Benutzer:Kariger-16/Alexander Richter-Kariger

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Alexander Richter-Kariger

Schriftsteller, Redakteur, Verleger, Zeitzeuge


Lebenslauf


Richter-Kariger wurde 1949 in Coswig (Sachsen-Anhalt) als Alexander Georg Christoph Richter geboren. Sein Vater war Geschäftsführer und Stellvertretender Kapellmeister im Standort-Musikkorps der Volkspolizei in Potsdam, die Mutter Näherin.

Richter-Kariger wuchs in Potsdam auf, wo er 1968 das Abitur an der Erweiterten Oberschule (EOS 4, heute Helmholtz-Gymnasium) bestand, auf. Er beendete parallel eine Berufsausbildung zum Betonfacharbeiter. Vom November 1968 bis zum April 1970 absolvierte er seinen 18-monatiger Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA). 1970 begann Richter-Kariger ein Studium im Fach Finanzwirtschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, das er 1974 erfolgreich abschloss. Im selben Jahr nahm er über den Weg der Absolventenvermittlung eine Tätigkeit als Hauptrevisor bei der Staatlichen Finanzrevision (Inspektion Potsdam) auf. Ab 1974 begann er zugleich hobbymäßig mit der schriftstellerische Arbeit.


Verfolgung durch das Ministerium für Staatssicherheit

Von 1977 bis 1982 intensivierte er die schriftstellerische Arbeit mit Wirklichkeitsbeschreibungen der DDR und versandte das im Entstehen befindliche lange Werk an eine Freundin in der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Zeit wurde er intensiv durch das Ministerium für Staatssicherheit überwacht und verfolgt. Wesentliche Maßnahmen waren die „Verwanzung“ seiner Räumlichkeit, mehrere illegale Zimmerdurchsuchungen durch das Ministerium für Staatssicherheit und die ausführliche IM-Überwachung, wobei eine Freundin versuchte, über ein Liebesverhältnis und eine angestrebte Heirat an Informationen über seine Staatsfeindlichen Aktivitäten herauszubekommen.

Verhaftung und Haft

1982 wurde Richter-Kariger auf offener Straße durch das Ministerium für Staatssicherheit verhaftet und anschließend während einer elfmonatigen Untersuchungshaft in völliger Isolation gehalten. Richter-Karigers „Delikt“ war die Versendung des staatsfeindlichen Manuskripts auf dünnem Schreibmaschinenpapier an die Freundin in der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Zeitraums von viereinhalb Jahren. Laut Gerichtsurteil vom 1. Juli 1983 handelte es sich um ca. 300 Briefsendungen. Für die Gerichtsverhandlung legte das Untersuchungsorgan MfS eine maschinenschriftliche Abschrift von 1.400 Seiten vor. Das Romanmanuskript, das seitenweise in Briefen in die Bundesrepublik gelangt war, war unvollständig und unfertig und somit in keiner Weise für eine Veröffentlichung geeignet. Im Gerichtsurteil ging es im Kern um die Äußerung einer eigenen Meinung, die der Propaganda der DDR widersprach.

Richter-Kariger erhielt eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren Haft nach § 106 Strafgesetzbuch der DDR („Staatsfeindliche Hetze“). Er wurde im August 1983 aus der Untersuchungshaftanstalt Lindenstraße in Potsdam mit einem Einzeltransport in das Zuchthaus Brandenburg-Görden verlegt, wo er als Maschinenarbeiter, Lagerist und Lohnrechner eingesetzt wurde. Richter-Kariger berichtet insbesondere in seinem Roman „Zuchthaus Brandenburg“ (540 Seiten) über die unmenschlichen Zustände in dieser Anstalt.

Übersiedlung und Aufnahme der schriftstellerischen Arbeit

1985 kam Richter-Kariger durch den Häftlingsfreikauf vorzeitig in die Bundesrepublik. Er gelangte über die Untersuchungshaftanstalt Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) in das Notaufnahmelager in Gießen nach West-Berlin und ließ sich nach einem halben Jahr in der Nähe von Münster (Westfalen) nieder, wo er 1986 seine Freundin, die das verbotene Manuskript und seine zahlreichen Brief aufbewahrt hatte, heiratete. Im selben Jahr erfolgte auch die Wiederaufnahme der schriftstellerischen Arbeit und zwei Jahre darauf (1988) die erste Buchveröffentlichung mit „Die gestohlene Himmelfahrt. 14 Geschichten aus der DDR“. Innerhalb kurzer Zeit folgten die Romanthriller „Eberswalder Spezialitäten“ sowie „Die Opfer werden die Täter sein“.

