Corporal Plus Testsystem

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Das Testsystem Corporal Plus dient der computerunterstützten Psychodiagnostik kognitiver Basisfunktionen im bildlich-räumlichen Bereich. Die Einzeltestverfahren von Corporal Plus weisen Querverbindungen untereinander auf. Der Entwickler Michael Berg nennt dies Thematisches Testsystem[1].

Die Darbietung am Computer ermöglicht es, die Testverfahren sowohl automatisiert durchzuführen als auch differenziert auszuwerten.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Anfänge reichen in die 1990er zurück und basieren auf Erfahrungen des Entwicklers mit etablierten computergestützten psychologischen Testapparaten. Die erste Software enthielt anfänglich nur vier Tests mit visuellem Reizmaterial zur Erfassung von Funktionen der Aufmerksamkeit. Daraus leitete sich der Name für das Vorläufer-System ab: Testsystem Corporal A (A=Attention). Im Zuge einer Neuprogrammierung wurde das Testspektrum um weitere Testverfahren zur Erfassung von Funktionen der Aufmerksamkeit erweitert. Zudem wurde ein eigenes externes Eingabegerät entwickelt.

2013 wurde Corporal A durch das neue Testsystem Corporal Plus ersetzt[2]. Es basiert auf den Standards des Testsystems Corporal A, wurde dabei aber software- und hardwareseitig an moderne Bedieneransprüche und heutige technische Standards angepasst. Das ursprüngliche Testsystem Corporal A (=Attention) wurde nunmehr zum Subsystem; ergänzt um die Subsysteme Corporal S (=Spatial Ability) sowie Corporal R (=Recall).

Tastengerät des Testsystems Corporal Plus. Vier Antwortoptionen: oben, unten, rechts, links.

Im Zuge der Neugestaltung konnte das Testspektrum um weitere Testverfahren z. B. mit akustischer Reizdarbietung ergänzt werden.

Theoretischer Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Testsystem Corporal Plus basiert auf Testverfahren, die auseinander hervorgehen und konstruktionsbedingt Querverbindungen untereinander aufweisen[1]. Als Reizmaterial werden im gesamten Testsystem zwei einfache visuelle Symbole (Pfeil und Kreuz) mit exakt gleicher Komplexität verwendet[2]. Deren spezifisches Zueinander bestimmt die Aufgabenanforderung in den jeweiligen Testverfahren.

Dieses Konstruktionsprinzip basiert auf den von Berg (1993)[3] formulierten Konstituentenansatz und setzt direkt an der Aufgabenschwierigkeit an. Dabei werden aus dem Wissensbestand der Kognitionswissenschaften Annahmen darüber abgeleitet, welche Variablen/Teilprozesse die Schwierigkeit von Testaufgaben bedingen (sog. Schwierigkeitskonstituenten). Die Schwierigkeit von Testaufgaben wird somit im Sinne theoriegeleiteten Schwierigkeitsprofils inhaltlich bestimmbar und lässt sich anschließend mit dem empirisch erhaltenen Schwierigkeitsprofil vergleichen. Hier setzt auch das im Testsystem Corporal Plus verwendete Prinzip der Validierung an: die theoriegeleitete Konstruktvalidität (Berg, Reimann & Schubert, 2014).[4]

Testverfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Testsystem Corporal Plus stehen 14 Testverfahren für die Bereiche Aufmerksamkeit, Räumliche Orientierung und Arbeitsgedächtnis in 14 Sprachen zur Verfügung. Konstruktionsbedingt gibt es für jedes Testverfahren zwei Testformen.

Beispiele für Testverfahren im Corporal Plus:

  • Konzentration[2]: Das Testverfahren zur Erfassung von Konzentrationsfähigkeit basiert auf Mechanismen der selektiven Aufmerksamkeit – erfasst durch Interferenzaufgaben. Diese sind bekannt geworden durch die klassischen Experimente von Stroop (1935)[5] und dem Stroop-Effekt. Der Proband muss auf die Orientierung des Pfeils reagieren und gegen die Lokation desselbigen „abschirmen“.
    Aufgabenstellung: Wohin zeigt der Pfeil? Antwort: rechts.
  • Orientierung[2]: Das Testverfahren zur Erfassung von räumlicher Orientierungsfähigkeit basiert auf den Theorien zur mentalen Rotation von Shepard und Metzler (1971)[6]. Zu reagieren ist auf die Orientierung des Pfeils, allerdings aus der Perspektive des Kreuzes.
    Aufgabenstellung: Wohin zeigt der Pfeil aus der Sicht des Kreuzes? Antwort: links.
  • Arbeitsgedächtnis[2]: Das Testverfahren ermöglicht die Erfassung der Leistung des Arbeitsgedächtnisses und basiert auf den Annahmen zum „visuo-spatial sketch pad“ von Baddeley (1974)[7] (Baddeleys Arbeitsgedächtnismodell). Zu reagieren ist auf eine Abfolge von acht Kreuzen und gleichzeitig ist diese im Gedächtnis zu behalten. Anschließend muss die zuvor dargebotene Abfolge wiedergegeben werden.
    Aufgabenstellung: Die Position von acht Kreuzen in der korrekten Reihenfolge zunächst einprägen und dann erinnern.

