Benutzer Diskussion:Nerd/Eva Illouz

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Mit Emil Durkheim versteht sie die Liebe religionssoziologisch als Nachfolgerin des Heiligen, als Verkörperung des Außeralltäglichen auf Erden. Mit dem Ethnologen Victor Turner untersucht sie die Praktiken der Liebe als Rituale, die eben mit bestimmten Formen des Warenkonsums einher gehen: Liebende gehen ins Restaurant, buchen Urlaub am Strand, brauchen ein Auto, um zu zweit unterwegs zu sein. Mit der Kulturtheorie Pierre Bourdieus analysiert sie schließlich den klassenspezifischen Habitus der Liebe. Damit ist die Frage nach der Macht gestellt, ob ein jeder gleich souverän zu lieben vermag und also darin die gleichen Freiheitschancen genießt wie die anderen.

Mit diesen Instrumenten wendet sich Illouz, ganz empirische Soziologin, einem wahren Sammelsurium an Quellen zu: Ratgebern und Illustrierten, Werbungsfotos und einer uferlosen angelsächsischen wie französischen Forschung, die ahnen lässt, wie provinziell die deutsche Wissenschaft auf diesem Feld ist. Die Autorin weiß, was sie da tut: Sie bastelt. Sie sammelt, mit Verweis auf den Ethnologen Lévy-Strauss,

Illouz, Eva

Der Konsum der Romantik Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus

Frankfurter Allgemeine Zeitung Wir blickten über Paris, und dann der Eiffelturm Romantischer als Bier ist immer noch der Champagner: Eva Illouz über wahre Liebe und souveräne Verschwendung in den Zeiten des Kapitalismus / Von Christian Geyer

Was gibt's denn daran zu deuteln? Der Kapitalismus ist eine Himmelsmacht wie die Liebe. Da er sich ohnehin vollzieht, da er die Sphäre ist, in der wir atmen, bedarf er keiner weiteren Rechtfertigung. So hätten wir es denn auch gern: Die Kapitalismuskritik ist aus, wir gehn nach Haus. Aber gehen wir wirklich alle nach Haus? Ein kleines Völkchen unbeugsamer Kapitalismuskritiker hört nicht auf, Widerstand zu leisten und die Nacht zum Tag zu machen.

Es behandelt Kapitalismus nach wie vor und in den Zeiten der Globalisierung mehr denn je als Kampfbegriff, mit dem sich die Fiktion des unguten Ganzen erst erzeugen läßt. Nicht daß de facto ganze Länder vom Markt ausgeschlossen sind, ist dann der Mißstand, den es zu beheben gilt, sondern der Markt selbst erscheint als das Ungetüm, das die Welt vor die Wand fahren läßt. Wie das Völkchen der Fundamentalkritiker ein solches Ungetüm braucht, um sich als Völkchen zu erhalten, so brauchen andere wiederum das Völkchen, um als Apologeten des Kapitalismus auftreten und Nahrung finden zu können. Man findet solche Apologien zyklisch in Kulturzeitschriften. Hinter ihren geschlossenen Türen werden dann entschlossen offene Türen eingetreten, etwa jene der historischen Entfremdungskritik. Man merkt schon: Solche Rechtfertigungen haben etwas Stapfendes, man möchte ihnen abends nicht auf der Straße begegnen. Charmante Stimmen sind nicht dabei.

