Benutzer:Ziko/IWW/014

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INFOBRIEF WIKI-WELT von Dr. Ziko van Dijk

Ausgabe 14 (6. Dezember 2009)

Editorial[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Liebe Leserin, lieber Leserin,

zur Zeit berichten die Medien, wenn sie über die Wikipedia berichten, vor allem überhaupt die „Löschdiskussionen“. Dabei zeigt sich immer wieder, wie ein Thema zum anderen gehört und man darüber zu den Grundfesten der Wikipedia gelangt. Dennoch gibt es eine Menge weiterer kleiner Themen, von Landtagsabgeordneten bis zu Schokoladenfruchtzwergen.

Ihr

Ziko van Dijk

Warum die Schäfer manche Schafe löschen müssen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Er könne es einfach nicht verstehen, warum die Wikipedia so streng sei mit den Artikeln. Im Internet habe man unendlich viel Platz, da brauche man doch keine Relevanzkriterien? Diese Frage stellt sich nicht nur jener Freiwillige von OpenOffice.org, den der IWW-Redakteur auf der OpenRheinRuhr in Bottrop gesprochen hat. Manche Äußerungen auf der Messe für Open Source Software waren auch durchaus heftiger. Das ist umso bedauerlicher, als die Wikipedia ursprünglich aus eben dieser Bewegung für Freie und Open Source Software stammt.

Warum also überhaupt das Löschen von Artikeln, die nicht relevant zu sein scheinen? Die klassische Antwort der Wikipedianer lautet: Weil die Wikipedia eine Enzyklopädie ist, kein Branchenbuch, keine Datenbank, kein kostenloser Web Space als Ersatz für die eigene Home Page. Eine Leistung von Internet-Angeboten wie der Wikipedia, von Web Directories und Online-Zeitschriften, besteht eben in der Auswahl, im Trennen des Wichtigen vom weniger Wichtigen. Auch Suchmaschinen wie Google Search dienen dem Nutzer erst, wenn sie die Fülle an Informationen anhand von Rangkriterien sortieren.

Die Medien bedienen sich momentan gern der Emotionen von enttäuschten Lesern, deren Artikel einst gelöscht wurde. Die Wikipedia vergraule mit ihren unverständlichen Relevanzkriterien Mitmachwillige. Das ist ein wenig scheinheillig, wenn man bedenkt, dass in den Anfangszeiten der Wikipedia dieselben Medien gespottet haben, dass die Wikipedia nichts taugen könne – schließlich dürfe da „jeder“ „irgendwas“ hineinschreiben. „Wiki-Fehlia“, hieß es bei der BILD. Etwa im Jahre 2005 startete in der deutschsprachigen Wikipedia eine Qualitätsoffensive, und immer häufiger verlangte man in der Löschdiskussion zurecht Belege: Wenn von einer Rockband niemand anders als die bedauernswerten Nachbarn gehört hat, wenn es keine Zeitungsberichte und keine Erwähnungen in der Fachliteratur gibt, dann ist nicht nur die Relevanz fraglich. Als einzige Informationsquelle müsste dann die Web Site der Rockband herhalten, der die Wikipedianer aus guten Gründen nicht uneingeschränkt trauen möchten.

Der eigentliche Grund für die relative Strenge der Wikipedia dürfte aber noch woanders liegen. Für einen Artikel, der Mindestanforderungen genügt, bedarf es Erfahrung und Arbeit. Vielen Neulingen, die mal eben einen Artikel anlegen wollen, fehlt es nicht nur an der Erfahrung, sondern leider oftmals auch am Fleiß. Sie erwarten, dass die Freiwilligen der Wikipedia die eigentliche Arbeit erledigen. Verständlicherweise möchten die Wikipedianer diese Arbeit allenfalls leisten, wenn der Artikel diese Mühe Wert ist.

Wenn ein Artikel angelegt ist und auf Mindestniveau gebracht wurde, dann ist die Arbeit längst nicht zuende. Der Artikel muss dauerhaft vor Vandalismus beschützt, aktualisiert und an neue technische Standards angepasst werden. Und wer kümmert sich um die Wikipedia-Schafherde, die aus mittlerweile knapp einer Million (deutschsprachiger) Artikel besteht?

Schäfer in der Wikipedia gibt es viele, beileibe nicht nur die Administratoren, sondern jeder, der sich um den Zustand der Artikel kümmert, auch derjenigen, an denen er nicht selbst mitgeschrieben hat. Nach der Wikimedia-Statistik gab es im Oktober 2009 (in der deutschsprachigen Wikipedia) etwa tausend Personen, die mindestens hundertmal in jenem Monat bearbeitet haben. Dabei scheint es seit längerer Zeit zu bleiben. Die Wikipedia wächst aber täglich um etwa 400 Artikel, in einem Jahr um rund 150.000.

