Benutzer:Haxer Uini/Artikelentwurf

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Entstehung der „Schlesischen Jungmannschaft“, Großfahrten und Studienreisen

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Die Schlesische Jungmannschaft (SJM) ging aus der schlesischen Jugendbewegung hervor, war also Teil der deutschen Jugendbewegung. Zu den zentralen Figuren gehörte Hans Dehmel. Er war eine selbstbewusste, charismatische Persönlichkeit. 1896 in Breslau geboren, wuchs er in Striegau auf. Dort gründete er mit anderen 1912 eine Wandervogelgruppe. Bei Beginn des ersten Weltkriegs meldete er sich mit knapp 18 Jahren zum Militär. Nach dem verlorenen Krieg rief er im Januar 1919 mit zwei weiteren Wandervogelführern zur Bildung einer „Wandervogelhundertschaft“ auf, die bei den damaligen Grenzkonflikten mit Polen die deutschen Grenzschutztruppen im Osten der Republik unterstützte. Als die Truppe nach Unterzeichnung des Versailler Vertrags gegen die „inneren Feinde der Republik“ eingesetzt werden sollte, lehnten ihre Mitglieder dies ab und beschlossen im August 1919 die Selbstauflösung. Einige Gruppenmitglieder gewann Dehmel für eine Neuorientierung und einen Neuaufbau des Wandervogels in Schlesien, den „Schlesischen Wandervogel-Jungbund“. Dessen Mitglieder schenkten ihm ihr volles Vertrauen. Er war „der Chef“.

Erstes Unternehmen des Schlesischen Wandervogel-Jungbundes war 1922 eine siebenwöchige Siebenbürgenfahrt mit 122 Teilnehmern, darunter viele aus anderen Bünden (insbesondere Wandervogel und „Neupfadfinder“). Im Anschluss an dieses Unternehmen rief Hans Dehmel gemeinsam mit Franz Ludwig Habbel im August 1922 in Regensburg die „Schlesische Jungmannschaft“ aus. Sie bestand zunächst aus den besonders Aktiven dieser Fahrt sowie aus Mitgliedern befreundeter Bünde. Insgesamt gehörten zur SJM schließlich etwa 90 junge Frauen und vor allem junge Männer.

Im Anschluss an die Siebenbürgen-Fahrt unternahm nun die SJM zwischen 1922 und 1930 weitere „Großfahrten“ und Studienreisen und zwar vor allem nach Südost- und Osteuropa (Bulgarien, Wolhynien in der heutigen Ukraine, Rumänien), aber auch nach England (1929). Durch sie verdichteten sich die Kontakte der Jungmannschaft und damit auch des späteren Boberhauses zu den jungen Führungsgruppen dieser Länder und natürlich auch zu den dortigen deutschen Minderheiten. Bei diesen Großfahrten stießen die Teilnehmer (Schüler, Studenten und Berufstätige) aber auch auf die politischen und wirtschaftlichen Probleme der besuchten Länder und erhielten Einblick in deren kulturelle Besonderheiten, sie erfuhren aber auch einiges über die spezifischen Probleme der dortigen deutschen Minderheiten. Das Musik-Tetraeder“ der SJM veranstaltete bei solchen Fahrten häufig vokale und Gitarren-Konzerte im Gastland. Über Reiseeindrücke und -ergebnisse berichteten die Teilnehmer nach Rückkehr vor Interessierten. Internationale Reisen und Begegnungen waren damals selten. Bestimmend für das internationale Klima war ein tiefes Misstrauen zwischen den Staaten und Völkern.

Das Boberhaus in Löwenberg/Schlesien

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Schon in der Wandervogelhundertschaft gab es 1919 erste Diskussionen und Überlegungen über die Errichtung einer Bildungsstätte – damals noch eher in Richtung einer Schule nach dem Muster der Landerziehungsheime. Die SJM befasste sich mit der zukünftigen Schulsituation in der neuen deutschen Demokratie und entwickelte ein Bildungskonzept hierfür.

Die pädagogische Zielsetzung der Gruppe und der geplanten Erwachsenen-Bildungsstätte kann schlagwortartig mit dem Motto „Volkbildung durch Volksbildung“ zusammengefasst werden. Die SJM wollte so in der noch jungen deutschen Republik frühzeitig zur Überwindung der aus der Kaiserzeit stammenden Standesdünkel und Animositäten zwischen sozialen Gruppen und Klassen beitragen und zwar durch Begegnungen, freie, also auch kontroverse Diskussionen sowie durch gemeinsame Aktionen von Angehörigen der verschiedenen sozialen Gruppen und „Klassen“ (verstärkte Integration der Bevölkerung). Einige ältere Mitglieder der Jungmannschaftsgruppe hatten als junge Soldaten in den Schützengraben-Kameradschaften des ersten Weltkriegs erlebt, dass die noch aus der Kaiserzeit stammenden Standesdünkel und wechselseitigen Klassen-Animositäten längst überholt waren.

Die Schlesische Jungmannschaft der Trägerkreis des späteren Boberhauses, war überparteilich, also politisch heterogen, doch stand die weit überwiegende Zahl ihrer Mitglieder den sog. Mittelparteien (SPD; Deutsche Volkspartei (Stresemann), Zentrum) nahe und somit der Weimarer Republik positiv gegenüber.(vgl. W. Greiff, S.38).

Fast alle Jungmannschaftler und –innen waren erst nach der Jahrhundertwende geboren, damals also erst etwas über 20 Jahre alt. Sie hatten sich zwar mit dem Thema Volksbildung auseinandergesetzt, hatten aber naturgemäß kaum Mitglieder mit entsprechender praktischer Erfahrung. Letztlich war ihre Begeisterung ausschlaggebend dafür, dass das Projekt trotz aller Schwierigkeiten und Widerstände tatsächlich zustande kam. Walter Greiff schrieb im Rückblick: „Das Wagnis selbst war jedoch nur mit dem Mut von noch Studierenden zu vollbringen; was eigentlich Volksbildung jenseits der Parteimeinungen und Klassen-gegensätze sei, musste erst erfahren werden.“( W. Greiff, S. 19).

An der Konzeptentwicklung wirkte wesentlich der Soziologe und Rechtshistoriker an der Universität Breslau, Eugen Rosenstock-Huessy, mit. Darüber hinaus bezogen sich die „Jungmannschaftler“ bei ihren Überlegungen auf Reformpädagogen wie Berthold Otto und Peter Petersen sowie auf die Landschulheimbewegung, die mit den Namen Geheeb, Lietz und Wyneken verbunden ist. Es ging um eine „Schulform mit Betonung des Gesamt-, Werk- und Sportunterrichts, der auch von einer aus der Jugendbewegung kommenden Lehrergeneration vertreten werden sollte“ (v.d. Trappen S.98).

