Diskussion:Seconda pratica

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Letzter Kommentar: vor 1 Jahr von 2003:D8:6729:2100:885D:E63B:9696:C690
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der Artikel is furchtbar schlecht! das Verständnis der seconda pratica nur auf eine monodische Form zu Begrenzen erscheint mir schlichtweg falsch. Der Streit zwischen Artusi und Monteverdi entfachte sich (unter anderem) an dem Madrigal "Cruda Amarillis", also in polyphoner Musik. Bestandteil dessen war der kontrapunktisch nicht vorbereitete Einsatz in None und Sept. Das das Konzept der prima pratica auch auf monodische Formen (s. Entwicklung der Oper) angewendet wurde ist zwar richtig aber nicht der Kern der Neuerung. (nicht signierter Beitrag von Benedictii (Diskussion | Beiträge) 11:20, 10. Feb. 2011 (CET)) Beantworten

Da kann ich Ihnen nur zustimmen; Um genau zu sein wird das Thema "Monodie" als Gegensatz zur Polyphonie in dem Diskurs zwischen Monteverdi und Artusi KEIN EINZIGES MAL in solcher Form (also als Konfliktgegenstand; die Monodie als Bestandteil der "Seconda Pratica" und die Polyphonie als Bestandteil der "Prima Pratica", oder ähnliches) erwähnt.
Offenbar wurde dieser Artikel diesbezüglich ja schon gründlich kritisiert, eine Änderung wurde bis jetzt leider immer noch nicht vorgenommen... --2003:D8:6729:2100:885D:E63B:9696:C690 14:39, 26. Mär. 2023 (CEST)Beantworten

Da könnte was nicht stimmen[Quelltext bearbeiten]

Zitat: "Der Begriff Seconda Pratica wird 1603 von Artusi verwendet und streng gegen als „modern“ gekennzeichnete Prima Pratica abgrenzt, indem Artusi „Melodie“ ausschließlich polyphon versteht." Das scheint mir so nicht haltbar und korrekturbedürftig. --Balliballi (Diskussion) 01:23, 22. Mär. 2013 (CET)Beantworten

Alles falsch![Quelltext bearbeiten]

Nahezu jeder Satz dieses Artikels ist falsch.

(Hm, so lang sollte meine Anmerkung gar nicht werden – wenn ich mal etwas mehr Zeit habe, würde ich den Artikel komplett unter genauen Quellenangaben umschreiben … Einwände, Kritiken, unterstützende Zitate oder – falls es sowas gibt: korrekte Interpretationen der "Seconda Pratica" durch moderne Musikwissenschaftler bitte hier posten. Danke!)

Mit "seconda pratica" bezeichnet Monteverdi ausdrücklich nicht einen "neuen Stil", sondern eine "zweite Praxis" des Komponierens, die neben dem "ersten" schon immer existiert hat. Dabei sind unter "Komponieren" ALLE Mittel zu verstehen, die dem Komponisten zur Verfügung stehen. Es KANN sich also nicht um ein "Stilmittel" z.B. in Form einer neuen Satztechnik (wie Monodie) oder satztechnischer Lizenzen (z.B. freierer Umgang mit Dissonanzen) handeln. An letzteren entzündet sich zwar die "Debatte" (mit "Beiträgen" im Abstand von mehreren Jahren – was für ein "Sturm im Wasserglas"!); sie ist aber trotzdem nicht das einzige Mittel, mit dem der Komponist die "Herrschaft der REDE (nicht: des Textes!) über die Musik" realisieren kann – auch wenn die Musikwissenschaft "seconda pratica" durchgängig nur in diesen zwei (falschen!) und in dieser Reduktion von Monteverdi abgestrittenen (!!) Bedeutungen benutzt!