Tätigkeiten

1996 trat Richter-Kariger die Stelle als Chefredakteur der „Freiheitsglocke“, Monatszeitschrift der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS) an. Diese Tätigkeit übt er immer noch aus. Unter seiner Redaktion sind mehr als 300 Monatsausgaben erschienen. Das Blatt veröffentlicht Haft- und Verfolgungsgeschichten von Betroffenen und berichtet kritisch zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. Richter-Kariger ist weiterhin als Autor (ca. 40 eigene Buchveröffentlichungen) tätig, er lektoriert als Leiter eines kleinen Verlages Manuskripte anderer Autorinnen und Autoren und ist als Zeitzeuge (in Schulen, Instituten, Einrichtungen von Justiz und Polizei sowie für Stiftungen) aktiv. Er gehört zur Leitung des Zeitzeugen-Projekts der VOS in Nordrhein-Westfalen und kann über das Zeitzeugenbüro der Stiftung zur Aufarbeitung des SED-Unrechts für Veranstaltungen eingeladen werden. Überdies übt er überregional und kommunal mehrere ehrenamtliche Funktionen aus.  

Anklageschrift bzw. Gerichtsurteil (Auszug):

„Der Beschuldigte hat die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung angegriffen, indem er von Mitte 1977 – Februar 1981 in Potsdam eine 458 Blatt umfassende Schrift zur Diskriminierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Bündnisbeziehungen der DDR herstellte.

In romanartiger Beschreibung des Lebensweges eines DDR-Bürgers 'Alfred Liebreuther' hat der Beschuldigte in dieser Schrift insbesondere die führende Rolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die sozialistische Demokratie, die Wirtschafts- und Sozialpolitik und die Tätigkeit der staatlichen Organe sowie die brüderlichen Bündnisbeziehungen zwischen der DDR und der UdSSR feindlich gezielt herabgewürdigt und den Sozialismus als ein auf Unterdrückung des Volkes beruhendes System der Willkür, Demagogie, Korruption und sozialen Ungerechtigkeit diskriminiert.“

(...)

„Wesentliches Ermittlungsergebnis:

Die inhaltliche Gesamtanlage der Schrift „Alfred Liebreuther“ war darauf gerichtet, die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR in vielfältigen Bereichen zu diskriminieren. Bereits im 1. Kapitel greift der Beschuldigte mit dem antikommunistischen Vokabular imperialistischer Massenmedien die Stellung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft an. Diese bezeichnet er u. a. als „System des Ostblocks …, das von der Sowjetunion unterdrückt, absolutistisch unterdrückt und kolonialisierend beherrscht wird … und den Völkern unauslöschliche schmerzende Brandzeichen aufdrückt“. Die Politik der Parteiführung der KPdSU nennt der Beschuldigte ein „machtgieriges Weltherrschaftsstreben eines wirtschaftlich schwachen, kulturell und sozial rückständigen Staates, charakterisiert durch Brutalität, Militär und Raffinesse“. (F 1)


In diesem Zusammenhang stellte er die DDR in ihren brüderlichen Bündnisbeziehungen zur Sowjetunion als „teilanerkanntes Dreibuchstabenland, losgelöst von jeder Nationalität, Puffer der Sowjetunion in Richtung Westen dar, in dem 17 Millionen Deutsche verdummt, abgestumpft und verblendet würden.“ (F 2)


Die Verbundenheit der Bevölkerung der DDR mit den Völkern der UdSSR setzt der Beschuldigte auch in anderen Teilen der Schrift, zum Beispiel in Bezug auf den Russisch-Unterricht an den Schulen der DDR, die Sowjetliteratur, sowjetische Filme im Fernsehprogramm der DDR sowie bezogen auf die Tätigkeit von Handelseinrichtungen der zeitweilig in der DDR stationierten Streitkräfte der Sowjetarmee herab. (F 3)