Sie wollten eine überparteiliche und verbandsfreie Volksbildungsstätte, für die sie dann 1926 mit Eigenmitteln, Spenden und Krediten das um die Jahrhundertwende von Hans Poelzig erbaute „Haus Fichteneck“ in Löwenberg am Bober erwerben konnten. Sie nannten es „Boberhaus“. Es sollte ihre o.g. integrativen Zielsetzungen verwirklichen und allen Gruppen der Bevölkerung offen stehen. Zugleich sollte das Boberhaus –aufgrund seiner geografischen Lage im Grenzbereich zu Tschechien (Böhmen), Polen und der Region Sorbien – auch Grenz-Volkshochschule sein.

Der im März 1925 beim preußischen Kultusminister Becker (SPD) eingereichte Projektvorschlag umfasste noch zwei Schulformen unter einem Dach: eine Volkshochschule nach dänischem Vorbild und eine reformpädagogische Oberschule als Internat und Landerziehungsheim mit Gesamtunterricht in Anlehnung an das Konzept der damaligen Reformpädagogen Berthold Otto und Peter Petersen (vgl. v.d.Trappen S. 98 f). Letztere wurde dann allerdings nicht verwirklicht.

Nach Aufnahme der Arbeit veranstaltete das Boberhaus 1926 vor allem Volkshochschul-Lehrgänge und Abendkurse für alle Bevölkerungsgruppen, Freizeiten, Landheimkurse und Ferienlager für Schüler, Arbeitslager sowie Diskussionsveranstaltungen und Tagungen vor allem über bildungs- und gesellschaftspolitische Fragen sowie Fachthemen. Entsprechend dem Selbstverständnis als Grenz-Volkshochschule und Begegnungsstätte nahmen an den Veranstaltungen vor allem junge Deutsche (meist Schlesier), Angehörige der deutschen Minderheiten in den Nachbarländern sowie junge Menschen aus diesen Nachbarvölkern teil. Die Gesamt-Teilnehmerzahl wuchs rasch von unter 100 Teilnehmern auf über 1000 jährlich, 1928/29 sogar 1.580 Teilnehmer.

In den Jahren 1926 und 1927 veranstaltete das Boberhaus zwei „Grenzlandtagungen“ mit dem Thema „Jugend und Grenze“. Die Teilnehmer kamen großteils aus Grenzregionen wie Oberschlesien, Ostpreußen, Danzig, Posen, aber auch aus Wien. Weiterhin nahmen auch Angehörige der deutschen Minderheiten aus Tschechien und der Slowakei teil. Als Ergebnis wurde festgehalten: Jugend solle sich möglichst grenzenlos bewegen dürfen, aber nicht mit „völkischem Übereifer missionieren“.

Das Haus finanzierte sich zu etwa 70 % (1932/33) aus Eigeneinnahmen. Die Zuschüsse der öffentlichen Hand betrugen 1932/33 2,08 RM je Tag und Besucher. Lehrgangsteilnehmer waren zu je etwa einem Drittel Studenten, Schüler und Berufstätige (Lehrer, Sozialberufe, Landwirte, Hauswirtschaftlerinnen, Arbeitnehmer aus Industrie, Handel, Handwerk und Verwaltung sowie Freiberufler). Ab 1929 fanden insgesamt drei mehrmonatige Winterkurse für junge Bauern, Arbeiter (damals meist Arbeitslose) und Studenten statt, die neben körperlicher Arbeit, wie Renovierungen im Hause, auch geistige Auseinandersetzungen und Diskussionen z.B. über die Situation der Weimarer Republik sowie als Freizeitaktivitäten Skifahren und Rodeln umfassten. Für die Arbeitslosen erhielt das Haus Teilnehmerbeiträge aus der staatlichen Erwerbslosenunterstützung. Auch fanden im Boberhaus mehrere Urlaubs-Freizeiten für Lehrlinge und „Jungarbeiter“ als Ausgleich zum Arbeitsleben mit sportlicher, geistiger und musischer Freizeitgestaltung statt.

Ende August 1931 führte das Boberhaus zusammen mit der pazifistisch orientierten „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit eine einwöchige internationale „Sommerschule“ durch. Dabei ging es darum, ob auf der Grundlage des Versailler Vertrages für die Grenzziehung zwischen Deutschland und Polen eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden werden könne. Die ausländischen Tagungsteilnehmer kamen aus USA, Frankreich, Tschechien, Polen und Österreich. Auch deutsche Juden nahmen daran teil. Diese Tagung war dann im August 1933 einer der wesentlichen NS-Hochverratsvorwürfe in einem politischen Verfahren gegen das Boberhaus und seine Trägergruppe.

Ende März 1932 veranstaltete das Boberhaus erstmals ein einwöchiges „Richtkolleg“ mit breiter Beteiligung, bei dem die Erfahrungen der bisherigen Arbeitslager (s. Ziff..3) im Hinblick auf deren künftige Gestaltung ausgewertet wurden. Neben den Verantwortlichen bisheriger Arbeitslager nahmen daran auch Vertreter interessierter Verbände, Genossenschaften sowie regionaler und örtlicher Behörden teil. Ergebnis war eine Entschließung mit sieben Empfehlungen zur künftigen Gestaltung der Freiwilligen Arbeitslager. Sogar 1934 und 1935 konnten nochmals zwei weitere „Richtkollegs“ stattfinden, die im Wesentlichen noch von Wissenschaftlern aus dem Kreis der SJM getragen wurden und zu denen auch noch einige Vertreter aus den betreffenden Nachbarländern eingeladen werden konnten. Bei diesen „Südosteuropa-Kollegs“ ging es vorrangig um die „kulturellen und sozialen Werte“ dieser Länder, ihre (meist misstrauische) Einstellung zueinander und gegenüber Deutschland sowie die Situation der jeweiligen deutschen Minderheiten.

Im Boberhaus fanden auch sog. Wissenschaftslager statt, in denen die Ergebnisse einzelner Dorfwochen ( vgl. unten Ziff. 9: „Dorfforschung“) ausgewertet wurden.

Auch wirkte das Boberhaus und die SJM intensiv in der Jugendmusikbewegung mit, die vor allem von Fritz Jöde und Georg Götsch (Musikheim Frankfurt Oder) getragen wurde. So veranstaltete das „Tetraeder“ mit vier SJM-Angehörigen seit 1924 zahlreiche Konzerte mit vorwiegend barocker und vor-barocker Musik in verschiedenen schlesischen Städten und im schlesischen Rundfunk. Auch beteiligten sich SJM-Angehörige häufig an den „Görlitzer Musikwochen“, im Februar 1926 fand die dritte dieser Musikwochen im Boberhaus statt. Georg Götsch, der Leiter des Musikheims in Frankfurt/Oder, sprach vom Boberhaus als einem „großen Schmelztiegel“ sozialer Gruppen.

