Benutzer:GerhardSchuhmacher/95

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Info[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diskussion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Wikipedia werden weder die Kurtisane, noch die Konkubine oder Mätresse als „Prostituierte” bezeichnet, so dass es unsinnig ist, die Hetäre, der es am ehesten gelang, ein von männlicher Bevormundung oder Herrschaft freies Leben zu führen, mit diesem Etikett zu versehen. Dabei ist sie bereits vom Begriff her (Gefährtin) nicht unmittelbar mit sexueller Zugehörigkeit zu einem (einzigen) Mann assoziiert – so wie die drei anderen ‚Klassifikationen’.

Bilder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Idealbildnis der Hathor als Liebesgöttin (Fassade am Ägyptischen Museum in Kairo)
  • Hathor mit Sobek am Tempel von Kom Ombo
  • Hathor und Löwengöttin (Tempel von Kom Ombo)
  • Torso der Aphrodite von Knidos. Römische ‚Interpretation’ im Museum für Kunst und Geschichte in Genf
  • Original-Replikate nach antiker Münze (li.) und römischen Kopien

Darstellung und Wertung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erotische Themen sind infolge ihrer Unmittelbarkeit stark subjektiv besetzt – auch in der Forschung – und damit von Zeitstimmungen und Moralvorstellungen geprägt. So wie schon Goethe meinte, dass sich in ihren Urteilen oft lediglich ‚der Herren eigenes Bild spiegle’, lauern auch heute in den Wertungen um Sexualität, auch um „sexuelle Ökonomie”, ‚tausend Gefahren der Selbstentblößung’:

„Wenn die Männer der Antike und moderne Wissenschaftler es schwierig finden, mit einer Hetäre richtig umzugehen, dann liegt dies nicht nur daran, daß die Welt der Frauen kompliziert ist. Die Hetäre vermeidet es weitgehend, sich selbst zu erklären oder ihre Beziehung zu Männern offenzulegen. Sie wäre sonst keine Hetäre.“

Davidson: Kurtisanen und Meeresfrüchte, Berlin 2002, S. 135.

Kaum ein Vorgehen ist fataler, als Sexualität von moralischen Kategorien aus zu bestimmen, denn nichts ist wandelbarer als Moral. Somit ist es erforderlich, Begriff und Lebensweise der Hetäre aus historischen Überlieferungen zu gewinnen, die so früh wie möglich anzusetzen sind. Diese weibliche Lebensweise ist nicht erst in der klassischen Antike entstanden, sondern hat dort allenfalls eine neue Ausprägung erfahren. Historisch zurückzuverfolgen ist eine gesellschaftliche Stellung der Frau, die sich später noch in der Existenz der Hetäre abbildet, am sichersten in Ägypten, da sich dort ein sonst nicht (mehr) vorhandener Reichtum an Hinweisen vorfindet.

Geschichte und Begriffsbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da Moral in vorgeschichtlichen Zeiten bzw. in mutterrechtlich geprägten Kulturen die menschliche Lebensweise nicht (oder kaum) bestimmte, erscheinen frühe bildliche Darstellungen „freizügig” und erlauben Rückschlüsse auf sexuelles Verhalten und auch ‚Ordnungen’ unter den Geschlechtern. So sind erste Rollenzuweisungen aus der Kultur Ägyptens bekannt.

Eine moderne Autorin unterscheidet ägyptische Liebesgedichte, die „der Hetäre oder der Jungfrau galt[en]”, und die erstere auch mit „Königinnen unter den Hathoren” vergleicht, die „inmitten einer ihnen zu Füßen liegenden Schar von vermögenden Anbetern ihre glänzenden Liebeshöfe ab(hielten).” Auch in Persien und in Israel stellt die Forscherin Frauen fest, die in ihrer Lebensweise der Hetäre ähnelten und die sie im Rückbezug auf den Begriff auch so benennt.[1]

(Die Forscherin, die eine große Kenntnis der Geschichte der Beziehungen der Geschlechter – der „Erotik am Nil” – besitzt, wird allgemein ignoriert, da sie ihre Darstellungen und ihre Argumente nur selten mit Quellen belegt. Somit kann sie nur – über ihre Literaturangaben – selbst als ‚Überliefernde’ gewertet und ihrerseits erforscht werden. Dort, wo Quellenangaben notwendig sind, wird die Autorin nur zitiert, wenn sich dazu ‚querverifizierende’ Quellen finden lassen.)


