Benutzerin:Ktiv/Der Römerbrief

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Schreibtisch im ehemaligen Pfarrhaus Safenwil, mit Kopie des Römerbrief-Manuskripts

Der Römerbrief ist der Titel eines Buches von Karl Barth, damals Dorfpfarrer in Safenwil, Kanton Aargau. Die erste Fassung erschien in geringer Auflage Ende 1918, die zweite Fassung 1922.

Charakterisierung des Textes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es handelt sich um einen Kommentar zum Brief des Paulus an die Römer. Er gilt auch als Zeugnis expressionistischer Literatur: „Sein Text ist aufrührerisch, der Gang der Abhandlung entspricht keiner Art von wissenschaftlicher Darlegung: er urteilt, verurteilt, übt Einrede oft ohne ein Argument.“[1]

Barth vollzog damit eine Absage an die gesamte neuere Theologie seit Schleiermacher, die das Christentum auf menschliche Erfahrung gründete, sich im Gespräch mit der Religionswissenschaft befand und die Bibel historisch-kritisch las. Die völlig umgearbeitete zweite Fassung gilt als Ausgangspunkt der Dialektischen Theologie, deren wichtigster Vertreter Karl Barth in den folgenden Jahren wurde.[2]

Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Sommer 1916 stellte sich für Karl Barth in Gesprächen mit Eduard Thurneysen heraus, dass ihre theologische Ausbildung für Predigt, Unterricht und Seelsorge nicht mehr hilfreich war. Beide meinten, man müsse noch einmal ganz neu ansetzen. Barth begann daraufhin im Juli mit dem Studium des Römerbriefs. „Ich begann ihn zu lesen, als hätte ich ihn noch nie gelesen: nicht ohne das Gefundene bedächtig aufzuschreiben.“[3] An eine Veröffentlichung war nicht gedacht.

Barth arbeitete an einem Schreibpult, das als Familienerbstück Ende 1915 an ihn gekommen war, und auch inhaltlich zog er zu seinem Bibelstudium Autoren zu Rate, die durch die Tradition der Familie nahe lagen, besonders den von Vater und Großvater hochgeschätzten Johann Tobias Beck,[4] damit auch Albrecht Bengel und Friedrich Christoph Oetinger.[5] Mit seinen Notizen vollzog Barth Abgrenzungen gegen Romantik, Idealismus und Pietismus (im November 1916 fand eine Evangelisation in Safenwil statt, die Barth kritisch sah).[6] Die exegetische Arbeit ging nur stockend voran; im März 1917 wurde sie unterbrochen und erst ein halbes Jahr später mit einem Neuansatz zu Röm 5 wieder aufgenommen. Ab jetzt hatte Barth auch den Plan, den Kommentar drucken zu lassen, und beantragte beim Kirchenrat einen Studienurlaub, den er dann im Frühjahr 1918 in Zürich verbrachte.[7]

Im Sommer und Herbst 1917 war Barth auch politisch tätig. Als Delegierter nahm er am Parteitag der Schweizer Sozialdemokraten teil und förderte in Safenwil die Gründung von Gewerkschaften, wobei er auch als Demonstrationsredner auftrat. Das führte zu Spannungen in seiner Gemeinde. Bei der Bestätigungswahl im Juni erhielt er zahlreiche Gegenstimmen, und als die Sozialisten die Mehrheit im Gemeinderat gegen den Freisinn errangen, gab es unter den Kirchgängern Proteste bis hin zu einer Kirchenaustrittsbewegung.[8]

Anfang Juni 1918 schloss Barth den Entwurf seines Römerbriefkommentars ab, und am 16. August 1918 beendete er die Durchsicht des Manuskripts. Der Berner Verleger Bäschlin druckte das Werk in einer Auflage von 1000 Exemplaren. Obwohl es als Erscheinungsjahr 1919 nennt, lag es bereits im Dezember 1918 gedruckt vor.[9]

Im Jahr 1920 nahm sich Barth die Auslegung des Römerbriefs erneut vor. Er las dafür viel theologische Literatur, insbesondere Calvin, mit dem Ergebnis, dass er vom altwürttembergischen Pietismus unabhängig wurde und seine Gegnerschaft zu Schleiermacher klar erkannte. Barth schrieb die zweite Fassung des Römerbriefs vom Herbst 1920 bis Sommer 1921 innerhalb von elf Monaten, wobei die fertigen Seiten immer gleich an den Drucker gingen. Am 26. September 1921 lag das Manuskript fertig vor.[10] Zeitgleich nahm Barth Abschied von der Pfarrstelle in Safenwil mit seiner Berufung auf den neu begründeten Lehrstuhl für reformierte Theologie an der Universität Göttingen.[11]

Erste Fassung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Buch enthält zwei Leitgedanken:

  1. Gott kann nicht für den eigenen Parteistandpunkt vereinnahmt werden. Barth betonte die Sachlichkeit als Grundhaltung des Christen in der Welt: „Militärdienst, … wenn’s sein muss, aber unter keinen Umständen als Feldprediger! Sozialdemokratisch, aber nicht religiös-sozial!“
  2. Das Reich Gottes ist nicht, wie Religiöse Sozialisten meinten, Zielpunkt eines darauf zulaufenden Fortschritts (im alten Äon), sondern etwas ganz anderes, der Anbruch eines neuen Äon.[12]