Eine einnehmende Stimme indes ist jene von Eva Illouz. Die Jerusalemer Soziologin hat eine gänzlich spielerische Verteidigung des Kapitalismus geschrieben. Sie verteidigt den dynamischen Unternehmer mit den Mitteln der Liebe. "Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus" heißt der Untertitel ihres Buches "Der Konsum der Romantik". Der Titel zeigt in Richtung Kulturgeschichte, gemeint ist aber eine Soziologie alltagsromantischer Vorstellungen und trivialromantischer Redeweisen. Das Buch denkt angenehmerweise stets mit, daß eine solche Verteidigung sich eigentlich nicht gehört. Zum einen, weil es, wie gesagt, im strengen Sinne nichts zu verteidigen gibt bei etwas, das da ist wie die Luft zum Atmen. Zum anderen, weil die Kollateralschäden eines Systems der globalen Konsumentensouveränität natürlich ins Auge springen - und sei es in der Tatsache, daß etliche Erdbewohner den Status des Konsumenten noch gar nicht erreicht haben, in ihrem Leben auch nie erreichen werden. So mußte Eva Illouz beinahe zwangsläufig das Vergrößerungsglas der Liebe wählen. Wie Georg Simmel die Philosophie des Geldes für die Liebe fruchtbar machte, so nutzt Eva Illouz die Philosophie der Liebe von Georges Bataille, um Erotik und Kapital zu versöhnen. Eine ihrer Thesen lautet: Im Bild der außergewöhnlichen Stunde setzt sich romantische Liebe gerade dadurch dem Markt entgegen, daß sie rituell Luxusartikel konsumiert, welche nur innerhalb des Marktes zu erwerben sind. Champagner halten deshalb die Interviewpartner von Illouz für "romantischer als Bier, Lachs oder Kaviar für romantischer als Hamburger, förmliche Kleidung für romantischer als den Jogginganzug, ein französisches Restaurant für romantischer als eine Imbißstube".

Erzählen läßt sich "Der Konsum der Romantik" als eine Kulturgeschichte des Rendezvous. Eva Illouz benutzt den Begriff der Romantik in seiner angelsächsischen Unbescholtenheit. Als solcher ist er frei von ideengeschichtlichen, kulturkritischen Ambivalenzen, er bezeichnet schlichtweg Momente intensiver, atmosphärisch stark aufgeladener Begegnung: It's magic. Ein Kameramann drückt es so aus: "Ich denke, wenn mich eine Frau zu einem sehr teuren Essen einladen würde, das wirklich gut wäre, und der Wein wäre großartig, und es wäre ein offensichtlich gutes Restaurant, dann würde mich das ihr gegenüber sehr positiv stimmen."

Die Autorin beschreibt zunächst die Verschränkung von Ökonomie und Intimbeziehung im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts in Amerika: Die Konsumwerbung richtet sich verstärkt auf "romantische" Ideale aus, während die Manifestationen der Zuneigung mehr und mehr vom Warenkonsum imprägniert sind. Im Sinne Simmels kommt es zu einer Versachlichung der Liebe, die nicht als Reinigung von Affektgehalten mißverstanden werden darf, sondern als Darstellung der Affekte im Medium des Konsumguts zu deuten ist. Axel Honneth weist im Vorwort auf die kulturelle Revolution hin, die das Rendezvous als Ersatz für die bürgerliche Institution des "Vorsprechens" bedeutete. Von hier aus wird in der Tat die institutionelle Neuerung des Rendezvous erst greifbar, des selbstarrangierten Treffens eines verliebten, aber noch unentschlossenen Paares außerhalb der elterlichen Wohnung - zentral für Illouz deshalb, weil erst so der Warenwelt im größeren Stil ein Weg in die Romanze eröffnet wird. Ganz anders als zuvor ist man nun darauf angewiesen, eine Konsumkultur zu entwickeln, um der Beziehung eine Gestalt zu geben. Eva Illouz untersucht dies recht anschaulich und faktengesättigt anhand der Lokalitäten, an denen sich öffentlich die intime Anbahnung der Beziehungen vollzog: Restaurant, Kinosaal, Tanzstätte, Auto. Und ihre Interviews zeigen auch die Grenzen der Romantik, wenn die Beziehung wiederum die häusliche Gestalt der Ehe angenommen hat: "Er hat mir nie Blumen gebracht, er ging nie mit mir zum Essen aus, das hörte alles auf! All diese romantischen Gesten!"