Der Breslauer Rechtshistoriker und Soziologe Rosenstock-Hüssy beabsichtigte , das Boberhaus zu einer Außenstelle der Breslauer Universität zu einer Art „Laboratorium für Begegnungsstudien“ zu machen, in dem Menschen sich „vor Ort“ begegnen könnten, um sich in persönlichen Gesprächen, Diskussionen, Arbeitsgemeinschaften und Arbeitslagern „zusammenzusprechen statt auseinander-zusetzen“, und so durch „Zusammenleben“ zur Volkbildung beizutragen. (Bemerkung des Verfassers: bei Johannes Rau hieß das später: „versöhnen statt spalten“ und bei Angela Merkel: „den Gemeinsinn stärken“). Als Sozialpädagoge sah Rosenstock nach englischem Beispiel im Boberhaus auch ein „Landheim“, das eine Fächer-übergreifende intensive Begegnung und Zusammenleben zwischen Lehrenden und Lernenden der Universität ermöglichen sollte. Wegen des Bruchs zwischen Rosenstock-H. und der Jungmannschaft im Jahr 1930 wurde aber die Planung zur Einrichtung einer Universitätsaußenstelle im Löwenberger Boberhaus nicht mehr verwirklicht.

Auch zur englischen settlement-Bewegung und zur dortigen beispielhaften Erwachsenenbildung (Rolf Gardiner), deren Tradition bis ins späte 18. Jahrhundert zurückreicht, unterhielt das Boberhaus und seine Trägergruppe eine intensive Beziehung.

Leiter des Hauses waren nacheinander: Ernst Seliger, Roman Kapuste, Hans Dehmel, Hans Raupach, Georg Keil, Walter Greiff.

Bald nach Adolf Hitlers Machtübernahme geriet das Boberhaus in schwere Wasser. Es begann ein harter Existenzkampf, der schließlich, 1937, mit der Enteignung des Hauses durch die Nationalsozialisten endete. Das gesamte Personal wurde entlassen. In den letzten Kriegs-Monaten wurde das Boberhaus völlig zerstört, übrig blieb nur der Betonsockel.

Arbeitslager und „Löwenberger Arbeitsgemeinschaft“

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Im Rahmen der bereits erwähnten Schützengraben-Kameradschaften des ersten Weltkriegs lernten die Älteren der späteren „Jungmannschaftler“ auch Arbeiter und Handwerker näher kennen und schätzen und zwar nicht nur menschlich, als Personen, sondern auch deren praktische Berufe. Sie folgerten daraus, die Ausbildung künftiger Akademiker solle neben der Vermittlung von Theorie und theoretischer Lehrsätze auch Elemente aus dem praktischen Berufsleben umfassen (vgl. hierzu auch Ziff.5: Mitwirkung der SJM bei der Einführung eines „Werkjahres“). Dies forderten damals auch die Reformpädagogen Eugen Rosenstock-Huessy und Adolf Reichwein (Leiter des Jenaer Volkshochschulheims und später bekanntlich Widerständler im „Kreisauer Kreis“). Letzterer hatte sich mit seinem gegen die Restauration der gesellschaftlichen Verhältnisse der Kaiserzeit und den wieder erstehenden Akademiker-Dünkel an den Universitäten (Korporationen usw.) gerichteten Aufruf vom April 1921 nachdrücklich für ein „Zusammenwachsen der drei Bevölkerungsgruppen (Arbeiter, Bauern und Studenten) durch praktische Arbeit und geistige Auseinandersetzung“ eingesetzt (ab 1932 war er übrigens auch Mitglied des Boberhaus-Kuratoriums). Dies waren die geistigen und Erfahrungs-Grundlagen dafür, dass in die ab 1925 bis 1932 von Deutscher Freischar/ SJM/ Boberhaus veranstalteten insgesamt acht Arbeitslager die gemeinsame körperliche Vormittags-Arbeit als zentrales pädagogisches Element einbezogen wurde, neben geistiger Auseinandersetzung (Vorträge, Diskussionen) und musischer Betätigung (Musik, Theater, Tanz). Das erste Arbeitslager fand 1925 mit 50 Teilnehmern in Colborn bei Hannover statt. Bis 1927 handelte es sich noch um Studentenlager der Deutschen Freischar. Die ersten Leiter von Arbeitslagern waren Ernst Buske, Hans Dehmel, Georg Keil und Georg Götsch (musisch). Gruppenbildung war ein wesentliches Ziel. Im April 1927 veranstaltete das Boberhaus erstmals ein Arbeitslager, an dem auch junge Männer aus praktischen Berufen teilnahmen. Ab 1928 beteiligte sich auch die Deutsche Schule (späterer Volkshochschulverband) an den Arbeitslagern im Boberhaus. Grundlage war dabei der Gedanke A. Reichweins: Zusammenwachsen der drei Bevölkerungsgruppen durch praktische Arbeit und geistige Auseinandersetzung oder, wie Rosenstock-H. es ausdrückte: „Volkbildung durch Volksbildung“. Hans Raupach bezeichnete die Arbeitslager der SJM/des Boberhauses später einmal als ein „wegweisendes Unternehmen in der Weimarer Zeit“ (v.d. Trappen S. 277).

Die Arbeitslager waren eine Form der Selbsterziehung bis hin zum Selbsthilfeziel, das aus der englischen Siedlungsbewegung („settlement“) stammt, mit der sich, wie erwähnt, die SJM und das Boberhaus aufgrund der Englandfahrt und der Beziehung zu Rolf Gardiner eng verbunden fühlten. Auch sollten die Arbeitslager der Horizonterweiterung, Fortbildung sowie der Stärkung des musischen Interesses der teilnehmenden Arbeiter und Bauern dienen. Schließlich sollte die gemeinsame praktische Arbeit zu – auch für die Teilnehmer – befriedigenden, sinnvollen Ergebnissen führen. Sie wurden ab 1927 von der preußischen SPD-Landesregierung gefördert. Sie sah in ihnen auch eine Möglichkeit, Arbeitslose für zumindest einige Wochen sinnvoll zu beschäftigen und zugleich fortzubilden, deren gewaltig anschwellende Zahl ihr zusehends über den Kopf wuchs. Selbstverständlich trug die körperliche Arbeitsleistung der Teilnehmer als wesentlicher Bestandteil dieser freiwilligen Arbeitslager zugleich auch zur teilweisen Kostendeckung bei.

