieb 1946:

“The famine could have been avoided, given proper handling of the food situation in the earlier years of the war. […] The tragedy of Bengal and the famines in Orissa, Malabar and other places, are the final judgment on British rule in India. The British will certainly leave India and their Indian Empire will become a memory, but what will they leave when they have to go, what human degradation and accumulated sorrow?”

„Die Hungersnot hätte vermieden werden können, wenn eine angemessene Planung der Nahrungsmittelversorgung in den ersten Kriegsjahren erfolgt wäre. […] Die Tragödie Bengalens und die Hungersnöte in Orissa, Malabar und an anderen Orten bilden das endgültige Urteil über die britische Herrschaft über Indien. Die Briten werden sicher Indien verlassen und ihr indisches Reich wird dann Geschichte sein, aber was werden sie hinterlassen, wenn sie gehen müssen, wieviel menschliche Erniedrigung und angehäuftes Leid?“

Jawaharlal Nehru: The Discovery of India, Oxford University Press, 1946, S. 499[8]

Weblinks

Commons: Hungersnot in Bengalen 1943 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

Cormac Ó Gráda: Eating People Is Wrong, and Other Essays on Famine, Its Past, and Its Future. Princeton University, Princeton 2015, ISBN 978-0-691-16535-6, S. 38–91.

Einzelnachweise

  1. Schätzungen nach: Encyclopedia Britannica, 1992
  2. Amartya Sen (1981): Poverty and Famines: An Essay on Entitlement and Deprivation. London: Oxford University Press. S. 203, ISBN 9780195649543.
  3. a b Joseph Lazzaro: Bengal Famine Of 1943 - A Man-Made Holocaust. International Business Times, 22. Februar 2013, abgerufen am 14. Oktober 2014 (englisch).
  4. Rakesh Krishnan Simha: Remembering India’s forgotten holocaust: British policies killed nearly 4 million Indians in the 1943-44 Bengal Famine. Tehelka.com, 13. Juni 2014, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 11. April 2015; abgerufen am 5. April 2015 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tehelka.com
  5. Shashi Tharoor: The Ugly Briton. Time Magazine, 29. November 2010, abgerufen am 5. April 2015 (Rezension des Buchs von Madhusree Mukerjee: Churchill's Secret War).
  6. http://histclo.com/essay/war/ww2/cou/india/w2i-fam.html
  7. Soutik Biswas: How Churchill 'starved' India. BBC News, 28. Oktober 2010, abgerufen am 5. April 2015 (englisch).
  8. Jawaharlal Nehru: The Discovery of India. (pdf) Abgerufen am 6. April 2015 (digitalisierter Volltext, S. 499).