Sie springt dann von den dreißiger zu den neunziger Jahren als der "postmodernen Liebesordnung", in welcher es nicht mehr der pure Luxus als solcher ist, sondern die Codes der Natur, des Reisens und der Intimität, welche zur suggestiven Verknüpfung von Liebe mit bestimmten Konsumartikeln herangezogen werden. Zwar bestimmt, so das Resümee, weiterhin der Bedeutungshorizont des romantischen Erlebens den größten Teil der Werbung, aber im optischen Vordergrund stehen die mit dem Konsumgut verbundenen Gelegenheiten zum gemeinsamen Ausstieg aus den Alltagsroutinen. Wie sich Konsumbotschaften und Selbstwahrnehmung der Adressaten wechselseitig stabilisieren und interpretieren, blättert Eva Illouz in einer prägnanten Empirie von Werbemedien und Einzelinterviews mit Hausfrauen, Rechtsanwälten, Kellnern, Ärzten, Dirigenten, Privatdetektiven, Raumpflegern oder Lehrern auf. So entsteht ein Bild von romantisch gefaßter Liebe als konsequent konsumgestützter Passion. Ein Schauspieler: "Wir blickten über Paris, und dann der Eiffelturm."

Mehr als mit Victor Turners Ritualbegriff stützt sich Illouz auf die nur beiläufig erwähnten, aber durchgängig verwendeten Denkfiguren Georges Batailles. Akkumulation und Investition machen den Apparat des Wirtschaftens aus - im Sinne Batailles ein Verschwendungsapparat wie Krieg und Liebe, in welchem die Grenzüberschreitung keine Denkbewegung ist, sondern eine Angelegenheit der Erfahrung, die am Ende nicht vernünftig bewerkstelligt werden kann. Die Unersättlichkeit des dynamischen Unternehmers ist auf das Verbot als Sonderfall der Grenze unbedingt angewiesen, um es überschreiten zu können (nur der Puritaner spricht von "übertreten"). " Wirtschaftsethik" erscheint als Analogon zum Sprachspiel sexueller Normen - man braucht beide, um überhaupt erst eintreten zu können in den Prozeß der menschlichen Entgrenzung, der in seiner Tendenz exzessiv ist - in der Liebe wie im Kapitalismus. Von hier aus erscheint Batailles transgression indéfinie als ein marktkonformes Überschreitungsmodell, das die Grenzen der Nachfrage stets neu durch den Stimulus des Angebots sprengt. Wobei "sprengen" gerade nicht "abschaffen" heißt: Die Grenzen müssen in Kraft bleiben, soll von ihnen der Impuls ausgehen, überschritten zu werden.

Wer sind Roß und Reiter des Völkchens, gegen das Eva Illouz das Schwert Batailles führt? Zu nennen sind auf seiten des deutschen Ostens Wolfgang Engler, auf seiten der transzendentalen Unbehaustheit die "Empire"-Autoren Antonio Negri und Michael Hardt, auf seiten des Populismus Naomi Klein. Während Negri und Hardt in der Globalisierungszeit einen Wechsel des revolutionären Subjekts von der Klasse zur Masse (zur metaphysisch obdachlosen multitude) ausmachen, ist Naomi Klein gegen die Privatisierung von Wasser und Strom.

Zur letzten Konsequenz getrieben sind diese Dinge bei Wolfgang Engler, im Bund der Kapitalismuskritiker gleichsam ein Quereinsteiger. Im letzten Jahr hat er ein Buch mit dem Titel "Die Ostdeutschen als Avantgarde" geschrieben. Darin war zu lesen, daß in Zukunft alles schrumpfen werde, mit Ausnahme der Produktivität, die sich aber auf immer weniger Köpfe verteilen wird, welche sich zu Tode arbeiten, während die anderen in Gefahr sind, sich zu Tode zu langweilen. In dieser Situation sind die Ostdeutschen, die mangels Job jetzt nichts zu tun haben, Avantgarde. Sie können laut Engler dem Rest des Landes schon einmal vormachen, wie man ohne Job mehr zu sich selbst kommt, zum "Leben" eben, weswegen der Staat ihnen fraglos auch das nötige Lebensgeld im Sinne einer Grundversorgung bereitzustellen hätte. Die Masse der Beschäftigungslosen wird zum Altar, auf dem die Gesellschaft in einer ununterbrochenen souveränen Verausgabung ihrer materiellen Überschüsse grandios opfert.