Im Sommer 1926 erhielt der junge Helmuth James von Moltke (geb. 1907) als Werkstudent im Landratsamt Waldenburg (Schlesien) tiefe Einblicke in die große Notlage seiner Heimatregion, des Waldenburger Berglandes. Für Mitte September 1927 lud er in enger Zusammenarbeit mit Rosenstock-Huessy, dessen Mitarbeiter Horst von Einsiedel sowie dem Boberhaus etwa 70 Personen des öffentlichen Lebens Schlesiens zu einer viertägigen Informationsveranstaltung über diese Region ein, in der ein Selbsthilfe-Modell für die Waldenburger Bevölkerung entwickelt werden sollte. Bei dieser Tagung wurde hierfür die „Löwenberger Arbeitsgemeinschaft“ gegründet und zugleich beschlossen, dass die dieser Initiative folgenden freiwilligen Arbeitslager (für Arbeiter, Bauern und Studenten) federführend vom Boberhaus vorbereitet und gesteuert werden sollen. Sie dienten in ihrem praktischen Teil dem Zweck, Notstandshilfe in dieser Region leisten und zugleich die Selbsthilfe der örtlichen Bevölkerung unterstützen. Ein erstes Arbeitslager dieser neuen Art fand mit etwa 100 Teilnehmern im März 1928 im Boberhaus statt. Dort begegneten sich – ganz im Sinn des oben erwähnten „Schmelztiegel-Theorems“ – nicht nur Berg- und Textilarbeiter, Handwerker und ungelernte Arbeiter sowie Bauern und Forstarbeiter sondern auch junge Studenten und ältere Gewerkschaftler, Atheisten und gläubige Christen, nationalistische Stahlhelmmitglieder und Kommunisten sowie Parteianhänger verschiedenster Richtungen. Die Diskussionen verliefen also häufig sehr kontrovers und führten keineswegs immer zu versöhnlichen Ergebnissen. Die praktischen Arbeiten konzentrierten sich dabei zunächst vor allem auf Haus und Gelände des Boberhauses. Bei der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft und den anschließenden Arbeitslagern im Boberhaus trafen übrigens auch verschiedene Persönlichkeiten des späteren Kreisauer Widerstandskreises erstmals zusammen, insbesondere gilt dies für H. J. v. Moltke und A.Reichwein, die sich beim Boberhaus-Arbeitslager vom März 1928 offenbar erst kennen lernten .

Am dritten Arbeitslager diese neuen Typs (März 1930) nahmen erstmals auch Frauen teil. Rolf Gardiner übernahm den musischen Programmteil. Die Gegensätze zwischen klassenbewussten Arbeitern, konservativen Jungbauern und „idealistischen“ Jungakademikern verschärften sich auch in diesen Lagern. Hierzu bemerkte Adolf Reichwein, dass eine Volksgemeinschaft nicht auf emotionaler Basis sondern trotz der bestehenden Gegensätze angestrebt werden solle!

Die Idee freiwilliger Arbeitslager verbreitete sich stark. Curt W. Bondy (nach dem Krieg Professor an der Universität Hamburg) und weitere Teilnehmer an Boberhaus-Arbeitslagern gründeten in Zusammenarbeit mit der Deutschen Schule (Volkshochschulverband) den Verein „Bund der Freunde und Förderer der Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten in Norddeutschland e.V.“. Zwischen 1930 und 1932 fanden „nach dem Boberhaus-Modell“ zahlreiche weitere Arbeitslager in Schleswig-Holstein, Baden, Hessen, Niedersachsen und Brandenburg statt, an denen meistens auch einige schlesische Jungmannschaftler teilnahmen. Im Gegensatz zu den sog. „Verbandslagern“, die grundsätzlich nur Mitgliedern des veranstaltenden Verbandes, Partei oder Kirche offen standen, vertrat die SJM bei diesen Arbeitslagern die Idee der „Volkslager für alle“, zu denen also alle Bevölkerungsgruppen Zugang haben sollte. Dabei seien „geschlossene Arbeitslager“ im Tagungsheim vorzuziehen, da gerade die Begegnung in der Freizeit (z.B. abends) besonders wichtig sei für den gegenseitigen persönlichen Austausch und dessen „katalysatorische“ Auswirkungen auf das Zusammenleben der Gruppe, mit erhofften gesellschaftspolitischen Auswirkungen.

Auch in Österreich, den Niederlanden, der Tschechoslowakei und in der Schweiz fanden nun weitere Arbeitslager nach der „Löwenberger Methode“ statt. Eine Sonderrolle spielte das „deutsch-englische Sommerlager“, das im August 1932 in der Nähe von Königsberg in enger Zusammenarbeit mit der dortigen Universität, insbesondere mit deren Englischem Seminar, stattfand. Daran beteiligten sich 40 englische und deutsche Studentinnen und Studenten. Hauptthema war: die Überwindung der Spezialisierung im Arbeitsleben durch Volksbildung, dies könne auch schöpferische Kräfte beim Einzelnen freisetzen. Ein für August 1933 geplantes Folgeseminar in England musste (nach Machtübernahme Hitlers) abgesagt werden.

Nach dem Krieg wurde das Arbeitslager-Modell von den ökumenischen Arbeitslagern der Aktion Sühnezeichen, den „work-camps“ der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD), vom „Aufbauwerk der Jugend in Deutschland“ und anderen wieder aufgegriffen.

Der Freiwillige Arbeitsdienst

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Aufgrund der zunehmenden Arbeitslosigkeit förderte die preußische Landesregierung bekanntlich bereits ab 1927 Freiwillige Arbeitsdienste zugleich mit der sozialpädagogischen Absicht, die Arbeitswilligkeit vor allem junger Arbeitsloser zu erhalten und durch Schulung deren künftige Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern. Aufgrund der wegen der tiefen Wirtschaftskrise überall in Deutschland explodierenden Massenarbeitslosigkeit setzte die Reichsregierung die „Braunskommission“ ein, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Dies führte dazu, dass im Juni 1931 in das Gesetz zur Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenunterstützung ein § 139a eingefügt wurde, durch den der freiwillige Arbeitsdienst eine rechtliche Grundlage erhielt. Ergänzt wurde diese Regelung durch die „Verordnung über den freiwilligen Arbeitsdienst“ vom 16. Juli 1932. Durch die Förderung eines Freiwilligen Arbeitsdienstes sollte die Arbeitsfähigkeit und –bereitschaft der – vor allem jugendlichen –Arbeitslosen erhalten und dem Gefühl „überflüssig zu sein“ entgegengewirkt werden. Es war also ein Programm zur Arbeitsbeschaffung, der Jugend- und Volksbildung sowie ein Selbsthilfeprogramm, das auf eigenständigen Lebensunterhalt der Teilnehmer, besonders auch arbeitsloser Lehrer abzielte. Der eingefügte Rechtsnorm unterschied zwischen einerseits „Trägern der Arbeit“, meistens öffentliche Körperschaften, wie Gemeinden und Kreise und andererseits „Trägern des Dienstes“, nämlich Verbände, die Arbeitswillige zusammenfassten, mit deren Hilfe sie die von den Kommunen usw. (Träger der Arbeit) angebotenen öffentlichen Arbeiten leisteten. “Träger des Dienstes“ war beispielsweise auch die „Deutsche Schule“ (heute Volkshochschulverband) sowie zahlreiche Verbände und Organisationen darunter auch die Deutsche Freischar, die sich bei der Gestaltung dieses Bereichs gemeinsam mit der SJM von Anfang an stark engagierte. Die Aufsicht und Gesamtkoordinierung zwischen „Trägern der Arbeit“ und „Trägern des Dienstes“ lag bei den Arbeitsämtern. „Träger des Dienstes“ erhielten von der Reichsregierung (über den Reichskommissar für den Freiwilligen Arbeitsdienst) 18 Pfennige je Teilnehmer und Tag als Vergütung für die von ihnen veranstalteten und geleiteten Freiwilligen Arbeitslager.