Die eigentliche Begriffsbildung wird vom Griechischen „hetaira” abgeleitet, die als männliche Entsprechung „hetairoi” kennt und Gefährtin/Gefährte bedeutet. Der zeitweilige Versuch, einen grundlegenden Unterschied zwischen der männlichen und weiblichen Form zu konstruieren, – die männliche Beziehung sei ohne Sex ausgekommen –, gilt mittlerweile als unzutreffend. Betont wird, dass die Benennung in der Antike in erster Linie ‚Freundschaft’ bezeichnete und dabei eine sexuelle Beziehung kein Kriterium war, somit diese nicht ausschloss. Entscheidend war, dass eine Hetäre sich nicht verheiraten wollte (bzw. als auswärts geborene dies nicht konnte), ohne deshalb auf ‚gleichwertige’ Männerbeziehungen zu verzichten. Von der Lebensweise und dem Status her entspricht dies dem heutigen „Single”, der/dem deshalb auch nicht automatisch „Prostitution” unterstellt wird.

Die Hetäre war eine für sich Unabhängigkeit in Anspruch nehmende Frau (die Ehe bot diese Eigenständigkeit in der Antike gesellschaftlich nicht) und eine Klassifizierung als „Prostituierte” wird in der modernen Forschung zunehmend als Denunziation aufgefasst.

Auch Alberto Angela (2014) schreibt über die Römerzeit entsprechend differenziert von „einer Kurtisane oder Prostituierter”.(248).

Diese weibliche Lebensweise, die sich nie vollständig unterdrücken lies, stammt ursprünglich aus dem Matriarchat und besaß nach der gesellschaftlichen Wandlung zum Patriarchat entsprechend verschlechterte Voraussetzungen. Lediglich in historischen Umbruchphasen (im 20. Jahrhundert noch in den 1930er Jahren) sind Verbesserungen der Bedingungen weiblicher Freiheit festzustellen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Prozess der Gleichberechtigung der Geschlechter stabilisiert.

Antike Autoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Redner [Apollodoros]] klassifiziert die Frauen von Athen: „Hetären halten wir uns zu unserem Vergnügen, Konkubinen zur täglichen körperlichen Befriedigung und Ehefrauen zur Zeugung von Nachkommen und als ständige, zuverlässige Hüterin unserer häuslichen Angelegenheiten.”[2]

Der zitierende Autor, James N. Davidson, meint, Apollodoros habe diese Unterscheidung in einem Gerichtsverfahren vorgetragen, um diese Einteilung „dem Gespött auszuliefern”, doch stellt er auch fest, dass es in „der antiken Literatur [...] nicht an Versuchen seitens der Männer (mangelt), den Frauen die ihnen zukommende Rolle zuzuweisen, und sie verfügt zu diesem Zweck über ein ganzes Sortiment von Bezeichnungen und Begriffen. [...] Schon die Benennung war ein wichtiger Akt für die Herrschaft über die Frauen und ihre Sexualität.[3]

Moderne Autoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Alle Anstrengungen, klare Grenzlinien zwischen den unterschiedlichen Kategorien der Frauen in Athen zu ziehen” – so Davidson – müsse „höchst fragwürdig bleiben und die Übereinstimmung darin [hat] selten länger als eine Gelehrtengeneration überlebt. [...] Als zu Beginn dieses Jahrhunderts [20. Jhdt] Frauen und Sex zum ersten Mal ins Blickfeld rückten, übte die Hetäre eine starke Faszination auf die männlichen Historiker aus. Sie stellte sich als eine raffinierte Dame mit feinem Benehmen, als kultivierte Frau von Welt, witzig, philosophisch gebildet und kokett vor.”[4]