Die Niederschrift des Beschuldigten richtet sich ferner gegen die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, insbesondere gegen ihre führende Rolle in Staat und Gesellschaft der DDR. So bezeichnet er ihre führenden Funktionäre als „wahrhaft bestimmende Oberschicht“, die sich mit der „mittleren Funktionärsebene“ und den bewaffneten Organen eine vom Volke losgelöste „absolutistische Herrschaftsform“ geschaffen haben und unter dem Vorwand der sozialistischen Ideologie „kalt, egoistisch und inhuman“ ihre Ziele realisieren. (F 4)


In einer Reihe von Fällen beschreibt der Beschuldigte Funktionäre und Mitglieder der SED als körperlich verunstaltete und geistig abnorme Persönlichkeiten, deren Mitgliedschaft in der Partei auf Heuchelei und Vorteilsstreben beruhe und die „im Bewußtsein von Macht und Autorität zu gesinnungslosen Faschisten werden“. (F 5)


Anhand von erfundenen Geschichten behauptet er von wirtschaftsleitenden Funktionären, Hochschuldirektoren und anderen Personen, daß sie korrupt wären, sich gegenseitig bevorteilten und ihre Stellung sogar zu Bestrafungen von unschuldigen Bürgern und zu sexuellen Ausschweifungen mißbrauchten. (F 6)


Gegenstand der Diskriminierungen durch den Beschuldigten waren auch die staatliche Jugendpolitik und die Tätigkeit des sozialistischen Jugendverbandes. Die Jugendpolitik bezeichnete er als „jugendfeindlich, jugendmißverstehend und jugendnegierend“ und bezogen auf die Forderung nach sozialistischen Verhaltensweisen als „integrierte Verhaltensvorschrift in einem komplexen und kausalen System von Verboten, Normen und Androhungen“. (F 7)


Jugendliche, die sich dem widersetzen und ihre Freizeit außerhalb der FDJ gestalten wollen, werden nach Darstellung des Beschuldigten in der DDR durch staatliche Zwangsmaßnahmen verfolgt. Um das zu beweisen, erfand er einen nicht zugelassenen Jugendclub in Leipzig, den die VP durch eine Razzia auflöste, wobei angeblich männliche wie weibliche Jugendliche von VP-Angehörigen brutal mißhandelt wurden. (F 8)


Das Verbandsleben der FDJ schildert der Beschuldigte in seiner Hetzschrift ebenfalls als von Partei und Staat erzwungen. Am Beispiel einer erfundenen Kreispropagandistenkonferenz der FDJ Oranienburg betitelt er die dort auftretenden Funktionäre als „Berufs-FDJ’ler im Vorrentenalter, die nur „zigfach gehörte Reizworte von Kapitalismus, Imperialismus …“ von sich geben und das „monotone Loblied des Sozialismus erklingen lassen“. In diesem Zusammenhang diskriminierte er die marxistisch-leninistische Einschätzung der Klassenkampfsituation in der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus. (F 9)


Infam diskriminierte der Beschuldigte auch die Tätigkeit der Gerichte der DDR. Durch Beschreibung einer erfundenen Gerichtsverhandlung in Familienrechtssachen negiert er die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts sowie die Gesetzlichkeit gerichtlicher Entscheidungen. Er behauptet, daß die Richter aus „Existenzangst zugunsten von Mitgliedern der SED entscheiden und Mütter, wenn sie an der Volkswahl nicht teilgenommen haben, Gefahr laufen, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren. (F 10)


Die Aufgaben und die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit stellte der Beschuldigte in mehreren Abschnitten seiner Schrift als „Spitzelsystem“ zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung der Bevölkerung dar. Die Mitarbeiter des MfS bedienten sich angeblich ungesetzlicher Mittel zur Erlangung von Informationen und bereicherten sich an beschlagnahmten Erzeugnissen imperialistischer Produktion. (F 11)


Mitarbeiter der örtlichen Organe der Staatsmacht bezichtigte der Beschuldigte wiederholt der Bestechlichkeit. (F 12)


Die Tätigkeit der Grenztruppen der DDR zum Schutz der Staatsgrenze zur BRD diskriminierte er durch die Behauptung, daß in „verspielter Knallerei Menschen sinnlos ermordet werden, die Leichen spurlos verschwinden und deren Hinterbliebene von den staatlichen Organen um [im] Ungewissen gelassen werden [“]. (F 13)