Neben körperlichen Arbeiten als Hauptelement umfasste das Programm der Freiwilligen Arbeitslager auch Vorträge, Wandzeitungen und Diskussionen (z.B. über Staat, Sozialismus, Planwirtschaft, aber auch über Wohngemeinschaften) sowie Entspannendes (Musizieren, Laienspiele, Skifahren und Geländespiele). Hinzu kamen Veranstaltungen für die örtliche Bevölkerung, z. B. Laienspiele, für die Eintrittsgelder genommen wurden. Am Anfang stand jeweils eine Kurzvorstellung der Teilnehmer. In politischen Diskussionen in den Lagern prallten, wie im Reich insgesamt, die politischen Gegensätze immer heftiger aufeinander. Dennoch konnte sich im „Schutzbereich dieser Arbeitslager“ eine gewisse kameradschaftliche Grundhaltung entwickeln. Die Grundstimmung litt allerdings stark unter der Ungewissheit über die berufliche Zukunft des Einzelnen nach Abschluss der Lager.

Auf Anregung von Hans Dehmel wurde 1931 ein „Ständiger zentraler Ausschuss“ der zahlreichen „Träger des Dienstes“ mit Zweigstellen in Freiburg, Heidelberg und Mannheim (Verfasser: warum nur in Baden?) gebildet. H. Dehmel selbst leitete eine im November 1932 in Breslau eingerichtete „Zentralstelle“ der Schlesischen Jungmannschaft für Fragen der Führung von Arbeitslagern und der Ausbildung von Leitern solcher Lager. SJM-Mitglied Rudolf Jentsch war Geschäftsführer dieser Zentralstelle. Hier wurden die Erfahrungen des Boberhauses, von SJM-Mitgliedern und anderer Trägern des freiwilligen Arbeitsdienstes aus bisherigen Arbeitslagern gesammelt, verwertet und kommuniziert. Auch leistete diese Stelle mit ihren insgesamt acht Mitarbeitern logistische Hilfen für solche Arbeitslager. Die Zentralstelle war dem Reichskommissariat für den Freiwilligen Arbeitsdienst zugeordnet und wurde von diesem auch finanziert.

Nun strömten bereits mehrere zehntausend jugendliche Arbeitslose in die Arbeitslager zur freiwilligen Leistung öffentlicher, also gemeinnütziger Arbeiten. Anfang September 1932 wurde das Boberhaus vom „Reichskommissar für den Freiwilligen Arbeitsdienst“ mit der Ausbildung von Führungskräften für Freiwillige Arbeitslager beauftragt („Arbeits-lagerkolleg“). Der erste Kurs fand im November 1932 als „Musterlager“ im Boberhaus statt. An diesem sechswöchigen Kolleg nahmen 48 Männer aus ganz Deutschland teil. Ein weiterer Kurs für Gruppenleiter folgte Anfang Januar 1933 im Boberhaus. Vom November 1932 bis Februar 1933 fand dann auch für weibliche Gruppenleiter ein solcher Kurs im Boberhaus statt. Zum 1. Januar 1933 wurde Hans Dehmel beim „Reichskommissar für den Freiwilligen Arbeitsdienst“ zur Gesamtsteuerung der Schulung von Führungskräften für den Freiwilligen Arbeitsdienst angestellt.

Zum Zweck der Koordinierung des Gesamtprogramms in Schlesien fand in Rogau-Rosenau (vgl. Ziff. 9 „Dorfforschung“) eine „erste schlesische Arbeitsdiensttagung“ mit intensiver Beteiligung aller mitwirkenden Verbände und staatlichen Stellen statt. Dabei setzten sich Deutsche Freischar/SJM und Boberhaus engagiert für allen zugängliche „Volkslager“ ein (statt Zugangs-beschränkter „Verbandslager“) sowie für „geschlossene“ Arbeitslager mit Unterbringung am Ort (statt „offener“, die nur tagsüber stattfanden), vgl. oben Abschnitt „Arbeitslager“. Zur konzeptionellen und praktischen Unterstützung dieses Modells richtete SJM-Mitglied Hans Raupach 1932 in Berlin eine unter anderem vom Deutschen Studentenwerk geförderte „Mittelstelle für Arbeitsdienst in Volkslagern“ ein. Die persönliche Stelle von H. Raupach wurde dabei durch ein Stipendium der Lincoln-Stiftung finanziert (Treuhänder dieser Stipendien waren in Deutschland der Liegnitzer Regierungspräsident Simons und der frühere preußische Kultusminister Becker).

Zusammen mit O. Matschoss hatte H. Raupach eine „Denkschrift“ zur Schulung von Arbeitslager-Leitern erstellt und gab die Arbeitslager-Zeitung „Pioniere“ heraus. Auch wurde in der „Mittelstelle“ ein erstes Projekt zur Ansiedlung zwecks Beschäftigung von Arbeitslosen auf der Insel Rügen ( aufgegebenes Gut Berghase) als Selbsthilfeprojekt vorbereitet („Re-Agrarisierung“ angesichts der Unzahl beschäftigungsloser Industriearbeiter). Konzeptionell wurde diese Arbeit von den SJM-Mitgliedern Rudolf Jentsch und Georg Keil in Zusammenarbeit mit der „Volkshochschul-Stelle“ der Universität Breslau unterstützt. Gotthard Gambke entwarf in diesem Rahmen1932 ein Modell für dreimonatige Freiwillige Arbeitslager, das nach zweimonatiger Arbeit auf dem Lande (Erntehilfen usw.im Sommer) oder Hilfe in Industie- oder Hanswerksbetrieben (im Winter) auch eine mehrwöchige Freizeit in einem Urlaubsgebiet bzw. eine Skifreizeit vorsah.