Diese als hochgebildet angesehenen Frauen (oft aus anderen Städten), die ihren Lebensunterhalt als Geschäftsfrauen verdienen würden und mit den führenden Männern der Zeit in Verbindung standen, wären strikt von den Bordell- und Straßenmädchen zu unterscheiden: „Neuere von einer feministischen Haltung zur Prostitution geprägte Arbeiten über Frauen in der Antike haben sich allerdings heftig gegen dieses Bild gewandt und es als einen Versuch männlicher Phantasie – antiker ebenso wie moderner – gewertet. [...] in dieser Sicht gab es zwei mögliche Rollen für Frauen: Ehefrau oder Prostituierte. [...] Diese ursprünglich radikale Haltung hat heute ihren Platz im ‚Mainstream’ der antiken Studien gefunden.”[5]

„Unter dem Einfluss dieser idealisierenden Unterscheidung zwischen Ehefrauen und dem Rest war die alte Unterscheidung zwischen Kurtisanen und ‚gewöhnlichen Huren’, Hetären und pornai, obsolet geworden. [...] Sie sind alle Huren.” Davidson referiert in erster Linie die britische Literatur zum Thema, sieht hier eine „Absolutheit der Scheidung zwischen beiden Rollen” und eine Ignoranz älterer und auch antiker Abhandlungen:

„Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, daß diese dogmatische Unterscheidung den Wissenschaftlern ermöglichte, eine Auseinandersetzung mit der Prostitution überhaupt zu vermeiden, und daß sie zu dem erstaunlichen Mangel an Untersuchungen auf einem Gebiet beiträgt, das am Schnittpunkt der zwei größten Wachstumszweige der modernen klassischen Altertumswissenschaft liegt, der Frauenforschung und der Sexualität.“

Davidson: Kurtisanen, 2002, S. 98 f.

Ware und Gabe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Unbestimmbarkeit der Hetäre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Wille, eine klare Definition zu schaffen, der sein Scheitern in der ‚Zwei-Kategorien-Theorie’ erlebt und damit auch nur die ‚Gut-Böse’- Vorstellung reproduziert hatte, scheint in aktuellen Untersuchungen überwunden:

„Die Schwierigkeiten, die bei der Definition einer Hetäre entstehen, verraten deren Absicht. Eine Hetäre bleibt nur so lange eine Hetäre, wie es ihr gelingt, allen Versuchen entgegenzutreten, die sie festlegen wollen. Diese Ungewißheit hält sie auf Seiten von Recht und Gesetz und errichtet eine gläserne Wand zwischen dem, was in den Bordellen geschieht.”[6]

Die Hetäre versucht, „einer ökonomischen Festlegung zu entgehen”, sie ‚hat keinen Preis’. Ihre Verehrer – genauer: ihre „Freunde” bringen „Gaben” – Geschenke –, von denen sie sich nie zu einer unmittelbar darauf folgenden Handlung, einer ‚Gegenleistung’ veranlasst sieht. Diese steht in ihrer Gunst.

„Solche Geschenke wurden natürlich nicht umsonst gemacht”, doch dass deshalb nicht unbedingt der Schenkende ‚profitieren’ musste, zeigt eine Anekdote von der Hetäre Niko und Demophon, dem Geliebten des Sophokles: „Man erzählt sich, daß sie einen äußerst attraktiven Hintern hatte, den Demophon einst zu besitzen begehrte. Sie lachte und sagte: ‚Sei mein Gast, mein Freund, nimm ihn und gib ihn dem Sophokles als ein Geschenk von mir.’”[7]

Die Lebensweise der Hetäre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die ‚Tätigkeit’ der Hetäre, ihre Lebensweise, ist schon von der Begriffsbildung her von „Prostitution” abzugrenzen, da „prostituiere” „auf der Straße stehen” bedeutet und die Hetäre genau das Gegenteil lebt –

