Benutzer:Hilda Inderwildi/Patrimoines nomades

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Seit 2016 trägt das Projekt „Patrimoines nomades/ Nomadenerbtümer“ (Kriegserbe im deutsch/österreichisch-französischen Bereich) das Label Mission du Centenaire und wird über eine Laufzeit von vier Jahren (bis 2020) von einem Team bestehend aus Mitgliedern der Forschungsgruppe CREG (Centre de Recherches et d’Études Germaniques) der Universität Toulouse-Jean Jaurès und deren verschiedenen Partnern durchgeführt.


Zur Entstehung

Die Entstehung des Projekts geht zurück auf ein Schreiben von Herrn Joseph Corteggiani, dem Leiter der Einrichtung Notre-Dame de Garaison1, der dieses im Jahr 2015 an das Rektorat der Universität Toulouse-Jean Jaurès richtete und das CREG um die Übersetzung von Auszügen aus zwei Texten bat, die 1915 in Deutschland veröffentlicht worden waren. Die Anfrage betraf die Berichte von Gertrud Köbner und Helene Schaarschmidt2, zwei deutschen Frauen, die sich im Jahr 1914 im Kloster Garaison in Gefangenschaft befanden. Die Übersetzungen wurden von Mitgliedern des CREG kollektiv geleistet. Die Garaison betreffenden Auszüge wurden von dem Filmemacher Xavier Delagnes in seinen Dokumentarfilm über das Lager, Loin de Verdun [Fern von Verdun, 52’, 2015] eingebaut. Die Übersetzungsarbeit, die auch Ermittlungsarbeit und Spurensuche war, führte in das Archiv des Départements Hautes-Pyrénées, dessen Präfektur für das Lager Garaison zuständig war. Der unter dem Buchstaben R („Militärische Angelegenheiten 1800-1940“), Abschnitt 9 R („Feindliche Kriegsgefangene“) archivierte Datenbestand entspricht fast 8 Metern aneinandergereihter Dokumente. Angesichts der kurzen Betriebszeit des Lagers von 1914 bis 1918 handelt es sich dabei um einen beträchtlichen Bestand, der sowohl Informationen über die Organisation des Lagers (Berichte und Briefwechsel des Direktors, Lagerordnung, Disziplinarmaßnahmen, Buchhaltung, Materialverwaltung, Infrastruktur, Einrichtungen wie Schule oder Krankenstation...) als auch über die Internierten (numerisches Verzeichnis nach Nationalität, Namenslisten, personenbezogene Daten, Personalakte, Güterbestand der Internierten, Verlegungen, Überführungen, Versetzungen oder Rückführungen...) liefert. Er dokumentiert die Vielfalt der Lebenswege und liefert vor allem ein Bild von der österreichisch-deutschen Immigration zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Eines der Hauptziele des Projekts bestand darin, mehr über Gertrud Köbner und Helene Schaarschmidt in Erfahrung zu bringen, über ihre Identität und ihre Lebensläufe – vor allem auch über die Lebensabschnitte, die über den Weg von Reims oder Neuilly (Paris) nach Garaison, von dem sie in ihren Berichten erzählen, hinausgehen. Die Partnerschaft des CREG mit dem Archiv des Départements Hautes-Pyrénées und der Einrichtung Garaison ist ein unmittelbares Ergebnis dieses Prozesses. Das Toulouser Forschungsprojekt weist einen innovativen Charakter auf, denn die behandelten Tagebücher der Internierten sind in Frankreich bis jetzt unveröffentlicht und auch den Wissenschaftlern, die sich bereits mit dem Thema befasst haben, weitgehend bzw. vollkommen unbekannt.


Das Team

An dem Programm „Patrimoines nomades/ Nomadenerbtümer“ sind 18 ForscherInnen der Universitäten Montpellier und Toulouse aus den Bereichen Germanistik und Kulturgeschichte beteiligt: Mitglieder des Teams sind (bzw. waren) Marie-Christin Bugelnig, Andrea Bunzel, Mechthild Coustillac, Alexa Craïs, Lucile Dreidemy, Dominique Trouche, Hélène Florea, Hilda Inderwildi (Projektleiterin), Jacques Lajarrige, Lucas Laval, Pauline Landois, Hélène Leclerc (Projektleiterin), Alfred Prédhumeau, Nina Régis-Scholz, Joanne Sanlaville, Sonia Schott, Christina Stange-Fayos, Fabien Wannack. Das wissenschaftliche Gremium bilden die Historiker Patrick Cabanel (École Pratique des Hautes Études), Rémy Cazals (Université Toulouse Jean Jaurès), Herfried Münkler (Humboldt-Universität Berlin). Weiterhin wirken insbesondere der Leiter des Archivs, François Giustiniani, und der für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Archivar, Cédric Broët, am Forschungsprogramm mit. In enger Zusammenarbeit mit den Archivaren erstellt das Team der Schule von Garaison (u. a. Gilles Courtin, Morgane Dauga, Jean-Michel Delavault, Alexandra Lapoutge, Fabienne Laran, Muriel Mothe, Franz Petiteau) jedes Jahr biografische Tafeln, die den Lebensweg von Internierten nachzeichnen. Die sich fortlaufend bereichernde Sammlung von Schautafeln wurde im Rahmen verschiedener Ausstellungen präsentiert.