Deshalb suchen die Musikwissenschaftler seit Jahrzehnten erfolglos nach Musik, die sich satztechnisch als "seconda pratica" klassifizieren ließe – und geraten dabei immer wieder in eklatante Widersprüche zu Monteverdi selbst und untereinander. Sie gehen sogar so weit (wie Massimo Ossi erst vor kurzem) zu behaupten, Monteverdis Bruder Giulio Cesare habe in seiner "Dichiarazione" (= Erklärung zum "Brief" seines Bruders Claudio im 5. Madrigalbuch [1605]) diesen vermutlich absichtlich missverstanden und ihm mit seiner willkürlichen Neuinterpretation einen "Bärendienst" erwiesen. Dumm nur, dass die Dichiarazione als Anhang zu Claudio Monteverdis "Scherzi" von 1607 erschien. Sollte Claudio diese angebliche "Verballhornung" seiner Gedanken durch seinen Bruder nicht aufgefallen sein, denn er hat sich ja nie davon distanziert? Wie grotesk kann man als Wissenschaftler (?) seine historischen Quellen mutwillig missverstehen…?

So bezeichnet Monteverdi bspw. auch de Rore nicht als "Vater" oder "Begründer" der Seconda Pratica, wie praktisch überall zu lesen, sondern als "ersten Erneuerer in der Notation unserer Zeit". D.h., Monteverdi sagt damit, es gab eine Seconda Pratica schon VOR de Rore, z.B. in der Notation, die im 15. und frühen 16. Jh. in Gebrauch war (Mensuralnotation). Wann die Seconda Pratica nach Monteverdi begann => dazu unten gleich mehr.

Giulio Cesare Monteverdi gibt in seiner "Dichiarazione", die den "Brief" seines Bruders Satz(teil) für Satz(teil) (!!) erläutert, zwei Listen von Komponisten, die er (und mit Sicherheit auch sein Bruder Claudio) als Vertreter der Seconda Pratica ansieht. Zitiert wird fast immer nur die zweite – und selbst mit dieser kommen ihre modernen "wissenschaftlichen" Interpreten schon in die Bredouille: Denn Monteverdi listet dort Komponisten wie seinen Lehrer Ingegneri auf, bei denen sich – kaum verwunderlich – KEINE der satztechnischen Merkmale finden lassen, die doch angeblich (den Interpreten, nicht Monteverdi zufolge!) die Seconda Pratica auszeichnen. Gänzlich absurd wird die gängige Missinterpretation / Verdrehung des von Monteverdi Gemeinten aber, wenn man die erste Komponisten-Liste hinzu nimmt: Diese unterscheidet sich von der zweiten nur dadurch, dass die "genannten Herren" adlig sind. Angeführt wird diese Liste von Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, der für Monteverdi also offensichtlich der bedeutendste lebende Vertreter der Seconda Pratica ist! Zu dumm nur für die "Wissenschaft", dass ausgerechnet Gesualdos "manieristische Dissonanztechnik" (Carl Dahlhaus) vollkommen satzkonformer Kontrapunkt ist, wenn man die "Chromatik" – wie damals üblich – als "Färbung" [daher der Name] der satztechnisch korrekten Töne versteht. (Während Dahlhaus dies völlig korrekt so sieht, kommt er an anderer Stelle zu dem Schluss, dass ein von Monteverdi – in Anlehung an das zugrundeliegende, in der Vergangenheit angesiedelte Gedicht! – bewusst "altertümlich" komponiertes Madrigal "prima pratica" sei, während eben ein neueres mit satztechnisch irregulären Dissonanzen "seconda pratica" sei! Dass dies gerade auch für das erste Madrigal gilt, weil Monteverdi hier bewusst "ältere" Stilmittel einsetzt, um "Vergangenheit" zum Ausdruck zu bringen, entging Dahlhaus …)

Wann beginnt nun die Seconda Pratica, wenn nicht um 1600, auch nicht um 1550 mit de Rore …?

G. C. Monteverdi zitiert … Platon, der Sokrates im "Staat" (Politeia) sagen lässt, dass in der Musik das Wort den Vorrang vor Melodie und Rhythmus haben muss.

Platon, Staat, III: Buch: "Auf denn, sagte ich, so wollen wir auch das Übrige säubern! Denn das Nächste nach den Tonarten wird uns ja wohl sein das die Zeitmaße Betreffende, daß wir bei diesen nicht dem Bunten nachgehen oder auch allerlei Gangarten, sondern darauf sehen, welches das Maß eines geordneten und mannhaften Lebens ist; im Hinblick auf dieses muß man den Takt und die Melodie nötigen, sich nach der Rede eines solchen zu richten, nicht aber die Rede nach dem Takt und der Melodie."