Sokrates und Theodote[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Ansehen der Hetären mag man durchaus daran erkennen, dass sich Sokrates um einen Besuch bei Theodote bemühte. Sie empfing ihn in ihrer „teuer eingerichteten Residenz” – der Philosoph zeigte sich „dementsprechend beeindruckt und recht neugierig, etwas über ihren Lebensunterhalt zu erfahren.” Nachdem er erfahren hatte, dass „ihre einzige Einnahmequelle ihre ‚Freunde’ (sind)”, denkt er über Freundschaft nach, doch jede ‚Regelung’ dieses Verhältnisses weist sie zurück. „Sokrates schlägt einen anderen Weg ein und vergleicht Freundschaft mit Hunger und Vorliebe fürs Essen.” Theodote zeigt sich von diesem Verständnis beeindruckt, doch „Anspielungen auf Kunden, Preise, Bezahlung und Sex werden sorgfältig vermieden. [...] ‚Wenn jemand, der mein Freund geworden ist, mir etwas zukommen lassen will ...’; so beschreibt sie ihre Lebensweise. Das Sprachspiel wird von Sokrates fortgeführt, der einen Plan entwirft, wie ihre Bekanntschaften ‚die besten Freunde werden und ihr für die längste Zeit in Freundschaft verbunden bleiben und zum Vorteil gereichen könnten.’ [...] Theodote ist so beeindruckt von Sokrates' wahrem Verständnis von Freundschaft, daß sie ihm anbietet, in ihre Dienste zu treten. Sokrates gibt vor, zu beschäftigt zu sein. Ihm wäre lieber, sie käme zu ihm.”[8] Doch eine Hetäre macht keine Besuche.

Der Umgang mit Geschenken „war nicht mehr als ein unsicheres Spiel, deren Regeln niemals erwähnt werden durften und in dem die Hetären die Großmeisterinnen waren.

Kritiker sehen das Verhältnis von Geschenk und Gunst auf den Zeitfaktor reduziert: „Die Frauen im Bordell müssen es [...] ‚unverzüglich’ tun” – die Hetäre kann sich Zeit lassen: „eine notwendige Verteidigung gegen die Welt des Kaufens und Verkaufens [... –] Geschenke wurden natürlich nicht umsonst gemacht. Die Frauen mußten ein Gegengeschenk machen – nach ihrem Gutdünken natürlich.”[9]

„Ihre heikle Position als ‚Begleiterinnen’ [...] hing von dem ebenso heiklen Status des Geschenks ab. Jede Berechnung des Geschenks zu vermeiden, die Natürlichkeit der Freundschaft, auf der Theodote beharrt und mit der Sokrates ironisch übereinstimmt, all das kann von den Frauen selbst genutzt werden, um zu vermeiden, daß sie Opfer von Fremdbestimmtheit, Bemessung und Verwertung werden. [... Sie] muß die, wenn auch winzige, Möglichkeit haben, etwas für nichts zu tun oder eine Gunst nicht zu vergelten. [...] Von entscheidender Bedeutung ist, daß eine Hetäre entscheiden kann, mit wem sie schläft. Theodote geht nicht mit jedem, der sie will, sondern mit dem, der sie ‚überzeugt’. In dieser Hinsicht stehen Hetären [...] Ehefrauen näher als Prostituierte.”[10]

„Die Schwierigkeiten, die bei einer Definition der Hetäre entstehen, verraten deren Absicht. Eine Hetäre bleibt nur so lange eine Hetäre, wie es ihr gelingt, allen Versuchen entgegenzutreten, die sie festlegen wollen. Diese Ungewißheit hält sie auf der Seite von Recht und Gesetz und errichtet eine gläserne Wand zwischen dem, was sie tut und dem, was in den Bordellen geschieht.”[11]

Die Tatsache, dass sie unter den beschriebenen Voraussetzungen sich „auf der Seite von Recht und Gesetz” befand und dass sie auch nach der Wortbedeutung von ‚Prostituierte’ gleich „auf der Straße stehen” sich von dieser völlig unterschied, rechtfertigen es, sie auch aus heutiger Sicht nicht als „Weibliche Prostituierte in der Antike” zu bezeichnen, sondern ihr Dasein als „Weibliche Lebensweise in der Antike”.

So interessierte sich Sokrates auch für die Lebensweise ungewöhnlicher Frauen und führte bei einem Besuch ein Gespräch mit der Hetäre Theodote.