Im genau entgegengesetzten Sinne - statt unser Lebensgeld an der Trinkhalle für Bier zu opfern, opfern wir Champagner für die Romantik - macht auch Illouz geltend, daß es dem Menschen darum geht, Überschuß anzuhäufen, um ihn souverän verausgaben zu können, daß er also im Kern gar nicht auf das Notwendige, sondern auf das Überflüssige gerichtet ist.

Mit dem Buch von Eva Illouz gibt es ein kleines theoriepolitisches Ereignis zu vermelden. Man malt es sich vielleicht am besten so aus: Wenn es Abend wird auf dem Globus, zieht das Völkchen der Kapitalismuskritiker - Engler, Negri, Hardt und Klein - im Fackelzug nach Frankfurt, macht dort halt vor dem Institut für Sozialforschung und ruft Axel Honneth ans Fenster. Der Nachfolger Adornos als Theoretiker des kapitalgestützten Verblendungszusammenhangs gilt ihnen als sicherer Kantonist. Doch Honneth, statt sich wie erwartet in den Protestzug einzureihen, reicht den Wartenden das Büchlein von Eva Illouz - und gibt ihnen damit durch die Blume einen Korb. Und bleibt im Haus. Wie sich vor dem Fenster herausstellt, hat er gar die Schirmherrschaft des Bandes übernommen, hat nicht nur das empfehlende Vorwort geschrieben, sondern das Buch auch in die Publikationsreihe seines Instituts hineingenommen. Im Kapitalismus gibt es keine Liebe - dieser Refrain, bei dem nie so recht klar wurde, was eigentlich Kapitalismus, was Liebe sei, ist in der Frankfurter Sozialforschung von nun an verstummt. Ja, Honneth steigert sich geradezu in das Paradox hinein, für dessen Formulierung er keine Zuspitzung scheut: "Es ist allein der Warenmarkt, sein Reichtum an affektiv besetzbaren Symbolen, der heute die antiutilitaristischen Motive des romantischen Liebesideals am Leben erhält." Wer möchte nach einem solchen Satz noch daran zweifeln, daß sich die Kritische Theorie von dem, was sie einmal Kapitalismuskritik nannte, nachhaltig verabschiedet hat? Auch dies eine Note zum Adorno-Jahr.

Gleichsam im Exkurs entwirft Eva Illouz eine Phänomenologie der Liebe in den Zeiten der wirtschaftlich unabhängigen Partner. Ihnen ist es möglich, auch die Liebe selbst stärker unter dem Gesichtspunkt einer Ökonomie der Gefühle zu fassen. Illouz interpretiert dies als quasi-institutionalisierte Möglichkeit, Liebe und Sexualität auseinandertreten zu lassen, als Tendenz zur "Konsumentenrationalität" auch im Beziehungsleben. Dabei handelt es sich um eine Ökonomisierung des Intimlebens, die hier als historische Errungenschaft betrachtet wird. Denn für Illouz steht fest: Im Blick auf die Emanzipationsbewegungen der romantischen Epoche stellt "die heutige romantische Kultur, wie hedonistisch und ,gewichtslos' sie mitunter auch immer erscheinen mag, den postumen Sieg dieser Liebenden dar".