Platon benutzt dabei "logos", also einen hochkomplexen Begriff, der eben schon zu Platons Zeit längst nicht mehr nur die lexikalische Einheit "Wort" bezeichnet und deshalb von Ficino auch mit "oratio" = Rede übersetzt wird, also demselben Begriff ("orazione"), den Monteverdi benutzt!!

Monteverdi: "…, che l’oratione sia padrona del armonia e non serva" [= "…, dass die Rede Herrin der Harmonie (Musik) sei, nicht (ihre) Dienerin"]

D.h., mit diesem "Autoritätsbeweis" datiert Monteverdi, in dessen Namen der Bruder seine "Dichiarazione" schreibt, die Seconda Pratica mal eben gut 2000 Jahre zurück – und bestätigt damit auch, was er vorher ausdrücklich sagt (und die Musikwissenschaft sich bis heute weigert wahrzunehmen!): Dass die Seconda Pratica gerade NICHTS NEUES sei, sondern eine zweite Praxis, die neben der ersten schon immer existiert habe. Versteht man "Prima Pratica" – fälschlich – mit der gängigen Interpretation der Musikwissenschaft als polyphonen, kontrapunktisch korrekten Satz, so gibt es Prima Pratica demzufolge übrigens frühestens seit dem Aufkommen der notierten polyphonen Musik im Mittelalter, d.h., die Seconda Pratica wäre damit sogar ca. 1500 Jahre ÄLTER als die "Prima Pratica". Soviel zum gern chronologisch gedeuten "prima" und "seconda" der musikalischen "pratica" im Sinne Monteverdis … Man sieht, die Interpretation der Seconda (und Prima) Pratica als an bestimmte Satztechniken und/oder stilistische Moden gebunden, führt nur in groteske Widersprüche … was die Musikwissenschaft aber bis heute nicht zu stören scheint.

Was aber ist Seconda Pratica dann? Monteverdi sagt es mit der zitierten berühmten Formulierung selbst: "dass die Rede die Herrin der Harmonie sei, nicht die Dienerin" (der Harmonie, hier zu verstehen als Musik bzw. musikalischer Satz, der vom Rhythmus/Metrum/zeitlicher Gliederung zu unterscheiden sei: Am ehesten versteht man die Unterscheidung – in der Nachfolge Platons – wohl so, dass derselbe musikalische Satz, ein- oder mehrstimmig, in unterschiedlichen Tempi ausgeführt sehr unterschiedliche Bedeutungen transportieren kann. Als Beispiel könnte man hier vielleicht die Versionen von "With a little help from my friends" von den Beatles und Joe Cocker anführen … ;-).) Versteht man hier "Orazione" im Sinne der Rhetorik, ist klar, dass zu einer "Rede" natürlich mehr als nur ihr Text gehört, sondern ALLES, was geeignet ist, dem Zuhörer den vom Redner gemeinten Sinn zu vermittelt: Rhythmus, Betonung, rhetorische Stilmittel … Welche dies sind und wie man diese richtig einsetzt, ist das Thema eben der Rhetorik, die seit der Antike gelehrt wurde – aber heute nicht mehr bekannt ist. Zumindest nicht unter den musikwissenschaftlichen Spezialisten der "Seconda Pratica"… D.h., für Monteverdi ist Seconda Pratica durch das Verhältnis des Komponisten zum Sinngehalt des Textes gekennzeichnet: Welche kompositorischen Mittel er dabei nutzt, um die von ihm intendierte Bedeutung zum Ausdruck zu bringen, ist dabei völlig gleichgültig. Auch eine satztechnisch völlig "korrekte" Komposition kann dies natürlich leisten!!