Einsatzgebiete[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vor allem im Bereich der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung[8][9] ist das Testsystem Corporal Plus etabliert. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Listung im Kommentar zu den Begutachtungsleitlinen, als in allen Bundesländern zugelassenes System zur Fahreignungsdiagnostik[10]. Zu den weiteren Einsatzgebieten zählen:

  • Neuropsychologie
  • Klinische Psychologie
  • Eignungsdiagnostik, vor allem im Bereich der Eignung von Mitarbeitern für Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an die kognitive Leistungen stellen[11]. Auch bei Prüfung von Nebenwirkungen von Medikamenten wird Corporal als mögliches Testverfahren erwähnt.
  • Arbeits- und Verkehrsmedizin[12][13]
  • Gerontologie[14]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Berg, M & Schubert, W.: Das thematische Testsystem "Corporal" zur Erfassung von Funktionen der Aufmerksamkeit - Innovation für die verkehrspsychologische Diagnostik. In: Zeitschrift für Verkehrssicherheit. Band 45, Nr. 2, 1999, S. 74–81.
  2. a b c d e Berg, M. & Nädtke, J.: Psychometrisches Testsystem Corporal Plus. Testsystem zur Erfassung kognitiver Funktionen im bild-räumlichen Bereich - Manual. Vistec, Olching 2015.
  3. Berg, M.: Der Konstituentenansatz - Ein Weg zu höherer Ergiebigkeit leistungsdiagnostischer Methoden. In: G. Trost, K.H. Ingenkamp & R.S. Jäger (Hrsg.): Tests und Trends 10, Jahrbuch der pädagogischen Diagnostik. Beltz, Weinheim und Basel 1993.
  4. Berg, M., Reimann, C. & Schubert, W.: Validierung leistungspsychologischer Testverfahren unter Aspekten der Verkehrssicherheit. In: Zeitschrift für Verkehrssicherheit. Nr. 60-3, 2014, S. 150.
  5. Stroop, J. R.: Studies of interference in serial verbal reactions. In: Journal of Experimental Psychology. Band 18, S. 643–662.
  6. Shepard, R.N. & Metzler, J.: Mental rotation of three-dimensional objects. In: Science. Nr. 171, S. 701–703.
  7. Baddeley, A.D & Hitch, G. J.: Working Memory. In: G. H. Bower (Hrsg.): The psychology of learning and motivation: Advances in research and theory. Vol. 8. Academic Press, New York 1974, S. 47–89.
  8. Brieler, P., Kollbach, B., Kranich, U. & Reschke, K.: Leitlinien verkehrspsychologischer Interventionen. Kirschbaum, Bonn 2016.
  9. Kiegeland, P.: Praxishandbuch der Exploration. Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Berlin 2011, S. 48–49.
  10. Schubert, W., Schneider, W., Eisenmenger, W. & Stephan, E.: Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar. 2. Auflage. Kirschbaum, Bonn 2005.
  11. Kahl, K.G. & Winter, L.: Arbeitsplatzbezogene Psychotherapie. Intervention, Prävention und Rehabilitation. Kohlhammer, Stuttgart 2017.
  12. Reimann, C. et al.: Handbuch des Fahreignungsrechts. Hrsg.: Patermann, A., Schubert, W. & Graw, M. Kirschbaum, Bonn 2015, S. 191–193.
  13. Berg, M.: Psychometrie in der betriebsärztlichen Praxis am Beispiel des Testsystems Corporal. In: Hofmann, F. & Kralj, N. (Hrsg.): Handbuch betriebsärztlicher Dienst. Grundlagen, Praxis, Organisation. Ecomed-Medizin, Heidelberg, München, Landsberg, Frechen, Hamburg 2011.
  14. Schulz, P., Spannhorst, S. et al.: Preliminary Validation of a Questionnaire Covering Risk Factors for Impaired Driving Skills in Elderly People. In: Geriatrics. Nr. 1, 5, 2016.