Die „Mittelstelle“ sollte ein „Pfahl im Damm gegen die Braune Flut“ im schon beginnenden Machtkampf mit der NSDAP um die Gesamtführung in der Arbeitslagerbewegung sein (vgl. Walter Greiff, S.36). Nach der Machtergreifung von Hitler wurde diese Mittelstelle in den NS-„Bund für den deutschen Volksdienst“ eingegliedert und deren aus der SJM stammende Führungskräfte und Mitarbeiter entlassen. Wie stark die „braune Flut“ damals anschwoll und nach und nach auch die Freiwilligen Arbeitslager der SJM überschwemmte, zeigt auch der Verlauf der SJM-Arbeitslager, die Ende 1932 begannen und daher bei der NS-Machtergreifung noch nicht abgeschlossen waren. So leitete SJM-Mitglied Klaus Stelling 1932/1933 ein mehrmonatiges Lager in Pilchowitz (Oberschlesien), dessen 50 Teilnehmer (darunter fünf Frauen) eine aufgegebene große Domäne wieder bewirtschaftbar machten sollten (Selbsthilfemaßnahme). Daran nahmen vor allem Kleinbauern und beschäftigungslose Landarbeiter teil. Nach der Machtergreifung im Reich stockte die NSDAP die Teilnehmerzahl durch landwirtschaftlich völlig unerfahrene Abiturienten, Junglehrer usw. auf 220 Personen auf, entließ den SJM-Lagerleiter Stelling und gliederte das Pilchowitz-Lager in den NS-Arbeitsdienst ein.

Ein anders von der SJM/Boberhaus geleitetes Freiwilliges Arbeitslager in Hagendorf (in der Nähe von Löwenberg), das dem Wegebau im Hagendorfer Wald und der Entwässerung dienen sollte, wurde im Mai 1933 vom NS-Staat aufgelöst.

Demgegenüber konnte das Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes in Suckau bei Neustädtel (Niederschlesien) bis Herbst 1933 von SJM-Mitgliedern geleitet werden. Anfangs, ab Anfang Oktober 1932, leitete es Walther Mathäus, ein arbeitsloser Lehrer aus dem Ort, ab Mitte Oktober aber dann SJM-Mitglied Eberhard Schiöberg bis 1. August 1933. Zwischdurch übernahm von Anfang Januar bis 15. März 1933 SJM-Mitglied Erich Waniek die Leitung des Lagers. Die Freiwilligen wohnten in einer von der Herrenhuther Brüdergemeinde aufgegebenen Flachsspinnerei, die sie für ihre Bedürfnisse herrichteten. Die über hundert Teilnehmer, darunter 18 Frauen, bauten und verbesserten in Neustädtel Straßen und Kanäle. Zugleich war dieses Lager auch „Selbsterziehungsprojekt“ für die teilnehmenden Jugendlichen. Schließlich sollte daraus eine auf Dauer angelegte „Kameradschafts-siedlung“ für die Teilnehmer werden. Da aber ab Anfang August 1933 das Lager vom NS-Arbeitsdienst übernommen wurde, war daran nicht mehr zu denken.

Über die von der SJM geleiteten Freiwilligen Arbeitslager für junge arbeitslose Frauen (z.B. 1932/33 in Loos) berichtet v.d. Trappen nur kurz.

Das Modell des Freiwilligen Arbeitsdienstes wurde auch von anderen Ländern und Regionen wie Österreich, Lettland, Siebenbürgen, Bessarabien, Danzig und auch von den USA übernommen (v.d. Trappen bezieht sich hierbei auf eine Aussage von SJM-Mitglied Ernst Bargel, s. dort S. 368 und 405).

Mitwirkung der SJM bei der Einführung von Berufspraktika für Abiturienten und Studenten („Werkjahr“)

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Der verlorene Krieg war für Deutschland eine Zeitenwende, fast alle Bevölkerungskreise und –schichten waren in einer Notlage, auch die meisten Studenten mussten sich ihr Studium selbst verdienen. Der Begriff „Werkstudent“ wurde erstmals beim Deutschen Studententag 1921 verwendet. Aus der praktischen Erfahrung im Arbeitsleben entstanden bei selbst verdienenden Studenten Zweifel am Realitätsbezug ihrer gymnasialen sowie generell an der rein wissenschaftlichen Ausbildung. Zugleich verwischten diese Praxiserfahrungen immer mehr die bisherigen Standesgrenzen und wirkten Dünkeln entgegen. Verstärkt wurde das durch die Inflation von 1923, die „alle arm machte“. Bereits 1921 veröffentlichte Adolf Reichwein die Schrift „Ferienarbeit“, die außer körperlicher Arbeit auch geistige Betätigung und gesellig-musische Entspannung enthalten solle (Pestalozzi: Kopf, Herz und Hand). Eugen Rosenstock-Huessy und sein damaliger Assistent und SJM-Mitglied Albert Mirgeler schlagen Ende der zwanziger Jahre ein fachschaftsübergreifendes „Dienstjahr“ für Studenten, z.B. als Praktikum in einem Boberhaus-Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten vor (im Sinne der Rosenstockschen Devise: “zusammensprechen statt auseinandersetzen“). SJM-Mitglied Eberhard Wolff veröffentlichte zusammen mit Otto Matschoss und Georg Götsch die Schrift „Das Werkjahr“ als Quellenforschung. Otto Matschoss hatte 1932 als erster aus dem SJM-Kreis selbst ein solches freiwilliges Werkjahr absolviert. Auch die SJM-Mitglieder Georg Keil, Hans Dehmel, Fritz Berger und Gotthard Gambke entwickelten hierfür praktische Gestaltungs- und Durchführungsvorschläge.

Aufgrund der zahlreichen Anregungen, auch aus der Schlesischen Jungmannschaft beschloss die Regierung Schleicher schließlich, ab Ostern 1933 ein freiwilliges Werkhalbjahr für Abiturienten und andere Jugendliche als „uneigennützigen Dienst am Volk und an der Gemeinschaft“ und zur Erprobung von Selbsterziehungsformen einzuführen, was dann aber nach Hitlers Machtübernahme nicht mehr umgesetzt werden konnte.

Deutsche Akademische Freischar an der Universität Breslau

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1923 gründeten Angehörige der SJM nach dem Marburger und Jenaer Modell von Knut Ahlborn auch an der Universität Breslau eine „Deutsche Akademische Freischar“ (DAF). Sie stand im Rahmen der damaligen Bestrebungen zur Reform der deutschen Universitäten für „Übung statt Lehre“, also gegen „verkopftes Studium“, „graue Theorie“, Praxis- und Lebensferne, Akademikerdünkel sowie gegen ein Wiedererstehen von Korporationen und Untertanengeist aus der Kaiserzeit. Folgerichtig hatten auch Nicht-Akademiker freien Zugang. So waren nur knapp über 60 % der Mitglieder der DAF an der Universität Breslau Akademiker (über 40 % waren also „werktätige Bundesbrüder“, so Hans Dehmel). Die DAF veranstaltete außeruniversitäre Arbeitsgemeinschaften und Arbeitslager mit Praktikern z.B. über Schul- und Lehrerbildungsreform, über Volksbildung und Sozialpädagogik, aber auch über die (junge) Sowjetunion und ihr Verhältnis zu Deutschland. Die Orientierung der DAF war dabei sozialwissenschaftlich und interdisziplinär. Hinzu kamen Freizeit-Aktivitäten wie Laienspiele, Tanzen, Rettungsschwimmen, Jiu Jitsu-Kurse, Winterlager im Riesengebirge, aber auch Praktika in Jugendgefängnissen und Fürsorgeanstalten. Angesichts der intensiven Aktivitäten kam bei manchem das eigentliche Studium etwas kurz.