Ein Paradebeispiel hierfür ist ausgerechnet das ERSTE Madrigal im V. Buch, für das Monteverdi obligaten Generalbass vorschreibt: «'T'amo, mia vita'» auf den Text von Giambattista Guarini. Hier nutzt Monteverdi zum einen den Basso continuo, um das Eingangsmotiv vom Sopran solistisch wiederholen zu lassen (und für den modernen Hörer, jedoch wohl nicht den seiner Zeit…) so etwas wie eine Opernszene vor dem geistigen Auge zu erzeugen – was durch die häufige Wiederholung des Soprans aber schnell als vom lyrischen Ich, dem sprechenden Mann, ad absurdum geführt und als seine eigene Imagination erkennbar wird. Für den Höhepunkt des Gedichts, die Schlusszeile, wendet Monteverdi dagegen "guten alten Kontrapunkt im Fugato" der Stimmen an, den seinerzeit JEDER als Anspielung, fast Wiederholung des Schlusses von Arcadelts "Il bianco e dolce cigno" erkennen musste – womit Monteverdi dem Text Guarinis eine erotische, fast pornographische Interpretation gibt, die dem reinen Text des Gedichts kaum zu entnehmen oder auch nur zu unterstellen ist! Wohl gemerkt: Ein Madrigal (Arcadelts), das zum Zeitpunkt von Monteverdis gut 70 Jahre alt ist aber seit 1538 dutzende Male – später sogar einmal von Monteverdi selbst – veröffentlicht worden war und so bekannt gewesen sein muss wie ein "Gassenhauer", heute vielleicht ein Schlager aus den 1930er/04ern! (Man könnte an den "Kleinen grünen Kaktus" oder einen ähnlichen Schlager denken, den heute noch nahezu jeder erkennt und zumindest Vokalensemble gern im Repertoire haben.)

Dass es andere Arten gibt, diesen Höhepunkt und (Bedeutungs-) Umschlag des Gedichts in Musik zum Ausdruck zu bringen, zeigen ausgerechnet die Vertonungen desselben Textes von Luzzascho Luzzaschi (stetige Steigerung der Verzierungen bis zum "Gipfel": alle drei Soprane singen nur in der Schlusszeile parallel komplexe "Koloraturen"!) und … Gesualdo. Wobei Gesualdos Vertonung nach mehreren Jahren Pause, in denen er nichts publizierte, in einer Madrigalsammlung 1609 erschien, als ihm also Monteverdis Vertonung und die Erhebung durch diesen quasi zum "Anführer" der Seconda Pratica bekannt gewesen sein dürften! Doch was macht Gesualdo? Er stellt das poetisch moderne Gedicht an wenigen Stellen so um, dass aus der freien Madrigalform (Madrigal hier als Form der Dichtung verstanden) eine "Ballata" wird, eine Dichtungsform des 14. Jh., die zu dieser Zeit mindestens gut 100 Jahre "aus der Mode" war und im 16. Jahrhundert nur noch gelegentlich verwendet wurde, wenn etwas als altertümlich charakterisiert werden sollte. Und dieses "umgearbeitete" (quasi künstlich gealterte) Madrigal vertont Gesualdo nun auch noch in der so ziemlich konservativsten Form, die man für ein Madrigal und ausgerechnet als Komponist seines Ranges wählen kann, d.h. keine (satztechnisch gewagten oder gar irregulären) Dissonanzen, keine "Monodie" (wie bei Monteverdi), keine Verzierungs-"Orgie" wie bei Luzzaschi … man kann kaum umhin, diese Vertonung als eine provokative Ablehnung der "Vereinnahmung" durch Monteverdi zu deuten, oder?

Der Artikel (und alle gleichlautenden in anderen Wikipedia-Versionen) sind also umzuschreiben. Das dort und in anderen Lexica und Fachartikeln und Büchern verbreitete "Verständnis" der "Seconda Pratica" ist nichts weiter als ein groteskes, immer wieder durch Abschreiben transferiertes, aber eben auch immer im Widerspruch zu den Quellen (Monteverdis eigenen Texten!) stehendes Missverständnis!

Bernd Kulawik, 2020-03-03 (nicht signierter Beitrag von Kulawik (Diskussion | Beiträge) 12:38, 3. Mär. 2020 (CET))Beantworten