Trotz der angeblichen „Löschorgien“ wächst die Herde also, die Zahl der Schäfer allerdings nicht. Wie lange das gut gehen kann, darüber hat schon 2005 Eric Goldman sinniert. Innerhalb von fünf Jahren werde die Wikipedia scheitern, lautete die provokante These, weil sie von Reklame-Spam überspült werden werde. Den Wikipedianern verginge dann die Lust am Aufräumen, und eine Abwärts-Spirale setze ein. Oder aber – und darauf wollte Goldbaum heraus – die Wikipedia müsse ihre Offenheit bedenken, beispielsweise nicht jedermann erlauben, Artikel zu verändern.

Links:

Blog Eric Goldman

Zahlen-Unfug führt zur „Massenflucht“ aus der Wikipedia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Ich lasse mir meine schöne Story nicht kaputtrecherchieren.“ Mit diesem ironischen Ausspruch quittiert man es gemeinhin, wenn einem Journalisten die Sensation wichtiger ist als alles andere. So muss es mit jemandem beim Wall Street Journal (WJS) gegangen sein, dem es gelang, seinen Beitrag über einen angeblichen Wikipedianer-Schwund zu einem der aktuell meistzitierten über die Wikipedia zu machen.

Das WJS behauptete, in den ersten drei Monaten des Jahres 2009 hätten 49.000 „editors“ der englischsprachigen Wikipedia den Rücken zugekehrt. Ein eindeutiger Beweis dafür, dass die Wikipedia sich in einer schweren Krise befindet, denn wenn so viele Menschen den Stab über ihre Enzyklopädie brechen und empört flüchten, dann muss doch etwas schief laufen.

Seine Zahlen holt das WJS aus der Doktorarbeit des spanischen Marktforschers Felipe Ortega, reißt diese aber aus dem Zusammenhang. Wesentlich für die konstruierte Sensation ist ein bestimmter Umgang mit Begriffen. Denn was ist unter einem „editor“ (Bearbeiter) zu verstehen, der in der Presse mal als „Mitarbeiter“, „Wikipedia-Redakteur“, „erfahrener Wikipedianer“ oder als „aktiver Unterstützer“ bezeichnet wird?

Die zitierte Zahl von 49.000 „editors“ bezieht sich bei Ortega auf diejenigen Personen, die jemals mindestens eine Bearbeitung vorgenommen haben. Das kann auch ein Schüler sein, der mal ausprobieren möchte, ob sein „Willy ist doof“ längere Zeit im Artikel stehen bleibt. Ortega macht in seiner Doktorarbeit aber auch viele andere Angaben. Aussagekräftiger dürfte diejenige sein, wieviele Personen pro Monat mindestens fünf Bearbeitungen vorgenommen haben. Diese Zahl ist zwar seit 2007/2008 gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau: monatlich um die 40.000. Da das WJS sich jedoch die schöne Story nicht kaputtrecherchieren lassen wollte, hat es die Zahl der Bearbeiter pro Monat penibel übersehen. Ortega hat sich vom WJS-Beitrag distanziert.

Links:

Medialotse Blog Wikimedia

Fehler einfach melden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die polnischsprachige Wikipedia hat bereits seit 2007 die Möglichkeit eingerichtet, einen Fehler in einem Artikel einfach zu melden. Wer meint, in einem Artikel Tipp- oder inhaltliche Fehler gesehen zu haben, klickt auf „Fehler melden“ am linken Rand und bekommt eine Eingabemaske zum Berichten. Die Meldung geht dann auf eine Art Diskussionsseite und wird von hilfsbereiten Wikipedianern abgearbeitet. Auf diese Weise muss ein Leser, der nur mal schnell einen Fehler verbessern will, nicht gleich eine Menge an Wiki-Schnickschnack lernen.

Auf Anfrage bestätigten die Wikipedianer Herr Kriss und Plushy, dass täglich etwa 20 Berichte hineinkommen. Etwa die Hälfte davon seien sinnvoll, ansonsten heißt es etwa „Artikel ist falsch“, womit man wenig anfangen kann. Meldungen über ein fehlendes Komma seien innerhalb weniger Minuten erledigt, aber wenn es um Inhalte geht und man nachschlagen müsse, könne es in seltenen Fällen auch mehrere Tage dauern. Plushy: „Insgesamt ist es ein sehr nützliches und extrem populäres Tool, ohne das wir viele Fehler und Irrtümer nicht korrigieren würden.“