Stellung in Recht und Gesetz in Athen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die „Gesetze des Solon und Drakon [...] unterschieden deutlich zwischen Sklaven und Frauen der Straße und der Bordelle, jedoch nicht zwischen Ehefrauen und freien Konkubinen.” Galt die Beziehung zwischen einer Hetäre und einem Mann enger, so „findet man die Bezeichnung ‚Ehebruch’ (moicheia) auf Fälle angewandt, bei denen andere Männer als die Lebensgefährten Geschlechtsverkehr mit diesen Frauen haben oder ihnen zu nahe kommen. [...] Zwischen den von Drakon geschützten Mätressen und den vom Schutz ausgenommenen Huren Solons (gibt es) keine weiteren Zwischenstufen mehr. [...] Offensichtlich war im täglichen Leben [Athens] der Unterschied zwischen Ehefrauen und Mätressen für viele Männer und möglicherweise für viele Frauen eher verschwommen.” (156)

Sichtweisen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Der Versuch der Hetären, einer ökonomischen Festlegung zu entgehen, findet eine Parallele darin, zu vermeiden, sich dem männlichen Blick auszusetzen.” Auf Sokrates’ Spitzfindigkeit (im Kreis weiterer Besucher, nachdem sie sich einem Maler als Modell zurecht stellte): „Sind wir der Theodote mehr Dank schuldig, weil sie uns ihre Schönheit zeigte, oder sie uns, weil wir sie betrachtet haben?”, meint sie: „Ja, beim Zeus, wenn sich dies also derart verhält, dann muß ich euch wohl Dank dafür wissen, daß ihr mich angeschaut habt.”



Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ägypten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Auf ägyptischem Boden wurde unter dem Einfluss des großen Fruchtbarkeitserleben der Natur und der uralten mutterrechtlichen Mysterien ein kühner Kompromiß geschlossen: die beiden Welten des Weiblichen und des Männlichen prallten nicht aufeinander, um einander zu vernichten, sondern trafen sich zu einer harmonischen Ehe, der eine der vollkommensten und reizvollsten Kulturen der Menschheitsgeschichte entsproß.” (41)

„Die bildenden Künstler haben uns eine ganze Reihe von Darstellungen erhalten, die uns Mann und Frau in den intimsten Liebessituationen zeigen, [...] die Fellatio, der Lippenkoitus, scheint sich bei den Ägyptern einer großen Beliebtheit erfreut zu haben, denn wir finden seine Darstellung auf unzähligen Karikaturen und Wandgemälden, ebenso wie den Cunnilingus, die Erregung der weiblichen Geschlechtszonen durch die Zunge des Mannes, der zwischen die Schenkel der Geliebten hingestreckt, sein Gesicht in den Schoß vergräbt, während sie ihrerseits mit scharfen Fingernägeln seinen Rücken liebkost und ihm mit ihren Zähnen kleine Bißwunden zufügt. [...] Mit feiner Psychologie erkannten die Männer, daß sie den Frauen in vielem ihren Willen lassen mußten, um sie bei guter Laune zu erhalten.”[12]

Römerzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Rom hingegen findet sich bildnerisch „häufig die Frau, die den Mann oral befriedigt, während die gegenteilige Position, der Mann, der die Frau oral befriedigt (Cunnilingus), nur sehr selten zu sehen ist. Bislang wurde im gesamten Römischen Reich nur eine einzige derartige Darstellung gefunden. Es handelt sich um ein Fresko aus Pompeji, von dem man allgemein annimmt, dass es provokativ gedacht war. Es sollte den Betrachter zum Lachen bringen, denn der dargestellte Akt galt in römischer Zeit als stärkstes sexuelles Tabu des Mannes überhaupt.”[13]

Die Tabuisierung bzw. zumindest das Fehlen in der öffentlichen Darstellung und Kommunikation seit dem Übergang zu patriarchalischen Gesellschaftsordnungen lässt den Schluss zu, dass der Cunnilingus – als ‚einseitig’ nur der Frau Lust vermittelnder sexueller Akt –, in mutterrechtlichen Zeitphasen als gleichwertig galt und später aus der allgemein ausgeübten Praxis verschwand.

