Diskussion:Gesellschaftsgeschichte
Gesellschafts- oder Sozialgeschichte?
[Quelltext bearbeiten]Ist dies nicht eine merkwürdige Begriffsbildung? Da die Geschichte durchaus eine Gesellschaftswissenschaft ist, und eine Geisteswissenschaft sein sollte, so haben wir es wohl mit einer Tautologie zutun, ähnlich wie "Gesellschaftssoziologie" und dergleichen mehr. Müsste vielleicht näher auseinandergesetzt werden. Anonymous -- 81.36.172.163 18:10, 4. Jul. 2009 (CEST)
Der Begriff „Gesellschaftsgeschichte“ wurde schon von Karl A. Wittfogel 1924 in seinem Vorwort zu seiner „Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ benutzt:
„C) GESELLSCHAFTSGESCHICHTE, NICHT STAATENGESCHICHTE
In einem Punkt freilich haben sich die Anschauungen des Verfassers seit dem Erscheinen des ‚Urkommunismus‘ nicht gewandelt. Von Kaisern und Päpsten, von einzelnen Schlachten und großen Feldherrn ist in seiner Entstehungsgeschichte der bürgerlichen Welt sehr wenig die Rede. Die Antriebe und die typischen Formen der Gesellschaftsentfaltung (das Wachstum der Wirtschaftsverfassung und die Gegensätze, das Schicksal der alten und der modernen Klassen), sie bilden den wesentlichen Inhalt der nachfolgenden Darstellung.“
(Karl A. Wittfogel: Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Von ihren Anfängen bis zur Schwelle der großen Revolution. SOAK-Verlag Hannover 1977. ISBN: 3-88209-003-0. (Nachdruck der 1924 im Malik-Verlag Wien erschienen Ausgabe). S. 13f.)
Da ich im Moment selber nicht nachprüfen kann, in welchem Verhältnis Hans-Ulrich Wehlers Begriffsverwendung zu derjenigen Wittfogels steht, möchte ich mich vorläufig auf diesen Hinweis beschränken.
Zur Begriffsgeschichte von „Gesellschaft“ vs. „Staat“ in der deutschen Theorietradition, insbesondere bei Hegel und Marx, recht informativ schon Heinrich Cunow: Die Marxsche Geschichts-, Gesellschafts- und Staatstheorie. Grundzüge der Marxschen Soziologie. II. Band. Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1921.
Da „Gesellschaftsgeschichte“ genau auf dieses Begriffspaar und dessen theoretische Tradition reflektiert, kann dieser Begriff keineswegs durch „Sozialgeschichte“ ersetzt werden. Denn „sozial“ ist kein Begriff, sondern ein Wieselwort, das nicht zur theoretischen Erhellung, sondern nur politischem Obskurantismus Vorschub leistet.