Diskussion:Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir

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Letzter Kommentar: vor 6 Jahren von 2003:8E:6C14:8701:BB14:B524:79B8:D8C2 in Abschnitt Besetzung
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Besetzung[Quelltext bearbeiten]

"... ein Chor ist nicht ausdrücklich gefordert ..."

In keinem einzigen Werk von Bach wird ausdrücklich ein "Chor" im Sinne dessen, was wir heute darunter verstehen (eine Gesangsgruppe mit mehrfach besetzten Stimmen), gefordert. "Coro" war damals einfach die Bezeichnung für ein Gesangsstück mit mehr als drei Stimmen. Auf allen Titelblättern gibt Bach als Besetzung einfach die im Werk vorkommenden Partien an, weder vokal noch instrumental wurde jemals eine mehrfache Besetzung "ausdrücklich gefordert". Es war damals allgemein üblich, dass anspruchsvolle und schwierige Figuralmusik solistisch gesungen wurde. Nur bei wenigen Kantaten aus der Leipziger Zeit geben die originalen Stimmbücher oder Hinweise in der Partitur zu erkennen, dass in Chorsätzen eine Gruppe von "Ripienisten" als registerartige Verstärkung eingesetzt wurde. Diese war einfach besetzt, es war ein separat aufgestelltes zweites Quartett. In der Mühlhausener Ratswechselkantate BWV 81 ist eine Ripienistengruppe ad libitum angegeben, Ripienostimmen wurden bei derart festlichen Aufführungen eingesetzt, wenn geeignete Sänger vorhanden waren, aber sie galten nicht als strikt erforderlich. Das alles ist inzwischen minutiös genau erforscht und sehr gut belegt, kein ernsthafter Bachforscher der jüngeren Generation glaubt heute noch, dass Bach einen "Chor" in unserem Sinne hatte, und diverse solistisch musizierende Ensembles haben auch den praktischen Beweis geliefert, dass Chöre ganz gut entbehrlich sind. Das aber geht bestimmten Interessengruppen gegen den Strich, die nicht wahrhaben wollen, dass die heutige sich "historisch informiert" nennende Musizierweise mit Chor und Barockorchester immer noch viel mehr mit Gewohnheiten aus dem 19. Jahrhundert als mit Bachs eigener Klangwelt zu tun hat. Diese Interessengruppen schüren - obwohl sie ihre eigene Auffassung, dass Bach einen mehrfach besetzten Chor gewollt hätte, nur mit Mutmaßungen und Spekulationen begründen können - immer noch Skepsis gegen Erkenntnisse, die aus dem Quellenmaterial absolut logisch und sonnenklar hervorgehen, und weil diese Interessengruppen zwar wenig Argumente, aber eine starke Lobby haben, wird bei Wikipedia im Geiste vermeintlicher "Neutralität" immer noch die Auffassung, die sich in der internationalen wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt hat, als eine Art exotischer Sondermeinung dargestellt. Zumindest bei Bachs Kantaten aus Mühlhausen und Weimar können wir aber sehr sicher von einer solistischen Besetzung als Norm ausgehen, und auch in Leipzig, wo der Chordienst in der Thomaskirche regulär von acht Sängern verrichtet wurde, spricht sehr viel dafür, dass Kantaten meistens von den vier besten gesungen wurden und nur gelegentlich mit Verstärkung durch die vier zweitbesten. Mutmaßungen darüber, ob Bach eine stärkere Besetzung - die damals in Deutschland einfach nicht üblich war - gewünscht hätte, sind ungefähr so sinnvoll wie die Frage, ob Bach sich einen Steinway-Flügel gewünscht hätte. Das heißt nicht, dass "schlecht" oder "falsch" wäre, Bach auf einem Steinway zu spielen oder mit Chor zu singen, aber "authentisch" ist es nicht. -- 2003:8E:6C14:8701:BB14:B524:79B8:D8C2 13:25, 26. Okt. 2017 (CEST)Beantworten