Geschäftsherrenhaftung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Unter Geschäftsherrenhaftung (auch: strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung) versteht man im deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht die Unterlassungshaftung einer vorgesetzten, in der Regel weisungsbefugten Person wegen der Nichtverhinderung von Straftaten Untergebener. Sofern spezialgesetzliche Regelungen fehlen (zum Beispiel § 357 Abs. 1 Alt. 3 StGB für den amtlichen oder § 30 Abs. 2, § 41 WStrG für den militärischen Bereich), sind Grund und Grenzen der Geschäftsherrenhaftung trotz neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht abschließend geklärt.

§ 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gestaltet die Aufsichtspflichtverletzung in Betrieben und Unternehmen als Ordnungswidrigkeit aus und sieht eine Geldbuße von bis zu einer Million Euro vor.[1]

Ob dem Vorgesetzten darüber hinaus eine Garantenstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten zukommt, ist Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen: Mit Urteilen vom 17. Juli 2009[2] und vom 20. Oktober 2011[3] hat der BGH die Geschäftsherrenhaftung für betriebsbezogene Straftaten dem Grunde nach anerkannt. Er ließ jedoch offen, welche tatsächlichen Umstände für die Begründung der Garantenstellung im Einzelfall maßgebend sind[4] und überließ damit die weitere Konkretisierung späteren Urteilen. Zu dieser Rechtsprechung des 4. und 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs setzte sich der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit seinem Urteil vom 10. Juli 2012[5] in Widerspruch. Stillschweigend wurde hier die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung abgelehnt, ohne das Spannungsverhältnis zur Rechtsprechung der Strafsenate offenzulegen.[6]

Im Bereich des zivilrechtlichen Deliktsrechts ist die Haftung des Geschäftsherrn für den sog. Verrichtungsgehilfen in § 831 BGB geregelt, wobei insoweit der Begriff der Geschäftsherrenhaftung kaum gebräuchlich ist.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Fischer, StGB (Kommentar), 56. Auflage 2009, § 13, Rn. 38 mit weiteren Nachweisen ISBN 978-3-406-58083-3
  • Spring, Die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, (2009) ISBN 3-8300-4801-7
  • Gerhard Dannecker/Christoph Dannecker, Die „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung im Unternehmen, JZ 2010, S. 981 (zugleich Anmerkung zu BGH Urt. v. 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44)
  • Hans Kudlich, Mobbing als Betriebsaufgabe? – Zur Geschäftsherrenhaftung eines „Vorarbeiters“ bei innerbetrieblichen Körperverletzungen. (auch Anmerkung zum Urteil des BGH vom 20. Oktober 2011, Az. 4 StR 71/11, HRRS 2012 Nr. 74 = NJW 2012, 1237 = NStZ 2012, 142), HRRS 04/2012, 177 [1]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Caracas: Verantwortlichkeit in internationalen Konzernstrukturen nach § 130 OWiG - Am Beispiel der im Ausland straflosen Bestechung im geschäftlichen Verkehr, Nomos Verlag, Baden-Baden 2014, ISBN 978-3-8487-0992-2; ders. in CCZ 2015, S. 167 ff. und 218 ff.
  2. Az. 5 StR 394/08 sowie Andreas Ransiek, Zur strafrechtlichen Verantwortung des Compliance Officers, Die Aktiengesellschaft (AG) 2010, S. 147
  3. Az. 4 StR 71/11
  4. Rn. 14 des Urteils
  5. Az. VI ZR 341/10
  6. Christoph Dannecker, Die Folgen der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung der Unternehmensleitung für die Haftungsverfassung juristischer Personen, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer und Unternehmensstrafrecht (NZWiSt) 2012, S. 441