Erfurter Latrinensturz
Der Erfurter Latrinensturz war ein Unglück bei einem königlichen Hoftag in Erfurt im Jahre 1184, bei dem etwa 60 Anwesende, darunter viele Adelige, umkamen und viele weitere verletzt wurden. Die Bezeichnung Latrinensturz rührt vom Hergang des Unfalls, bei dem die Opfer durch zwei Stockwerke der Dompropstei des Marienstiftes in die darunterliegende Toilettengrube fielen und zum Teil durch den Sturz und herabfallende Trümmerteile, zum Großteil aber durch Ertrinken bzw. Ersticken in den Körperausscheidungen starben.
Das Unglück
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Juli 1184 kam der König und spätere Kaiser Heinrich VI. auf einem Feldzug gegen Polen nach Erfurt und hielt dort kurz Hof. Er suchte einen schweren Streit zu schlichten, der nach dem Sturz Heinrichs des Löwen zwischen Erzbischof Konrad I. von Mainz und dem Landgrafen Ludwig III. von Thüringen entbrannt war.
Am 26. Juli 1184 saß Heinrich mit großem Gefolge, darunter etliche Fürsten und Bischöfe, im oberen Stockwerk der Dompropstei des Marienstiftes zu Rat, als der alte und wohl auch morsche Boden des zweiten Geschosses plötzlich unter der außergewöhnlichen Last der vielen Menschen zusammenbrach. Dabei stürzten die meisten Anwesenden in die Tiefe, wo auch der Boden des ersten Geschosses dem plötzlichen Aufprall dieser Last nicht standhielt, sodass die Herabstürzenden noch tiefer in eine darunter liegende Abtrittgrube fielen. Viele fanden dabei den Tod (zeitgenössische Quellen sprechen von etwa 60 Toten): der Großteil ertrank oder erstickte in den in der Toilettengrube befindlichen Körperausscheidungen, andere wurden durch nachfallende Balken und Steine erschlagen oder verletzt. Die Chronik von St. Peter in Erfurt erwähnt unter den Todesopfern namentlich Graf Gozmar III. von Ziegenhain, Graf Friedrich I. von Abenberg, Burggraf Friedrich I. von Kirchberg,[1] Graf Heinrich von Schwarzburg, Burggraf Burchard von der Wartburg und Beringer I. von Meldingen.
König Heinrich selbst und der Bischof Konrad I. von Wittelsbach saßen zum Zeitpunkt des Unglücks in einer gemauerten Fensternische der steinernen Außenwand und wurden mittels Leitern in Sicherheit gebracht. König Heinrich reiste nach dem Unglück umgehend aus Erfurt ab. Landgraf Ludwig konnte ebenfalls gerettet werden.
Auszug aus der Chronik von St. Peter zu Erfurt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„König Heinrich kam auf dem Zuge gegen Polen nach Erfurt und fand daselbst Cunrad von Mainz in heftigem Streit mit dem Landgrafen Lodewig ob des dem Bisthum zugefügten Schadens. Als er, bemüht den Frieden zwischen denselben herzustellen, von Vielen umgeben in einer Oberstube zu Rath saß, brach plötzlich das Gebäude zusammen und Viele stürzten in die darunter befindliche Abtrittsgrube, deren einige mit Mühe gerettet wurden, während andere im Morast erstickten. Daselbst starben: Friderich, Graf von Abinberc, Heinrich, ein Graf aus Thüringen, Gozmar, ein hessischer Graf, Friderich, Graf von Kirchberg, Burchard von Wartburg und Andere geringeren Namens am 26. Juli eines kläglichen Todes.“[2]
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Erfurter Latrinensturz wird im Wartburgkriegs-Roman Krieg der Sänger (2012) von Robert Löhr aufgegriffen und literarisch ausgearbeitet.
Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Quellenzusammenstellung: Regest RI IV,2,4 n. 2778 der Regesta Imperii Link
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Christoph Werner: Erfurter Latrinensturz vom 26. Juli 1184. In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte. Bd. 30 (2023), S. 30–35
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Die Grafen von Kirchberg bei Sondershausen, 1882, S. 232. Abgerufen am 28. Mai 2021.
- ↑ Chronik zu Erfurt ( vom 4. Oktober 2010 im Internet Archive)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Erfurt Enzyklopädie: Erfurter Unglück 1184 ( vom 23. Oktober 2008 im Internet Archive)
- Chronik von St. Peter zu Erfurt, 1184 ( vom 3. Mai 2009 im Internet Archive)
- spalatin.franconica.uni-wuerzburg.de ( vom 14. Dezember 2011 im Internet Archive)
- http://gratis-sagen.de/ludwig-bechstein/deutsches-sagenbuch/590.-des-grafen-spruechwort
- Tiefstes Mittelalter: Die merkwürdige, aber wahre Geschichte des königlichen Sturzes ins Klo
- Patze Hans/Schlesinger Walter: Geschichte Thüringens. S. 24–29, bei Genealogie Mittelalter ( vom 6. Februar 2006 im Internet Archive)
- Michael Gockel: Thüringen. Erfurt (Schluss) - Kirchberg (Anfang). In: Die deutschen Königspfalzen. Band 2. Vandenhoeck & Ruprecht, 1984, ISBN 3-525-36502-0, S. 127–129 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 8. Januar 2017]).
- Kalenderblatt des Bayerischen Rundfunks zum 820. Jahrestag ( vom 30. September 2007 im Internet Archive)
- Christiane Kopka: Stichtag 26. Juli 2009: 60 Tote bei „Erfurter Latrinensturz“ NDR Info ZeitZeichen vom 26. Juli 2009. (Podcast)
- Christoph Werner: Der Erfurter Latrinensturz vom 26. Juli 1184. Aufsatz in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte, Band 30. Köln Druck+Verlag, Bonn 2023, ISBN 978-3-9818871-4-3.