Auch die Leitung der ökonomischen Prozesse wurde von dem Beschuldigten vielfältig diskriminiert. So bezeichnete er u. a. die sozialistische Volkswirtschaft als „heillosen, unkoordinierten Willkürtrubel der permanent devisenschreienden liebreutherschen Vater Staat“, und schildert anhand eines erfundenen Beispieles, wie ein Arbeiter durch Erpressung und falsche Anschuldigungen um sein Eigentum an einem Kraftfahrzeug zugunsten eines volkseigenen Betriebes gebracht werden soll. (F 14)


Gezielt feindlich verallgemeinert ließ der Beschuldigte in fast alle Kapitel seiner Schrift die Beschreibung von wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten einfließen, die so aneinandergereiht, auch wenn es sich zum Teil um tatsächliche Probleme handelt, ein herabwürdigendes Zerrbild der ökonomischen Grundlagen des Sozialismus und der ökonomischen Strategie der Partei- und Staatsführung ergaben. Das bezog sich auf Fragen wie die Versorgung der Volkswirtschaft mit Maschinen und Fahrzeugen, Ersatzteilen, Material und Brennstoffen sowie auf die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Konsumgütern, wie auf die Preispolitik, soziale Leistungen, Arbeits- und Lebensbedingungen und auf das Gesundheitswesen bis hin zum Umweltschutz. (F 15)


Daß die Hetzschrift „Alfred Liebreuther“ im Ausland ganz oder teilweise veröffentlicht wurde, konnte im Ermittlungsverfahren nicht festgestellt werden.


Ich beantrage,

Das Hauptverfahren vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Potsdam zu eröffnen,

Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen,

die Fortdauer der Untersuchungshaft zu beschließen.


           Im Auftrage

           Gez.

           Xxx

           Staatsanwalt

Aus: MfS-Aktenbestand ab Seite 497

Verbrechen strafbar nach

§ 106 Abs. 1 Ziff. 1 StGB in der Fassung 1977

§ 106 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 StGB“


Wichtigste Buchveröffentlichungen (Auswahl):

Alexander Richter-Kariger: Häftling 46. Gedächtnistagebuch 1982 bis 1983, mit Fotos, Dokumenten, Vernehmungsprotollen. first minute Taschenbuchverlag, 2021, 500 Seiten

Alexander Richter-Kariger: Der Fall Brüsewitz. Lebensstationen 1929 bis 1964, mit Fotos und Dokumenten. first minute Taschenbuchverlag, 2016. 440 Seiten

Alexander Richter: Zuchthaus Brandenburg (1983 bis 1985), Roman. first minute Taschenbuchverlag, 2002. 572 Seiten

Alexander Richter: Das Lindenhotel oder 6 Jahre Z. für ein unveröffentlichtes Buch (authentische Berichte über den Potsdamer Stasi-Knast, der im Volksmund „Lindenhotel“ hieß). Anita Tykve Verlag, 1993. 120 Seiten

Alexander Richter: Eine Rose für die Deutschen Elend und Glanz nach der Übersiedlung

in 24 authentischen (West-Ost-)Berlin-Kapitel. 220 Seiten


Alexander Richter: Zwischen den Welten Elend und Glanz nach der Übersiedlung 140 Seiten


Weblinks:

http://www.first-minute-buecher.de/index2.html

https://www.zeitzeugenbuero.de/zeitzeugensuche/zeitzeuge/richter-kariger-alexander


Begegnung mit einem Zeitzeugen der DDR-Geschichte - WAF-AKTUELL


Begegnung mit einem Zeitzeugen der DDR-Geschichte | Spökenkieker - Ihr regionales Anzeigenmagazin (derspoekenkieker.de)


first minute Taschenbuchverlag Alexander Richter-Kariger (first-minute-buecher.de)


Richter-Kariger | Bücher | Person (isbn.de)


Oskar Brüsewitz, der Störenfried (wn.de)


Zeitzeuge am LFG (liebfrauengymnasium-bueren.de)


Lesung: "Der Fall Brüsewitz" | Veranstaltungskalender (markkleeberg.de)


Deutsche Biographie - Richter, Alexander (deutsche-biographie.de)


Von Glück, Krieg und Protest (mv-online.de)


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