Weniger schroff als in der zweiten Fassung, versuchte Barth unter dem Einfluss der damals von ihm favorisierten Theologen (Beck, Oetinger), das Reich Gottes in der Welt zu konkretisieren. Er lehnte später alle derartigen „Versuche, durch naturphilosophische Spekulation zu einer anschaulich wirklichen Geistleiblichkeit vorzudringen“ als irreführend ab.[5] Ähnlich wie Oetinger konnte Barth in der ersten Fassung des Römerbriefs annehmen, dass Christen auch körperlich von einem Lebensgeist verwandelt würden, und dass ihre Bindungen zu Freiheiten würden. Daraus entstanden Perspektiven für die Ethik, Möglichkeiten eines neuen Handelns. Das waren Spekulationen, die in der zweiten Fassung aufgegeben wurden.[13]

Barths Formulierung „Revolution Gottes“ hat zu Diskussionen Anlass gegeben. Die These von Friedrich-Wilhelm Marquardt, Barth setze sich beim Kommentar von Röm 13 mit Lenins Schrift Staat und Religion auseinander, scheitert aber daran, dass Lenins Schrift noch nicht erschienen war. Barth hatte, obwohl er sozialistischen Sprachgebrauch aufnahm, keine Kenntnis der marxistischen Klassiker.[14] Sein Urteil über den Staat ist negativ und kommt dem Anarchismus nahe.[15]

Zweite Fassung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die zweite Fassung nimmt die Leitgedanken der ersten auf, formuliert aber schärfer:

  • Gott ist der ganz Andere. Barth verfolgt mit seinen paradoxen, an Kierkegard geschulten Aussagen eine polemisch-befreiende Absicht: „Gott aber ist im Himmel und du auf Erden! Und gerade das Nicht-Wissen dessen, was Gott weiß, ist das Wissen von Gott, der Trost, das Licht, die Kraft, das Wissen der Ewigkeit, mit dem wir in der Zeit sind.“ Diese radikalen Negationen hat Barth in späteren Schriften nicht mehr vertreten.[16]
  • Gott ist für die Vernunft unanschaulich, aber in der Offenbarung Jesu Christi anschaulich. Der neue Äon hat mit der gegenwärtigen Wirklichkeit zu tun, es wirkt in die Pragmatik des alten Äon hinein und ermöglicht eine Sachlichkeit des alltäglichen Handelns.[17]
  • Der Gleichnisbegriff, grundlegend entfaltet in der Kirchlichen Dogmatik, kommt hier bereits vor. Zur Interpretation der Aussagen in Barths Römerbriefkommentar zieht Christofer Frey Platons Höhlengleichnis heran. Das Gleichnis bildet nicht unmittelbar ab, sondern ist wie der Schatten an der Wand.[18] Karl Barth ist hier im Gespräch mit seinem Bruder, dem Philosophen Heinrich Barth.
  • Grund und Ziel der Menschheitsgeschichte ist Jesus Christus, allerdings nicht, wie er als Jesus von Nazareth in seiner historischen Umwelt lebte, sondern wie er sein Kreuz trägt: dieses ist Gottes Nein zu allen menschlichen Versuchen, Gott zu verzwecken. Das Kreuz steht im Zentrum. Deshalb gibt es für Barth keinen wie auch immer konzipierten Fortschritt der Geschichte, wohl aber eine doppelbödige Erfahrung der alltäglichen Wirklichkeit.[19]

Die radikalen Positionen, die Barth in der zweiten Fassung des Römerbriefs bezog, machten es schwierig, in der Auslegung von Röm 12ff. zu ethischen Aussagen zu kommen, die über ein Nein hinausgegen.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die erste Fassung des Römerbriefs fand fast nur Schweizer Leser und Rezensenten, darunter als einer der ersten Emil Brunner. Erst mit dem Tambacher Vortrag vom September 1919 wurde Karl Barth auch in Deutschland bekannt. Für Barth selbst schwer verständlich, wurde er, ein Dorfpfarrer ohne Promotion, 1921 aufgrund der später wenig rezipierten ersten Fassung des Römerbriefs an die Universität Göttingen berufen. Ausschlaggebend war die Empfehlung von Karl Müller (Universität Erlangen).[20]

Die zweite, 1922 erschienene Fassung wurde von Rudolf Bultmann weitgehend positiv rezensiert.[21]

Textausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Der Römerbrief (Erste Fassung). Hrsg. von H. Schmidt, Zürich 1985 (Karl Barth Gesamtausgabe, Band II/1919). Ein unveränderter Nachdruck der Erstauflage erschien Zürich 1963.
  • Der Römerbrief (Zweite Fassung). 9. Auflage. Zürich 1954.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf: nach seinen Briefen und autobiographischen Texten. Chr. Kaiser Verlag, München 1975. ISBN 3-459-01022-3.
  • Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. Eine Einführung. Athenäum, Frankfurt/Main 1988. ISBN 3-610-09112-6.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 67.
  2. Bengt Hägglund: Geschichte der Theologie. Ein Abriß. 2. Auflage. Chr. Kaiser, München 1990, ISBN 3-459-01850-X, S. 313–314.
  3. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 110.
  4. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 111.
  5. a b Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 66.
  6. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 113.
  7. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 114.
  8. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 116–117.
  9. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 118.
  10. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 133.
  11. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 135.
  12. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 65–66.
  13. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 76–77.
  14. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 87.
  15. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 81.
  16. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 67–68.
  17. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 69–70.
  18. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 71–72.
  19. Christofer Frey: Die Theologie Karl Barths. S. 73–74.
  20. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 136 (Im Januar 1922 ernannte ihn die theologische Fakultät der Universität Münster zum Dr. theol. "wegen seiner mannigfachen Beiträge zur Revision der religiösen und theologischen Fragestellungen" (ebd., S. 141).).
  21. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. S. 149.