In enger Beziehung zur DAF Breslau entstand der „Breslauer Club“ der SJM. Er veranstaltete Diskussionen über aktuelle politische Fragen, aber seit 1931 auch wöchentliche „Heimschulungsabende“ im SJM-Wohnheim Freiburger Straße (s.u.), z.B. über Länder wie Italien, USA und UdSSR oder es wurde musiziert.

Der im Wintersemester 1927/28 von den SJM-Mitgliedern Hans Richter und Ehrenfried Schütte gegründete Deutsch-ausländische Akademikerklub sollte ausländischen Studenten helfen, sich an der Universität und TH Breslau sowie im praktischen Leben in der Stadt zurecht zu finden. Im Rahmen dieses Klubs fand monatlich in Privathäusern ein „jour fixe“ mit entsprechend internationaler Besetzung (bis zu 17 Nationen) statt sowie alle 14 Tage ein „Café-Haus-Treffen“, außerdem: Exkursionen oder Ausflüge innerhalb Schlesiens, Betriebs- und Museumsbesuche, internationale Tee-Abende sowie Informations-, Diskussions- und Werbeveranstaltungen für die SJM und ihre Aktivitäten (z.B. zur Förderung der Freiwilligen Arbeitslager). Auch übernahm der Klub in Breslau die Betreuung ausländischer Studentengruppen, die durch Deutschland reisten. Höhepunkte waren die Semesterbälle mit kulturellen Darbietungen der Gaststudenten im Hotel Monopol, an denen auch Vertreter des diplomatischen Corps teilnahmen.

Wohnheime der SJM in Breslau und Berlin

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Die Idee „Wohnheime“ entstand erstmals als ältere Wandervögel aus dem 1. Weltkrieg zurückkehrten und eine preiswerte Unterkunft in „Gemeinschaftsheimen“ suchten, was vom Breslauer Wohnungsamt abgelehnt wurde (keine Wohnung für mehrere Männer!).

Erst Ende 1930 konnte die SJM eine erstes „Wohnheim für Studierende“ aus der SJM und deren Freundeskreis in Breslau (Freiburgerstraße) einrichten. Dem folgte eine größere „Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ mit fünf Zimmern in der Breslauerstraße (später Palmstraße) zu der insgesamt zwölf jüngere Männer und Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft, als Studierende und Berufstätige gehörten. Es gab Grundregeln für das Zusammenleben, Pflichten jedes Einzelnen. „Heimleiter“ war ein älteres SJM-Mitglied mit jugendpflegerischer Erfahrung. Er und die „Wirtschaftsleiterin“ wohnten frei. Mobiliar und Hausrat wurden teilweise von einheimischen Breslauern gestiftet. Das Wohnheim war zugleich Begegnungsstätte für Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, es fanden Lehrgänge und Fortbildungskurse, auch für Erwerbslose sowie Arbeitsgemeinschaften, auch mit Außenstehenden statt. Es gab sogar Kasperletheater für Kinder aus der Nachbarschaft sowie montags Instrumental- und Vokalmusik. Im Anschluss an die Ideen der englischen settlement-Bewegung (Rolf Gardiner) wurden dort auch Planungen für Erwerbslosensiedlungen auf aufgegebenen Bauernhöfen oder am Stadtrand von Breslau entworfen. Nach dem Umzug in eine noch größere Wohnetage (Palmstraße) pachtete die WG noch ein Gartengrundstück dazu, das sie als Gartengenossenschaft bewirtschaftete. So wurde die WG eine Art Selbsthilfeunternehmen, das nur wenig staatliche Unterstützung erhielt. Erwerbstätige Bewohner mussten mehr bezahlen als Erwerbslose. In Hausversammlungen wurde über Regeln für das Zusammenleben im Haus abgestimmt. Bei der Fortbildung arbeitete das Wohnheim mit der Breslauer Volkshochschule zusammen. Arbeitsgemeinschaften befassten sich mit Fragen wie: „Gibt es Wege aus der Krise?“ und „Wo gibt es neue Lebensmöglichkeiten für die Jugend?“. Ende 1932 entstand ein weiteres SJM-Wohnheim am Breslauer Salvatorplatz.

Die Wohnheime waren zugleich sozialpädagogische und wirtschaftliche Unterstützungs-programme für Arbeitslose in der damaligen Notsituation, zusätzlich sollten auch sie zur „Volksbildung durch Volkbildung“ beitragen. Zur Stärkung solcher Selbsthilfe-WG’s sowie der Beiträge, die die Freiwilligen Arbeitslager beim Kampf gegen die extreme Arbeitslosigkeit leisteten, rief Reichskanzler Schleicher Mitte Dezember 1932 zum „Notwerk der deutschen Jugend“ auf. Dieses bezog auch junge Frauen ein, für die einige SJM-Frauen besondere Fortbildungskurse sowie ein Wohnheim in Breslau einrichteten (Garrestraße).

1932 mietete das SJM-Ehepaar Raupach und später Ernst Bargel auch in Berlin Wohnheime, in denen SJM-Mitglieder, Gäste des akademischen Austauschs und andere bei einem gelegentlichen Berlinaufenthalt wohnen konnten (z.B. machte auch Adolf Reichwein davon Gebrauch). Einige, wie Hans Dehmel und seine Familie, wohnten dort ständig, da er bekanntlich noch unter der Regierung Schleicher ab Anfang 1933 beim „Reichskommissar für den Freiwilligen Arbeitsdienst“ angestellt war.

Im Berliner Wohnheim (Flotowstraße) fand an Ostern 1933, im Sommer 1933 auch im Haus am Breslauer Salvatorplatz Hausdurchsuchungen durch die Gestapo statt, die allerdings wenig erbrachten, da belastendes Material rechtzeitig vorher beiseite geschafft worden war, vor allem von Georg Keil und Ehrenfried Schütte.