Spätere Zeitalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den auf die Spätantike folgenden europäischen und orientalischen Gesellschaftsformen, die patriarchalisch geprägt, wenn auch immer wieder von einer derb-freizügigen Sexualität gekennzeichnet waren, sind wenig differenzierte Überlieferungen zu erotischen Praktiken bekannt. Diese mögen schichtspezifisch auch unterschiedlich gewesen sein, wurden jedoch im Allgemeinen (nicht immer im Persönlichen) von den Vorlieben der Männer bestimmt. Der Cunnilingus zählte nicht dazu. Auch in ersten bildnerisch-pornographischen Darstellungen im 19. Jahrhundert ist er kaum anzutreffen.

Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Noch in den 1960er Jahren wird von sich durchaus als liberal empfindenden Autoren und Autorinnen – die sich auf die nun bevorzugten ‚wissenschaftlichen Untersuchungen’ beziehen, doch ihre moralischen Intentionen kaum verdecken –, der Cunnilingus noch unter den „Normwidrige[n] Formen des Geschlechtsverkehrs” aufgeführt, auch wenn der „Genitale Kuß” als ‚Vorspiel’ davon ausgenommen sein soll:

„Wir wollen gleich unterstreichen, daß der genitale Kuß nicht als eine normwidrige Form des Geschlechtsverkehrs verurteilt werden kann, selbst dann nicht, wenn der eine oder andere Partner allein hierdurch gelegentlich zur Lustlösung kommt. [...] Es handelt sich hier um eine physiologische Vorbereitung auf den Geschlechtsakt, der oft erst dadurch ermöglicht wird. Sicher ist aber nicht normal, wenn sich der Geschlechtsverkehr gewohnheitsmäßig nur auf den genitalen Kuß beschränkt, wenn dieser also nicht nur als Vorspiel zum Geschlcechtsakt dient, sondern ihn ersetzt. In einem solchen Fall handelt es sich im Grunde genommen nur um gegenseitige Masturbation.”[14] Die Autoren – wie viele andere jener Zeit ebenfalls – übersehen jedoch, das gerade die Jugend in den 60er Jahren sich bereits von der Vorstellung gelöst hat, „normal” sein zu müssen.

Noch 1969 gelingt es dem amerikanischen Erfolgsautor [Vance Packard]] (deutsche Ausgabe: 1972) in Die sexuelle Verwirrung, Cunnilingus und Fellation völlig auszuklammern.

  1. Johanna Fürstauer: Sittengeschichte des Alten Orients, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1969 (Original Stuttgart 1965), S. 52, 110, 252, 294.
  2. Demosthenes, LIX 122.
  3. James N. Davidson: Kurtisanen und Meeresfrüchte. Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen, Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2002, S. P95. ISBN 4-442-76027-5. (Original: London, 1997).
  4. Davidson: Kurtisanen, 2002, S. 96.
  5. Davidson: Kurtisanen, 2002, S. 97. Siehe dazu auch den Untertitel zum Wikipedia-Artikel.
  6. Davidson: Kurtisanen, 2002, S. 150.
  7. Davidson: Kurtisanen, 2002, S. 147.
  8. Davidson: Meeresfrüchte, 2002, S. 144.
  9. Davidson: Meeresfrüchte, 2002, S. 146 f.
  10. Davidson: Meeresfrüchte, 2002, S. 148.
  11. Davidson: Meeresfrüchte, 2002, S. 150.
  12. Johanna Fürstenauer: Sittengeschichte des Alten Orients, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 58 ff. (Originalausgabe Stuttgart 1965).
  13. Alberto Angela: Liebe und Sex im Alten Rom, (Übersetzt von Elisabeth Liebl), Goldmann Verlag, München 2014 (Original Milano 2012), S. 257 f.
  14. Norman Haire: Geschlecht und Liebe heute. Das Geschlechtsleben des modernen Menschen, List Verlag, München 1965: Kapitel Normwidrige Formen des Geschlechtsverkehrs, S. 214 f.