Illouz nimmt es als gegeben, daß das Reservat romantischer Liebe die Affäre bleibt, derweil die Ehe immer mehr ein Gegenstand therapeutischer "Arbeit" wird. Während die Berufsarbeit mit diesem Typus Ehearbeit voll kompatibel erscheint, stellt der Exzeß der Affäre umgekehrt eine Bedrohung der Erwerbsarbeit dar, des kapitalistischen Herzens. Man versteht von hier aus, warum Bataille für den Ursprung der Verbote den Schrecken verantwortlich macht. Die Verbote, so schreibt er in seiner alle Kritische Theorie jetzt auch von innen sprengenden "Erotik", "haben sich mit einer Art Schrecken aufgedrängt, weil die Geistesverfassung, die die ruhige Ordnung der Arbeit garantiert, anders nicht aufrechterhalten werden kann".

Aber so unbedingt das Verbot daherkommt, so unbedingt bleibt der Anspruch, es hinter sich zu lassen. Denn ein Schrecken steht nicht nur am Ursprung der Verbote, ein Schrecken steht auch am Ursprung ihrer Überschreitungen: Es ist der Schrecken, den Exzeß nicht zu wagen. "Es ist nur ein Exzeß", schreibt der tumultuarische Geist Bataille, "ein schwindelerregender Exzeß, doch ist es der exzessive Gipfel dessen, was wir sind. Wir können uns von diesem Gipfel nicht abwenden, ohne uns von uns selbst abzuwenden. Wenn wir uns diesem Gipfel nicht nähern, wenn wir uns nicht bemühen, wenigstens die Abhänge zu ersteigen, leben wir wie eingeschüchterte Schatten - und zittern vor uns selbst."

Ist das Lob von wahrer Liebe und souveräner Verschwendung, von dem uns Eva Illouz erzählt, am Ende vergiftet? Es ist nicht vergiftet. Es ist nur schrecklich - der ganz gewöhnliche Schrecken, der wir selber sind.

derStandard.at | Wissenschaft | Welt

21.04.2006 16:31

Shopping am Emotions-Markt Affekte im Büro, Partnersuche im Internet, Liebeskonsum: Die israelische Soziologin Eva Illouz erforscht die Gefühlswelt des Kapitalismus

Wer vom Kapitalismus reden will, darf von seinen ironischen, paradoxen Volten nicht schweigen. Denn der Kapitalismus ist ja mehr als nur eine Produktionsweise, er richtet sich die Menschen her, färbt Ideen, Affekte, Gefühle ein. Aber er macht darum eben nicht nur die Gefühle "kapitalistisch", der Kapitalismus wird damit auch zu einer "Gefühlssache". Er macht, schreibt die israelische Soziologin Eva Illouz, "die Emotionen instrumenteller", aber eben auch "das Ökonomische selbst emotionaler".

Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, heißt der Suhrkamp-Band, der auf Illouz' Adorno-Vorlesungen aus dem Jahr 2004 beruht. Qualifiziert, wenn man das so nennen darf, hat sich Illouz für die reputierliche Frankfurter Vortragsreihe durch ihre viel gerühmte Studie Der Konsum der Romantik, mit der die Jerusalemer Dozentin vor drei Jahren einen veritablen Hit gelandet hat.

Darin hat sie material- und bildreich gezeigt, dass die modernen Ideen von Liebe, Hingabe, Romantik keineswegs "das Andere" einer Ökonomie sind, die man in der Regel als berechnend, auf den Vorteil orientiert heißt - sie sind selbst vielmehr ein Produkt dieser Ökonomie. Kaum ein Werbefilm, der nicht mit Vorstellungen von Romantik kokettieren, kein romantischer Moment, der nicht nach Werbung riechen würde. Keine Romanze, die nicht auch eine Konsumtion wäre: beim Rendezvous im schönen Restaurant, beim Kinobesuch, bei der Reise zu zweit, beim Knutschen zur rechten musikalischen Untermalung.

"Der Kapitalismus ist unerbittlich in die privatesten Nischen unseres zwischenmenschlichen und emotionalen Lebens eingedrungen", formuliert Illouz - es sind Waren, die unsere Erfahrungen produzieren. Im Konsumkapitalismus bekommt die berühmte Wendung La Rochefoucaulds, wonach viele Menschen sich niemals verlieben würden, wenn sie nicht davon gehört hätten, eine eigentümliche Wahrheit.