„Mittelstelle für Jugendgrenzlandarbeit“ (Berlin)

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Bis April 1933 war SJM-Mitglied Ernst Bargel Geschäftsführer der 1925 vom Auswärtigen Amt gegründeten „Mittelstelle für Jugendgrenzlandarbeit“ (ab 1930: „Mittelstelle deutscher Jugend in Europa“). Ihr gehörten mit umfangreichen Mitbestimmungsrechten weit über 100 Jugendverbände an, auch der Gewerkschaften und Parteien (aber ohne NS- und KP-Jugendverbände). Diese „Mittelstelle“ war vom AA beauftragt, Auslandsreisen deutscher Jugendverbände zu fördern und zu koordinieren, aber auch zu „steuern und überwachen“. Sie nutzte wegen der engen personellen Beziehung auch das Boberhaus für die Schulung von Fahrt- und Reiseteilnehmern sowie zur Nachbereitung von Reisen. Sie gab das Nachrichtenblatt „Zwiespruch“ heraus. Insgesamt bleibt hier jedoch die Dissertation von der Trappens ziemlich vage, zumal es sich ja nicht um eine Initiative der SJM handelt, sondern um eine Gründung des AA und das Boberhaus wegen der engen personellen Verbindung zu dessen Geschäftsführer E. Bargel lediglich „im Auftrag“ tätig wurde. Dieser wurde jedoch bereits im Juni 1933 vom neu ernannten „Reichsjugendführer“ Baldur von Schirach entlassen, vermutlich wegen unüberbrückbarer konzeptioneller Differenzen. Die „Mittelstelle“ wurde nun zum Auslandsamt der Hitlerjugend. Jürgen von der Trappen wertet dies als „Liquidation einer von der Jugend eigenverantworteten Auslandsarbeit“ (S. 187).

Die Dorfforschung der Schlesischen Jungmannschaft

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Beim Besuch einer SJM-Gruppe in Rumänien 1930 beeindruckte diese besonders der von Professor Dimitrie Gusti (Universität Bukarest) entwickelte Ansatz der „Dorfforschung“. H. Klocke, der – als Assistent von Professor Ipsen (Leipzig) – die Rumänienfahrt wissenschaftlich leitete, nahm den Ansatz auf. Gemeinsam mit der Universität Breslau, veranstaltete die Boberhausgruppe nun auch ihrerseits in einigen Dörfern Niederschlesiens „Dorfwochen“, z. B. im Frühjahr 1931 das Dorfforschungsprojekt Rogau-Rosenau am Zobten. Damit schloss die SJM zugleich an Wandervogel-Ernteeinsätze nach dem Krieg an sowie an den früheren „Landdienst“ und Erntehilfen der „Jungenschaften“ der Deutschen Freischar. Dorfwochen sollten dazu dienen, die Notsituation der Landwirtschaft und der ländlichen Gesellschaft durch Stärkung der Selbsthilfe zu lindern und zugleich das starke Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land vermindern helfen.

Im September 1931 fanden weitere drei Dorfwochen in verschiedenen schlesischen Dörfern statt (Märzdorf, Himmelwitz, Pawelau). Die SJM arbeitete hierbei mit den Pädagogischen Akademien in Breslau (Lehrerbildung) zusammen: SJM und Päd. Hochschulen entsandten jeweils ein gemischtes Team von 10 bis 12 Studenten, die etwa 10 Tage im betreffenden Dorf bei Gastfamilien wohnten, vormittags (6 – 12 Uhr) körperlich mitarbeiteten, dabei beobachteten und befragten; nachmittags unterrichteten sich die Team-Mitgliedern wechselseitig mit anschließendem Meinungsaustausch samt Referaten und Diskussionen. Ziel war es, die soziale und wirtschaftliche Situation des betreffenden Dorfes Mosaik-artig zu erfassen (Ernährungs- und Gesundheitssituation der Bewohner, Familienaufbau, Traditionen und Dorfgeschichte, Beziehungen zu Nachbardörfern usw.). Darauf aufbauend sollten – wie gesagt – Vorschläge für wirtschaftliche Selbsthilfemaßnahmen und für die Bildungsförderung erarbeitet und umgesetzt werden, die allerdings dann – nach der NS-Machtübernahme – nicht mehr realisiert werden konnten. Zugleich sollten die Dorfwochen der pädagogisch-praktischen Vorbereitung späterer Dorflehrer dienen. Hierfür entwickelten die beteiligten SJM-Mitglieder den „Pädagogischen Dienst“, mit dem sie die praktische Dorfforschung unterstützen und Hilfe bei der Stärkung des Gemeinschaftslebens auf dem Dorf leisten wollten, zugleich sollte der „Pädagogische Dienst“ aber auch als Schulungmaterial für junge Lehrer dienen, die an den Dorfwochen zur Stärkung ihrer dörflichen Praxiserfahrung teilnahmen. Deshalb wurde er von der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ als „Wissenschaftliche Akademikerhilfe“ anerkannt und daher von der Arbeitslosenversicherungsanstalt auch gefördert. Der „Pädagogische Dienst“ veranstaltete nun auch selbst Dorfwochen in den schlesischen Dörfern Mauer, Langneudorf und Kesselsdorf und danach zur Erfahrungsauswertung ein „Wissenschaftslager“ im Boberhaus. Vor der Gleichschaltung auch dieses Bereichs durch die NS-Regierung begann noch im Januar 1934 eine von Professor Heinrich Bechtel geleitete und in Zusammenarbeit mit dem Boberhaus, besonders SJM-Mitglied Heinz Beutler, durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung der Agrarregionen um Löwenberg und Militsch, die für insgesamt 40 Wochen angelegt war, aber nicht zu Ende geführt werden konnte..

Ein Aufruf von Jungmannschaftsmitglied E. Schütte, der ein Semester in Grenoble studiert hatte, eine Jungmannschaftsgruppe zur Hilfeleistung nach Art eines Arbeitslagers in ein 1932 (?) vom Hochwasser in Südfrankreich verwüstetes Gebiet zu entsenden, wurde von der deutschen Botschaft Paris politisch abgelehnt. Diese Initiative, so die konservative „Schlesische Zeitung“ sowie die Zeitschrift „Kladderadatsch“, sei national würdelos. Dies war damals in Deutschland leider herrschende Meinung über Hilfsaktionen von Deutschen in Nachbarländern.

  • Gerhart Schöll, Das Boberhaus in Löwenberg, der Boberhauskreis und sein Nachwirken in der Erwachsenenbildung nach 1945, in: Ciupke/Jelich/Kenkmann/Stambolis (Hsg.): Jugendbewegung und Erwachsenenbildung. Historische Jugendforschung/Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung, NF Band 8/2011, Schwalbach 2012. Aus dieser Veröffentlichung wurde insbesondere der Abschnitt A 1 (Großfahrten und Vita von Hans Dehmel) übernommen sowie der Abschnitt über die Weiterentwicklung des AKE)
  • Jürgen von der Trappen, Die Schlesische Jungmannschaft in den Jahren von 1922 bis 1932. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Jugendbewegung, Dissertation (Universität/ Gesamthochschule Essen, 1996) unter Auswertung des von SJM-Mitglied Till Neumann geführten Archivs des Boberhauskreises
  • Herausgeber: Walter Greiff, Rudolf Jentsch, Hans Richter, Gespräch und Aktion in Gruppe und Gesellschaft 1919–1969 (Freundesgabe für Hans Dahmel), dipa-Verlag Frankfurt a.M. 1970
  • Walter Greiff, Das Boberhaus in Löwenberg/Schlesien 1933–1937 – Selbstbehauptung einer nonkonformen Gruppe, Sigmaringen 1985.