Ziele

Das Projekt „Patrimoines nomades/ Nomadenerbtümer“ geht der Frage nach, welche Spuren die Erfahrungen mit oder in Frankreich zur Zeit des Ersten Weltkriegs im Gedächtnis deutscher oder österreichischer Zeitgenossen hinterlassen haben. Seine drei Hauptziele lassen sich wie folgt zusammenfassen: Es soll die Geschichte eines „Konzentrationslagers“3 des Ersten Weltkriegs im Südwesten Frankreichs wieder zu Tage fördern; es soll dazu beitragen, die Wahrnehmung Frankreichs in seiner exogenen (aus der Sicht von Nichtfranzosen) wie endogenen (aus der Sicht in Frankreich lebender Menschen) Dimension zu beleuchten; und schließlich geht es darum, sich für die Entdeckung oder Wiederentdeckung materieller und immaterieller Erinnerungsspuren in den verschiedenen Ursprungsländern der Internierten beitragen. Das Programm konzentriert sich auf die Geschichte kultureller Repräsentationen, die verschiedenen Formen von Zeitzeugnissen und ihre Übersetzung, stets in Verbindung mit den Begriffen der Exil- oder Nomadenerbtümer sowie Fragen, die deren Konservierung und Verbreitung betreffen. Es umfasst drei Teilbereiche: Forschung, Edition und Kulturvermittlung. „Patrimoines nomades/ Nomadenerbtümer“ ist inzwischen fest im regionalen Netz und in internationale Projekte eingebunden.


Näheres unter
https://creg.univ-tlse2.fr/
https://creg.univ-tlse2.fr/hauptseite/navigation/forschungsprojekte/nomadenerbtumer/
https://blogs.univ-tlse2.fr/garaison/
http://www.garaison.com
http://www.archivesenligne65.fr/
Garaison, ein Internierungslager in den Pyrenäen
Loin de Verdun


Literatur

Cazals Rémy (Hrsg.), Le dictionnaire et guide des témoins de la Grande Guerre sur le site du CRID 14-18 (Collectif de recherche international et de débat sur la guerre de 1914-1918) : http://www.crid1418.org/temoins/

Cubéro José, La Grande Guerre et l’arrière (1914-1919), Pau, éditions CAIRN, 2007, p. 227-250.

Cubéro José, Le camp de Garaison. Guerre et nationalités, 1914-1919, Pau, Cairn, 2017.

Farcy Jean-Claude, Les camps de concentration français de la première guerre mondiale, Paris, Anthropos historiques, 1995.

Köbner Gertrud, Schaarschmidt Helene, Récits de captivité. Garaison 1914, Inderwildi Hilda, Leclerc Hélène (Hrsg.), übersetzt von Lucile Dreidemy, Hélène Floréa, Hilda Inderwildi, Pauline Landois, Hélène Leclerc, Alfred Prédhumeau, Toulouse, Le Pérégrinateur Éditeur, 2016, 70 S.

Inderwildi Hilda, Leclerc Hélène, „Avant-propos“, in Gertrud Köbner und Helene Schaarschmidt, Récits de captivité. Garaison 1914, Toulouse, Le Pérégrinateur Éditeur, 2016, S. 7-12.

Inderwildi Hilda, Leclerc Hélène, „Patrimoines nomades (Nomadenerbtümer)“, in Mathilde Monge, Natalia Muchnik (Hrsg.), Fragments d’exil. Temporalités, appartenances, revue Diasporas, n° 31, 1/2018, S. 133-140.

Leclerc Hélène (Hrsg.), Le Sud-Ouest de la France et les Pyrénées dans la mémoire des pays de langue allemande au XXe siècle, Toulouse, Le Pérégrinateur Éditeur, 2018.

Leroy-Castillo Pascale, Guinle-Lorinet Sylvaine (Hrsg.), Être prisonnier civil au camp de Garaison (Hautes-Pyrénées), 1914-1919. Carnet de photographies, Pau, Cairn, 2018.

Vimont Jean-Claude, „La population du camp d’internement de Garaison (Hautes-Pyrénées)“, 1914-1919, in Corvisier André, Jacquart Jean (Hrsg.), Les malheurs de la guerre II. De la guerre réglée à la guerre totale, Paris, Éditions du CTHS, 1997, S. 93-108.

Vimont Jean-Claude, „Garaison, un camp de familles internées dans les Hautes-Pyrénées (1914-1919)“, Criminocorpus [On-line], Varia, 8. Juni 2012, URL : http://criminocorpus.revues.org/1876 ; DOI : 10.4000/criminocorpus.1876. [4.1.2019]


1 Garaison (Monléon-Magnoac) liegt in den Pyrenäen, am Fuße des Berges Pic du Midi. Das Gebäude beherbergt heutzutage wieder eine katholische Privatschule. Es stand jedoch leer, als dort 1914 in ein Internierungslager eingerichtet wurde. Fernab von der Front werden dort neben wehrpflichtigen Männern ganze Familien, Frauen und Kinder gefangen gehalten.
2 G. Köbner, H. Schaarschmidt, Récits de captivité. Garaison 1914. H. Inderwildi, H. Leclerc (Hrsg.). Übersetzung von L. Dreidemy, H. Floréa, H. Inderwildi, P. Landois, H. Leclerc, A. Prédhumeau. Toulouse, Le Pérégrinateur Éditeur 2016. Ihrer dreimonatigen Internierung widmet G. Köbner einen Bericht, den sie kurz nach ihrer Rückführung unter ihrem Mädchennamen veröffentlichen wird: Drei Monate kriegsgefangen. Erlebnisse einer Deutschen in Frankreich, Berlin, Kronen-Verlag, 1915. Aus H. Schaarschmidts Feder stammt ein Gefangenschaftsbericht, der ebenfalls nach ihrer Rückkehr nach Deutschland publiziert wurde: Erlebnisse einer Deutschen in Frankreich nach Ausbruch des Krieges, Chemnitz, Thümmler Verlag, 1915.

3 Vgl. J.-C. Farcy, Les camps de concentration français de la première guerre mondiale, Paris: Anthropos historiques 1995.