Aber wenngleich die romantischen Praktiken von einer konsumorientierten Mentalität durchdrungen seien, so analysierte Illouz die Chose doch nicht im kulturkritischen Moll. Im Gegenteil: Bei aller kritischen Durchsicht der "politischen Ökonomie der Liebesbeziehung" sind die Romantikwaren doch nützlich. Die Waren, so Illouz' überraschende Pointe, stehen der "wahren Liebe" nicht im Wege, sie ermöglichen sie erst.

--->Der "emotionale Stil" unseres Zeitalters

In ihren Frankfurter Vorlesungen spinnt Illouz den Faden in mehrere Richtungen weiter. So fragt sie, welche Folgen die Machtübernahme des Kommunikativen am Feld des Ökonomischen für den "emotionalen Stil" unseres Zeitalters hat; weiters widmet sie sich dem therapeutischen Jargon; zudem der grassierenden Partnersuche im Internet. Der kommunikative Turn in der Unternehmensführung hat die Wirtschafts- wie die Gefühlswelt revolutioniert. Es zog die Psychologie ins Unternehmen ein. Dass Affekte wesentlich über ökonomischen Erfolg entscheiden, wurde allgemein anerkannt.

Dies kann leicht sektenhafte Züge annehmen, etwa wenn eine Firma ein "Gemeinschaftsgefühl" herstellen will - in aller Regel aber hat die Emotionalisierung der Unternehmenskulturen für die Arbeitnehmer mehr Vorteile als Nachteile. Ein Geist der Kooperation zieht ein. Managementratgeber lesen sich, so Illouz, "wie Handbücher der Semiotik", damit die Manager "Zeichen und Signale" ihrer Visavis zu deuten vermögen.

"Um ein guter Kommunikator zu sein, muss man das Verhalten und die Emotionen der anderen interpretieren können." Man hält die Kommunikation hoch, um strategische Ziele zu erreichen, aber sie lassen sich nur realisieren, wenn man den Anderen anerkennt. Es zieht ein geradezu therapeutischer Ton in die Firmen ein, meint Illouz, die "kulturellen Diskurse der Therapie" und "der ökonomischen Produktivität" haben sich "vermischt". Und wenn die Warenproduktion das Therapeutische adoptiert, dann führt das natürlich unweigerlich dazu, dass das Therapeutische selbst zur Ware wird, die die Menschen zugleich als Konsumenten wie auch als Kranke konstituiert. Denn irgendeinen Tick hat jeder, und von dem leben Berufstherapeuten, Fernsehtalkshows, Verlagsindustrie, Berater, "ganze Berufskohorten".

Jeder bringt heute die Bereitschaft mit, auf sich den therapeutischen Blick zu werfen. Bewusste Selbstbearbeitung und Selbstdarstellung gehört heute in vielen Milieus zum guten Ton. Und in den Partnerbörsen des Internets erreichen sie eine neue Qualität. Der "Konsum der Romantik" wird hier buchstäblich. Der Erlebnishunger wächst. Man kann zwischen tausenden potenziellen Partnern für ein Treffen wählen. Um die Aufmerksamkeitsschwelle zu überschreiten, muss ich mich anpreisen.

Illouz: "Der Prozess der Selbstbeschreibung bedient sich kultureller Skripte der wünschenswerten Persönlichkeit" - wer eine Chance haben will, nennt sich "lebenslustig", "aufgeschlossen", "unbekümmert", "humorvoll". Spätestens damit freilich ist die Konsumwelt des Romantischen vom Shopping nur mehr schwer zu unterscheiden. (Robert Misik/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. - 17. 4. 2006)


Eva Illouz, "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus", Adorno-Vorlesungen 2004. € 15,30, 170 Seiten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2006.

Robert Misik lebt als freier Publizist in Wien, er schreibt für österreichische und deutsche Zeitungen und Magazine. Zuletzt erschien von ihm "Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore", Aufbau Verlag.