Links:

pl.Wikipedia

Vermischtes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Schokoladen-Fruchtzwerg mit Wikipedia-Artikel: Am 9. November 2009 erstellte ein Benutzer den Artikel mit dem Titel „Schokoladen-Fruchtzwerg“. Dabei geht es nicht um eine Süßware von Danone. Die Einleitung erklärt: „Der Schokoladen-Fruchtzwerg (Enchisthenes hartii) ist die einzige Art der monotypischen Gattung Enchistenes aus der Unterfamilie der Fruchtvampire der Fledermäuse.“ Was sich wie ein jahreszeitlich verirrter Aprilscherz anhört, gibt es tatsächlich: Der Biologe, der das deutsche Fachwort geprägt hat, dachte wohl an die geringe Größe und dunkle Färbung des Tieres.
  • Hierarchie ist wichtig, aber tabuisiert: Der Soziologe Christian Stegbauer spricht in heise.de über Relevanz, Schwierigkeiten von Neulingen und die eigentlichen, informellen Machtstrukturen in der Wikipedia. Siehe Heise
  • Resozialisierung oder historische Wahrheit: Wie zwei Rechtsgüter miteinander in Konflikt geraten können, zeigte der Fall „Mörder gegen Wikipedia“. Die beiden verurteilten Mörder des Volksschauspielers Walter Sedlmayr sind wieder auf freiem Fuß und gehen über ihren Anwalt gegen Web Sites vor, die ihren Namen im Zusammenhang mit dem Mord erwähnen. Den Verurteilten solle die Wiedereingliederung in die Gesellschaft möglich gemacht werden, und die englischsprachige Wikipedia (in der deutschsprachigen steht es nicht mehr) sei schließlich weltweit lesbar. In den USA hingegen, wo die Wikipedia technisch und rechtlich beheimatet ist, zählt das Recht auf freie Meinungsäußerung mehr. Jennifer Granick von der Electronic Frontier Foundation spricht von versuchter Geschichtsfälschung und weist darauf hin, wie das Netz aussehe, wenn man nur dasjenige veröffentlichen dürfe, das in allen Ländern erlaubt sei. Siehe eff.org
  • Wikibay will Wikipedia ohne Zensur sein: „Wikipedia ist ja eine tolle Idee, aber in der letzten Zeit wurde diese große Enzyklopädie immer schlechter. Das finden wir zumindest.“ Die werbefinanzierte Wikibay hingegen ist nach eigenen Angaben eine Plattform ohne Zensur, Vorab-Filter und Meinungsmache. Hilfe-Seiten gibt es so gut wie noch gar nicht, und auch der Artikelbestand ist eher dürftig; unter „Swingerclub“ heißt es nur: „war ich noch nie :(“. Die Hauptseite wurde am 19. November 2009 angelegt. Siehe: wikibay.org
  • Petition will freien Zugang statt Doppelzahlung: Hat der Steuerzahler akademisches Wissen bereits in Form von Forschungsförderung bezahlt, sollen die Ergebnisse nicht in kostenpflichtigen Zeitschriften veröffentlicht werden. Darauf beruft sich die Bewegung für Open Access, freien Zugang. Eine Petition an den Bundestag hat bereits über 10.000 Unterstützer. Siehe http://www.welt.de/kultur/article5244476/Akademisches-Wissen-soll-im-Netz-kostenlos-sein.html Welt]
  • Wenn wenigstens die Wikipedia gelesen wird: In der niederländischen Zeitung Trouw schreibt Co Welgraven in einer Rezension: „Altertumswissenschaftler setzen wenig in die Wikipedia.“ Dort gebe es zwar eine Menge Unsinn, aber eben auch selbstreinigende Kräfte. Fehler würden beseitigt, auch hineingefügt, aber „per Saldo ist Wikipedia eines der erfolgreichsten populärwissenschaftlichen Projekte der Welt. Darüber kann man als Universität unglücklich sein, aber wenn man selber nichts Besseres macht, muss man wohl akzeptieren, dass die Leute allein schon hierdurch die Wissenschaft kennenlernen.“ Siehe Trouw, 31. Oktober 2009, S. 88 (nicht im Netz).
  • Sue Gardner von der Wikimedia ein „game changer“: Wer ist so einflussreich, dass er den Gang der Entwicklung ändern kann, namentlich im Medienbereich? Den Lesern der Huffington Post zufolge steht Sue Gardner ganz oben auf einer zehnköpfigen Liste. Die Direktorin der Wikimedia Foundation dürfte dabei auch ein wenig stellvertretend für die Wikimedia-Gemeinschaft stehen. Siehe Huffington Post
  • Landtagsabgeordnete als Wikipedia-Projekt: Wie der Wikipedia-Kurier berichtet, haben niedersächsische Wikipedianer sich der Artikel zu Landtag und Abgeordneten angenommen. Das Büro des Landtagspräsidenten half nun dabei, dass die meisten Abgeordneten am 24. und 25. November abgelichtet werden konnten. Die fotografierenden Wikipedianer konnten sich gleich mit den Abgeordneten über Themen wie das Freie Wissen austauschen. Siehe Wikipedia:Stammtisch Hannover/Projekt_Landtag